Altersfreigaben als Option
Jugendmedienschutz der Zukunft setzt auf Elternverantwortung
Netflix hat sich im Herbst 2017 entschlossen, der FSM beizutreten. Wie kam es dazu?
Wir sind auf Netflix zugegangen und haben angeboten, die Frage zu erörtern, was sie unternehmen könnten, damit ihr Angebot den nationalen gesetzlichen Gepflogenheiten entspricht. Wir wollten dabei vor allem die Botschaft vermitteln, dass das deutsche Jugendschutzrecht vielleicht von außen etwas sperrig aussieht, dass es aber gar nicht so problematisch ist, wenn man sich damit ein bisschen näher beschäftigt. Als Selbstkontrolle fühlten wir uns in der Position, den gesetzlich richtigen Weg aufzuzeigen.
Und Netflix hat diesem Gesprächsangebot sofort zugestimmt?
Sie waren interessiert, fanden jedenfalls unsere Initiative gut und haben sich das System natürlich erst einmal erklären lassen. Mein Eindruck war, dass es vorher nicht wirklich intensive Überlegungen darüber gegeben hat, wie man es speziell für Deutschland richtig machen kann. Der Dienst hat schon vorher Jugendschutzvorgaben berücksichtigt, die aber für Deutschland eben nicht spezifisch waren. Dann haben wir sehr ausführlich darüber gesprochen, was man für Deutschland ändern muss, und so kamen wir an einen Punkt, an dem wir vereinbarten, das Ganze im Rahmen einer Mitgliedschaft zu besprechen und zu konkretisieren.
Sie haben sich dann das bisherige System angesehen und Vorschläge gemacht, wie man es so verändern kann, dass es den deutschen Regeln entspricht?
Wir haben bei Netflix ziemlich schnell die Offenheit verspürt. Familienfreundlichkeit ist ein wichtiges Thema, weil es von diesem Unternehmen als Qualitätskriterium angesehen wird. Ziel ist es, die Kundenzufriedenheit mit dem Dienst zu erhöhen. Familien sollen im häuslichen Kontext die Dienste so einsetzen können, wie sie das jeweils für richtig halten. Hier gab es für uns die Herausforderung, Vorschläge zu machen, die sowohl die rechtlichen Voraussetzungen als auch die Produktfreundlichkeit berücksichtigen.
Fangen wir einmal vorne an! Wenn ich 14 Jahre alt bin, bereits über ein eigenes Bankkonto verfüge und mich bei Netflix anmelde und dabei möglicherweise mit meiner Altersangabe etwas schummle: Würde das klappen oder gibt es eine Altersabfrage, beispielsweise über das Konto?
Das geht schon allein deshalb nicht so ohne Weiteres, weil man ja die monatlichen Gebühren zahlen muss, und da Netflix ja auch nicht ganz billig ist, steht eine solche Möglichkeit meist Kindern und Jugendlichen nicht zur Verfügung. Eine verbindliche Altersüberprüfung für Jugendschutzprogramme sieht das Gesetz auch nicht vor. Und Jugendschutzprogramme sind genau der Hebel, der auf dieser Plattform benutzt wird. Hier geht es nicht darum, wie bei Altersverifikationssystemen verbindlich das Alter zu überprüfen, sondern hier sagt der Gesetzgeber, dass der Anbieter dafür Sorge tragen muss, dass Minderjährige den Dienst üblicherweise nicht nutzen können. Und hier kommen bei Netflix mehrere Hürden zusammen: Zum einen gibt es ganz klar die Vertragsbestimmungen, die Minderjährige von der Nutzung ausschließen, und das wird auch ziemlich transparent gemacht. Zum anderen gibt es eben die wiederkehrende Kostenpflichtigkeit …
Der Dienst kostet 10,00 Euro im Monat. Wenn man sich den mit vier Freunden teilt, landet man bei 2,50 Euro …
Ich gehe davon aus, dass das kein übliches Szenario ist. Jugendliche werden üblicherweise nicht auf die Idee kommen, für so etwas Geld auszugeben und sich für einen Dienst, der nicht für sie gemacht ist, zu registrieren. Es ist meines Erachtens umgekehrt: Es ist ein Dienst, der von Erwachsenen gekauft und bezahlt und dann in der Familie zur Verfügung gestellt wird. Jedes Familienmitglied kann sich ein eigenes Profil zulegen, und so kann eben auch dafür gesorgt werden, dass die jüngeren Familienmitglieder auch die Inhalte entdecken, die sie attraktiv und spannend finden.
