Das Porträt: Marc D. Cole

Alexander Grau

Dr. Mark D. Cole ist Professor für Medien- und Telekommunikationsrecht an der Universität Luxemburg und zugleich Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Europäisches Medienrecht (EMR) in Saarbrücken. Ferner ist er Co-Direktor des Instituts für Rechtsinformatik an der Universität des Saarlandes und Fakultätsmitglied im Interdisciplinary Centre for Security, Reliability and Trust (SnT) der Universität Luxemburg. Zugang zu Fragen des Medienrechts fand er als junger Wissenschaftler über den Begriff der Menschenwürde. Das prägt seine Arbeit bis heute.

Printausgabe tv diskurs: 22. Jg., 1/2018 (Ausgabe 83), S. 58-61

Vollständiger Beitrag als:

Es ist noch gar nicht lange her, da war das Medienrecht kaum mehr als ein ziemlich exotisches und abgelegenes Spezialgebiet im weiten Reich der Jurisprudenz. Professuren für Medienrecht gab es sowieso nicht; und die Lehrstühle, die sich mit dieser Thematik zu befassen hatten, taten dies mehr am Rande und nebenbei.

Das lag auch daran, dass die Medienlandschaft eine relativ geordnete und juristisch überschaubar war. Die elektronischen Medien waren öffentlich-rechtlich, für die Printmedien gab es ein Presserecht, und die meisten rechtlichen Fragen, die im Zusammenhang mit Medien auftraten, ließen sich klassischen Rechtsgebieten wie dem Zivilrecht oder dem Öffentlichen Recht zuordnen.

Das änderte sich Ende der 1980er-Jahre mit der Einführung des privaten Rundfunks und dem 1987 geschlossenen Rundfunkstaatsvertrag (RStV). In den 1990er-Jahren dann wurde das Internet durch die Entwicklung abrufbarer Hypertext-Dokumente zum Massenmedium. Der Gesetzgeber reagierte darauf u.a. mit der Verabschiedung des Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetzes (IuKDG). Zudem machten die neuen Medien und die zunehmende Internationalisierung der Medienmärkte europäische Regelungen des Mediensektors notwendig. Darauf reagierte man u. a. mit der Richtlinie Fernsehen ohne Grenzen 1989, die 2007 zur Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (kurz: AVMD-Richtlinie) wurde.

Wo aber das Medienrecht vielfältiger, komplexer und internationaler wird, da braucht es auch Medienrechtler, die dieses Recht lehren, weiterentwickeln und anwenden.

Mark Coles Weg zum Medienrecht spiegelt ziemlich genau die Entwicklung, die die Medientechnologie und die Internationalisierung der Medienangebote genommen haben. „In den 1990er-Jahren“, erinnert sich Cole, „war Medienrecht im allerbesten Fall ein Anhängsel. Mein Lehrer Dieter Dörr etwa hatte in Mainz den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht, der erst später um den Zusatz ,und Medienrecht‘ ergänzt wurde“.
 

Die Rechte indigener Völker

Mark Coles Weg zum Medienrecht verlief zunächst weniger zielorientiert als geleitet von den Zufällen des Lebens: „Am Anfang war ich mit dem Jurastudium nicht hundertprozentig glücklich, was vor allem daran lag, dass Anfang der 1990er-Jahre der Studiengang Jura vollkommen überlaufen war. Deshalb habe ich begonnen, nebenher Politikwissenschaften zu studieren. Nach zwei Jahren habe ich aber gemerkt, dass zwei Studiengänge nebeneinander einfach zu viel sind und Jura mehr meinen Interessen entspricht.“

Einen wesentlichen Einfluss auf seine Entscheidung zugunsten des Jurastudiums hatte der schon erwähnte Dieter Dörr, der 1995 einen Ruf an die Universität Mainz erhielt: „Ich saß in Dörrs erster Vorlesung und war begeistert“, erzählt Cole. Hinzu sei gekommen, dass er ursprünglich mit dem Gedanken gespielt habe, Journalist zu werden und auch aus diesem Grund das Thema „Medienrecht“ nahegelegen habe. „Allerdings war schnell klar, dass ich nicht als aktiver Journalist arbeiten werde, Medien mich aber einfach interessierten. Das Medienrecht war da die perfekte Brücke.“

Zunächst jedoch wandte sich Cole einem anderen Rechtsgebiet zu: dem Völkerrecht. Auslöser hierfür war ein Rechtsgutachten seines akademischen Lehrers über die Frage, ob in einem amerikanischen Indianerreservat nach Öl gebohrt werden dürfe. Cole übersetzte die Arbeit und kam auf einem anschließenden Kongress mit einem amerikanischen Anwalt in Verbindung, der die in dem Gutachten angerissenen Rechtsfragen substanziell untersuchen lassen wollte. Dabei kam ein Forschungsprojekt heraus, auf dessen Grundlage schließlich Coles Dissertation entstand: Das Selbstbestimmungsrecht indigener Völker. Eine völkerrechtliche Bestandsaufnahme am Beispiel der Native Americans in den USA – 2004 ausgezeichnet mit dem Forschungsförderpreis der Freunde der Universität Mainz e.V.
 

