Die Regierung der Serie

Poetologie televisueller Gouvernementalität der Gegenwart

Dominik Maeder

Bielefeld 2021: transcript
Rezensent/-in: Lothar Mikos

Buchbesprechung

Printausgabe mediendiskurs: 26. Jg., 4/2022 (Ausgabe 102), S. 83-84

Vollständiger Beitrag als:

Regierung der Serie

Der Bonner Medienwissenschaftler Dominik Maeder denkt in seiner Dissertation Fernsehen und Serie zusammen. Er löst das Prinzip des Seriellen nicht von den Eigenschaften des Fernsehens. Serie und Medium können nicht voneinander getrennt werden: „Serien machen (Massen-)Medien. Denn erst durch populäre Serien werden Massenpublika auf Dauer an Medien gebunden und so als verlässliche, kalkulierbare, kulturindustrielle Größe erzeugt. Serien sind so von medienhistorisch überragender Bedeutung für die Durchsetzung und Stabilisierung von (Massen-)Medien überhaupt“ (S. 13). Sie greifen die Logiken des Fernsehens und des Streamings auf und entwickeln so „Steuerungslogiken“ (S. 32), um den medialen Wandel nicht nur zu thematisieren, sondern „sie sind dieser Wandel“ (ebd., H. i. O.).

Für Maeder geht es darum, die Regierung der Serie nicht über die Inhalte zu definieren, sondern über eine ästhetische Dimension, „über die Latenz, mit der televisuelle Produktions- und Darstellungsbedingungen – also etwa Produktionstechnologien, deren praktische Indienststellung, monetäre wie kulturelle Ökonomien von Kapital und Arbeit auf Mikro- wie Makroebene, rechtliche Rahmungen, Darstellungskonventionen, diskursive Problematisierungen, Theoriebildungen über Medien, die innerhalb der Medienindustrien stattfinden, tradierte wie antizipierte Rezeptionsformen usw. – jegliche Manifestation notwendigerweise und vollständig durchdringen“ (S. 81 f.).

Wenn Maeder schreibt, dass die staffelbasierten Serien den Medienwandel adaptieren, bleibt unberücksichtigt, dass derartige Serien eine lange Tradition im Fernsehen haben, die bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts zurückreicht. Allerdings trifft auf die aktuelle Situation in der Streaminglandschaft zu, dass diese staffelbasierten Serien gewissermaßen als Ultima Ratio der Serienproduktion – und des Reality-TV – gelten. Diese Entwicklung „verdankt sich ihrer (der Serien, Anm. d. Red.) formalen Passung an ein Regime flexiblen, individuellen Zugriffs auf distinkte Objekte, die nicht nur stetigen Anlass zur Folgekommunikation bieten, sondern auf ihre soziomediale Mitverfertigung immer schon abgestellt sind“ (S. 112). Daher ist die Serie nach Ansicht des Autors „privilegierter Schauplatz einer Poetologie neoliberaler Gouvernementalität“ (S. 114).

Im Folgenden unterscheidet Maeder zwischen pathologischer und therapeutischer Serialität, setzt sich mit dem Suchtpotenzial von Serien auseinander, um schließlich Phantasmatiken des Regierens in Serien zu diskutieren. So kommt er anhand von Germany’s Next Topmodel zu dem Schluss: „Im Modelkörper verdichtet sich somit eine Phantasmatik serieller Steuerung überhaupt: Der vermeintliche Gegensatz von Wiederholung und Transformation hebt sich durch die konstitutive Serialität des Modelkörpers als Medium auf; denn dieser Körper existierte per se als Vielheit, im Plural, als Serie und bringt sich damit als Körper auch zum Verschwinden. In dieser Transsubstantiation wandelt sich schließlich die Materialität des Körpers zur Immaterialität des Werts, den Model und Ding sich wechselseitig verleihen und dadurch auch allererst schöpfen: Es ist diese Aura des Seriellen, die sich auf die seriellen Objekte des Warenkonsums überträgt“ (S. 253 f., H. i. O.). So weit, so gut. Die staffelbasierten Serien des Reality-TV basieren auf der Wiederholung des immer Gleichen, in der die Individualität der Kandidat*innen verschwindet.

In seiner Auseinandersetzung mit „geströmten“ Serien auf den Streamingplattformen kommt Maeder zu dem Schluss: „Die derart geströmte Serialität nähert sich als intime Serialität alltäglichen Zeitvertreibs dem Televisuellen hinlänglich an, bringt aber Poetiken der Nicht-Steuerung hervor, die über Mikro-Ökonomien der Rezeptionsverrechnung mit einer seriellen Häufungswirtschaft verschaltet werden, die genuin digital zu nennen ist“ (S. 297).

Diese letzte Einlassung Maeders stellt noch einmal mehr als deutlich heraus, was sich bei der Lektüre des Buches immer wieder zeigt: Ist das Ironie? Bei einer Dissertation sollte man eher nicht davon ausgehen. Es offenbart sich eher, dass die geisteswissenschaftliche Intellektualisierung populärer Medienphänomene wie Serien sich weit von der Praxis von Serienproduzent*innen und -rezipient*innen entfernt hat.

Die wichtigen Erkenntnisse des etwas chaotischen Buches ließen sich auch auf wenigen Seiten darstellen. Oder um es im Maeder’schen Duktus zu schreiben: Der Autor hat sich beim Verfassen seiner Dissertation den Steuerungspoetiken eines geisteswissenschaftlichen Wissenschaftsbetriebs angepasst und ist selbst Ausdruck derselben geworden.

Prof. i. R. Dr. Lothar Mikos