Zusammengefasst heißt das: Wenn jemand bei der Anmeldung mit seinem Alter schummelt, wird das nicht kontrolliert, aber man geht davon aus, dass so etwas nicht passiert?
Das kann man so formulieren, ja.
Gut. Nun haben sich die Eltern unter ihren Vornamen – sagen wir Maria und Josef – ein Erwachsenenkonto eingerichtet. Anschließend richten sie für Max, der 10 Jahre alt ist, ein Profil ein und dann für die Tochter Elisabeth, die gerade 16 geworden ist, ein weiteres. Kann ich jetzt jedes einzelne Profil so sichern, dass nur sein Besitzer dort hineinkommt, bzw. kann ich verhindern, dass Max nicht auch mal das Konto von Maria und Josef nutzt, wenn er zur Abwechslung The Walking Dead schauen will?
Das Netflix-Jugendschutzsystem hat zwei Säulen: Man kann als Kunde zunächst für den kompletten Dienst festlegen, ob und für Inhalte welcher Altersstufe eine PIN abgefragt wird. Zusätzlich kann man für die einzelnen Nutzer in einem Haushalt eigene Profile einrichten.
Jeder muss eine PIN für sein Profil festlegen, um hineinzukommen?
Wir müssen unterscheiden zwischen dem Account, der gehört demjenigen, der den Dienst bezahlt, und den einzelnen Profilen innerhalb dieses Accounts. Derjenige, der den Account besitzt, kann festlegen, dass Inhalte ab einer bestimmten Altersstufe durch eine PIN gesichert sind. Diese Jugendschutz-PIN hat die FSM zusammen mit den Alterseinstufungen der einzelnen Filme und Serien als Jugendschutzprogramm nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) positiv bewertet. Zusätzlich kann man für jedes Profil eine Altersstufe festlegen, die Auswirkung darauf hat, welche Inhalte angezeigt werden, also auffindbar sind. Die Profile des 10-jährigen Max und der 16-jährigen Elisabeth können also ihrem Alter gemäß beschränkt werden, und so finden sie dort auch nur Inhalte, die für die jeweilige Altersstufe freigegeben sind. Die Praxiserfahrung hat gezeigt, dass Kinder dann, wenn sie über ihr eigenes Profil verfügen, sehr bereitwillig auch da hineingehen, weil sie da eben ihre adäquaten Inhalte vorfinden. Deshalb kommen sie in der Regel gar nicht auf die Idee, in andere Profile zu gehen. Der Wechsel zwischen den einzelnen Profilen ist allerdings nicht PIN-geschützt, weil es die Handhabung des Dienstes komplizierter machen würde: Man bräuchte dann mehrere unterschiedliche PINs. Deshalb gibt es bei Netflix für den kompletten Account eine einheitliche PIN, die immer dann abgefragt wird, wenn ein Inhalt über einer bestimmten Altersstufe abgerufen werden soll – egal, von welchem Profil aus man darauf zugreifen möchte.
Max könnte also bei Elisabeth mal nachschauen, welche Inhalte sie bevorzugt?
Das könnte er machen, aber wenn seine Eltern festgelegt haben, dass für Inhalte, die ab 16 Jahren frei sind, eine PIN abgefragt werden soll, dann könnte Max zwar die Titel der Inhalte finden, aber er kann sie nicht abspielen und ansehen. Denn dazu würde er die PIN benötigen.
Es gibt also schon eine Beschränkung nach Altersstufen. Entsprechen diese Altersstufen genau dem Jugendschutzgesetz (JuSchG)?
Netflix hat die deutschen Altersstufen berücksichtigt. Das war eine wesentliche Voraussetzung für unsere Zusammenarbeit. Für den deutschen Dienst werden also die Altersstufen „ab 0“, „ab 6“, „ab 12“, „ab 16“ und „ab 18“ benutzt. Und auch im Einstellungsmenü, in dem man festlegen kann, für welche Altersstufen die PIN abgefragt werden muss, werden die Begriffe verwendet, die wir in Deutschland kennen, z.B. dass die Altersstufe „ab 18“ mit Erwachsenenfreigabe gekennzeichnet wird und die Altersstufe „ab 16“ beispielsweise für ältere Teenager genannt wird. Für uns war es wichtig, dass es keine unbekannten Altersstufen sind, die vielleicht in anderen Ländern, aber nicht in Deutschland benutzt werden.
Seit einiger Zeit erscheint für einen kurzen Moment oben links eine Altersangabe, wenn man einen bestimmten Inhalt startet: Altersfreigabe: xy. Wie entstehen diese Freigaben? Es sind ja oft Originalserien von Netflix, für die noch keine Freigabe von FSK oder der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) vorliegen.
Für Filme und Serien, für die es eine FSK-Freigabe gibt, wird diese auch verwendet. Das geschieht nach unserem Eindruck auch sehr zuverlässig, auch dann, wenn eine FSK-Freigabe erst im Nachhinein erteilt wird. Das geschieht ja sehr häufig, wenn eine Serie erst im Fernsehen läuft und dann später für die DVD-Auswertung eine FSK-Altersfreigabe braucht. In solchen Fällen wird die Altersfreigabe ersetzt oder ergänzt. Bisher werden noch keine Freigaben der FSF verwendet, sondern nur die der FSK. Inhalte, die nicht über eine FSK-Freigabe verfügen, stufen Mitarbeiter von Netflix selbst ein. Hier gibt es ein System, was auf dem Empfehlungssystem von Netflix aufbaut, Netflix arbeitet ja regelmäßig damit, Inhalte zu empfehlen, die dem Nutzer wahrscheinlich gefallen, und dabei spielt es natürlich auch eine Rolle, dass dies altersadäquat geschieht. Und diese Funktionalität nutzen sie auch zur Inhaltebewertung von Filmen und Serien. Sie haben also eine Fülle von Deskriptoren, die mit unterschiedlicher Intensität bei Inhalten zur Anwendung kommen, und daraus bestimmt sich dann eine Altersstufe. Es handelt sich um ein Verfahren, bei dem von menschlichen Prüfern nach bestimmten Vorgaben eine Freigabe erteilt wird. Die Mitarbeiter sind zu diesem Zwecke spezifisch ausgebildet worden. Interessant ist noch zu betonen, dass diese Einschätzung für die gesamte Welt einmalig vorgenommen wird, es wird also zunächst nicht länderspezifisch vorgegangen. Anhand eines standardisierten Systems werden die Inhalte bewertet und mit Kennzeichen versehen, und daraus werden dann für die unterschiedlichen Länder je nach deren Kriterien spezifische Altersstufen abgeleitet. Nach diesem System kommen nach unserer Einschätzung sehr zuverlässige Altersfreigaben heraus.
Manchmal erscheinen mir die Freigaben eher etwas zu streng. Mein Sohn hat sich neulich einen Kinderfilm angeschaut, der recht harmlos war, der aber eine Altersfreigabe ab 12 Jahren auswies.
Hier gibt es eine interessante Besonderheit. Netflix macht das so wie die meisten Video-on-Demand-Anbieter: Bei Serienfolgen wird für die gesamte Staffel jeweils die höchste Freigabe verwendet. Wenn also beispielsweise die Staffel einer Comicserie größtenteils ab 6 Jahren geeignet wäre, aber zwei oder drei Folgen nur für 16-Jährige okay sind, dann würde man die gesamte Serie mit 16 kennzeichnen. Man will also den Nutzer nicht frustrieren, indem er nur beispielsweise die Folgen 1 bis 5 schauen kann, danach drei Folgen aussetzen muss, um dann wieder einzusteigen. Das führt dazu, dass manche Serienfolgen möglicherweise zu hoch bewertet sind. Aber die Idee dahinter ist eben, dass Kinder oder Jugendliche mit einem bestimmten Alter die Serie dann auch tatsächlich lückenlos ansehen können. So ähnlich ist das ja auch, wenn bei der FSK eine Serie in einer DVD-Box herausgebracht wird, dann wird die Box so gekennzeichnet wie die strengste Folge.
Oft herrscht im Jugendschutz der Eindruck, je strenger die Freigabe sei, desto besser. Das halte ich allerdings für falsch. Jede Freigabe muss meines Erachtens transparent und nachvollziehbar sein. Bei Sky hat man das sehr oft: Ein Film, der vor 20 Jahren ab 18 Jahren eingestuft wurde, kann heute nur mit Eingabe der Jugendschutz-PIN gesehen werden, obwohl man ihn aktuell wahrscheinlich ab 12 einstufen würde. Eltern halten dann die Abfrage der PIN für willkürlich und unsinnig. Wenn einem das ein paarmal passiert, leidet die Akzeptanz dieser Freigaben.
