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Zuckerberg goes Trump: Und nun, Brüssel?

Matthias C. Kettemann

Dr. Matthias C. Kettemann ist Forschungsprogrammleiter am Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI), Hamburg, und am Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft, Berlin.

Als Jurist, zumal als Medienjurist mit digitalem Interesse hat man es dieser Tage nicht leicht. In hoher Taktung entwickelt sich das Drama um TikTok weiter, X wird radikaler, Meta zieht nach. Passend zur Amtsübernahme von Donald Trump hatte Meta substanzielle Änderungen in seiner Content-Moderation angekündigt (und in der Personalstruktur). Es soll weniger moderiert werden; automatische Filtersysteme einen Gang runtergeschaltet werden. Ein neues System von „Community Notes“ soll kommen. Diese Änderung verlagert die Verantwortung für die Moderation von Inhalten weg von Plattformen hin zur Community der Nutzer:innen. Der DSA, Europas Grundgesetz für das Internet, sieht das genau anders vor. Mehr Rechte für Nutzer:innen, sind dort festgeschrieben, mehr Pflichten für Plattformen. Metas Fokus liegt dabei auf einer weniger restriktiven Moderation, wodurch mehr politische Inhalte zugelassen werden, selbst zu kontroversen Themen wie Migration und Gender. Symbolpolitik, wie auch die Verlagerung der letzten Moderationsmitarbeiter:innen vom „liberalen“ Kalifornien nach Texas? Oder eine Verletzung europäischen Rechts?

Online seit 11.02.2025: https://mediendiskurs.online/beitrag/zuckerberg-goes-trump-und-nun-bruessel-beitrag-772/

 

 

Ein Trump-Turn?

Die Hintergründe dieser Neuausrichtung sind vielschichtig. Ein Hauptgrund scheint eine strategische Anpassung an den politischen Wandel in den USA zu sein, insbesondere im Hinblick auf die Amtszeit von Donald Trump, der Zuckerberg mit dem Gefängnis gedroht hat, weil dieser sich in die letzten Wahlen eingemischt habe (was natürlich nicht stimmt). Zuckerberg, der in der Vergangenheit wiederholt von beiden politischen Lagern kritisiert wurde, verfolgt offenbar das Ziel eines „Alignment“ mit der neuen Administration. Indem er die Moderationspolitik offener gestaltet, signalisiert er – nicht zum ersten Mal – dass er die inhaltlichen falschen „Zensur“-Vorwürfe, ein zentrales Narrativ in der konservativen politischen Landschaft, ernst nimmt. Für alle zum Mitschreiben: Zensur ist, wenn der Staat Inhalte verbietet. Wer etwa im neuen chinesischen LLM DeepSeek fragt, was denn so am Tiananmen-Platz stattgefunden hat, erhält keine Antwort. Wenn eine Plattform Inhalte verbietet, dann moderiert sie. Sie kann falsch moderieren und die Moderationsfreiheit wird – zumindest in Deutschland und Europa – immer stärker konturiert, zumindest in dem Maße, in dem Plattformen auch auf Grundrechte verpflichtet werden. Zensur kann es dennoch nicht werden.
 


Für alle zum Mitschreiben: Zensur ist, wenn der Staat Inhalte verbietet. Wer etwa im neuen chinesischen LLM DeepSeek fragt, was denn so am Tiananmen-Platz stattgefunden hat, erhält keine Antwort. Wenn eine Plattform Inhalte verbietet, dann moderiert sie.“



Zuckerberg war zweifellos durch Elon Musks Ansatz bei Twitter/X inspiriert worden. Musk hat ebenfalls eine Lockerung der Moderationsregeln implementiert und damit libertäre Positionen zur Meinungsfreiheit gestärkt. Zuckerberg könnte versuchen, ein ähnliches Image zu kultivieren, um Meta als Plattform der offenen Diskussion zu positionieren. Dies ist zumindest aus dem Kontext der amerikanischen Konzeption von „free speech“ verständlich; aber um Bürgerrechte geht es weder Musk noch Zuckerberg. Die Absolutierung von „free speech“ verkennt regelmäßig, dass die Freiheit der Einen, die Freiheit der Anderen beeinträchtigen können. Auch ist das amerikanische Verständnis der „free speech“ Europa, zumal Deutschland, fremd. Wenn der Supreme Court, wie in National Socialist Party of America v. Village of Skokie, Neonazis Swastika-Fahnen schwingend erlaubt, durch jüdische Gemeinden zu marschieren, dann schüttelt man sich als rechtsgutabwägungsfähiger Europäer.

Die geplanten Änderungen bei Meta könnten weitreichende Konsequenzen für die Internetöffentlichkeit haben. Kritiker:innen befürchten eine Zunahme von Hassrede, Fehlinformationen und frauenfeindlichen Inhalten. Gesellschaftlich könnte die verstärkte Verbreitung polarisierender Inhalte die politischen und sozialen Spaltungen in den USA weiter vertiefen. Empirische Belege für diese Zusammenhänge sind jedoch schwer zu erbringen, da auch andere Medien, wie TV-Sender, eine wichtige Rolle bei der Verbreitung polarisierender Inhalte spielen. Es geht mehr um die Gesamtstimmung, um das Gefühl, dass es einen Backlash gibt gegen die letzten Jahre, in denen US-Plattformen auch in den USA auf mehr Moderation und verantwortungsvolles Umgehen mit der demokratieverträglichen Lenkung von Kommunikationsflüssen setzen wollten. Die EU hat vorgemacht, wie man dies verrechtlicht. Jetzt haben die Plattformen, moralisch unterstützt von der sonst nicht sehr moralisch agierenden Regierung Trump II eine Kehrtwende gemacht, just als Europa mit dem DSA und dem DMA ernst macht.


Was macht Brüssel?

Laut Zuckerberg sollen die Änderungen zunächst nur in den USA gelten. Allerdings hat Meta bereits eine Risikobewertung nach Brüssel geschickt, wie es der Digital Services Act (DSA) der EU bei geplanten Änderungen vorschreibt. Der DSA verpflichtet Plattformen, gegen rechtswidrige Inhalte und systemische Risiken vorzugehen, was die Einführung von Community Notes in Europa erschweren, aber nicht unmöglich machen würde. Denn gegen Desinformationen müssen Plattformen vorgehen, und zwar effektiv; über den Umweg der gemeinsamen Verhaltensstandards, eines Koregulierungsinstruments, gilt das für alle großen Dienste. Wer nicht effektiv gegen Desinformationen vorgeht, verletzt den DSA.

Während sich Thierry Breton noch nach seinem Abgang mit Elon Musk Verbalduelle liefert, tritt seine Nachfolgerin Henna Virkkunen zumindest erstmals eher ruhig auf. Hängt das zusammen mit der unverhohlenen Drohung von Zuckerbergs neuem Policy-Chef, der auf Fox News der EU ausgerichtet hatte, man werde mit der neuen Regierung zusammenarbeiten, um dafür zu sorgen, dass amerikanische Firmen nicht von ausländischen Akteuren in ihrer Freiheit beschnitten würden? Allerdings laufen aktuell einige Verfahren, die Zuckerberg und Musk – und auch TikTok – ganz schön ungemütlich werden können.
 


Der Rückgang von faktenbasierter Moderation kann gesellschaftliche Diskurse toxischer machen. Allerdings gibt es bisher wenig empirische Evidenz für verallgemeinernde Aussagen.“



Wird es mit Trump toxischer?

Zurück zu Zuckerbergs Änderungen: Der Rückgang von faktenbasierter Moderation kann gesellschaftliche Diskurse toxischer machen. Allerdings gibt es bisher wenig empirische Evidenz für verallgemeinernde Aussagen. Auch wenn Meta nicht wie X alle Schutzmechanismen abbaut, könnten die Änderungen das Vertrauen in professionelle Faktenprüfungen und etablierte Institutionen weiter untergraben. Ein algorithmisch auf Engagement optimierter Meinungskampf erschwert zudem die „Wahrheitsfindung“ und fördert verzerrte Debatten. Die genaue Auswirkung sozialmedialer Diskurse indes auf individuelle und kollektive Meinungsbildungsprozesse wird meist überschätzt.

Wie geht es weiter? Als Reaktion auf die Diskussionen um die Inhaltsmoderation gewinnen dezentralisierte Plattformen wie Mastodon, die auf offenen Protokollen basieren, zunehmend an Bedeutung. Zu Recht orientieren sich viele an Plattformen und Communitys, die besser mit ihren Werten übereinstimmen. Diese Polarisierung kann jedoch zu einer zunehmenden Fragmentierung der Online-Communitys führen, was langfristig – mehr noch als Empfehlungsalgorithmen – die soziale Kohäsion beeinflussen könnte. Zuletzt hörte man aus Brüssel, dass die großen Plattformen nun noch mit der Kommission arbeiten möchten und sicherstellen wollen, dass ihre Nutzer:innen in Europa nicht gefährdet werden. Das klingt schon besser, muss aber von der Kommission beobachtet werden. Und diese, mit noch unerprobten Kommissar:innen für Wettbewerb und Digitales, hatte kaum Zeit sich warmzulaufen. Dabei geht der Medienwandel munter weiter. Trumps Pressesprecherin brüskiert gleich beim ersten Auftritt im Weißen Haus die Traditionsmedien und teilt ihnen mit, sie sollen Platz für Influencer und Content „Bros“ machen. Wie lautet der gern zitierte chinesische Fluch: „Mögest du in interessanten Zeiten leben!“