Computerliebe
Die Module spielen verrückt
Die YouTube-Videos auf dieser Seite sind im erweiterten Datenschutzmodus eingebettet, d.h., Daten werden erst dann an Dritte übertragen, wenn die Videos abgespielt werden (siehe auch Datenschutzerklärung).
Mitte der 1980er-Jahre erschien der Chartsong Computerliebe. Das Lied wurde mehrfach gecovert und hat bei vielen vermutlich einen bleibenden Eindruck hinterlassen: „Die Module spielen verrückt, Mensch, ich bin total verliebt. Voll auf Liebe programmiert, mit Gefühl […].“ War man vielleicht etwas vorschnell mit diesem futuristischen Blick auf die Maschinenliebe?
Oliver Bendel: Die Idee, eine künstliche Kreatur zu schaffen, die man lieben kann und die einen vielleicht auch selbst liebt, ist mehrere Tausend Jahre alt: Wenn wir Publius Ovidius Naso, kurz Ovid, oder auch Hesiod und Homer lesen, dann stoßen wir auf einige künstliche, meist von Männern geschaffene Frauen.
Denken wir etwa an Galatea, die von Pygmalion geschaffen wurde, oder an die sehr komplexe Figur Pandora von Hephaistos, dem Gott der Schmiedekunst und des Feuers. Also, die Idee ist alt. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass die 1980er-Jahre sehr roboter-, computer- und weltraumaffin waren.
Felix Lill: Mir ist früh aufgefallen, dass das Thema „Gefühle zwischen Mensch und Maschine“, aber auch Japan als Ort den deutschsprachigen Raum besonders interessiert. Der Gedanke der Medien hierzulande scheint zu sein: Man ist da, in Japan, wahrscheinlich weiter. Daraus erwachsen dann zwei Meinungen: Die einen finden das total toll. Und die anderen finden das total schrecklich. Tatsächlich gibt es dieses Thema in Japan möglicherweise auch deshalb stärker, weil es stärker in den Alltag integriert ist.
Welche Parallelen sehen Sie zwischen Japan und dem Westen?
Felix Lill: Als ein wichtiger Pionier dieser ganzen Idee „Roboter haben Gefühle“ gilt sicherlich ein Nachkriegscomic, der auf Deutsch Astro Boy heißt und im Original mit Eisenarm Atom übersetzt werden könnte. Das japanische Manga des Zeichners Osamu Tezuka wurde erstmalig 1952, also wenige Jahre nach Kriegsende, veröffentlicht. Wir können aber noch einen Schritt weiter zurückblicken: In der Edo-Zeit von 1603 bis 1868, also noch vor der japanischen Moderne, gab es Karakuri ningyō. Das sind Puppen, die teilweise sehr menschlich gebaut waren, natürlich nicht elektrisch, wohl aber mechanisch. Sie gelten als Vorboten der Robotik. Dem Shintō als japanische Urreligion wird nachgesagt, dass die Puppen etwas Animistisches und eine Seele haben. Stark vereinfacht gesagt verdienen alle Dinge in dieser Kultur, auch selbst hergestellte Sachen, Respekt.
Den Film Her (2013) finde ich bemerkenswert: Joaquin Phoenix verliebt sich in eine weibliche Stimme – und ausgerechnet in die besinnliche und verführerische von Scarlett Johansson. Wie weit ist die Forschung mittlerweile? Ist es bereits realistisch, sich in eine künstliche Stimme zu verlieben?
Oliver Bendel: Die Stimme transportiert natürlich sehr, sehr viel: Alter, Geschlecht oder Gesundheit – und auch das sexuelle Begehren kann man in der Stimme ausdrücken.
Dass die Stimme grundsätzlich ausreicht, wissen wir seit Jahrzehnten: Telefonsex funktioniert – und zwar bis heute. Vielen Leuten genügt die Stimme. Für uns Wissenschaftler ist das ein hochinteressantes Forschungsfeld! Wenn wir künstliche Stimmen produzieren, dann benutzen wir sogenannte Text-to-Speech-Engines. Damit erzeugen wir künstliche Stimmen – und dann passen wir sie an. Hierin ist man mittlerweile sehr, sehr weit. Sehr gute synthetische Stimmen sind kaum noch von menschlichen zu unterscheiden. Das bekannte Google-Duplex-Experiment hat Pausen eingebaut, auch „hmmm“ oder „ähhhh“ und Kopf- und Nebengeräusche wie ein leichtes Hochziehen der Nase – im Gesamtbild klingt das dann schon sehr nach einer perfekten Stimme.
Jeder zweite Japaner ist Single und jeder zweite Single will überhaupt keine Beziehung eingehen. Wie erklären Sie sich diesen Unterschied zu Deutschland?
Felix Lill: Die Gründe dafür liegen bestimmt nicht in der Computerliebe. Einerseits ist die japanische Tradition der Ehe und der Beziehung nicht von romantischer Liebe getragen, sondern einfach eine Zweckehe. Es ist sozusagen eine ökonomische Verbindung – klar, das war in Europa auch mal so.
Kurz nach dem Krieg sind noch die allermeisten Leute per Omiai von den Eltern verheiratet worden. Zwangsehe würde ich das zwar nicht nennen, aber man wird so einander vorgestellt.
Diese Prozedur gab es relativ lange, nahm dann in den Nachkriegsjahren aber ziemlich schnell ab. Heutzutage stellt diese Form der Ehevermittlung nur noch einen Bruchteil dar. Man heiratet sozusagen aus Liebe, aber dieses „aus Liebe“ ist dann in Japan pragmatischer als hierzulande. Sie haben dort einerseits ein Disconnect zwischen der Popkultur, die extrem kitschig ist, sehr auf romantische Liebe aus ist und Klischees bedient. Andererseits ist es eine Kultur, in der Menschen auch öfter mal alleine sind. In Japan gibt es verhältnismäßig mehr Einzelgänger und sie sind in ihrem Dasein auch nicht verpönt. Der Unterschied zu Deutschland, in dem es ja ähnliche Veränderungen gibt, liegt in der Lösung dieser Veränderung. Während in Deutschland dieser Generationenkonflikt aufgelöst wird, indem trotzdem auf romantische Weise versucht wird, jemanden zu finden, die oder den man wirklich liebt, traut man in Japan diesem Weg nicht so ganz.
Japanerinnen und Japaner betrachten die Liebe vielmehr als Fiktion und nehmen sie weit weniger ernst. Es ist für viele einfach nur eine Geschichte.
Wie ernst ist es den Europäern mit der Liebe?
Oliver Bendel: Vielleicht suchen wir immer noch nach der großen Liebe. Zugleich wird aber auch getindert auf Teufel komm raus. Es lässt sich ein großes Ausprobieren feststellen, wenn wir bei den Veränderungen der gesellschaftlichen Ideale auf unsere Lösungen schauen. Ähnlich wie in Deutschland, gibt es in der Schweiz sehr viele Bordelle. In vielen finden wir Liebespuppen, auch Sexpuppen genannt. Das gehört z.T. schon zur Standardausstattung. Das Interessante ist, dass dorthin nicht der alte weiße Mann, sondern der junge schüchterne Mann geht, der besonders nach solchen Liebespuppen verlangt, die Fantasyfiguren japanischer Manga nachempfunden sind.
Verändern diese Sexroboter oder Liebespuppen unsere Idee von Liebe – oder ist das nur etwas Sexuelles?
Oliver Bendel: Da fehlen die empirischen Studien, aber von dem, was man aus der Praxis sagen kann, ist es nicht nur eine sexuelle, sondern auch eine Beziehungssache. Das bedeutet nicht unbedingt, dass die Männer immer zur gleichen Liebespuppe gehen, aber sie wollen doch in dieser kurzen Zeit nicht nur Sex mit ihr haben, sondern viele von ihnen auch eine Form von Beziehung.
Werden in Japan Liebe und Sex eigentlich stärker getrennt?
Felix Lill: Ja, aber auch nicht unbedingt offiziell. In Japan gibt es eine Gesellschaft, die zwischen einer Honne und Tatemae unterscheidet. Das eine ist das Ehrliche, das andere ist das Offizielle. Man hat also eine Rolle, die man im Offiziellen ausfüllt, und eine heimliche ehrliche.
Für Sexpuppen und Liebespuppen hingegen ist Japan bekannt.
Das ist schon ein popkulturelles Phänomen, obwohl es gesellschaftlich und in der Gesamtheit vermutlich ähnlich distanziert betrachtet wird wie in Deutschland, vielleicht nur eine Nuance weniger schräg.
Eine Kritik, die immer wieder aufflammt, ist, dass bei Liebespuppen die gegenseitige Einwilligung fehlt. Im ersten Gedanken natürlich aus einer gewissen Logik heraus, aber die gegenseitige Akzeptanz, wie sie bei einer menschlichen Bindung maßgeblich und bedeutungsvoll ist, fehlt vollständig.
Oliver Bendel: Ich sehe darin kein großes Problem. Überhaupt: In der Ethik versuchen wir erst einmal, Voraussetzungen eines guten Lebens zu erforschen, und wir fragen nach Chancen und Risiken. Ich verstehe mich explizit als Ethiker, der Sexpuppen oder Sexroboter grundsätzlich nicht verdammt oder sie aus zu konstruierenden Gründen ablehnt.
Stellen wir uns vor, dass jemand ein durchschnittliches Leben führt und dann von einer Puppe oder Maschine so stark angezogen wird, dass ihm das normale Leben entgleitet. Was ich daran besonders kritisiere, und da kommen wir zur Eingangsfrage zurück, ist: Diese Beziehung ist sehr einseitig. Das gilt leider für alle Puppen und für alle Roboter und für alle Situationen. Da ist einfach nichts. Es werden Emotionen simuliert.
Ich glaube nicht, dass Roboter jemals fühlen oder Liebe oder Leid empfinden werden können. Aber man wird sie vom Aussehen her so gestalten können, dass sie nicht mehr groß von Menschen zu unterscheiden sind. Ich habe in Potsdam Harmony getroffen. Die ist fantastisch gemacht! Die Silikonhaut ist sehr überzeugend, ein bisschen klebrig, die Zähne, die Zunge, alles ist ausgeformt. Sie hat mimische Fähigkeiten, sie kann sprechen, die Augen sind unheimlich überzeugend gemacht.
Felix Lill: Es gibt ja die Idee des Uncanny Valley, also wie Maschinen von Menschen akzeptiert werden können. 2013 war ich auf der International Conference on Human-Robot Interaction in Tokio und dort erschien auch Hiroshi Ishiguro, der ja den bekannten Roboter namens Geminoid entwickelt hatte. Auf die Frage, wo er sich denn auf diesem Diagramm des Uncanny-Valley-Effekts befinde, sagte er, dass wir schon noch „uncanny“ seien. So richtig gut sind wir einfach noch nicht.
Oliver Bendel: Alle humanoiden Roboter fallen momentan noch in dieses Tal, selbst die gerade von mir erwähnte Harmony, auch der Geminoid von Ishiguro. Dieser hat aus tiefster Überzeugung zu uns gesagt, er habe mit seinen Robotern das unheimliche Tal der fehlenden Akzeptanz verlassen. Ich hatte den Eindruck, dass er das auch wirklich geglaubt hat. Seine Wahrnehmung mag einfach so sein. Natürlich sind seine Roboter extrem beeindruckend und gut gemacht. Allerdings: Kein Roboter kann überzeugend lächeln – und dadurch entsteht diese Unheimlichkeit.
In einer vor gut fünf Jahren erschienenen Studie hieß es, dass wir uns vor künstlichen Wesen eher gruseln, wenn sie menschenähnlicher werden.
Oliver Bendel: Nein, das stimmt so nicht, denn die Liebespuppen in den Bordellen sind natürlich menschenähnlich. Warum sich dort der Uncanny-Valley-Effekt gar nicht so einstellt, liegt vor allem an den Liebespuppen, die nun mal keine Sexroboter sind. Liebespuppen, die man im Bordell besucht oder sich nach Hause bestellt, haben beispielsweise meist keine mimischen Fähigkeiten – und der Uncanny-Valley-Effekt wird oft an der Bewegung, der Mimik und Gestik festgemacht. Geminoid, Erica, Sophia und Harmony fallen in das Tal des Unheimlichen, aber sie sind ja nicht die Realität, die wir auf dem serienmäßigen Markt des Künstlichen haben.
Felix Lill: In Japan, von Hiroshi Ishiguro und seinem Team an der Universität Osaka entwickelt, werden Puppen auch für demenzkranke Menschen oder Menschen mit Altersbeschwerden gefertigt. Da gibt es z.B. seit mehreren Jahren eine Robbe namens Paro und auch eine Puppe namens Hugvie, die man sich um den Arm legen kann.
Die Idee dahinter ist natürlich, einsamen Menschen ihre Einsamkeit ein wenig zu nehmen und stattdessen Geselligkeit und eine gefühlte Fürsorge zu bieten.
Oliver Bendel: Wir haben gerade erst eine Studie zu Umarmungen durch Roboter gemacht. Wir bauen im kommenden Jahr einen, der Huggie heißt und den man nicht nur umarmen kann, sondern der „zurückumarmt“. Das ist letztlich ein Beruhigungsroboter. Man umarmt ihn – und er gibt einem ein gutes Gefühl.
Weshalb man bei Paro auf eine Robbe gesetzt hat, hat einen einfachen Grund: Wir kennen Katzen und Hunde sehr gut – und wenn wir sie als Roboter bauen würden, würden sie bei uns nicht gut funktionieren. Wir würden sofort durchschauen, dass es ein billiges Plüschtier ist. Deshalb wurden Babysattelrobben gewählt, deren Aussehen man zwar irgendwie kennt, aber von denen man sonst wenig Ahnung hat. Die Effekte sind positiv: Sie wirken beruhigend und besänftigend auf Menschen.
Wie weit sind wir grundsätzlich in der Forschung beim Thema „Robotik“ und woran mangelt es?
Oliver Bendel: In Deutschland und dem deutschsprachigen Raum gibt es zu sozialen Robotern schon hervorragende Forschung. Das sind Augsburg, Darmstadt und Bielefeld oder auch die Technischen Universitäten in Ostdeutschland. Doch der ganze Hype um soziale Roboter funktioniert eigentlich so, und das bestätigen uns auch Roboterhersteller: Roboter werden vor allem von Wissenschaftlern für ihre Robo-Labs gekauft, die dann versuchen, darüber zu forschen.
Mit dem gesellschaftlichen Phänomen der Liebespuppen und Sexroboter wollen die meisten Universitäten und Hochschulen, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nichts zu tun haben.
Ich streite mich darüber auch gerne. Ich saß letzthin mit einer Ethikerin von der Uni Zürich auf einem Panel. Sie sagte: Man dürfe zu diesen Dingen nicht forschen, weil sie dann normalisiert würden. Ich bin fast vom Stuhl gefallen und war entsetzt über das Wissenschaftsverständnis! Wir haben aktuell die Herausforderung und müssen dringend empirische Forschung dazu machen!
Zu welchen Aspekten bräuchte es eine gesetzliche Grundlage beim Thema „Robotik“?
Felix Lill: Wenn ein schlauer Roboter vielleicht irgendwann Mobbing betreiben würde, könnte es in Japan sehr schnell zu einem großen Problem werden.
Oliver Bendel: Wir haben solch ein Projekt durchgeführt und einem Softwareroboter erlaubt, Vorurteile zu zeigen. Bei dieser Forschung musste der Benutzer Basisangaben wie „blond“ als Haarfarbe machen. Der Roboter wurde dann gebeten, einen Witz zu erzählen, woraufhin die Maschine sagte: „Den verstehst Du eh nicht!“ Oder bei anderen Angaben: „Du bist vermutlich total hässlich!“ Zugegeben, das ist heikel, aber ich glaube nicht, dass man deshalb vorschnell regulieren sollte – nicht, wenn ich die Wahl habe, ob ich dieses System nutzen will oder nicht.
Ich habe an einigen Stellen Frust herausgehört, aber auch viel Enthusiasmus und ein starkes Plädoyer für mehr Forschung zu Roboterethik, ‑philosophie und ‑psychologie in Deutschland.
Oliver Bendel: Ja. Wir haben gerade leider auch aus der ethischen Perspektive Tendenzen, die Forschung im Keim zu ersticken.
Ich bin absolut dafür, in der Anwendung bestimmte Phänomene strikt zu verbieten, z.B. Gesichtserkennung im öffentlichen Raum, aber ich bin absolut auch dafür, bestimmte Dinge erst einmal zu erforschen. Denn Forschung hat einen Sinn und Zweck: nämlich Erkenntnisgewinn.
Oliver Bendel (Foto: privat)
Felix Lill (Foto: Motochney Nuguee)
Sebastian Pertsch (Foto: privat)