Das hat aber sehr stark damit zu tun, wie dieses System insgesamt gedacht ist. Es bezieht ganz intensiv die Elternverantwortung mit ein. Wir wissen nicht zuletzt aus dem Jugendmedienschutzindex, dass die Eltern ihre Verantwortung auch bewusst wahrnehmen wollen. Altersfreigaben von Inhalten, egal, ob sie staatliche Entscheidungen oder die von Selbstkontrollen widerspiegeln, nehmen sie als wichtige Orientierung zur Kenntnis, wollen aber in der Lage sein, in ihren eigenen vier Wänden abweichende Entscheidungen zu treffen. Da sind sie manchmal strenger, oft aber auch liberaler. Hier ist es wichtig, dass die Systeme nutzerautonom sind, dass die Eltern also entscheiden können, ob ihr 10-jähriges Kind einen Film verkraften kann oder nicht. Diese Möglichkeit zu haben, finden wir wichtig, und wir halten das auch für relevant. Hier geht es ja nicht um Inhalte, die jugendgefährdend, sondern möglicherweise nur entwicklungsbeeinträchtigend sind. Und das ist natürlich etwas sehr Individuelles, von dem wir glauben, dass die Eltern das am besten selbst einschätzen können.
Gibt es bei Netflix eine für die Eltern verständliche und leicht zugängliche Beschreibung des Jugendschutzsystems, sodass sie nachvollziehen können, was sie davon zu halten haben und wie sie damit umgehen können?
Netflix verfügt über einen ausführlichen Hilfebereich, in dem eben auch das Thema „Jugendschutz“ erklärt wird. Dort wird nicht nur die Nutzung der Funktionen erklärt, sondern auch dargestellt, woher die Freigaben jeweils kommen.
Wenn ich mich als erwachsener Mensch zum ersten Mal bei Netflix anmelde: Werde ich dann auf diese Jugendschutzmöglichkeiten aufmerksam gemacht, beispielsweise durch die Frage, ob ich jüngere Kinder habe und das Jugendschutzsystem nutzen will oder nicht? Oder muss ich die Einstellungen zu Jugendschutzfragen im Kleingedruckten suchen?
Die komplette Navigation bei Netflix ist sehr schlicht, es gibt nur sehr wenige Möglichkeiten, die man einstellen kann. Man kann also die Möglichkeiten zur Profilerstellung und zum Jugendschutz sehr leicht auffinden. Wir fanden das völlig ausreichend und haben deshalb keine weitere höhere Hürde aufgestellt.
Ich habe die Erfahrung bei anderen Streamingdiensten gemacht, bei denen ich selbst als findiger Mensch die Jugendschutzeinstellungen nicht gefunden habe. Anschließend hat mir ein Mitarbeiter des Dienstes nachgewiesen, dass die Hürden und die Altershinweise eigentlich perfekt sind, aber dafür muss man sie erst einmal finden. Wenn Jugendschutz als Marketingvorteil gesehen wird, warum versteckt man ihn dann? Wenn man im Elektronikmarkt eine DVD kauft und nicht offensichtlich volljährig ist, wird man ja auch direkt nach dem Ausweis gefragt.
Ich halte es für sinnvoll und richtig, das Thema „Jugendschutz“ transparent und offensiv anzugehen und auch möglichst frühzeitig bei der Anmeldung oder Registrierung auf die möglichen Einstellungen hingewiesen zu werden. Das beißt sich aber ein bisschen mit der Situation, dass wir ziemlich viele Singlehaushalte von erwachsenen Menschen haben, die sich von solchen Themen unter Umständen belästigt fühlen. Sie wollen sich nicht über Jugendschutz-PINs unterhalten und nichts einstellen, weil es für sie auch nicht relevant ist. Und hier den richtigen Weg zu finden, dass man also Familien die richtigen Mittel an die Hand gibt und transparent macht, wie das funktioniert, ohne auf der anderen Seite aber die anderen Nutzer, die das Thema „Jugendschutz“ schlicht nicht für relevant halten, zu vergrätzen, ist eine Herausforderung. Ich bin mir sicher, dass sich die Anbieter von Video-on-Demand-Plattformen darüber Gedanken machen, wie sie ihre spezifische Nutzergruppe am besten ansprechen. Wir ermuntern jedenfalls unsere Mitglieder dazu, dies von Anfang an möglichst offen und transparent zu gestalten.
Etwas ungerecht ist das gegenüber den Fernsehsendern schon. Der Pay-TV-Sender Sky hat sich beispielsweise beim Entwurf der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten dafür eingesetzt, dass Singlehaushalte mit Erwachsenen eine Super-PIN erhalten, mit der sie das Jugendschutzsystem außer Kraft setzen können. Sie müssen dann nicht bei jedem Film die PIN noch einmal eingeben. Das ist damals von den Landesmedienanstalten abgelehnt worden, weil sie gesagt haben, dass viele Menschen sehr träge sind und aus Bequemlichkeit einmal die Super-PIN eingeben, egal, ob Kinder dann Zugang zu für sie ungeeigneten Inhalten haben.
Da haben wir noch ein regulatorisches Problem, denn Dienste, die Inhalte nicht nur per Video-on-Demand anbieten, sondern auch als linearer Rundfunk, unterliegen unter Umständen anderen rechtlichen Anforderungen als reine Telemedienanbieter. Und hier eine konvergente, sinnvolle und auch konsistente Lösung zu finden, ist nach wie vor eine große Herausforderung. Wir haben beispielsweise mit der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten ein Regelungswerk, das speziell den Jugendschutz für digitalen Rundfunk regelt. Ich bin der Auffassung, dass die Jugendschutzsatzung nicht als die eine abschließende Möglichkeit für digitalen Rundfunk zu sehen ist, sondern dass es sich lediglich um einekodifizierte Option handelt, den Jugendschutz im digitalen Rundfunk sicherzustellen. Es kann daneben aber auch andere Möglichkeiten geben. Und jetzt eine Lösung zu finden, die für die Nutzerinnen und Nutzer nachvollziehbar ist, dass ihnen, egal, ob es sich um einen linearen Dienst oder um einen Streamingdienst handelt, vergleichbare Jugendschutzstandards geboten werden, ist für mich eine ganz wichtige Herausforderung für die Zukunft. Jugendschutz soll nicht als Selbstzweck erscheinen, er soll dann eine Limitierung von Zugangsmöglichkeiten darstellen, wenn es angemessen ist. Und das eigentlich immer in der gleichen Situation, unabhängig von der jeweiligen Uhrzeit oder der Technologie, über die der Inhalt vermittelt wird. Das darf natürlich nicht dazu führen, dass sich der Nutzer seine PIN mit Tesafilm hinter die Fernbedienung klebt, obwohl er das natürlich rechtlich durchaus kann. Es ist aber wichtig, ihm möglichst deutlich zu machen, dass es auch jüngere Familienmitglieder gibt, die vor bestimmten Inhalten geschützt werden müssen. Aber die PIN muss eben immer in der relevanten Situation abgefragt werden und nicht dann, wenn der Nutzer schon zehnmal eine PIN eingegeben hat und sich bei ihm überhaupt keine Kinder im Haushalt befinden. Das Ganze ist eine Herausforderung für jeden Anbieter und sollte auch für den Gesetzgeber als Handlungsauftrag verstanden werden. Im Übrigen ist der Entscheidungsspielraum der Erwachsenen, die für ihre Kinder keinen strengen Jugendschutz wollen, auch zu akzeptieren. Niemand fordert beispielsweise, dass man Eltern zwingen soll, im Wohnzimmer die Schränke mit den DVDs zu verschließen.
Nun ist Netflix nicht der einzige Streamingdienst. Gibt es vergleichbare Gespräche z.B. auch mit Amazon und Apple?
