Bundesverfassungsgericht schränkt Datenanalyse zur Verbrechensbekämpfung ein

Eigentlich ist es eine beruhigende Vorstellung, dass es theoretisch möglich ist, durch Datenanalysen Verbrechen verhindern zu können, bevor sie jemand begeht. In Hessen und Hamburg wurde eine solche Software eingesetzt. Das Bundesverfassungsgericht hat ihren Einsatz jedoch eingeschränkt.

Online seit 21.02.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/bundesverfassungsgericht-schraenkt-datenanalyse-zur-verbrechensbekaempfung-ein-beitrag-1122/

 

 

Manches entwickelt sich tatsächlich so, wie es in Spielfilmen oder Romanen beschrieben wird. So die Idee, die kriminelle Energie zukünftiger Täter schon zu entdecken, bevor sie mögliche Morde, Vergewaltigungen oder Terroranschläge begehen. Auf dieser Idee basiert der Spielfilm Minority Report (2002), 2015 wurde sie in Sebastian Fitzeks Roman Das Joshua-Profil aufgegriffen, der 2018 von RTL verfilmt wurde. Die Grundidee: Wenn man alle Daten, die über Menschen zur Verfügung stehen, sammelt und durch künstliche Intelligenz miteinander verbindet, kann man das Verhalten der Menschen voraussehen und ihre kriminellen Potenziale bestimmen. So kann man sie festnehmen, bevor sie ein Verbrechen begehen.
 

Unschuldige könnten betroffen sein

In dem Roman Das Joshua-Profil gerät ein unbescholtener Schriftsteller ins Visier: Die Systeme können sich irren, oder sie können missbraucht werden. Fitzek geht es um das ethische Problem: Darf man eine solche Datenanalyse, die vielleicht viele Verbrechen verhindern kann, auch dann noch rechtfertigen, wenn zwei oder drei unschuldige Menschen ebenfalls in das Raster der Fahnder geraten könnten und verdächtigt werden? (Bastei Lübbe 2015)

Mit diesem ethischen Dilemma hat sich nun auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigt. Anlass war eine in Hessen und Hamburg eingesetzte US-amerikanische Analysesoftware, die in verschiedenen Datenbanken gespeicherte Informationen miteinander vernetzen kann. Dabei werden Beziehungen zwischen Menschengruppen oder Orten hergestellt. Das hilft, Verbrechen zu verhindern oder aufzuklären. So konnte die hessische Polizei bereits eine Serie von Geldautomatensprengungen aufklären und weitere Taten verhindern.

Gegen den Einsatz dieser Software klagte neben anderen Journalist*innen, Anwält*innen und Aktivist*innen der Journalist und Bürgerrechtler Franz-Josef Hanke beim Bundesverfassungsgericht. Er und sein Anwalt kritisierten, dass auch Unbeteiligte schnell in den Fokus geraten könnten.
 

Klage beim Bundesverfassungsgericht

Und er bekam Recht: Die Richter entschieden am 16.02.2023, dass diese Software zwar grundsätzlich erlaubt sei, dass sie aber nur in sehr eng begrenzten, klar definierten Fällen angewendet werden dürfe. Das Gericht befürchtet, dass auch Unbeteiligte unter Verdacht und ins Visier der Polizei geraten könnten. Die automatisierte Verarbeitung unbegrenzter Datenbestände sei in Hessen und Hamburg rechtlich nicht genügend eingegrenzt, die Hürden für den Einsatz der Software seien zu niedrig.
 

Nutzung nur bei Kapitalverbrechen

Das Gericht führte dazu aus: „Die Vorschriften verstoßen gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in seiner Ausprägung als informationelle Selbstbestimmung, weil sie keine ausreichende Eingriffsschwelle enthalten. Sie ermöglichen eine Weiterverarbeitung gespeicherter Datenbestände mittels einer automatisierten Datenanalyse oder ‑auswertung in begründeten Einzelfällen, wenn dies zur vorbeugenden Bekämpfung bestimmter Straftaten erforderlich ist. Dieser Eingriffsanlass bleibt angesichts der besonders daten- und methodenoffen formulierten Befugnisse weit hinter der wegen des konkreten Eingriffsgewichts verfassungsrechtlich gebotenen Schwelle einer konkretisierten Gefahr zurück.“ (BVerfG 2023)
 

Genau definierte hohe Hürden

Das Bundesverfassungsgericht verlangt höhere rechtliche Hürden, wenn die Polizei automatische Datenanalysen bei Ermittlungen einsetzen will. Die Software sei, so die Richter, nur bei einer konkretisierbaren Gefahr für wichtige Rechtsgüter wie Leib und Leben erlaubt. Hessen und Hamburg müssen nun neue Kriterien für den Einsatz der Software schaffen. An den Grundsätzen des heutigen Urteils können sich auch andere Bundesländer orientieren, wenn sie die Software einsetzen wollen.

Quellen:

Bastei Lübbe: Sebastian Fitzek über „Das Joshua-Profil“. In: YouTube, 26.10.2015. Abrufbar unter: www.youtube.com

Bundesverfassungsgerichts (BVerfG): Regelungen in Hessen und Hamburg zur automatisierten Datenanalyse für die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten sind verfassungswidrig. Pressemitteilung Nr. 18/2023 vom 16. Februar 2023. In: Bundesverfassungsgericht, 16.02.2023. Abrufbar unter: www.bundesverfassungsgericht.de

Tagesschau: Bundesverfassungsgericht. Beschränkung für neue Polizei-Software. In: tagesschau, 16.02.2023, ab 06:42 Min. Abrufbar unter: www.tagesschau.de