Initialzündung Big Brother

Mit konkreten medienrechtlichen Fragen wurde Cole erstmals 1999 konfrontiert. Damals plante der Sender RTL II die Ausstrahlung der Fernsehshow Big Brother. Da das Format zuvor in den Niederlanden ausgestrahlt worden und somit bekannt war, überlegten Landesmedienanstalten, die Ausstrahlung der Sendung zu untersagen. „Dafür hätte es wahrscheinlich gar keine Rechtsgrundlage gegeben“, erinnert sich der Jurist, „zumindest wäre es sehr problematisch geworden. In dieser Situation wollte man bei RTL II jedoch nicht blindlings in eine Konfliktsituation hineinlaufen und ließ daher prüfen, ob die Ausstrahlung im Grundsatz zulässig ist, ob sie mit gewissen Auflagen versehen werden kann usw. Den Auftrag dazu bekam Herr Dörr.“

In der Folge wirkte Cole an einigen kleineren Abschnitten des Gutachtens mit. „Eine der wesentlichen Aufgaben war es, Teile der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der 1960er-, 1970er-Jahre aufzuarbeiten. Dabei ging es etwa um die Frage, ob Peepshows gegen die Menschenwürde verstoßen, auch wenn die beteiligten Frauen das freiwillig machen“, erläutert Cole.

Spannend sei die Relevanz und Alltagsnähe des Themas gewesen: „Da habe ich erstmals erlebt, was eine solche Situation bedeutet, auch finanziell. Die ganze Struktur mit Landesmedienanstalten, das föderale Prinzip, BLM versus andere – das alles wurde mir im Schnelldurchlauf in wenigen Wochen eingeflößt, und das fand ich so faszinierend, dass es mich nicht mehr losgelassen hat.“

Entsprechend fing Cole an, an einer medienrechtlichen Habilitation zu schreiben. Fragestellung: Was hat das europäische Wettbewerbsrecht für Medien geleistet? Doch es war noch kein Jahr vergangen, da wurde eine Professur für Medienrecht in Luxemburg ausgeschrieben. Da in dem Großherzogtum keine Habilitation für Professuren erforderlich ist, bewarb sich der junge Wissenschaftler auf die ausgeschriebene Stelle – mit Erfolg. Seit März 2007 ist Mark D. Cole Professor für das Recht der neuen Informationstechnologien, Medien- und Kommunikationsrecht an der Universität Luxemburg (seit 2015 umbenannt in Professur für Medien- und Telekommunikationsrecht). 2014 wurde er zudem Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Europäisches Medienrecht (EMR) in Saarbrücken.

Gegründet wurde dieses Institut 1990 vor dem Hintergrund der damaligen technischen und wirtschaftlichen Entwicklung. „Der erste Schritt in Richtung eines europäischen Medienrechts“, erklärt Cole, „war die Fernsehrichtlinie von 1989, da die damalige Satellitentechnik eine europäische Regelung notwendig – oder zumindest naheliegend – machte.“
 

Europäisches Medienrecht

Als Cole 2007 in Luxemburg anfing, lag die Novellierung der Fernsehrichtlinie in Gestalt der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie) in den letzten Zügen. „Ich habe mich dann erfolgreich um ein Projekt bemüht, bei dem wir eine Art Quervergleichskommentar der 28 einzelstaatlichen Umsetzungen dieser Richtlinie erstellt haben. Und das ist nach wie vor der rote Faden meiner Arbeit: Wie sieht die jeweilige nationale Umsetzung aus bzw. wie ist der Diskussionsprozess in Europa?“

