Wiederholungen
Eigentlich sollte man meinen, dass das Thema „Wiederholungen“ heute keine große Rolle mehr spielt. Wenn der Trend bei der Nutzung elektronischer Medien immer mehr in Richtung Streaming und Download geht, Podcasts und Mediatheken dominieren, kommt der Anordnung des Angebots für lineare Nutzung und dem Verhältnis zwischen neuen und älteren Angeboten doch nur noch begrenzte Bedeutung zu, oder? Tatsächlich eignet sich das Thema aber immer noch für Kontroversen, nicht nur in der Sommerzeit, die in den USA traditionell „repeat season“ genannt wird.
In den ersten Jahren des Fernsehens waren Wiederholungen in mehrfacher Hinsicht ein sehr komplexes Thema. Sender konnten entweder Filmaufzeichnungen senden oder – das war der Normalfall – live. Elektronische Bildaufzeichnungsverfahren gab es zunächst noch nicht, erst 1958 erwarb der erste deutsche Fernsehsender zu einem horrenden Preis ein zu diesem Zeitpunkt völlig neuartiges Ampex-Gerät. Bis dahin musste neben der Sendekamera parallel eine Filmkamera eingesetzt werden, wenn eine erneute Ausstrahlung einer Livesendung möglich sein sollte, was wegen der hohen Kosten recht selten geschah. Das Publikum wiederum hatte noch weniger Chancen, eine verpasste oder besonders geschätzte Sendung in privater Wiederholung zu sehen: Es sollte bis in die frühen 1980er-Jahre dauern, bis Videorekorder in nennenswerter Anzahl den heimischen medientechnologischen Gerätepark bereicherten.
Während sich ein Teil des Publikums über die Chance freute, eine beliebte Sendung erneut sehen zu können, ärgerte sich ein anderer Teil über den durchsichtigen Versuch, Geld sparen zu wollen
Wiederholungen im laufenden Programm hatten bis zu diesem Zeitpunkt einen ambivalenten Ruf erworben. Während sich ein Teil des Publikums über die Chance freute, eine beliebte Sendung erneut sehen zu können, ärgerte sich ein anderer Teil über den durchsichtigen Versuch, Geld sparen zu wollen – Neuproduktionen sind teuer, Wiederholungen billiger. Dieser Umstand sorgte auch besonders in den ersten Jahren des Privatfernsehens für ein Paradoxon: Viele neue Sender zeigten fast nur alte Sendungen. Bei noch geringen Werbeeinnahmen und damit wenig Geld fürs Programm konnte etwa SAT.1 auf die große Bibliothek von Leo Kirch zurückgreifen, RTL dagegen musste mit bescheidenen Mitteln improvisieren. Sender der Kirch-Gruppe konnten ab dem ersten Sendetag mit bekannten, attraktiven Filmen und Serien punkten, die meisten anderen mussten versuchen, eigene Programmideen in kostengünstigen Eigenproduktionen umzusetzen.
Zur ökonomischen Logik von Wiederholungen gehört wesentlich auch ein jahreszeitlicher Aspekt. Zwar muss jeder Fernsehsender über das ganze Jahr Programm anbieten, aber die potenziell erreichbare Zuschauerschaft ist ungleich verteilt – in der kalten Jahreszeit ist das Publikum deutlich größer als im Sommer, wo Urlaub und aushäusige Freizeitaktivitäten locken. Da über das Jahr eine begrenzte Geldsumme aus Rundfunkbeitrag, Werbeeinnahmen oder Abogebühren zur Verfügung steht, ist es für jeden Sender sinnvoll, die kostspieligen Neuproduktionen oder neuen Importe in den Zeiten mit potenziell besonders großem Publikum zu bündeln. Erstausstrahlungen im Sommer sind also selten, nicht aber Versuche, die unvermeidlichen Wiederholungen zu adeln. Lange bevor es üblich wurde, mit „Highlight-Folgen“ oder „Best-ofs“ Zuschauer:innen anzuziehen, wollte das ZDF zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Beim „ZDF-Wunschfilm“ (1983–1989) konnte per Publikumsabstimmung entschieden werden, welcher von drei vorgeschlagenen Filmen wiederholt werden sollte, sodass die Auswahl zusätzlich als demokratischer Akt inszeniert wurde.
Wiederholungen helfen aber nicht nur, Programmkosten zu senken, sie bieten auch noch andere Vorteile. Neue Serienstaffeln kann man beispielsweise mit Wiederholungen früherer Folgen vorbereiten: So lassen sich Neugier und Vorfreude wecken, zusätzlich können sich Zuschauer:innen, die vorangegangene Folgen verpasst oder vergessen haben, auf den aktuellen Stand der Dinge bringen. Im englischen Fernsehen gibt es für solche „Was-bisher-geschah“-Wiederholungen sogar seit Langem einen eigenen Begriff. Bei vielen Soap-Operas wurden ab 1991 die Folgen einer Woche am Wochenende hintereinander als „Omnibus“ wiederholt, damit Serienfans am kommenden Montag nicht mit einer Wissenslücke in die neue Woche starten mussten.
Bei manchen Produktionen lassen sich außerdem mit Wiederholungen fast so große oder sogar größere Publika als bei der Erstausstrahlung erreichen, was verschiedene Ursachen haben kann: Eine Wiederholung kann auf einem anderen Sendeplatz eine andere Zielgruppe erreichen, die Erstausstrahlung hatte ein besonders starkes Gegenprogramm und wurde von einem Teil der Stammseherschaft verpasst, die Produktion hat für einen relevanten Teil des Publikums Kultstatus und wird immer wieder gerne gesehen, selbst zum zehnten Mal.
So wie es nicht möglich ist, zweimal in denselben Fluss zu steigen, kann man auch nicht zweimal dasselbe Seherlebnis beim Betrachten derselben Sendung haben.
Tatsächlich ist jede Wiederbegegnung mit einer schon einmal gesehenen Sendung aber immer auch eine Neubegegnung. So wie es nicht möglich ist, zweimal in denselben Fluss zu steigen, kann man auch nicht zweimal dasselbe Seherlebnis beim Betrachten derselben Sendung haben. Man selbst hat sich verändert, das eigene Medienwissen hat sich verändert, man kann mehr oder anderes an der Sendung wertschätzen. Sie bietet gleichzeitig neues und die Reminiszenz an altes Vergnügen. In den Fällen, in denen die betreffende Produktion schon so vertraut ist, dass man imaginiert darin „lebt“, ermöglicht jede Wiederholung auch einen kleinen medialen Urlaub vom Alltag.
Je weiter die Erstbegegnung in der Vergangenheit liegt, desto stärker lädt die Sendung zudem zur Reflexion eigener (Medien‑)Geschichte und zu Erinnerungsarbeit ein. Die Wiederholung holt Vergangenheit in die Gegenwart: Warum hat mir das damals gefallen? Was bringt es mir heute noch? Ist es dasselbe oder etwas anderes? Im zweiten Fall: Habe ich mich verändert oder mein Medienkonsum? Sehe ich anders oder anderes?
Diese Art des Nachdenkens über die eigene Mediennutzung kann zur veritablen Schatzsuche werden, und es ist kein Zufall, dass der erste Fernsehsender im Vereinigten Königreich, der sein Programm hauptsächlich mit Wiederholungen bestritt, UK Gold hieß.