Das Porträt: Sebastian Markett
Medien beeinflussen unser Denken und Verhalten. Das gilt insbesondere auch für digitale Medien. Denken und Verhalten werden durch unsere neuronale Infrastruktur gesteuert und wirken zugleich auf diese zurück. Jede Mediennutzung verändert daher auch unser Gehirn. Das ist an sich weder positiv noch negativ, sondern erst einmal eine Tatsache.
Problematisch sind solche neuronalen Veränderungen jedoch, wenn sie den Effekt haben, dem Mediennutzer seine Autonomie zu nehmen, ihn von Handlungen oder Reizen abhängig zu machen, seine emotionalen und intellektuellen Möglichkeiten einzuschränken oder ihn seiner individuellen Potenziale zu berauben. Hinzu kommt, dass neuronal verankerte Abhängigkeiten auch ein Einfallstor für Manipulationen sind. Menschen etwa, die unter einem Kaufzwang leiden, sind selbstverständlich hochgradig empfänglich für die Botschaften der Werbewirtschaft.
Angesichts der hitzigen Diskussion über Handysucht und „Smartphone-Epidemie“ ist es umso wichtiger, nicht mit Vermutungen, Horrorszenarien und Befürchtungen, sondern am besten auf der Basis empirischer Untersuchungen zu argumentieren.
Wie genau etwa verändert die regelmäßige Nutzung des Smartphones unser Gehirn? Mit welchen Folgen? Gibt es besonders problematische Nutzungen? Oder ist alles eine Frage der Quantität?
Psychologie mit der Pipette
Mit solchen und ähnlichen Fragen beschäftigt sich der Molekularpsychologe Sebastian Markett. Im Jahr 2003 begann der gebürtige Rheinländer sein Studium der Psychologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. „Wenn Sie mich fragen, wie ich zur Psychologie gekommen bin“, erzählt der Psychologe mit erfrischender Aufrichtigkeit, „muss ich gestehen, dass ich da eher reingeschlittert bin.“ Sein ursprüngliches Interesse galt dem Journalismus, schon während seiner Schulzeit begann er, für Lokalzeitungen zu schreiben. „Während meiner Zivildienstzeit wurde mir dann klar, dass mir das Schreiben sehr viel Spaß macht, dass ich aber gerne noch etwas anderes machen würde.“ Eine Zeit lang schwankte er zwischen Medizin und Psychologie, entschied sich schließlich aber für Letztere. „Ich dachte damals als junger Typ einfach: Das klingt interessant, schreib dich mal ein. Doch am Anfang war ich damit gar nicht happy.“
Im 2. Semester wurde Markett jedoch mit neurowissenschaftlichen Ansätzen in der Psychologie konfrontiert, die ihn spontan begeisterten. Dabei kam ihm auch entgegen, dass sich Anfang der 2000er-Jahre die Hirnforschung sehr dynamisch veränderte. Insbesondere die zunehmende Verfügbarkeit bildgebender Verfahren revolutionierte die Möglichkeiten, die Arbeit des menschlichen Gehirns zu messen und anschaulich darzustellen. „Als ich anfing, gab es natürlich schon Scanner, aber die waren aufgrund ihres Anschaffungspreises und der Betriebskosten sehr, sehr selten. Entsprechend gab es einen harten Ressourcenkampf darum, wer irgendwann nachts am Wochenende seine Studien daran durchführen durfte. Heutzutage arbeiten Studierende für Bachelorarbeiten damit.“
In der Forschung für seine Diplomarbeit befasste sich Sebastian Markett mit den genetischen Grundlagen des Arbeitsgedächtnisses. „Kurz vor meiner Diplomarbeit habe ich meinen späteren Doktorvater und Mentor Martin Reuter kennengelernt, der das erste genetische Labor in der Psychologie aufgebaut hat. Als Psychologe mit einer Pipette in der Hand im Labor zu stehen, das hat mich unglaublich fasziniert.“
Die Frage, inwieweit genetische Unterschiede höherstufige kognitive Prozesse beeinflussen und welche Systeme des Gehirns in welchem Umfang genetischen Faktoren unterliegen, hat Markett seitdem nicht mehr losgelassen. Aufbauend auf seiner Diplomarbeit, untersuchte er in seiner Promotion die neurobiologischen Grundlagen exekutiver Kontrollfunktionen. Letztere werden benötigt, um Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Sprache und Motorik zu kontrollieren und an unsere Handlungsziele anzupassen. Durch die Kombination experimentalpsychologischer Methoden mit Techniken der Molekulargenetik sowie der strukturellen und funktionellen Bildgebung untersuchte Markett die neuronalen Prozesse, die diesen exekutiven Kontrollfunktionen zugrunde liegen.
Die biologischen Grundlagen des Arbeitsgedächtnisses
Die leitende Forschungsfrage von Marketts Arbeiten war dabei immer, warum und inwieweit verschiedene Menschen auf die gleiche Umwelt unterschiedlich reagieren. „Zwei Menschen“, erklärt er, „haben landläufig unterschiedliche Persönlichkeiten. Als Neurowissenschaftler sehe ich aber auch, dass das zwei unterschiedliche Gehirne sind. Wenn diese Gehirne nun in neue Situationen hineinkommen, stellt sich die Frage, warum sie die Umwelt anders wahrnehmen oder unterschiedlich auf dieselben Reize reagieren.“
Schon seit Jahrzehnten versucht man, solche Fragen quantitativ zu beantworten. Das bedeutet, dass man etwa mittels Zwillingsstudien untersucht, welchen Einfluss das Erbgut auf Funktionen wie das Arbeitsgedächtnis hat. Daran anknüpfend lässt sich weiter fragen, welche biologischen Mechanismen dabei genau eine Rolle spielen: „Es ist ja nicht so“, erläutert der Wissenschaftler, „dass wir auf unserem Genom irgendwo einen Abschnitt haben, auf dem der Umfang unseres Arbeitsgedächtnisses festgelegt ist. Gene codieren Eiweißmoleküle, verändern damit Stoffwechselprozesse in Zellen, und auf einer viel höheren Ebene werden dann irgendwann Schaltkreise von Neuronen beeinflusst.“ Die Kausalkette zwischen Genom und Verhalten verlaufe also über mehrere Ebenen und sei sehr lang. Einzelne Punkte dieser Kausalkette wissenschaftlich genauer zu analysieren, sei sehr aufwendig und daher auch sehr teuer, da man sehr viele Stichproben benötige, Genproben, Laborequipment und MRTs.
Die Frage ist dabei immer: Können wir einzelne Gene identifizieren, einzelne Genvarianten, um dann zu verstehen, wie diese das Gehirn und damit unser Verhalten beeinflussen?“
Ein schlechtes Gedächtnis – damit können sich alle trösten, die ein solches haben – ist zu einem erheblichen Teil genetisch bedingt. Allerdings lehnt Markett die populärwissenschaftliche Vorstellung unterschiedlicher Gedächtnistypen ab. Natürlich gebe es Individuen mit einem sehr guten und andere mit einem schlechten Gedächtnis, die meisten hätten jedoch, wie nicht anders zu erwarten, ein ganz durchschnittliches Gedächtnis. Hinzu komme natürlich, dass man sein Gedächtnis trainieren könne: „Auch hier gilt: Use it or lose it“, betont Markett.
Man kann alles trainieren. Unser Gehirn ist unglaublich plastisch. Die Frage ist nur, wie man das am effizientesten macht.“
Interessant sei dabei, dass viele Spiele auf elementaren psychologischen Funktionen basierten. Das gelte für Kartenspiele ebenso wie für Brett- oder Computerspiele. Gerade für das Training solch grundlegender Funktionen sei die Ausnutzung des menschlichen Spieltriebes daher von Bedeutung.
Kritisch zeigt sich der Psychologe in Bezug auf häufig behauptete Leistungsfähigkeit von Kindern, insbesondere bei Spielen wie Memory oder dergleichen: „Es gibt einige Studien, die versuchen, so etwas nahezulegen. Ich bin da skeptisch. Im Allgemeinen ist es eigentlich so, dass kognitive Funktionen über das Jugendalter hinweg besser werden, insbesondere in der dritten Lebensdekade. Wenn jüngeren Kindern solche Spiele leichter fallen als Erwachsenen, dann ist das wahrscheinlich eher eine Motivationsfrage.“ Davon zu unterscheiden sei allerdings das Lernvermögen, das bei Kindern bekanntlich deutlich ausgeprägter sei als bei Erwachsenen.
In der Psychologie, so Markett, unterscheide man zwischen kristallinen und fluiden Eigenschaften. Letztere bezeichneten dabei die Geschwindigkeit, mit der wir Informationen verarbeiten, aufnehmen oder manipulieren können. Diese Fähigkeit nehme schon ab dem 30. Lebensjahr deutlich ab. Was dagegen mit zunehmendem Alter ansteige, seien kristalline Fähigkeiten, also die Menge gesammelten Wissens und die Fähigkeit, dieses anzuwenden. Damit, so Markett, ließen sich Defizite im Bereich der Verarbeitungsgeschwindigkeit gut kompensieren.
Belohnungssystem und Mediennutzung
Nach seiner Promotion in Bonn ging Sebastian Markett an die University of California at Berkeley, von dort aus zurück nach Bonn, dann an die Universität zu Lübeck, um schließlich einem Ruf nach Berlin an die Humboldt-Universität zu folgen. Dort begann er, sich mit der Auswirkung der digitalen Medien auf unser Wahrnehmen, Fühlen und Verhalten zu beschäftigen.
„Der Hintergrund war“, erinnert sich Markett, „dass ich mich schon immer für das Dopaminsystem im Gehirn interessiert habe. Dopamin ist ein Botenstoff, der uns u.a. Belohnungslernen ermöglicht. Handlungen, die mit einem Dopaminsignal verbunden sind, erscheinen uns angenehm, weshalb wir motiviert sind, sie zu wiederholen.“ Allerdings spiele Dopamin eben nicht nur beim Belohnungslernen eine Rolle, sondern eben auch beim Konzentrationsvermögen, bei der Handlungskontrolle oder der Frage, welche Information in das Gedächtnis geladen werde und welche nicht:
Dieses Dopaminsystem spielt bei der Mediennutzung eine erhebliche Rolle, insbesondere bei der exzessiven Mediennutzung.“
Eine genauere Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Belohnungssystem und Mediennutzung ermöglichte dem Psychologen eine Gruppe von Informatikern, die eine App entwickelt hatte, mit der sich die Nutzung von Smartphones durch Probanden aufzeichnen ließ. Dabei untersuchte Markett zunächst, wie oft die Probanden Facebook aufriefen. Von Interesse war dabei nicht, was genau die Versuchspersonen sich bei Facebook anschauten, sondern wie häufig sie die Plattform aufriefen, wie lange und in welcher Frequenz. Die leitende Fragestellung dabei war, was dieses Verhalten mit dem Belohnungszentrum macht – insbesondere, weil Facebook über seine Like-Funktion sozialen Erfolg vermittelt. „Wir konnten tatsächlich zeigen“, fasst der Wissenschaftler seine Forschungsergebnisse zusammen, „dass bei den Personen, die intensiver Facebook nutzen, der Nucleus accumbens, ein wesentlicher Teil des Belohnungssystems, nicht nur intensiv stimuliert wird, sondern zugleich signifikant kleiner ist als bei durchschnittlichen Nutzern.“ Die Frage ist nun: Sind die Intensivnutzer empfänglicher für soziale Medien, weil ihr Nucleus accumbens weniger ausgeprägt ist, oder schrumpft dieser durch exzessive Mediennutzung? Da der Nucleus accumbens eine wesentliche Rolle für unsere Motivation und unseren Ehrgeiz spielt, stellt sich damit zugleich die Frage, ob Intensivnutzer eine Disposition zu stärkeren Impulsen haben oder diese sich erst über die Nutzung ausbildet.
Von Bedeutung für die weitere Forschung, aber auch die Medienpädagogik, ist die Erkenntnis, dass es nicht so sehr der Umgang mit dem Smartphone an sich ist, der in einem Zusammenhang mit der Ausprägung des Nucleus accumbens steht, sondern die soziale Resonanz. „MRT-Studien von Kollegen an Jugendlichen und jungen Erwachsenen zeigen“, so Markett, „dass die Aktivität des Belohnungssystems abhängig ist von den Likes, die man für seine eigenen Fotos bekommt.“
Entsprechend konnte Markett die Teilnehmer seiner Studien anhand von Metadaten des jeweiligen Nutzerverhaltens in drei Nutzergruppen einteilen: Geringnutzer, Menschen, die soziale Medien nutzen, um sich zu informieren, und Intensivnutzer. Es sind diese Intensivnutzer von Smartphones, vor allem von WhatsApp, die auf den Entzug der Geräte ähnlich reagieren wie Alkoholiker unter Alkoholabstinenz: insbesondere mit einer vermehrten Ausschüttung des Stresshormons Cortisol.
Fear of missing out
Da Jüngere gegenüber neuen Technologien aufgeschlossener seien, so Markett, würden sie auch soziale Medien ungleich häufiger nutzen als Ältere. Zugleich böten soziale Medien insbesondere älteren Menschen die Möglichkeit, Vereinsamung entgegenzuwirken. „Letztlich bleiben Social Media für alle Altersgruppen ein zweischneidiges Schwert“, fasst Markett zusammen. „Einerseits bieten sie großartige Möglichkeiten, um mit anderen Menschen in Kontakt zu bleiben. Andererseits erzeugen sie einen enormen Stress, nichts zu verpassen. Im englischen Sprachraum hat sich dafür der Ausdruck ‚Fomo‘ eingebürgert: Fear of missing out, also: die Angst, etwas zu versäumen.“
Einen erheblichen Beitrag zum sozialen Stress leiste auch das blaue Häkchen bei WhatsApp, also die Gewissheit, dass der Empfänger die Nachricht gelesen habe, aber eventuell nicht antworte. Der Psychologe betont:
Ich will Smartphones gar nicht in eine Schmuddelecke schieben, aber es gibt eben auch – wie bei vielen Dingen – Probleme, die aus ihrer Nutzung entstehen können.“
Seit der Vorstellung des ersten iPhones durch Steve Jobs 2007 habe sich, so Markett, die Welt grundlegend verändert. Die Einführung des Smartphones stelle einen Paradigmenwechsel im Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt dar, wie sich besonders deutlich an kleinen Beispielen zeige: „Kaum ein Jugendlicher kann noch eine Karte lesen, keiner kann mehr Telefonnummern auswendig – man kann das ewig weiterspinnen. Das muss nicht zwangsläufig negativ sein. Doch klar ist: Das hat enorme Konsequenzen.“ Probleme gebe es vor allem dann, wenn Menschen die kognitive Fähigkeit verlören, sich auf eine Sache, eine Frage oder ein Problem länger einzulassen. Wirklich in ein Thema einzutauchen und die Welt um sich herum zu vergessen, sei eine wichtige Fertigkeit, die durch die Allgegenwart von Smartphones gefährdet sei.
Das eigentliche Problem, auch das betont Markett im Gespräch immer wieder, sei dabei weniger das Gerät oder die Technologie an sich, sondern einzelne Applikationen. Unter medienpädagogischer Perspektive bedeute das: „Kinder sollten lernen zu verstehen, was da passiert, und zusammen mit Erwachsenen überlegen, was genau sie daran eigentlich so toll finden und warum.“ Besonders wichtig sei eine allgemeine Computer- und Data Literacy, also das Verständnis von Algorithmen und Datenmodellen, aber auch der dahinterstehenden Wirtschaftskonzepte, etwa weshalb Dienste wie Facebook scheinbar umsonst angeboten würden.
In seiner aktuellen Forschung befasst sich Sebastian Markett jedoch weniger mit solch psychologischen Fragen, sondern vielmehr mit der intrinsischen Organisation des Gehirns. „Uns interessiert zunächst weniger die Psychologie, die das Gehirn produziert, sondern wie die neuronalen Netzwerke genetisch geformt und aktiviert werden und wie diese Netzwerke Verhalten organisieren, also miteinander interagieren.“ Das seien im Wesentlichen grundlagenwissenschaftliche Fragestellungen, bei denen es darum gehe, die „Werkseinstellung“ des Gehirns zu begreifen. In einem zweiten Schritt gehe es dann darum, die Interaktion des Gehirns mit Medien besser zu verstehen: „Die Frage dabei ist, wie sich das Gehirn über die Zeit hinweg in Abhängigkeit von der Mediennutzung entwickelt.“
Sebastian Markett (Foto: privat)
Alexander Grau (Foto: privat)