„Wie man redet, so positioniert man sich!“

Christina Heinen im Gespräch mit Konstanze Marx

Verbale Gewalt stellt im Netz ein großes Problem dar. Dr. Konstanze Marx, Professorin und Inhaberin des Lehrstuhls für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Greifswald, forscht zu Kommunikation und Sprache in sozialen Medien. tv diskurs tauschte sich mit ihr über Cybermobbing und Filtersoftware aus – aber auch darüber, wie Sprache unser Denken und Empfinden prägt.

Printausgabe tv diskurs: 26. Jg., 1/2022 (Ausgabe 99), S. 6-9

Vollständiger Beitrag als:

 

Was verstehen Sie unter Cybermobbing?

Cybermobbing ist eine Form psychischer Gewalt, die von den Initiator*innen vornehmlich verbal und mittels technischer Applikationen realisiert wird. Diese wird einem großen Kreis von Zuschauer*innen und Zeug*innen zugänglich gemacht, was die Wirkung der Gewalt verstärkt.

Hat Mobbing als Onlinephänomen eine andere Dynamik als in der analogen Welt?

Nicht unbedingt. Auch Cybermobbing findet meist in sozialen Gruppen, unter Menschen statt, die sich kennen. Andererseits spielen körperliche Gewalt und körperliche Überlegenheit beim Cybermobbing keine Rolle; und der Kreis der Mitwisser*innen und Zuschauer*innen ist im Netz tendenziell größer.

Was kann man gegen Cybermobbing tun?

Das kommt darauf an, wann etwas getan werden kann respektive getan werden muss. Präventiv ist Aufklärung wichtig und eine Kultur der Wertschätzung in der gesamten Schule – auch im Kollegium der Lehrkräfte. Schüler*innen sollten mit dem Thema „verbale Gewalt“ vertraut sein, weil es im Unterricht auf einer Metaebene thematisiert und für Mobbingmuster sensibilisiert wird. Auf diese Weise ist das Thema im Schuldiskurs. Im Ernstfall kann es für Betroffene dann leichter sein, daran anzuknüpfen und sich z.B. jemandem anzuvertrauen.

Bemerken wir laufendes Cybermobbing, ist Gegenrede sicher ein gutes Instrument. In meinen Forschungsdaten hat sich das sozioemotive Ankern als hilfreiche Strategie herausgestellt. Wenn Cybermobbing z.B. als Ventil für Frust über etwas, das im Schulalltag passiert ist, identifiziert werden kann, ist es möglich, auf diesen Punkt einzugehen und das Motiv der Initiator*innen direkt zu formulieren – gegebenenfalls mit einem Signal des Verständnisses für den Unmut. Gleichfalls muss aber deutlich klargemacht werden, dass all das es nicht rechtfertigt, eine Person in den Fokus zu nehmen und sie zu degradieren. Noch wichtiger ist es natürlich, der betroffenen Person Solidarität zu signalisieren. Diese Signale müssen sich nicht nur auf den digitalen Raum beschränken.
 


Es ist wichtig, Menschen als Personen nicht gleich zu negieren, weil sie einzelne problematische Äußerungen in sozialen Medien getätigt haben.



In welcher Hinsicht unterscheidet sich die Kommunikation in sozialen Medien von der Kommunikation in der analogen Welt?

Die digitale Kommunikation ist ein organischer Teil unserer gesamten Kommunikation. Wir wechseln ständig die Kanäle: Gerade noch haben wir Face to Face gesprochen, im Anschluss tippen wir noch schnell etwas über den Messenger. Ich halte die strikte Trennung von digitaler und analoger Kommunikation nicht mehr für sinnvoll.

Dennoch gibt es Merkmale, die beide Ausprägungen kennzeichnen. So greifen wir je nach Kommunikationsraum auf unterschiedliche semiotische Ressourcen zurück.

In sozialen Medien interagieren wir vornehmlich über Schrift miteinander. Dadurch weichen die Möglichkeiten, Emotionen oder Bedeutungsnuancen (etwa Ironie) zum Ausdruck zu bringen, voneinander ab. Face to Face modulieren wir mit Mimik oder Stimme, digital greifen wir auf GIFs, Memes, Emojis oder spezifische sprachliche Formulierungen und Muster zurück. Ein besonderes Merkmal digitaler Kommunikation sind Hashtags, die einfach auch eine technische Funktion erfüllen, indem sie große Diskurse markieren und bündeln. Interessanterweise ist die Rautengestik oder die explizite Benennung des Wortes „Hashtag“ in die mündliche Kommunikation übernommen worden. Hier wird auf das Potenzial, das im digitalen Raum durch die technische Verknüpfung realisiert wird, Bezug genommen. Insgesamt können wir sagen, dass das Schreiben in sozialen Medien vornehmlich auf Interaktion ausgerichtet ist, während andere Schreibprodukte, wie offizielle Briefe, Gesetzestexte oder Bücher, andere Funktionen erfüllen.

Gibt es mehr verbale Gewalt in den sozialen Medien als in der analogen Kommunikation?

Das wissenschaftlich zu untersuchen, ist in methodischer Hinsicht schwierig, weil wir ja keine Vergleichsdaten haben. Ich gehe jedoch nicht davon aus. Es erscheint mir nicht plausibel, dass es vor der Interaktion in den sozialen Medien keine derartige Gewalt gegeben haben soll. In der jüngeren Geschichte lässt sich sehr viel Gewalt, Propaganda und Ausgrenzung beobachten, lange bevor es soziale Medien gab.

Dass Medien diese Gewalt hervorgerufen haben, glaube ich auch nicht. Aber es scheint doch schwieriger zu sein, online einen empathischen Zugang zu Kommunikationspartner*innen zu finden, als wenn man sich Face to Face unterhält …

Insgesamt ist der Kreis an Rezipient*innen in sozialen Medien recht diffus. So ist nicht unbedingt klar, wer mitliest oder an wem die Kommunikation auszurichten ist. Man ruft quasi in einen Raum hinein, ohne genau zu wissen, wer sich im Raum befindet und ein offenes Ohr hat. Daher ruft man besonders laut und beschränkt sich vielleicht auch manchmal auf markante Aussagen. Die Reaktionsmöglichkeiten derer, die zugehört bzw. mitgelesen haben, sind ebenfalls überschaubar: Sie können Funktionen, z.B. das Liken, bedienen oder auch kommentieren. Dabei sind die Oberflächen so ausgestaltet, dass es eben besonders leicht ist, schlicht zu bewerten. Eine Begründung oder tiefer gehende Auseinandersetzung ist für den Fortgang der Interaktion nicht unbedingt notwendig.Hinzu kommt die Aufmerksamkeitssteuerung durch Algorithmen. Vor allem Negatives bindet unsere Aufmerksamkeit und wird in der Folge durch Algorithmen immer wieder repliziert. Diese Eigendynamik in den sozialen Medien ist in hohem Maße technisch unterstützt. Darüber hinaus sprechen wir über sehr große Öffentlichkeiten – je mehr Menschen, desto geringer die Möglichkeiten, auf Einzelne einzugehen. Die Oberflächen sind darauf ausgerichtet, zu kommentieren, nicht darauf, miteinander zu diskutieren.

Sie plädieren für eine Ethik des Digitalen. Was verstehen Sie darunter?

Gemeint ist, dass wir uns darüber verständigen sollten, wie wir in digitalen Kommunikationsräumen Wertschätzung füreinander zeigen und Differenzierungen zulassen können. Es ist wichtig, Menschen als Personen nicht gleich zu negieren, weil sie einzelne problematische Äußerungen in sozialen Medien getätigt haben. Es geht vor allem aber auch darum, Wege zu finden, wie ein Diskurs in solchen Fällen dann gestaltet sein kann. Darüber hinaus ist natürlich in den Blick zu nehmen, wie Positionierungen gegen Hass und Hetze gut umgesetzt werden können.

Was halten Sie von Jugendschutz-Filtersoftware, die die Nutzung bestimmter Begriffe erschwert bzw. verhindert, indem sie nur noch umschreibend eingetippt werden können oder man sie ganz umgehen muss?

Filterprogramme sind natürlich leicht zu umgehen, aber dennoch sinnvoll, um ein ansonsten unüberschaubares Kommunikationsfeld zu scannen und problematische Bereiche ausfindig zu machen. Es gibt jedoch Phänomene, die nicht auf die Wortebene reduziert werden können. Beispielsweise sind vielleicht als äußerst rüde empfundene Adressierungen zwischen Jugendlichen innerhalb der jeweiligen Gruppe durchaus freundschaftlich gemeint und angemessen. Nachrichten, die solche spezifischen Wörter enthalten, dann zu löschen, ist vermutlich nicht notwendig. Andererseits lässt sich nicht jeder Akt verbaler Gewalt auf der sprachlichen Oberfläche erkennen, sprich: Er enthält gar keine offensichtlichen Beleidigungen oder Herabwürdigungen und ist dennoch als Hetze einzustufen.
 


Wenn Grenzüberschreitungen nicht angemahnt werden, kommt es zu Normalisierungen.



