„Vom Universum und schwarzen Löchern können meine Fans nie genug bekommen.“

Eva Maria Lütticke, Camilla Graubner im Gespräch mit Niklas Kolorz

Längst ist TikTok nicht mehr nur ein Medium, über das lustige Tier- und Tanzvideos verbreitet werden. Einen großen Raum nehmen Videos ein, die Wissen und Informationen auf unterhaltsame Weise präsentieren. Einer von denen, die mit viel Genauigkeit, Neugier, Elan und Humor sehr erfolgreich Wissenschaftskommunikation auf TikTok betreiben, ist der Journalist Niklas Kolorz.

Printausgabe mediendiskurs: 26. Jg., 4/2022 (Ausgabe 102), S. 22-25

Vollständiger Beitrag als:

Herr Kolorz, Sie sind TikToker mit dem Schwerpunkt „Wissenschaftskommunikation“. Wie haben Sie die App für sich entdeckt?

Ich hege schon lange eine große Begeisterung für die Welt der Wissenschaft. Die Geschichte des Urknalls, schwarze Löcher oder die Quantentheorie – das sind alles Themen, in denen ich mich stundenlang verlieren könnte. Im Jahr 2020 habe ich dann begonnen, diese Begeisterung auf meinem TikTok-Kanal zu teilen. Die Idee kam von meiner Frau. Uns war im zweiten Coronalockdown zu Hause langweilig geworden, also haben wir angefangen, jeden Tag Videos für TikTok zu drehen. Dass daraus so eine Karriere, ein Buch-Deal und zwei Grimme Online Awards entstehen würden, konnte ja keiner ahnen.

Was begründet Ihren Erfolg?

Ich hatte, glaube ich, wahnsinniges Glück, dass ich 2020 eine Nische getroffen habe, in der es noch wenig hochqualitativen Content gab. Dazu kommt, dass ich viele Jahre Berufserfahrung als Social-Media-Content-Creator mitbringe und auch deshalb genau weiß, wie man einen solchen Kanal aufbauen und eine Community aktiv halten muss. Das alles hat sicher geholfen.
 

„Niklas Kolorz auf TikTok“ - Preisträger Wissen und Bildung 2021 (GrimmeOnlineAward 2021)



Wie wichtig ist dabei Humor?

Die Leute, die sich auf Social Media bewegen, wollen am liebsten lachen oder etwas Neues lernen. Schafft man es mit dem Content, den man da aufbereitet, beides zu erfüllen, hat man den Jackpot geknackt. Das gilt auf Social Media genauso wie auch im Unterricht. In meiner Schulzeit haben die Lehrer, die einen guten Sinn für Humor hatten, die besten Stunden gegeben (Shoutout an Herrn Prigge, meinen damaligen Mathe- und Biolehrer: bester Mann).

Gibt es Wissen, das aufgrund der vorgegebenen Kürze der Zeit nicht vermittelbar ist?

Nein. Außer vielleicht die Abseitsregel, dafür ist unsere Sprache einfach nicht gemacht. Wichtig ist, dass man sich auf einen Aspekt des Themas beschränkt. Wenn ein Thema zu groß und komplex ist, unterteile ich es lieber in mehrere Videos.

Welche Themen beschäftigen Sie aktuell?

Alles rund um das James-Webb-Teleskop und die aktuellen Missionen der ESA und NASA sind gerade hoch im Kurs. Aber ich versuche, auch weniger ausgetretene Pfade zu gehen und Forschungsprojekte und Organisationen vorzustellen, die nicht so prominent von den klassischen Nachrichten gefeaturt werden. Alles, was einen „Mind-Blow“-Faktor hat, ist bei mir in der Redaktion gern gesehen.

Wie viel Zeit nimmt die Vorbereitung eines Videos in der Regel in Anspruch?

Die Recherche dauert – je nach Thema – ein bis vier Stunden.

Und wie erfolgt die Bildauswahl?