Dass das Medienrecht zu einem ganz wesentlichen Teil europäisch determiniert sei, würde aber immer noch von vielen übersehen. Ein Beispiel dafür sei das Urheberrecht. „Denken Sie etwa an Metall auf Metall, also die Auseinandersetzung zwischen Moses Pelham mit dem Sabrina Setlur-Song, der eine zweisekündige Sequenz aus einem alten Kraftwerk-Stück genutzt hatte. Das ging bis zum BGH und zum Bundesverfassungsgericht, und nun muss der EuGH entscheiden, ob das eine eigenständige Verwertung ist oder ob man dafür eine Autorisierung gebraucht hätte. Am Ende des Tages entscheiden solche Fragen europäische Politiker durch Richtlinien oder Verordnungen oder der Europäische Gerichtshof als die oberste Instanz.“

Die wichtigsten Bereiche in jüngster Zeit seien jedoch E-Commerce und Datenschutz. Wer hier, auch als nationaler Gesetzgeber, die Entwicklung verschlafen habe, der leide jetzt, denn sein Spielraum sei sehr eingeschränkt. Ab Mai 2018 etwa gelte die neue Datenschutz-Grundverordnung, die mit nationalem Recht an gewissen Stellen ausgefüllt werden kann, deren Kernpunkte seien aber nunmehr vollständig europäisch determiniert.

„Die Medienlandschaft, die Funktion, die die Medien erfüllen, die Schaffung von Öffentlichkeit, die ist immer noch sehr national“, unterstreicht Cole, „kompetenziell ist das immer noch eine nationale Angelegenheit. Das ist ein Spannungsverhältnis, wo man das richtige Maß finden muss. Auch ich bin nicht der Meinung, alles müsse nach Europa. Aber man muss das wissenschaftlich begleiten.“

Ein gutes Beispiel dafür sei der Jugendmedienschutz. Hier habe der EuGH beispielsweise bei der Alterskennzeichnung von DVDs ganz klar gesagt, dass sei eine mitgliedsstaatliche Angelegenheit. Je mehr jedoch im Internet passiere, desto mehr komme der Druck auf, diesen Ansatz zu hinterfragen bzw. nach internationalen Standards zu suchen.
 

Menschenwürde, Medien und Internet

Man liegt sicher nicht falsch, wenn man behauptet, dass die Kern- oder Basiskategorie aller jugendschutzrechtlichen Überlegungen die Menschenwürde ist: Offensichtlich ist das bei der Risikodimension der sozialethischen Desorientierung und der Gewaltbefürwortung, aber auch das Gebot einer nicht übermäßigen Ängstigung lässt sich aus dem Grundgedanken der Menschenwürde ableiten.

Doch nicht nur im Jugendschutz spielt die Menschenwürde als Leitkategorie eine entscheidende Rolle. Unser ganzes Rechtssystem basiert – ausgehend von Art. 1 des Grundgesetzes – auf der Vorstellung, dass es das Ziel allen staatlichen Handelns sein muss, die Menschenwürde zu wahren und zu schützen. Diese Haltung aber setzt eine relativ starke, objektivistische Vorstellung von Menschenwürde voraus.

Cole illustriert das Problem anhand des klassischen Beispiels Big Brother, das zugleich sein erster praktischer Kontakt mit dem Medienrecht war: Der Rezipientenschutz sei durch das übliche Verfahren der Altersklassifizierung und Sendezeitbeschränkung gut begründet umgesetzt. Spannender sei der Schutz der Teilnehmer: „Diese Verträge müssen sehr genau darauf untersucht werden, ob sie die Teilnehmer wirklich klar informieren, worauf sie sich da einlassen – und zwar detailliert. Zudem muss die Einwilligung aus freien Stücken erfolgen.“ Diese Autonomie werde in der Praxis durch zwei Faktoren eingeschränkt: Gesundheit und Geld. Viele Formate würden sich beim Zeigen von Kranken und Patienten in einer rechtlichen Grauzone bewegen. Und natürlich dürfe die ökonomische Lage von Menschen nicht ausgenutzt werden, in der sie sich gegebenenfalls zu allem Möglichen bereit erklären. Cole erläutert das an einem klassischen Beispiel: „Stell dir vor, du hast 20 Mio. Schulden. Sie sind weg, wenn du dir im Fernsehen den Finger abhacken lässt. So etwas könnte man nicht im Fernsehen zeigen, selbst wenn der Protagonist einwilligt.“

Die Leitfrage sei also immer, was Fernsehformate mit der Menschenwürde als quasi über den Dingen schwebende Wertordnung machen, unabhängig von der Zustimmung der Betroffenen: „Ob einem das gefällt oder nicht, spielt gar keine Rolle. Das Bundesverfassungsgericht ist da ganz eindeutig.“

Gleichwohl betont Cole, dass die Vorstellung, was eine Menschenwürdeverletzung sei, einem kulturellen Wandel unterliege. Unstrittig sei jedoch, dass dem Staat eine prinzipielle Schutzpflicht zukomme, und damit seien fast zwangsläufig gewisse Grenzen gesetzt. Die Frage sei lediglich, welchen Spielraum der Staat habe. Cole: „Klar sollte sein, dass es extreme Situationen gibt, über die wir gar nicht diskutieren, etwa Kinderpornografie oder eine Sammlung von Exekutionsvideos. Davon aber sind Realityformate zurzeit meilenweit entfernt. Deshalb sollte man darauf achten, dass man das Schwert ‚Menschenwürde‘ nicht stumpf macht, nur weil man eine Sendung nicht für pädagogisch wertvoll erachtet und es vorschnell einsetzen will.“

Letztlich, so Cole, verblassen gegenüber der Menschenwürde alle anderen Rechte: etwa auf Vertrags- oder Informationsfreiheit. Gerade weil die Menschenwürde somit die letzte Waffe des Rechtsstaates sei, sollte man sie nicht leichtfertig benutzen.

Entscheidend bei Medienformaten sei mit Blick auf die Verletzung der Menschenwürde jedoch nicht nur das Gezeigte, sondern auch die Dramaturgie und der Kontext. Wenn, wie in einem bekannten Beispiel, gezeigt werde, wie ein alter Mensch bei der Pflege geschlagen wird, sei das im Sinne der Aufklärung über Missstände möglicherweise sogar wichtig. Wenn diese Szene jedoch im Teaser anreißerisch, mit entsprechender Musikuntermalung und in Wiederholungen gezeigt werde, ändere sich die Situation grundlegend. Das werde auch nicht dadurch infrage gestellt, dass man sich entsprechende Szenen jederzeit und beliebig oft im Internet ansehen könne:

Wir haben in Europa einfach einen gewissen Wertekanon. Und wir sollten als Gesellschaft diesen Auftrag des Rechts ernst nehmen, auch wenn das unter pragmatischen Gesichtspunkten manchmal angesichts der Flut alternativer Angebote sinnlos erscheinen mag.“

Es ist diese Perspektive, die den Medienrechtler dazu führt, auch gesetzgeberische Maßnahmen wie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz prinzipiell für richtig zu halten: „Es war überfällig, dass man sich dieses Themas annimmt – unabhängig davon, ob das Gesetz in materieller Hinsicht die richtige Lösung ist oder ob es sinnvoll ist, das allein auf nationaler Ebene regeln zu wollen.“

Letztlich habe es immer einen Konsens gegeben, dass es sinnvoll sei, dass nicht alle medialen Inhalte frei verfügbar sind. Mit Aufkommen des Internets hätte man aus Innovationsgründen auf entsprechende Reglementierungen verzichtet. Doch mit den Jahren sei aus dieser Zurückhaltung ein Dogma geworden. An dem Punkt gebe es nur zwei Möglichkeiten: Entweder man verzichte weiterhin auf jede Regelung, dann müsse man aber auch die Beschränkungen in den traditionellen Medien infrage stellen. Oder man müsse sich Gedanken über die Reglementierung der „neuen“ Medien machen.

Auf europäischer Ebene hat das Netzwerkdurchsetzungsgesetz deutlich gemacht, dass die Mitgliedsstaaten selbst regelnd tätig werden, solange es keine europäischen Vorgaben gibt. Die deutsche Lösung ist ein interessantes Modell, da es den Unternehmen klarmacht: Ihr seid verantwortlich und zwar schnell, sonst wird es richtig teuer.“

Dass diese Privatisierung der Verantwortung kritisiert werde, sei absehbar gewesen. Zugleich aber, hebt Cole hervor, sei die Selbstkontrolle im deutschen Mediensystem letztlich auch nichts anderes als eine Kontrolle von Medieninhalten durch private Unternehmen: „Natürlich ist es problematisch, dass das Justizministerium direkt gegen Medienunternehmen vorgehen kann“, betont der Wissenschaftler. „Doch meine Prognose ist ohnehin, dass das Netzwerkdurchsetzungsgesetz in dieser Form nicht lange überleben wird. Aber wenn man eines Tages sagen wird, dieses Gesetz war ein erster Schritt, auch auf europäischer Ebene, dann hat es seinen Sinn erfüllt.“

Dr. Mark D. Cole ist Professor für Medien- und Telekommunikationsrecht an der Universität Luxemburg und Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Europäisches Medienrecht (EMR) in Saarbrücken.

Dr. Alexander Grau ist freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist.