Das Porträt: Christian Montag

Alexander Grau

Christian Montag ist Molekularpsychologe an der Universität Ulm. Das bedeutet, dass er sich vor allem mit den biologischen, etwa den molekulargenetischen, epigenetischen und hormonellen Grundlagen menschlichen Verhaltens beschäftigt. Nach seinem Studium in Gießen und der Promotion in Bonn folgte ein Forschungsaufenthalt am SCAN Center (Social, Cognitive, and Affective Neuroscience) der Stony Brook University, New York. Seit 2014 ist Christian Montag Inhaber einer Heisenberg-Professur in Ulm. Neben der Persönlichkeitspsychologie arbeitet er vor allem zu Fragen der Computer-, Internet- und Smartphonenutzung. Für Furore sorgte sein Buch Homo Digitalis, das sich mit den Auswirkungen der Mediennutzung auf das Gehirn beschäftigt.

Printausgabe tv diskurs: 22. Jg., 4/2018 (Ausgabe 86), S. 76-79

Vollständiger Beitrag als:

„Digital first. Bedenken second“, radebrechte eine bekannte Partei anlässlich des letzten Bundestagswahlkampfes. Doch an gedankenloser Digitalisierung mangelt es nun wirklich nicht. Insbesondere im Bildungsbereich überbieten sich vermeintliche oder tatsächliche Experten darin, immer noch jüngere Kinder an die schöne neue Welt heranführen zu wollen. Dass die Digitalisierung unsere Gesellschaft verändern wird wie zuvor nur die Industrialisierung, ist eine Binsenweisheit. In der öffentlichen Diskussion wird daraus nicht selten der Schluss gezogen, dass das Unvermeidliche möglichst schnell und tiefgehend umgesetzt werden muss. Schließlich will man ja nicht den Anschluss verpassen. Dabei macht schon die alltägliche Erfahrung deutlich, dass die Digitalisierung nicht nur unsere Ökonomie verändern wird und unsere Art zu kommunizieren. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden die neuen Technologien auch den Menschen selbst verändern, da sie das Potenzial haben, massiv in das Verhalten des Einzelnen einzugreifen und sogar persönlichkeitsändernd zu wirken.

Wo aber in das Verhalten des Menschen eingegriffen wird, insbesondere auf einer vorbewussten, affektiven und nicht zu kontrollierenden Ebene, ist eine Risikoabschätzung zwingend erforderlich. Die aber kann es nur aufgrund gesicherter wissenschaftlicher Untersuchungen geben.

Einer, der sich seit Jahren intensiv mit den Grundlagen der Auswirkungen digitaler Kommunikationstechnologie auf unser Fühlen, Denken und Verhalten beschäftigt, ist der Ulmer Molekularpsychologe Prof. Dr. Christian Montag.
 

Persönlichkeit und Individualität

Montag stammt aus Köln, wo er heute noch wohnt. Nach Abitur und Wehrdienst absolvierte er zunächst eine Banklehre, dann arbeitete er bei RTL. Zugleich hatte er als Fan von Bob Dylan und Neil Young eine Folkrockband mit Plattenvertrag. Schließlich entschied er sich jedoch für das Psychologiestudium in Gießen. „Ich habe das dann relativ zügig durchgezogen“, erzählt Montag. „Ich war damals Mitte 20 und musste entscheiden, wohin die Reise nun gehen soll.“

Zügig folgten die nächsten Karriereschritte: Promotion in Bonn, Forschungsaufenthalt am SCAN Center der Stony Brook University, New York, Habilitation und Verleihung der Venia Legendi für Psychologie. 2014 erhielt Montag die Heisenberg- Professur an der Universität Ulm, zwei Jahre später eine Gastprofessur an der University of Electronic Science and Technology of China (UESTC) in Chengdu, China.

„Bei meiner Promotion“, erinnert sich Montag, „ging es vor allem darum, die Emotionen Angst und Furcht zu trennen. Ich habe, einfach ausgedrückt, mit bildgebenden und molekulargenetischen Verfahren Ängstlichkeit als Persönlichkeitseigenschaft untersucht. Es ging um genetische Eigenschaften hinsichtlich derer man ängstliche und weniger ängstliche Probanden unterscheiden kann und wie sich diese Eigenschaft auf Struktur und Funktion des Gehirns auswirkt.“

Montag knüpfte dabei an die sogenannte Reinforcement Sensitivity Theory (RST) von Jeffrey Alan Gray und Neil McNaughton an, wonach Angst der Modus ist, in dem Personen eine Gefahr zu erkennen versuchen und sich ihr zuwenden, und Furcht derjenige, in dem sie beispielsweise die Flucht ergreifen.

Eine anschauliche Unterscheidung ermöglicht ein Szenario, in dem man Mäuse in einen mit Katzengeruch präparierten Käfig setzt: „Für die Mäuse bedeutet das von der olfaktorischen Seite unmittelbare Gefahr, aber diese Information passt nicht zum visuellen Eindruck, da keine Katze zu sehen ist. In einer solchen Situation hoher Unsicherheit, wo Lebewesen nicht genau wissen, ob das jetzt gefährlich ist oder nicht, beginnen sie, vorsichtig mehr Informationen zu sammeln. Im humanen Bereich wird das stark kognitiv gesteuert. Diese Orientierungsreaktion nennen wir Angst. Furcht hingegen wird durch eine unmittelbare Bedrohung ausgelöst und geht entsprechend mit Kampf, Flucht oder Erstarrungshandlungen einher.“

In der Forschung zu seiner Doktorarbeit konnte Montag nun zeigen, dass es genetische Eigenschaften gibt, die mit erhöhter Ängstlichkeit einhergehen und Einfluss auf die Struktur und Funktion des Gehirns nehmen:

Das bedeutet: Die Personen, die jene genetische Variante tragen, die mit Ängstlichkeit assoziiert ist, zeigen im Hirnscanner eine erhöhte Mandelkernaktivität bei der Verarbeitung emotionaler Reize.“

Diese Forschungsergebnisse passten gut zur derzeitigen Forschungsliteratur, in der Fehlfunktionen der Amygdala mit Panik, Übererregung, Depressionen und Phobien in Zusammenhang gebracht werden. Und sie haben eine beachtliche Relevanz für die Medienwirkungsforschung. Denn im Grunde ist ein Kino oder ein Wohnzimmer, in dem der Rezipient sich einen Thriller oder einen Horrorfilm anschaut, informationstheoretisch nichts anderes als ein Käfig mit Katzenurin: ein Mismatch unterschiedlicher Signale.

Einziger Unterschied: Medienrezipienten setzen sich der Situation gewöhnlich freiwillig aus. „Die Leute, die sich so etwas anschauen, haben bestimmte Persönlichkeitsmerkmale“, erläutert Montag. „Die müssen sich möglicherweise besonders stark stimulieren, damit sie auf ein gewisses Wohlfühlniveau kommen. Wir kennen das Prinzip u.a. aus der Extraversionsforschung: Extravertierte gehen eher auf Partys, hören eher laute Musik, weil in ihrem Gehirn eher eine Unterregung stattfindet. Die brauchen einen stärkeren Input von außen. Insofern spielen solche Personenvariablen eine große Rolle, um beispielsweise zu verstehen, weshalb Menschen sich sehr ängstigende Filme anschauen.“

Besonders betroffen seien Kinder und Jugendliche, die über noch keine voll ausgeprägte Emotionsregulierung verfügen: „Die sind in ihrer Erlebnisweise nah an einem ‚raw effect‘, also einem rohen emotionalen Erleben. Und diese emotionalen Erlebniswelten, die das Gehirn kreiert, werden nicht so stark abgepuffert.“

Entscheidend für das Verhalten seien aber auch hier Persönlichkeitsmerkmale und die seien zu ca. 50% genetisch bedingt. Dabei müsse man allerdings beachten, dass Umwelt und Genetik keine distinkten Entitäten sind, sie sind nicht unabhängig voneinander und einfach zu trennen, sondern immer wechselseitig aufeinander bezogen:

In der Psychologie und Psychiatrie haben wir es mit polygenetischen Phänotypen zu tun. Das bedeutet, dass Persönlichkeitseigenschaften wie Ängstlichkeit oder Geselligkeit durch Hunderte genetischer Variablen beeinflusst werden, die alle kleine Effekte haben und auch noch miteinander interagieren. Vor allem aber wird das Ganze schließlich durch die Umwelt moduliert.“

So gebe es etwa einige bekannte Genvarianten, die mit Depression assoziiert seien. Die Wahrscheinlichkeit, an einer Depression zu erkranken, sei aber nur dann deutlich erhöht, wenn zur genetischen Disposition traumatische Erfahrungen hinzukämen.