Schwierig ist aber z.B. auch, dass Filtersoftware oder auch andere Jugendschutzmechanismen generell nicht in den Interaktionssequenzen von Onlinespielen greifen. Die Spiele selbst werden unter Jugendschutzaspekten bewertet, aber die Interaktion wird dann nicht mehr in den Blick genommen. In diesen Interaktionssequenzen könnte man nach der Sprache des Nationalsozialismus suchen und würde fündig werden, bei den Clan-Namen beispielsweise. Da sollte man genauer hinschauen, denn wenn Grenzüberschreitungen nicht angemahnt werden, kommt es zu Normalisierungen.

Hat es Auswirkungen auf unser Denken und Empfinden, wenn wir versuchen, Sprache aktiv umzugestalten, indem wir z.B. eine gendergerechte Sprache verwenden oder bestimmte rassistische Ausdrücke zum Tabu erklären?

Es geht nicht darum, Sprache aktiv umzugestalten oder bestimmte Ausdrücke zum Tabu zu erklären. Vielmehr sollte man sich klarmachen: Wie man redet, so positioniert man sich. Wenn ich eine gendergerechte Sprache verwende, signalisiere ich: Ich sehe, dass es diverse Geschlechter gibt, und adressiere sie natürlich mit. Wenn ich bestimmte Begriffe nicht verwende, von denen ich weiß, dass Menschen mit ihnen nicht bezeichnet werden wollen, dann zeige ich dadurch meine Wertschätzung und dass ich in der Lage bin, andere Auffassungen zu akzeptieren – ungeachtet dessen, wie ich mich selbst dazu positioniere. Ich finde es wichtig, dass man zunächst einmal reflektiert: Bin ich überhaupt in der Lage, ein Urteil dazu zu fällen? Kann ein Mann beispielsweise sagen: „Ihr Frauen müsst euch doch gesehen fühlen, wenn wir das generische Maskulinum verwenden!“? Wieso sollte er das beurteilen können? Auch nicht jede Frau sieht das gleich, das ist vollkommen in Ordnung. Es geht darum, zu zeigen, dass ich das Bedürfnis, extra genannt zu werden, akzeptieren kann.

Natürlich geschieht dadurch auch eine Sensibilisierung. Man sieht das bei Jugendlichen. Deren Weltsicht ist heute deutlich differenzierter, als es in meiner Schulzeit der Fall war. Das kommt daher, dass wir über diese Themen reden, aber auch daher, dass wir Menschen vielfältiger adressieren. Der Diskurs hat sich hier deutlich erweitert.

Wie sensibel sollte der Jugendschutz auf Sprache reagieren? Unsere Praxis in den Prüfausschüssen der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) ist bislang, Sprache für sich genommen nicht als großes Jugendschutzproblem zu betrachten, sondern erst dann Sendezeitbeschränkungen in Erwägung zu ziehen, wenn einzelne Äußerungen sich zu problematischen Aussagetendenzen einer Sendung insgesamt verdichten. Die Gerechtigkeitsdiskurse, die wir vorhin angesprochen haben, spielen auch in veränderten Diskussionen in den Prüfausschüssen eine Rolle, aber in vielen, vor allem älteren Produktionen findet sich noch eine diskriminierende, homophobe, sexistische oder rassistische Sprache. Sollte man beispielsweise das N‑Wort endlich zum Tabu erklären?

Das ist eine schwierige Frage. Normalerweise entscheiden ja die Sprachbenutzer*innen selbst, wie sie sprechen. Wir Sprachwissenschaftler*innen beobachten, ordnen ein, dokumentieren. Sie aber stehen vor der Entscheidung, einzugreifen – oder nicht. Ähnlich wie Universitäten, die entscheiden: „Ab jetzt wird bei uns gegendert.“ Dann ist es nicht mehr die Entscheidung des Einzelnen. Zudem gibt es Wörter, für die deutlich artikuliert wurde, dass Menschen so nicht bezeichnet werden wollen; und es erschließt sich eben auch nicht, inwiefern Menschen eingeschränkt werden, wenn sie z. B. auf beleidigende und diskriminierende Adressierungen von Menschen verzichten. Die Fragestellung, die Sie ansprechen, spielte auch bereits bei älteren Kinderbüchern eine Rolle. Da scheint es mir ein guter Weg zu sein, die Ersetzung in einer Fußnote zu erläutern und über das Diskriminierungspotenzial aufzuklären.
 

Dr. Konstanze Marx ist Professorin und Inhaberin des Lehrstuhls für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Greifswald. Sie forscht zu Kommunikation und Sprache in sozialen Medien.

Christina Heinen ist Hauptamtliche Vorsitzende in den Prüfausschüssen der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF).