Die Marie-Munk-Initiative: Sperren für die Freiheit

Benjamin Lück

Dr. Benjamin Lück ist Rechtsanwalt und seit Januar 2022 juristischer Projektkoordinator der Marie-Munk-Initiative.

Digitale Gewalt ist nicht nur belastend für die betroffene Person – sie ist auch eine Gefahr für unsere Demokratie. Nur wenn Menschen sich im digitalen Raum ohne Angst vor Gewalterfahrungen bewegen und ihre Meinung frei äußern können, kann Demokratie auch im Netz gelebt werden. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V. (GFF) hat im vergangenen Jahr mit der Alfred Landecker Foundation die Marie-Munk-Initiative ins Leben gerufen, um Grundrechte im digitalen Raum zu verteidigen. Ziel ist es, eine Rechtsgrundlage für gerichtlich angeordnete Account-Sperren zu entwerfen, die der Bundesregierung als Blaupause für ihren Gesetzentwurf dienen kann.

Printausgabe mediendiskurs: 26. Jg., 4/2022 (Ausgabe 102), S. 76-77

Vollständiger Beitrag als:

Ende August hat die Bundesregierung ihre Digitalstrategie beschlossen. Sie sieht vor, bis 2025 ein Gesetz gegen digitale Gewalt auf den Weg zu bringen und das entsprechende Engagement zivilgesellschaftlicher Träger zu stärken. Damit will sie Betroffene wirksam dabei unterstützen, sich gegen digitale Gewalt zu wehren. Die Strategie bekräftigt das bereits im Koalitionsvertrag gesetzte Ziel, zum Schutz vor digitaler Gewalt richterlich angeordnete Account-Sperren zu ermöglichen. Seit dem letzten Jahr arbeiten GFF-Expert*innen deshalb im Rahmen der Marie-Munk-Initiative an einem Entwurf für ein digitales Gewaltschutzgesetz.
 

Studien zeigen dringendes Bedürfnis nach effektiven Maßnahmen

Wie dringlich das Thema „digitaler Gewaltschutz“ ist, zeigt eine von der GFF in Auftrag gegebene Studie. Von den insgesamt 1.000 repräsentativ ausgewählten Befragten geben 67 % an, im Netz Hass und Hetze erlebt zu haben. Jede*r Fünfte berichtet, in der Vergangenheit im Internet beleidigt worden zu sein. Bei jungen Frauen war sogar jede vierte betroffen und jede dritte befürchtet konkret, dass intime Fotos von ihr im Netz veröffentlicht werden könnten.

Ein Großteil der digitalen Gewalt spielt sich auf Social-Media-Plattformen ab, die mit dem Versprechen angetreten waren, ein Ort für alle zu sein. Dieses Versprechen klingt zunehmend hohl: Immer mehr Nutzer*innen ziehen sich aus den Onlinedebattenräumen zurück oder werden regelrecht zum Schweigen gebracht. Nach einer Studie des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft bekennen sich mehr als 50 % der befragten Internetnutzer*innen seltener zu ihrer politischen Meinung, 47 % bestätigen, dass sie sich wegen Hassrede weniger zu Wort melden.

Der Bedarf an effektiven Strategien ist daher offensichtlich. Bislang konzentrieren sich die staatlichen Maßnahmen insbesondere auf zwei Bereiche: Das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) und jüngst auf EU-Ebene der Digital Services Act (DSA) setzen dabei an, die Plattformen selbst zu regulieren, indem sie diesen – mit überschaubarem Erfolg – Lösch- oder Meldepflichten auferlegen. So sieht das NetzDG bislang vor, dass Plattformen auf die Beschwerde von Nutzer*innen hin offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden entfernen müssen. Der DSA sieht zwar vor, dass Plattformen ein Beschwerdemanagement einführen müssen, hat diese starre Löschpflicht aber nicht übernommen. Über die Durchsetzung dieser Pflichten wachen staatliche Behörden bzw. die EU-Kommission sowie zukünftig auch zivilgesellschaftliche klagebefugte Organisationen. In Deutschland soll außerdem die Strafverfolgung im Netz durch Polizei und Staatsanwaltschaft intensiviert werden. Wie wenig Erfolg dieser Ansatz verspricht, zeigen die jüngsten Recherchen des Satirikers und Entertainers Jan Böhmermann. Trotz eindeutig strafbarer Sachverhalte hatten Polizeibehörden Anzeigen, die sein Team in allen 16 Bundesländern jeweils in Polizeidienststellen vor Ort und zusätzlich, wo möglich, in Onlinewachen gestellt hatte, z. T. nicht einmal angenommen.

Aus Sicht der GFF geht der Ansatz der Strafverfolgung außerdem am Ziel vorbei: Sie sorgt nicht dafür, dass rechtswidrige Inhalte schnell entfernt werden. Laufende und zukünftige Angriffe durch digitale Gewalt unterbindet Strafverfolgung nicht effektiv. Der Staat sollte vielmehr die Betroffenen selbst ermächtigen, mit den Mitteln des Rechtsstaates nicht nur gegen einzelne Inhalte vorgehen zu können, sondern gegen ganze – auch anonyme – Accounts.
 

Befragte wünschen sich Selbstermächtigung der Betroffenen

Zwar löschen Plattformen Inhalte und sperren Accounts. Sie wenden gerade dieses Mittel aber inkonsequent und oft ohne Beachtung rechtsstaatlicher Vorgaben an. Das führt mitunter zu absurden Ergebnissen, wenn sie etwa Accounts von Opfern digitaler Gewalt sperren oder von NGOs, die sich kritisch mit der Rolle einer Social-Media-Plattform auseinandersetzen. So musste sich z. B. die NGO Goliathwatch, unterstützt von der GFF, gerichtlich gegen eine Sperre ihres Accounts durch Facebook wehren – mit Erfolg.

Die Befragten unserer Studie wünschen sich eindeutig eine Verlagerung der Verantwortlichkeit: Eine Mehrheit befürwortet, dass auf Antrag der Betroffenen Gerichte über die Sperrung von Accounts entscheiden. Der Gesetzentwurf der Marie-Munk-Initiative konzentriert sich darauf, genau dies zu ermöglichen. Die Idee selbst geht u. a. auf einen Vorschlag von Dr. Ulf Buermeyer zurück, der auf zehn Jahre Erfahrung als Richter am Landgericht Berlin zurückblickt und derzeit Vorsitzender der GFF ist.
 

Mit Account-Sperren für die Rechte Betroffener

Konkret sollten Betroffene sowie Betroffenen- und Beratungsorganisationen entsprechende Gewaltschutzanträge bei Gericht stellen können. Der Ansatz, zivilgesellschaftliche Organisationen einzubeziehen, nimmt die emotionale und finanzielle Last von einzelnen Betroffenen. Gleichzeitig ermöglicht er, Formen strafbarer digitaler Gewalt wie etwa Volksverhetzung zu adressieren, die den Kommunikationsraum vergiften, aber keine individuelle Person betreffen. Da Account-Sperren in hohem Maße grundrechtssensibel sind, sollen Richter*innen sie nur aussprechen, wenn sie im Einzelfall verhältnismäßig sind.

Schließlich sollte das digitale Gewaltschutzgesetz die praktische Rechtsdurchsetzung verbessern, um den selbst gesteckten Zielen der Bundesregierung gerecht zu werden. Es bedarf eines geeigneten, schnellen Verfahrens, um Account-Sperren gegenüber den Plattformen durchzusetzen. Auf die Person hinter den Accounts kommt es daher nicht an.

Ein solches Verfahren kann zu zielgerichteten und rechtsstaatlich abgesicherten Sperren einzelner Accounts führen und gleichzeitig Ausgangspunkt für weitere Maßnahmen sein. Auf dass Betroffene so zügig wie möglich ein schnelles und wirksames Mittel gegen digitale Gewalt an die Hand bekommen.