„An dieser Stelle“, erläutert Montag, „sind wir dann auf der Ebene der sogenannten Epigenetik, wo man versucht zu verstehen, wie besondere Umweltvariablen die genetische Information überhaupt öffnen.“

Zusammengefasst hat Christian Montag seine und andere Forschungsergebnisse in dem 2016 erschienenen Buch Persönlichkeit. Auf der Suche nach unserer Individualität. Darin erläutert er den in der modernen Forschung üblichen dynamischen Persönlichkeitsbegriff, der berücksichtigt, dass bestimmte Eigenschaften einer Person relativ zeit- und situationsüberdauernd sind und zudem von Temperament und Charakter abhängen, wobei ersteres vor allem genetisch, letzterer mehr durch die Umwelt geprägt wird.
 

Homo Digitalis

Ausgehend von der Persönlichkeitsforschung beschäftigte sich Montag im Rahmen seiner Habilitation mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf das menschliche Verhalten. „Digitalisierung ist das Thema, das unsere Gesellschaft auf jeder Ebene massiv verändert“, begründet der Psychologe sein Forschungsinteresse, „sowohl im politischen als auch im sozialen, im psychologischen und im zwischenmenschlichen Miteinander.“ Anfangs habe er nur die positiven Seiten des Internets gesehen und sei von der Geschwindigkeit fasziniert gewesen. Auch heute noch möchte er nicht auf diese Technologie verzichten. „Aber“, betont er, „alles hat seinen Preis. Und es ist höchste Zeit zu verstehen, wie ein gesunder und produktiver Umgang mit diesen Medien aussieht und wo die Fehlnutzung beginnt und Probleme mit sich bringt.“

In seiner Habilitationsschrift befasste sich Montag vor allem mit dem Thema „Internetsucht“ und den Folgewirkungen von Gewaltspielen. Hintergrund sind „technology use related disorders“, ein Problemfeld, das den Wissenschaftler auch heute noch intensiv beschäftigt in Form der Frage, wie das Smartphone unser Handeln und unsere Persönlichkeit verändert.

Insbesondere das Thema „Internetnutzung“ ist jedoch ein weites Feld:

Wir unterscheiden daher ‚die großen Fünf‘ anhand der Inhalte, die Probleme auslösen können: Computerspiele, Pornografie (die ein Riesenthema ist), Social Media, Onlineglücksspiele und Kaufsucht. Alle fünf werden durch das Smartphone und die damit verbundene Verfügbarkeit noch einmal verstärkt.“

Dabei könne man feststellen, dass es Personengruppen gibt, die in mehreren Bereichen Probleme haben, aber auch Patientengruppen mit einem sehr eng umgrenzten Suchtverhalten. Ein Großteil der Forschung habe sich zunächst mit der Frage beschäftigt, ob es so etwas wie eine Suchtpersönlichkeit gebe. Doch das sei der falsche Begriff. Es gebe allerdings Persönlichkeitsvariablen, die mit einer erhöhten Suchtgefahr einhergingen. So sei Internetsucht bis vor Kurzem vor allem ein Jugendphänomen gewesen. Das gleiche sich jedoch inzwischen aus. Auch die Überrepräsentanz von Männern gehe zurück. Die bestehe noch bei Computerspielen. Bei Social Media etwa seien aber auch Frauen betroffen.

Ein wichtiger Aspekt zum Verständnis zur Übernutzung von Medien ist die Fähigkeit zur Selbstregulation. Anknüpfend an das Konzept der Self-Directedness des amerikanischen Psychiaters C. Robert Cloninger untersuchte Montag mit seinem Team die Willensstärke von Menschen. „Wir haben in mehreren Ländern rund um den Globus repliziert, dass geringe Willensstärke, geringe Selbstregulation, geringer Selbstwert mögliche gute Prädiktoren für die Übernutzung von Internetinhalten sind.“

Geringe Gewissenhaftigkeit sei als Persönlichkeitsmerkmal von Internetsüchtigen sehr robust ausgearbeitet. Bei anderen Faktoren, wie etwa Neurotizismus, der mit Ängstlichkeit assoziiert werde, sei die Sache komplexer und stärker auf die Inhalte bezogen. Im Internet könnten tatsächlich auf einigen Kommunikationsplattformen verstärkt Sozialphobiker unterwegs sein, bei anderen Medienangeboten spiele dieser Aspekt aber vielleicht gar keine Rolle.
 

Smartphonenutzung

Die Nutzung digitaler Medien, insbesondere des Smartphones, das die Menschen häufig vom Aufwachen bis zum Einschlafen begleitet, ist von der Persönlichkeit des jeweiligen Nutzers abhängig. Allerdings gilt auch umgekehrt, dass die Smartphonenutzung die Persönlichkeit des Nutzers verändert.

Kostadin Kushlev, Psychologe an der University of Virginia, mit dem Montag an einem Buch zum Thema für den internationalen Markt arbeitet, konnte etwa anhand von zwei Versuchsgruppen zeigen, dass Intensivnutzer von Smartphones ADHS-ähnliche Symptome entwickeln. „Doch nicht nur die Konzentrationsfähigkeit nimmt ab, sondern auch spezifische Facetten von kognitiver Leistungsfähigkeit, wie andere Studien nahelegen“, erläutert der Psychologe.

Das Smartphone, so Montag, fragmentiere den Alltag und das führe zwangsläufig zu einer geringeren Produktivität: „Wir haben kaum noch Zeit, uns vertieft mit einer Sache auseinanderzusetzen.“ In einer Untersuchung mit Studierenden kam Montag zu dem Ergebnis, dass diese im Schnitt 50 Mal am Tag ihren Smartphonebildschirm entsperren, in der Spitze über 100 Mal. Aus der positiven Psychologie, etwa dem Flow-Konzept von Mihály Csíkszentmihályi, sei bekannt, dass man eine hinreichende Konzentration aufbringen muss, um in einer Tätigkeit vollständig aufzugehen. „Jeder, der mal geschrieben hat, kennt das – plötzlich sind drei Stunden vergangen, man war richtig produktiv und hat die Seiten nur so runtergeschrieben. Dafür aber sind diese ganzen Mikrounterbrechungen absolutes Gift.“

Adrian F. Ward von der University of Texas at Austin konnte sogar zeigen, dass allein die Präsenz eines ausgeschalteten Smartphones auf dem Schreibtisch oder in der Jackentasche kognitive Ressourcen abzieht, die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit signifikant herabsetzt:

Deswegen“, so Montag, „ist es für mich wenig nachvollziehbar, dass wir immer noch die Diskussion führen, ob Smartphones im Schulunterricht verboten werden sollten oder nicht. – Natürlich müssen sie verboten werden! Jeder, der dagegen argumentiert, hat die Literatur nicht gelesen und nicht verstanden, wo die Probleme liegen.“

Das solle nicht bedeuten, alles Digitale aus dem Klassenraum zu verbannen. „Wir brauchen smarte Lösungen, die das Ablenkungspotenzial dieser Geräte reduzieren. Wenn etwa im Biologieunterricht mit einem Tablet eine 3-D-Animation des Herzens gezeigt wird, dann muss man alle anderen Funktionen sperren.“

Doch das Smartphone reduziere nicht nur Fähigkeiten, es trage zudem nicht unerheblich zu einer weiteren „Verrohung“ der Kommunikation bei. Dabei gehe es auch um Filterblasen und Echokammern, vor allem aber habe das Smartphone die Frequenz der Kommunikation erheblich erhöht und damit den Online Disinhibition Effect.

Wenn ich jemanden im Alltag beschimpfe, bekomme ich sofort eine Reaktion und die fühlt sich unter Umständen meist nicht gut an. Diese Korrektur findet online aber nicht statt.“

Das werde auch dadurch verstärkt, dass die Kommunikation rein schriftlich erfolge. Informationen, die für die Einschätzung einer Gesprächssituation notwendig seien, wie Stimme, Klang, Mimik, würden wegfallen. Langfristig könnten Smartphones bei falschem Vorbildverhalten der Eltern daher dazu führen, dass Kinder immer weniger lernen, Emotionen aus Gesichtern zu lesen und die Situation von Mitmenschen zu verstehen.

Es gibt verschiedene Arbeiten, auch aus meiner Gruppe, die zeigen, dass Internetsucht mit geringerer Empathie assoziiert ist.“

Kinder sollten aus diesem Grund, so Montags Empfehlung, vor dem 12. Lebensjahr unter gar keinen Umständen ein eigenes Smartphone besitzen. „Kinder brauchen überhaupt keine ambitionierten Spielzeuge. Wichtig ist das ganz archaische Spiel mit anderen Kindern, insbesondere aus motorischen und sozialen Gründen.“ Smartphones und Social-Media-Applikationen seien aufgrund ihres Designs für Kinder besonders verführerisch. Sie hätten noch keine kognitiven Regulationsstrategien und würden daher sehr schnell viel zu viel Zeit auf diesen Plattformen verbringen.

Kinder sollten möglichst spät, möglichst behutsam und unter Aufsicht an diese Geräte herangeführt werden. Was an Apps für 3-Jährige sinnvoll sein soll, kann ich beim besten Willen nicht sehen.“

Dr. Christian Montag ist Molekularpsychologe an der Universität Ulm.

Dr. Alexander Grau arbeitet als freier Kultur und Wissenschaftsjournalist u.a. für „Cicero“, „FAZ“ und den Deutschlandfunk.