Demenz im Film. Wie das Kino vergessen lernte
Berlin/Heidelberg 2023: Springer
Rezensent/-in:
Tilmann P. Gangloff
Der Titelzusatz ist eine clevere Finte, denn das Kino vergisst natürlich nicht. Im Grunde müsste es ohnehin „das Vergessen“ heißen, denn der Sammelband befasst sich mit Filmen, die fast ein eigenes Genre bilden könnten: Seit rund 20 Jahren werden vermehrt Geschichten erzählt, deren Hauptfiguren krankheits- oder altersbedingt ihr Gedächtnis verlieren. Faszinierend ist dabei nicht zuletzt die inhaltliche Vielfalt. Drama, Komödie, Thriller: Alles ist möglich. In seinem Editorial berichtet Herausgeber Dennis Henkel (Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Uniklinik Köln) allerdings von einer ernüchternden Erfahrung: Bei einem entsprechenden Seminar an der medizinischen Fakultät blieben die Reihen leer, ganz im Gegensatz zum Vorjahr, als es um Sucht im Film ging. Die fehlende Resonanz fand er verständlicherweise frappierend, und das nicht nur, weil Demenz die Sucht als Filmthema längst verdrängt hat: Über kurz oder lang muss sich jeder Mensch damit befassen, und sei es mittelbar.
Reiz und Mehrwert des Buches resultieren aus seinem Vielfaltsanspruch. Die Autorinnen und Autoren befassen sich nicht nur mit bekannten und unbekannten Filmbeispielen aus aller Welt, sie entstammen auch selbst den unterschiedlichsten Fachgebieten, darunter Soziologie, Bioethik, Theologie, Musik- und Filmwissenschaft, Neurologie, Psychotherapie. Die gut ein Dutzend Beispiele sind zwar nicht entsprechend fachspezifisch geprägt und bieten auch keine klassische Filmkritik, aber eine fundierte Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Inhalt. Abgerundet wird die lesenswerte Aufsatzsammlung durch eine Chronik der seit 1970 entstandenen Demenzfilme.