Broschüre gegen das Selbstbestimmungsgesetz landet auf dem Index

In ihrer Sitzung am 14. September 2023 hat die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ) eine Broschüre indiziert, die sich als Pamphlet gegen das Selbstbestimmungsgesetz der Bundesregierung lesen lässt. Die Broschüre vertritt die Position, es gebe nur zwei Geschlechter, die von der biologischen Verfasstheit der Körper abhängen und somit nicht verändert werden können. Dieser „Elternratgeber“ wurde nun auf die Liste der jugendgefährdenden Schriften gesetzt, damit gilt ein weitgehendes Abgabeverbot an Kinder und Jugendliche.

Online seit 21.09.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/broschuere-gegen-das-selbstbestimmungsgesetz-landet-auf-dem-index-beitrag-1122/

 

 

Normalerweise indiziert die BzKJ Bücher, Zeitschriften, Magazine, Videofilme, Computerspiele oder Internetangebote, die ihrer Einschätzung nach geeignet sind, „die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden“ (BzKJ). Dabei können sehr unterschiedliche Inhalte betroffen sein, insbesondere Gewaltdarstellungen, die möglicherweise die Bereitschaft erhöhen, Gewalt als Lösung von Konflikten einzusetzen oder zu akzeptieren. Auch Pornografie und andere sexuelle Darstellungen, die zwischenmenschliche Beziehungen auf den sexuellen Lustgewinn reduzieren, können zu einer Indizierung führen, ebenso die Verharmlosung von Drogenkonsum sowie die Verherrlichung des Nationalsozialismus.
 

Das Indizierungsverfahren und seine Folgen

Das Indizierungsverfahren ist ein gerichtsähnlicher Prozess. Voraussetzung ist in der Regel ein Antrag der Obersten Landesjugendbehörden, des für Jugendfragen zuständigen Bundesministeriums oder eines Jugendamtes. Über die Indizierung entscheidet in der Regel ein Gremium aus zwölf Personen, das die besonders relevanten gesellschaftlichen Gruppen abbildet. Stimmen zwei Drittel des Gremiums für eine Indizierung, wird das Medium in die Liste der jugendgefährdenden Schriften aufgenommen. Dies hat zur Folge, dass es mit zahlreichen Vertriebsbeschränkungen belegt wird, um möglichst zu verhindern, dass Jugendliche damit in Kontakt kommen. Derlei Medien dürfen nicht beworben werden und Filme, die in der Videofassung indiziert sind, dürfen nicht im Fernsehen ausgestrahlt werden.
 

Ist das Geschlecht biologisch vorgegeben oder sozial konstruiert?

Am 14. September 2023 traf es allerdings eine Broschüre, die auf den ersten Blick nicht in die Reihe der bisher indizierten Objekte fällt – ihr Titel: Wegweiser aus dem Transgenderkult – Elternratgeber. Es handelt sich um eine Publikation, die sich gegen das selbst empfundene Transsein von Kindern und Jugendlichen richtet und die Existenz von Transgeschlechtlichkeit generell leugnet. Außerdem lässt sie sich als Petitum gegen das Selbstbestimmungsgesetz der Ampelkoalition lesen. Das Gesetz ermöglicht es Menschen ab 14 Jahren, ihren Namen unkompliziert beim Standesamt zu ändern, etwa wenn sie einen männlichen Vornamen haben, sich aber nicht als Mann fühlen.

Das Gesetz hat in der Öffentlichkeit zu starken Kontroversen geführt. Auch die Feministin Alice Schwarzer hat sich vehement gegen das Gesetz ausgesprochen. Sie sieht das Gefühl, trans zu sein, als Modeerscheinung oder Ausdruck psychischer Konflikte und befürchtet „dass Transsexualität nicht mehr als schwerer seelischer Konflikt einiger weniger begriffen würde – denen Verständnis und Hilfe zustehen –, sondern zunehmend als Weg, sich für die vermeintlich, ‚falsche‘ Geschlechterrolle einfach den, ‚passenden‘ Körper zu suchen.“ (Schwarzer 2022)

Viele Wissenschaftler sehen das anders. Es gibt Hinweise darauf, dass es in vielen Kulturen über Jahrhunderte hinweg Konzepte der Transgeschlechtlichkeit gegeben hat (LaGata/Balzer 2018). Geschlechtsangleichende Operationen setzen nach wie vor einen langwierigen Prozess voraus (Plahl 2022), und es ist festgelegt, dass jeder „Einzelfall hervorragend begründet sein“ muss (Romer zit. nach Führer 2021). Darüber hinaus richtet sich das Selbstbestimmungsgesetz nicht nur an trans*-, sondern auch an intergeschlechtliche Personen. Diese können sowohl weibliche als auch männliche Geschlechtsmerkmale haben und fühlen sich teilweise weder als Mann noch als Frau. In den allermeisten Fällen wurde ihnen bei Geburt dennoch das weibliche oder männliche Geschlecht zugeschrieben.
 

Die Herausgeber werden sich gerichtlich wehren

Die Initiative hat angekündigt, gegen die Indizierung zu klagen. Im Interview mit „The Epoch Times“ sagt Stefanie Bode, Mitautorin des sogenannten Elternratgebers, über ihre Erfahrungen im Indizierungsverfahren: „Während der Befragung wurde uns vorgeworfen, wir würden Transsexualität negieren. Ich habe immer wieder gesagt, dass die Idee der wahren Transsexualität ein soziales Konstrukt, ein Mythos, eine Überzeugung, ein Glaube ist. Ich zweifle an, dass man im falschen Körper geboren werden kann.“ (Wehninger 2023) Die Broschüre richtet sich indirekt gegen das Selbstbestimmungsgesetz, da eine eigenständige Einordnung als Mann, Frau oder divers darin abgelehnt wird. Im Interview sagt Bode: „Wir haben erklärt: Es gibt nur zwei Geschlechter. Das Geschlecht lässt sich nicht wechseln. Überzeugungen und Glaube eines Menschen hingegen ändern sich und unterliegen einem Einfluss von außen. Eltern können ihren Kindern dabei helfen, den eigenen Körper anzunehmen und den Wunsch aufzugeben, körperschädigende Eingriffe anzustreben.“ (Ebd.)

Stefanie Bode und Mitautorin Rona Duwe mutmaßen in einer Mitteilung vom 16. September, „dass die im Bundesfamilienministerium von Lisa Paus (Grüne) angesiedelte Prüfstelle damit ‚auf Twitter von Transaktivisten angeregten Forderungen gefolgt‘ sei, ‚die der Staatssekretär im BMFSFJ und Queerbeauftragte Sven Lehmann (Grüne) am 3. Mai 2023‘ öffentlich begrüßt habe“ (ebd.).

Als Vorlage des „Elternratgebers“ diente das Buch Desist, Detrans & Detox: Getting your child out of the Gender Cult von Maria Keffler. Die Herausgeberin der Broschüre, die feministische Initiative Lasst Frauen Sprechen!, schreibt im Vorwort: „Wir sind uns bewusst, dass die Autorin Keffler aus einer christlich-konservativen Tradition kommt und nicht aus einer radikalfeministischen. Das muss sie auch nicht. Wir finden ihr Buch so wertvoll, dass wir unterschiedliche politische Haltungen zu anderen Themen nicht als Hindernis betrachten, ihr umfangreiches Wissen den verzweifelten Eltern in Deutschland zur Verfügung zu stellen. Ohnehin sind wir Radikalfeministinnen kein monolithischer Meinungsblock, sondern haben vielfältige politische Positionen zu verschiedenen Themen.“ (Lasst Frauen Sprechen! 2023)
 

Die Haltung der Bevölkerung zu dem Gesetz wird unterschiedlich gesehen

In der Gesellschaft gab es während der Beratung des Gesetzes 2022 eine leichte Mehrheit für die Zustimmung zu diesem Gesetz: „Das von der Bundesregierung geplante Selbstbestimmungsgesetz für trans, inter und nichtbinäre Menschen erhält in der Bevölkerung mehr Zustimmung als Ablehnung. 46 Prozent befürworten die Pläne, wie eine repräsentative Umfrage des Instituts YouGov für die ‚Welt am Sonntag‘ ergab. 41 Prozent lehnen sie ab.“ (Queer.de 2022) Eine von Civey im September 2023 veröffentlichte Umfrage zeigt ein anderes Ergebnis. Auf die Frage, wie man das Selbstbestimmungsgesetz bewerte, „wonach Menschen ihren Geschlechtseintrag künftig einmal im Jahr beim Standesamt ändern können“, gaben nur 11,9 % der Befragten „sehr positiv“ an, 9,7 % „eher positiv“ und 53,5 % lehnten es als „sehr negativ“ ab (Civey 2023). Auch wenn die Forschungsmethodik von Civey umstritten ist, so wird vermutlich doch eine relevante Gruppe von Menschen gegen das Selbstbestimmungsgesetz eingestellt sein.

Die Broschüre dürfte also bei einem großen Teil der Bevölkerung durchaus auf Sympathie stoßen – Indizierung hin oder her. Man darf gespannt auf die Begründung der Bundeszentrale sein, die bis jetzt noch nicht vorliegt.

Quellen:

Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ): Indizierung. Abrufbar unter: www.bzkj.de (letzter Zugriff: 19.09.2022)

Civey: Wie bewerten Sie das geplante Selbstbestimmungsgesetz, wonach Menschen ihren Geschlechtseintrag künftig einmal im Jahr beim Standesamt ändern können?, 26.08.2023. Abrufbar unter: civey.com (letzter Zugriff: 19.09.2022)

Führer, S.: Geschlechtsangleichung bei Kindern und Jugendlichen. „Transidentität ist Schicksal“. In: Tacheles, 02.01.2021. Abrufbar unter: www.deutschlandfunkkultur.de (letzter Zugriff: 19.09.2022)

LaGata, C./Balzer, C.: Kulturelle Alternativen zur Zweigeschlechterordnung – Vielfalt statt Universalismus. In: bpb, 08.08.2018. Abrufbar unter: www.bpb.de (letzter Zugriff: 19.09.2022)

Lasst Frauen Sprechen!: Wegweiser aus dem Transgenderkult. Ein Ratgeber für Eltern, die ihren Kindern helfen wollen, aus dem Trangenderismus zu entkommen. In: Lasst Frauen sprechen!, 28.04.2023.

Plahl, S.: Transidentität bei Kindern – Die schwierige Entscheidung der Geschlechtsangleichung. In: SWR2 Wissen, 14.09.2022. Abrufbar unter: www.swr.de (letzter Zugriff: 19.09.2022)

Queer.de: YouGov-Umfrage.: Selbst­bestimmungs­gesetz: Mehr Zustimmung als Ablehnung., In: Queer.de, 24.07.2022. Abrufbar unter: www.queer.de (letzter Zugriff: 19.09.2022)

Schwarzer, A.:Transsexualität und Geschlechterrollen. Im Gendertrouble. In: ZEIT ONLINE, 23.02.2022. Abrufbar unter: www.zeit.de (letzter Zugriff: 19.09.2022)

Wehniger, R.: AUF DIE „SCHWARZE“ LISTE GESETZT. „Wir geben nicht auf“: Transgender-Elternratgeber als „jugendgefährdend“ eingestuft. In: THE EPOCH TIMES, 17.09.2023. Abrufbar unter: www.epochtimes.de (letzter Zugriff: 19.09.2023)