In Zusammenarbeit mit meinem Cutter schauen wir, dass wir passende Schnittbilder finden. Dafür nutzen wir eine Stock-Footage-Website oder Bilder aus der Creative-Commons-Lizenz.

Steht Ihnen ein Team zur Verfügung?

Aktuell sind wir zu dritt: eine Redakteurin, ein Cutter und ich.

Wie kam es zu dem Setting, das Sie in zahlreichen Videos nutzen, also viele Bilderrahmen im Hintergrund, warmes Licht etc.?

Ich wollte eine gemütliche Atmosphäre in einer Art Studierzimmer erschaffen. Also habe ich dieses Set gemeinsam mit einer Set-Designerin bei mir zu Hause in mein Arbeitszimmer gebaut.

Können Sie beschreiben, was ein erfolgreiches, virales Video auf TikTok im Bereich der Wissenschaftskommunikation ausmacht? Was spricht das Publikum an?

Es müssen alle mitkommen können. Ich adressiere ein Laienpublikum, weshalb ich viele Begriffe einleitend erkläre oder viele anschauliche Beispiele nutze. Das ist so, als baut man eine Treppe. Man fängt ganz unten an; wenn die erste Stufe erreicht ist, kann man die nächste aufbauen. Dabei ist es, glaube ich, hilfreich, dass ich selbst kein Wissenschaftler bin, sondern Journalist und Autodidakt. Da ich mir das Wissen selbst angeeignet habe, verstehe ich ganz gut, was wichtig beim Einstieg in das Thema ist. Dazu nutze ich Schnittbilder und Untertitel, die meine Videos nicht nur barrierefrei machen, sondern auch beim schnellen Erzähltempo helfen. Ich bin dann selbst oft überrascht, wie viel man in 60 Sekunden doch erklären kann.

Passen Sie die Sprachkomplexität je nach Zielalter an oder behalten Sie aus Authentizitätsgründen Ihren persönlichen Sprachstil bei?

Das Wichtigste bei der Kommunikation im Internet ist „Authentifizitifitizität“ – ja, genau so schreibt man das. Für einen Hochschulprofessor wäre es unpassend, wenn er jetzt mit Jugendsprache daherkommt, die offensichtlich angeeignet wurde. Das ist dann „total cringe“. Deswegen rede ich so, wie ich auch sonst rede. Das Einzige, worauf ich achte, ist, welchen Wissensstand mein Publikum hat. Wenn ich vor einem Fachpublikum rede, muss ich weniger Fachbegriffe erläutern. Spreche ich mit Laien, dann aber schon.

Wie interagieren Sie mit Ihrer Community?

Tatsächlich sind die wichtigsten Ideenquellen für mich die Fragen aus der Community. Die gehen auf vielen Kanälen ein, am wichtigsten ist wohl das Kontaktformular auf meiner Website. Darüber erreichen mich zwischen 50 und 100 Fragen jede Woche. Die schaue ich regelmäßig durch und versuche, sie – so oft es geht – in meinen Videos zu beantworten. Auch auf Kommentare und Privatnachrichten versuche ich zu antworten.

Bekommen Sie Feedback zu gelungenen und weniger gelungenen Inhalten aus der Community?

Ja, das ist ganz unterschiedlich. Wenn es mal etwas politischer wird, z. B. bei Videos rund um die Klimakrise, geht es in den Kommentaren schon mal heiß her. Diskurs ist aber meistens etwas Gutes – und für gewöhnlich ist das Feedback durchweg positiv.

Findet mit den Nutzer*innen eine Anschlusskommunikation statt, also werden Informationen vertiefend ausgetauscht, beispielsweise über die Kommentarfunktion?

Absolut. Meistens allerdings bei polarisierenden Themen. Also Klimakrise, E‑Mobilität etc. Aber die Kommentarkultur, gerade auf TikTok, ist sehr lebendig. Da schreiben die Leute gerne und viele Kommentare, obwohl diese auf 150 Zeichen begrenzt sind.

Wer genau ist Ihre Zielgruppe und hat sich diese über die Jahre verändert?

Das sind wissenschaftsbegeisterte Menschen und vor allem interessierte Laien und Einsteiger*innen in diese Themenbereiche. Auf eine Altersgruppe würde ich mich gar nicht so sehr einschränken, wobei die Statistiken klar zeigen, dass der größte Anteil bei Zuschauer*innen zwischen 18 und 30 Jahren liegt. Dennoch höre ich auch immer wieder von anderen Altersgruppen, dass sie sich über meine Videos freuen und oft etwas Neues lernen können.

Hat Ihre Community Sie schon einmal auf Fehlinformationen in Ihren Videos hingewiesen?

Ja, das ist schon vorgekommen. In diesen Zusammenhängen habe ich den Fehler mit meinem Team aufgearbeitet und ein Folgevideo gepostet, in dem ich den Sachverhalt klargestellt habe. Darüber ist die Community sehr dankbar. Jeder macht mal Fehler, nur muss man damit offen umgehen.

Wie schaffen Sie es, Ihre Informationen glaubhaft zu vermitteln?

Ich gebe in jedem Video meine Quellen an, sodass die Zuschauer*innen bei Interesse meine Fakten nachschlagen können.

Wahrscheinlich haben Sie schon von dem Phänomen „News Fatigue“ gehört – eine Art Nachrichtenerschöpfung. Beschäftigt Sie das auch bei Ihrer Arbeit?

Für manche Themen ist es sicherlich schwieriger, Leute zu begeistern. Vom Universum und schwarzen Löchern können meine Fans nie genug bekommen. Aber damit sie auch bei unangenehmen Themen wie Klimaschutz dranbleiben, muss ich mir schon etwas einfallen lassen. Man sollte nicht immer dasselbe Narrativ mit erhobenem Zeigefinger wiedergeben.

Wie ordnen Sie die Informationsflut auf TikTok und generell in den sozialen Medien ein? Oder anders gefragt: Wie schaffen Sie es, „sichtbar” zu sein?

Regelmäßiges Posten ist das A und O. Wir laden etwa vier Videos die Woche auf TikTok, Instagram Reels und YouTube Shorts hoch. Bei mir sticht noch die Produktionsqualität hervor. Ich filme nicht mit dem Handy, sondern mit einer Vollformatkamera, und nutze ein professionelles Mikrofon. Wobei das auch nicht notwendig für den Erfolg ist. Meine Videos können so aber aus der Masse hervorstechen.

Warum haben Sie sich für TikTok und nicht für eine andere Social-Media-Plattform entschieden?

TikTok war – und ist es immer noch – eine der besten Plattformen, um schnell eine Community aufzubauen. Meinen ersten viralen Hit hatte ich nach sieben Tagen, da hatte mein Kanal gerade mal ca. 300 Follower*innen. Aber das Video hat 1 Mio. Menschen erreicht. Der Algorithmus der Plattform ist sehr gut darauf ausgelegt, Videos viral gehen zu lassen. 2020 war Tiktok die einzige Plattform, die so etwas anbieten konnte. Mittlerweile haben Instagram Reels und YouTube Shorts nachgezogen – auch dort ist es mittlerweile wieder möglich, einen Kanal sozusagen von null auf hundert aufzubauen. Deshalb finde ich inzwischen auch da statt und erreiche dort ebenfalls viele junge Menschen.
 


Je spezieller und ausgefeilter ein Content, desto begeisterter die Community dahinter.



Hat sich der Inhalt auf der Plattform seit Beginn Ihrer TikTok-Tätigkeit generell verändert?

TikTok selbst hat immer versucht, sich breit als Social-Media-Plattform aufzubauen und vom Image tanzender Kids und Pranks wegzukommen. Mittlerweile kann man dort Videos bis zu einer Länge von 10 Minuten hochladen. Fast jede politische Partei ist auf TikTok vertreten, ebenso die klassischen großen Wissensformate wie Quarks, Terra X, die Tagesschau etc. Es ist eine Videoplattform geworden, die problemlos mit YouTube mithalten und auf der man jede Art von Content finden kann. Egal ob Comedy- und Tanzvideos oder wissenschaftliche Inhalte. Die Tagesschau beispielsweise ist als sogenannter First Mover einer der erfolgreichsten deutschen News-Kanäle auf der Plattform. Ich finde es wichtig, dass öffentlich-rechtliche Angebote dort auch stattfinden. Schließlich sind extrem viele junge Menschen auf TikTok; und je mehr ernst zu nehmende Nachrichten-kanäle dort vorhanden sind, desto stärker kann man gegen Desinformations- und Fake-News-Kampagnen vorgehen, die auf TikTok natürlich ebenso stattfinden wie auf anderen Portalen.

Aus Ihrer Sicht: Wie wird sich die Informationsvermittlung in den nächsten Jahren auf TikTok entwickeln?

Es wird sich noch weiter diversifizieren und immer nischiger werden. Schon jetzt gibt es viele tolle Kanäle, die sich auf einzelne Aspekte der Wissenschaftskommunikation konzentrieren, egal ob Astrophysik, Biologie oder Chemie. Je spezieller und ausgefeilter ein Content, desto begeisterter die Community dahinter. Ich hoffe, dass noch viele begabte Wissenschaftskommunikator*innen ihren Weg auf die Plattform finden, wobei ich auch darum bitte, sich nicht nur auf TikTok zu begrenzen. Wenn Sie Videos in Kurzform produzieren, posten Sie die bitte auch auf Reels und Shorts, sonst verpassen Sie womöglich eine große Reichweite!

Wo sehen Sie die Grenzen der Wissensvermittlung auf TikTok?

TikTok ist, wie die meisten Plattformen, nicht chronologisch im Feed. Das heißt, wenn ich heute eine Nachricht poste, z. B. die Hochrechnung eines Wahlergebnisses um 18.00 Uhr am Wahlabend, dann kann es sein, dass dieses Video noch einen Monat später viral geht – mit nicht mehr aktuellen Ergebnissen. Das ist etwas ärgerlich. Deswegen fokussiere ich mich auch meistens auf zeitlose Themen.

Aktuell ist Ihr Buch (Fast) Alles einfach erklärt erschienen. Was hat Sie daran gereizt, Wissensvermittlung in Form eines Buches zu publizieren?

Ich liebe populärwissenschaftliche Bücher. Ohne viele großartige Werke von Bill Bryson, Yuval Noah Harari, Stephen Hawking oder Richard Dawkins würde ich heute nicht das tun, was ich tue. Als ich die Chance bekam, bei einem renommierten Verlag wie Droemer Knaur ein Buch zu schreiben, musste ich nicht lange nachdenken. Es bietet mir natürlich die Möglichkeit, tiefer in Themen einzutauchen und intensivere Geschichten zu erzählen, als es mir ein 60-sekündiges TikTok-Video erlaubt. Ich hoffe, dass mir das gelungen ist, und freue mich über alle, die mir Feedback zu meinem ersten Buch geben.
 

Niklas Kolorz:
(Fast) Alles einfach erklärt.
Vom Big Bang quer durch die Weltgeschichte bis zum Ende des Universums

München 2022: Droemer Verlag. 273 Seiten, 16,99 Euro

Niklas Kolorz ist Content Creator und Wissenschaftsjournalist.

Eva Lütticke studierte Medienwissenschaften (M.A.) an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. Sie ist Redakteurin der Fachzeitschrift MEDIENDISKURS und Ansprechpartnerin für das Klassifizierungstool „YouKit“ bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF)

Camilla Graubner ist Redakteurin der Fachzeitschrift MEDIENDISKURS und Projektleiterin diverser Tagungsformate der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF).