Das Porträt: Anne Bartsch

Alexander Grau

Dr. Anne Bartsch ist Professorin für Empirische Kommunikations- und Medienforschung an der Universität Leipzig. Sie studierte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, wo sie 2004 mit einer Arbeit über emotionale Kommunikation promoviert wurde. 2011 erfolgte die Habilitation zum Thema „Medienunterhaltung“. Nach ihrer Tätigkeit an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen und der Universität Augsburg erhielt Anne Bartsch 2013 einen Ruf an die Ludwig-Maximilians-Universität München. 2017 wechselte sie an die Universität Leipzig. Ihre derzeitige Forschung gilt der Politikvermittlung an der Schnittstelle von Unterhaltung und Information und den formalen Merkmalen Empathie erzeugender audiovisueller Narration.

Printausgabe tv diskurs: 25. Jg., 2/2021 (Ausgabe 96), S. 62-65

Vollständiger Beitrag als:

 

Ohne Gefühle keine Unterhaltungsmedien. Würden wir nicht Freude empfinden, Spaß, Angst, Horror oder Spannung, wir würden uns keinen Film anschauen, keine Spiele spielen und keine Musik anhören. Wahrscheinlich würden wir überhaupt sehr wenig tun. Denn was immer wir unternehmen, wir machen es, weil uns Gefühle dazu motivieren. Vermutlich würden wir morgens unendlich lange im Bett liegen bleiben, wenn uns nicht Gefühle dazu brächten, aufzustehen: die Sorge um den Arbeitsplatz, Verantwortungsgefühl oder einfach auch Freude. Natürlich gibt es auch rationale Gründe, sich morgens aus dem Bett zu schwingen. Aber warum sollte man rational sein? Selbst der Wunsch, rational zu sein, ist gefühlsbasiert.

Gefühle sind der Treibstoff unseres Handelns. Sie motivieren, sind aber zugleich auch Ziel unserer Handlungen. Unterhaltungsmedien etwa rezipieren wir, um uns in einen emotionalen Zustand versetzen zu lassen. Dieser Wunsch ist allerdings nicht das Ergebnis logischer Überlegung, sondern seinerseits emotional motiviert. Commander Spock würde nicht ins Kino gehen.
 


Gefühle sind der Treibstoff unseres Handelns. Sie motivieren, sind aber zugleich auch Ziel unserer Handlungen.



Die Bedeutung von Emotionen für die Medienrezeption, aber auch für alle anderen Formen der Kommunikation ist daher unbestritten. Insbesondere seit mit dem sogenannten Emotional Turn zu Beginn der Nullerjahre in Psychologie, Neurologie, Philosophie, Soziologie und Kulturwissenschaften Gefühle in den Fokus der Forschung gerückt sind, hat man sich intensiv mit dem Erleben von Emotionen auseinandergesetzt, ihrer Rolle bei Entscheidungen oder ihrer Funktion für das Lernen. Etwas aus dem Blick geraten ist dabei, was genau – etwa bei der Medienrezeption – eigentlich welche Emotionen auslöst. Dieser und anderen zentralen Fragen geht Anne Bartsch nach, Professorin für Empirische Kommunikations- und Medienforschung an der Universität Leipzig.
 

Emotionale Kommunikation

Anne Bartsch stammt aus Halle. Nach der Schule begann sie, an der dortigen Universität zunächst Germanistik und Romanistik zu studieren. Nach einem Auslandsjahr in Frankreich bekam sie dann eine Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft bei dem Medienwissenschaftler Professor Dr. Reinhold Viehoff. „Er war damals dabei, das dortige Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft aufzubauen. So bin ich überhaupt zu dem Fach gekommen. Interessiert hat mich dabei zunächst vor allem die interpersonale und emotionale Kommunikation“, erinnert sich Bartsch. Fragen, die aber zugleich unmittelbar an medienwissenschaftliche Fragen anschlussfähig waren.

Aufbauend auf ihren Forschungsinteressen entwickelte Bartsch in ihrer Promotion ein Modell emotionaler Kommunikation, das Aspekte zentraler Emotionstheorien integriert und damit zugleich Anknüpfungspunkte zu verschiedenen Ansätzen in der Kommunikationstheorie und der Medienwirkungsforschung erlaubt. Dabei stand die Überzeugung im Mittelpunkt, dass sich Kriterien für das Gelingen zwischenmenschlicher emotionaler Kommunikation in abgewandelter Form auch auf Medienkommunikation übertragen lassen. Auf verhaltensbiologischer, handlungstheoretischer und zeichentheoretischer Ebene, so Bartsch, ließen sich Kriterien für gelingende emotionale Kommunikation angeben und so beide Perspektiven miteinander verbinden und für die Medienwirkungsforschung nutzbar machen.

Nach ihrer Promotion arbeitete Anne Bartsch dann als wissenschaftliche Mitarbeiterin am DFG-Projekt „Emotionale Gratifikation während der Filmrezeption“. Hier wurde untersucht, was genau Rezipienten dazu bewegt, die von Medien bereitgestellten Emotionalisierungsangebote zu konsumieren. Hintergrund war die Feststellung, dass es zu diesem Zeitpunkt zwar eine Reihe von Untersuchungen insbesondere zu der Rolle des Erregungs- und Stimmungsmanagements für die Mediennutzungsmotivation gab. Menschen gehen beispielsweise ins Kino, weil sie lachen, weinen oder mitfiebern wollen. Allerdings reduziert diese eher einseitige Perspektive die Motivation für die Mediennutzung auf das Erleben von Gefühlen, was den mitunter komplexen Beweggründen nicht immer gerecht wird. Entsprechend zielte das DFG-Projekt darauf ab, den Rahmen der Unterhaltungsforschung auf die Rolle emotionaler Medienerfahrungen bei der Befriedigung sozialer und kognitiver Bedürfnisse zu erweitern und eine Methode zur differenzierten Erfassung unterschiedlicher Gratifikationen bereitzustellen, die mit dem Erleben von Emotionen verbunden sind.
 

Gefühlsregulation

Für ihre Habilitation im Jahr 2011 knüpfte Bartsch an die Forschung des DFG-Projekts an. „Mein Ausgangspunkt damals waren das Sad-Film-Paradoxon und das Paradox of Horror, also die Frage, weshalb wir Geld dafür bezahlen, dass negative Gefühle wie Traurigkeit oder Angst in uns ausgelöst werden“, erzählt die Wissenschaftlerin. „Durch die Zusammenarbeit mit der Medienwissenschaftlerin Mary Beth Oliver vom Penn State College of Communications habe ich mich dann mit dem Konzept der Eudämonie beschäftigt.“ Gemeinsam seien sie bei der Auswertung ihrer Daten immer wieder auf das Phänomen gestoßen, dass die nachhaltige emotionale Bedeutung von Filmen für viele Rezipienten darin liege, dass sie sich immer wieder mit diesen Filmen beschäftigten und über sie nachdenken würden.

„In meinen Interviews über Lieblingsfilme, bei denen es eigentlich um Emotionen gehen sollte, haben die Menschen ganz häufig über die Gedanken gesprochen, die der Film und die Gefühle bei ihnen ausgelöst haben. Dabei wurde mir klar, dass die Gesprächspartner hier nicht vom Thema abschweifen, sondern dass die emotionalen Medienerlebnisse deshalb so prägend waren, weil Gedanken mit ihnen verbunden sind: über die menschliche Natur, über sich selbst, über die Psychologie von Opfern oder Tätern.“

Während einer Medienrezeption, so Bartschs Ergebnis, erzeugt die intellektuelle Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen ein eudämonistisches Wohlbefinden, das den Film persönlich wertvoll macht.
 


Hauptmotivation für die Medienrezeption ist aus Sicht von Anne Bartsch […] die Emotionsregulation.



Hinzu kommt, dass die intellektuelle Verarbeitung emotionaler Medieninhalte ein zentrales Element der Emotionsregulation darstellt. „Dabei können Medien den Zuschauer auch ein Stück weit an die Hand nehmen“, so Bartsch, „wobei der Rezipient an der Seite einer Filmfigur durch diesen Prozess der Emotionsverarbeitung geführt wird.“ Unterhaltung könne in diesem Sinne dazu beitragen, Ängste und Trauer zu verarbeiten, Sinn zu stiften und Orientierung zu ermöglichen.

Bei der Rezeption ausgestellter Gewalt oder gar Horror verschiebe sich die Rezeptionsmotivation allerdings altersbezogen. Suchten jüngere Rezipienten vor allem die Konfrontation mit den eigenen Emotionen, die Fähigkeit, Gefühle zu regulieren, sich ihnen auszusetzen und das Gruppenerlebnis, so würden ältere Zuschauerinnen und Zuschauer häufig auf den allegorischen Realismus dieser Medien verweisen:

„In den Interviews verwiesen diese Rezipienten darauf, dass häufig so getan werde, als herrsche überall Friede, Freude, Eierkuchen. Dabei sei das Böse in der Welt doch offensichtlich. Diese Art von Horrorfans fühlen sich durch die Filme verstanden, da diese zeigen, wie böse die Welt tatsächlich ist. Sie empfinden die Horrorfilme als Bestätigung ihrer Weltsicht.“

Hauptmotivation für die Medienrezeption ist aus Sicht von Anne Bartsch jedoch, wie schon angesprochen, die Emotionsregulation. Dabei gebe es im Grunde zwei Strategien. Die einfachste sei Unterdrückung und Ablenkung: Menschen schauten sich beispielsweise einen lustigen Film an, um sich von ihrem Liebeskummer abzulenken oder von ihren Problemen im Beruf. „Das funktioniert auch“, erläutert die Wissenschaftlerin, „ist aber nicht nachhaltig. Man fühlt sich nur so lange besser, wie man sich berieseln lässt. Das muss nicht schlecht sein, ist jedoch auf den Moment begrenzt. Die andere Emotionsregulation läuft über das Verarbeiten und Verstehen, um so einen souveränen Zugang zu den eigenen Emotionen zu finden. Dieser erfolgreiche und sinnstiftende Umgang mit den eigenen Emotionen erzeugt dann ein eudämonistisches Wohlbefinden.“ Dieses „eudaimonic well-being“, wie es in der englischsprachigen Forschungsliteratur heißt, sei nachhaltiger als etwa die Ablenkung, da es die psychische Stabilität stärke und den Menschen das Gefühl gebe, souveräner und resilienter zu sein. „Unterhaltung kann echte Lebenserfahrung in dieser Hinsicht natürlich nicht ersetzen, aber unterstützen. Zudem ermöglicht sie, Dinge zu erleben – schwere Krankheiten oder Krieg –, die man in der Realität nicht erleben möchte.“


Empathie

Das Begriffsfeld „Empathie“ ist in der Forschung, zumal unter interdisziplinärer Perspektive, häufig umstritten und nicht immer klar von Phänomenen wie Einfühlung, Mitgefühl oder Mitleid abgegrenzt. „Die Definition von Empathie, mit der ich arbeite“, erklärt Bartsch, „stammt von dem Sozialpsychologen Daniel Batson. Für Batson ist Empathie das Gefühl, von Herzen am Wohlergehen anderer interessiert zu sein. Dieses Empathiegefühl macht uns altruistisch, indem es uns motiviert, auf die Bedürfnisse anderer zu achten, deren Perspektive einzunehmen und hilfsbereit zu sein.“
 


Unterhaltung kann echte Lebenserfahrung nicht ersetzen, aber unterstützen.



Die klassischen Mittel, um filmisch Empathie zu erzeugen, das zeigten zahlreiche Untersuchungen, seien einerseits Close-ups vom Gesicht, also sogenannte Empathieszenen, und andererseits Musik. „Bei unseren Untersuchungen haben wir beispielsweise emotionale Musik durch Fahrstuhlmusik ersetzt. Das ist ein frappierender Unterschied“, erläutert die Kommunikationswissenschaftlerin. Musik funktioniere hier als Verstärker von Empathiegefühlen. Doch durch Musik allein entstehe natürlich keine Empathie. Es bedürfe eines kognitiven Inhalts, der Gefühle auslöse und von der Musik wie an einem Mischpult hochgezogen werde. Die Musik spreche Areale im Hirn an, die Inhalte nicht auf einer kognitiven, sondern auf einer körperlichen Ebene verarbeiteten und zugleich über nonverbale Emotionsausdrücke angesprochen würden. Das hänge u.a. damit zusammen, dass Musik Merkmale des stimmlichen Emotionsausdrucks imitiere.

Darüber hinaus gebe es eine ganze Reihe anderer filmischer Techniken, mit denen man gezielt Emotionen hervorrufen könne: Kamerawinkel, Schnittgeschwindigkeit, Farbe, Helligkeit, metaphorische Bilder. „Allerdings gibt es zu diesen Aspekten noch viel zu wenig Daten“, erläutert Bartsch. „Um wirklich kausale Evidenzen zu haben, müssen diese theoretischen Vermutungen erst noch experimentell erhärtet werden. Ich bin gerade in einem DFG-Forschungsprojekt, wo wir diesen Fragen detailliert nachgehen.“ Dabei werde eine wichtige Forschungslücke geschlossen, da sich die bisherige Forschung vor allem mit der Wirkung von Fiktionalität, Narrationen und Inhalten beschäftigt habe. Die Bedeutung formaler Merkmale bei der Erzeugung empathischer Gefühle sei dabei vernachlässigt worden.

Unter dieser Perspektive werde zugleich die Bedeutung von Unterhaltungsformaten für den Einzelnen, aber auch für die Gesamtgesellschaft deutlich. „Unterhaltung“, betont die Wissenschaftlerin daher, „ist eben nicht einfach nur Unterhaltung. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass es bei der Unterhaltung im Grunde um nichts geht.“
 

Emotion und Information

Zudem sei Unterhaltung ein Mittel, um Interesse für Sachfragen zu wecken und Informationen zu vermitteln. Seit geraumer Zeit beschäftigt sich Anne Bartsch daher mit den Synergieeffekten zwischen Unterhaltung und Information. „Aus meiner bisherigen Forschung weiß ich, dass das Informationsinteresse häufig erst über die Unterhaltung entsteht“, erklärt Bartsch. „Die Zuschauer fangen an, eine Sendung aus reinem Unterhaltungsbedürfnis heraus zu schauen, und entwickeln dann, weil sie emotional involviert sind, ein Informationsinteresse.“ Nach großen Serienstarts würden beispielsweise die entsprechenden historischen Ereignisse, Personen oder Fakten verstärkt gegoogelt oder bei Wikipedia nachgelesen.

„Ideal sind daher Themenabende, die Unterhaltung und Information miteinander verknüpfen. Aus Untersuchungen über den Audience Flow weiß man etwa, dass eine Dokumentation nach einem Spielfilm ganz andere Zuschauerquoten erreicht als eine allein ausgestrahlte Doku.“

In einer Zeit, in der sich immer mehr Zuschauerinnen und Zuschauer den etablierten Informationsangeboten entziehen, sieht Bartsch hier zudem die Möglichkeit, die Schnittstelle von Unterhaltung und politischer Information zu nutzen, um Desinformationen entgegenzuarbeiten und für eine am Gemeinwohl orientierte Politik zu werben.

Allerdings zeige die Entwicklung der letzten Jahre, dass es nicht an einer Emotionalisierung der Politik mangele und diese auch zu einer unangemessenen Verschärfung des politischen Diskurses führen könne. Hinzu komme, dass ein medienpsychologisch fundiertes Nudging der Bevölkerung auch prinzipielle demokratietheoretische Fragen aufwerfe.

Einer Entemotionalisierung der politischen Kommunikation steht Anne Bartsch jedoch skeptisch gegenüber: „Das wird nicht funktionieren. Es gibt Populismus, Polarisierung und Radikalisierung, die Emotionen sind also da. Wir werden sie nicht aus der Welt bekommen. Die Menschen suchen nach Sinn und Orientierung, sie wollen hinter einer Sache stehen. Also müssen wir entsprechende prosoziale, gemeinwohlorientierte Angebote machen.“

Entscheidend sei es, so Bartsch, prosoziale Gefühle zu fördern. Gefühle an sich seien nicht gut oder schlecht. Ärger könne dazu motivieren, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen. Ärger könne aber auch negativ und destruktiv sein. „Wer sich ärgert, fühlt sich mitunter auch im Recht, unfehlbar, stark und unangreifbar. Ärger kann süchtig machen. Man denke nur an den Wutbürger, der sich über alles aufregt und sich in seinem Ärger einrichtet.“
 


Je stärker Emotionen werden, desto einseitiger wird das Denken.



Wichtig sei es daher, Emotionen anzusprechen, ohne sie im Übermaß aufzuheizen, damit die Bürgerinnen und Bürger überhaupt ein Interesse für die verhandelten politischen Fragen entwickelten, ohne dabei rationale Erwägungen auszuschalten. „Es ist eben wichtig“, hebt Bartsch hervor, „die Bürger emotional zu involvieren. Zugleich gilt es zu verhindern, dass Emotionen die Kognition verengen und man einen Scheuklappenblick entwickelt. Je stärker Emotionen werden, desto einseitiger wird das Denken.“

Ziel müsse es sein, einen emotionalen Sweet Spot anzusteuern, der genug Emotionalisierung bereitstelle, um Menschen für politische Fragen zu interessieren, ohne jedoch zu emotionalen Überidentifizierungen zu führen. Das sei ein Austarierungsprozess, für den es leider keine Patentlösung gebe. „Eine notwendige Bedingung dafür sind allerdings solide Checks and Balances bei den Fakten. Wenn Emotionen aufgrund falscher oder einseitiger Fakten freidrehen, sind sie schwer wieder einzufangen.“ Jeder habe das Recht auf seine eigene Meinung, aber nicht auf seine eigenen Fakten. „Solange es bei den Fakten eine funktionierende und ausgewogene Überprüfung gibt, ist ein großer Brandherd für überschießende Emotionen erst einmal beseitigt.“ Wie schwer das allerdings durchaus sein könne, zeige die aktuelle Coronasituation eindrucksvoll.

 

Dr. Anne Bartsch ist Professorin für Empirische Kommunikations- und Medienforschung an der Universität Leipzig.

Dr. Alexander Grau arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist u.a. für „Cicero“, „NZZ“ und den Deutschlandfunk.