Wir nehmen wahr, dass sich nicht nur Amazon, sondern auch andere Anbieter sehr intensiv mit der Frage beschäftigen, wo die deutschen Besonderheiten liegen, wie man beispielsweise Dienste oder Einstellungen anpassen muss, um den gesetzlichen Anforderungen in Deutschland genügen zu können. Mein Eindruck ist, dass es wiederum auch als Qualitätsmerkmal gesehen wird, weil klar geworden ist, dass deutsche Kundinnen und Kunden eine vernünftige Jugendschutzregelung schlicht erwarten. Wir stehen mit vielen Anbietern im Austausch dazu. Ich sehe, dass es durchaus eine hohe Bereitschaft gibt, aber viele Entscheidungen sind tatsächlich nicht von heute auf morgen zu treffen, gerade wenn man mit internationalen Anbietern spricht. Da geht es oft um Entscheidungen, die letztlich nicht in Deutschland getroffen werden. Da geht es auch um die Frage, ob man eine spezielle Regelung für Deutschland entwickelt oder viele Regelungen, die dann für verschiedene Länder passen müssen. Besonders die Frage, welche Wirkung die reformierte AVMD-Richtlinie hat, wird in den nächsten Monaten noch einiges bewegen. Diese Richtlinie bietet zum einen liberalere Möglichkeiten an, z.B. im Rundfunkbereich. Der europäische Gesetzgeber hat erkannt, dass es auf die Inhalte und nicht auf die Art der Verbreitung ankommt. Die Schutzmaßnahmen, die gefordert werden, sind nicht vom Verbreitungsweg abhängig, sondern vom Grad der zu befürchtenden Beeinträchtigung durch den Inhalt. Wir kennen das in Deutschland zwar schon immer, dass wir altersangemessene Schutzmaßnahmen brauchen. Das ist aber neu im europäischen Recht und wird ein Anlass für viele Anbieter sein, ihre Systeme weiterzuentwickeln, um dem europäischen Recht und den nationalen Besonderheiten besser Rechnung tragen zu können.
Es wäre zumindest gut, wenn nicht nur Netflix, sondern auch Amazon und Apple einigermaßen vergleichbare Jugendschutzregeln einführen würden. Bei Apple wird nur gefragt, ob der Zuschauer über 18 Jahre alt ist, und wenn er auf „Ja“ klickt, kann er so gut wie alles herunterladen.
Das Apple-System kenne ich persönlich nicht. Bei Amazon haben wir schon ein sehr feingliedriges System, was auch mit einer Altersüberprüfung arbeitet, außerdem gibt es auch dort eine Jugendschutz-PIN. Hier muss man vielleicht noch genauer nachschauen, ob noch Anpassungen erforderlich sind, um auch dem JMStV zu entsprechen.
Kommen wir abschließend noch zu der Plattform, die sicherlich am meisten genutzt wird, die aber praktisch im normalen Gebrauch über so gut wie keine Jugendschutzsicherungen verfügt: YouTube.
YouTube bietet mehrere Jugendschutzmöglichkeiten. Es gibt bei YouTube den sogenannten „eingeschränkten Modus“, dadurch werden problematische Inhalte herausgefiltert und sind dann nicht mehr auffindbar. Diese Funktion muss man natürlich aktivieren. Sie ist auch nicht besonders schwer zu finden, weder auf der mobilen Applikation noch in der Webapplikation. Wenn auf dem Rechner JusProg installiert ist, kann man das Ganze so einstellen, dass YouTube zwar zugänglich ist, aber nur in der abgesicherten Version. Darüber hinaus gibt es mit YouTube Kids einen Dienst, der sich gezielt an Kinder richtet. Wenn Eltern also ihrem Kind das Tablett, in die Hand geben und es den Kindern ermöglichen wollen, dort auch Videos zu schauen, sollte dafür sinnvollerweise nicht die YouTube-App benutzt werden, sondern die YouTube-Kids-App.
Wir sind uns aber darüber einig, dass diese Jugendschutzmaßnahmen in den seltensten Fällen genutzt werden …
Ja, vielleicht braucht es da auch mehr Engagement der Eltern selbst. Auch hier sind wir noch einmal bei der AVMD-Richtlinie. Sie wird erstmalig Sonderregelungen für Videoplattformen enthalten. Auch dort wird man sich damit beschäftigen müssen, welche Auswirkungen diese Anforderungen an die Dienste haben werden und welche Veränderungen möglicherweise erforderlich sind. Es wird auch darum gehen, die Nutzungserfahrung individueller zu gestalten, d.h. dafür zu sorgen, dass bestimmte Arten von Inhalten nicht ohne Weiteres verfügbar sind und dass man sie gezielt ausblenden kann. Das ist etwas, was der europäische Gesetzgeber für erforderlich gehalten hat. Wie das in der Praxis aussehen wird, da darf man noch gespannt sein. Spannend wird auch noch sein, welche Behörde sich dann letztlich mit diesen Fragen beschäftigen wird, denn Ziel ist es auch, dass ein Anbieter sich nicht mit den Behörden aller 27 europäischen Länder auseinandersetzen muss, sondern nur mit einer Behörde in dem Land, in dem er seinen Sitz hat.
Martin Drechsler (Foto: privat)
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