Diskussion um Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel

Dass Kinder in Deutschland zu viele ungesunde Süßigkeiten essen, ist unbestritten. Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, will deshalb die Werbung für solche Lebensmittel einschränken. Umstritten ist aber, ob damit auch der Verzehr eingeschränkt wird.

Online seit 17.03.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/diskussion-um-werbeverbot-fuer-ungesunde-lebensmittel-beitrag-1122/

 

 

Dass Kinder in Deutschland im Durchschnitt zu viel wiegen, hängt mit mangelnder Bewegung, zu viel Mediennutzung, aber auch mit dem Verzehr der falschen Lebensmittel zusammen und ist seit Jahren bekannt. Auch die Mahnungen von Ernährungs- und Kinderschutzorganisationen wie foodwatch oder dem Deutschen Kinderhilfswerk, etwas dagegen zu tun, sind nicht neu. „Gut 15 Prozent der Drei- bis 17-Jährigen in Deutschland sind laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts aus dem Jahr 2018 übergewichtig, fast sechs Prozent gelten als adipös. Mögliche Folgen sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Gelenkbeschwerden und Depressionen. Hinzu kommt laut Bundesgesundheitsministerium, dass in der Kindheit entwickeltes Übergewicht oft ein Leben lang beibehalten wird.“ (dpa et.al 2023)
 

Özdemir kündigt Werbebeschränkungen an

Das Problem ist also klar. Inwieweit aber der Faktor „Werbung“ als Motivation für den Konsum ungesunder, aber für viele Menschen geschmacklich attraktiver Lebensmittel verantwortlich ist, ist bisher nicht untersucht und wird kontrovers diskutiert. Ein erster symbolischer Schritt scheint aber notwendig zu sein, um überhaupt etwas zu unternehmen. Deshalb soll jetzt gehandelt werden.

Werbung für ungesunde Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt, so das Ziel einer breiten Initiative, soll in der Zeit zwischen 6.00 und 23.00 Uhr nicht mehr zulässig sein. Außerdem wird ein Verbot von Werbeplakaten im Umkreis von 100 Metern an Orten gefordert, an denen sich Kinder regelmäßig aufhalten: Schulen, Kindertagesstätten, Spielplätze. Als Kriterien für die betroffenen Lebensmittel sollen die Nährwertprofile der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dienen.

Die Werbewirtschaft reagierte noch im November gelassen: „Die Spitzenverbände der werbenden Wirtschaft lehnen einen derart drastischen Eingriff in die Kommunikationswege der Unternehmen zu ihren Kunden ab. Die geforderten Eingriffe sind absolut unverhältnismäßig und zudem nicht geeignet, Übergewicht bei Kindern zu verhindern, sie schneiden die Konsumentinnen und Konsumenten von Informationen ab und schaden zudem der Wirtschaft und der Medienfinanzierung.“ (Bialek 2022)

Doch nun hat der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir (Die Grünen) ein entsprechendes Werbeverbot angekündigt. Auf einer Pressekonferenz am 27. Februar 2023 erklärte er die freiwillige Selbstkontrolle der Werbewirtschaft für nachweislich „gescheitert“. 92 % der Werbung, die Kinder wahrnehmen, drehe sich um ungesunde Lebensmittel wie Snacks und Süßigkeiten. „Wir müssen dafür sorgen, dass Kinder gesund aufwachsen“, so Özdemir, das sei auch im Koalitionsvertrag vereinbart. (Bialek 2023)
 

Werbewirtschaft und Sender warnen vor finanziellen Folgen

Während die Initiatoren der Werbebeschränkung jubeln, prophezeit die Werbewirtschaft Milliardenverluste und einen großen Imageschaden. Christian Stenzel, geschäftsführender Gesellschafter der Agentur Storymachine New Classic, erklärt im Interview: „Das Ziel des Ernährungsministers ist absolut richtig, nur der Weg überzeugt mich nicht. Die Ursache für übergewichtige Kinder liegt nicht primär in ihrem Medien- und Werbekonsum, sondern vor allem darin, dass der Sportunterricht regelmäßig ausfällt und sie zu Corona-Zeiten zwei Jahre lang nicht auf den Spielplatz und in den Kindergarten zum Toben durften. Nicht zu vergessen: Die Ernährung in vielen Schulen ist eine einzige Katastrophe. Wenn die Kinder ein ausgewogenes Schulessen bekämen, würden sie nachmittags nicht hungrig nach Hause gehen und sich sofort mit Chips und Schokoriegeln vollstopfen. Da würde ich als Ernährungsminister zuerst ansetzen.“ (Stenzel/Bialek 2023)
 

Werbeschränkungen trotz Widerstand?

Trotz aller Widerstände will Özdemir am Werbeverbot festhalten. In einem Interview mit Michael Bröcker (The Pioneer) schildert er, wie seine eigenen Kinder damit umgehen:

Meine Tochter ist 17, die hat das ganz gut im Griff, sich ausgewogen zu ernähren, achtet da auch ein bisschen darauf, ja, Süßes gehört auch dazu, aber es ist nicht die Grundnahrung. Mein Sohn, obwohl er viel Sport macht, ist etwas gefährdeter, wenn eben die Menge da ist, dann hat er erstaunliche Kapazitäten, sie auch wegzuessen.”

Insgesamt ist Özdemir aber der Meinung, dass Kinder unter 14 Jahren angesichts der Attraktivität von Süßigkeiten oder Chips nicht in der Lage sind, darauf zu verzichten. Er verweist auf entsprechende Forderungen von Krankenkassen, Zahnärzten, Kinderärzten, der Adipositasgesellschaft, der Diabetesgesellschaft oder von Elternvertretungen und Apothekern, die alle hinter einem entsprechenden Werbeverbot stehen. (Bröcker im Gespräch mit Özdemir 2023) Interessant wäre die Frage: Ist der Sohn anfälliger für Süßigkeiten, weil er mehr Werbung schaut als seine Schwester?

Der Verband Privater Medien, VAUNET, mahnt zur Vorsicht und weist darauf hin, dass ein zu weitgehendes Werbeverbot den Wettbewerb und die Medienvielfalt einschränken würde, das journalistische Angebot der privaten Sender würde unter sinkenden Einnahmen leiden. Der Vorstandsvorsitzende des Verbandes, Claus Grewenig, fordert: „Verantwortungsvolles politisches Handeln zeigt sich immer im Konkreten. Die Forderung nach unabhängigen journalistischen Angeboten und mehr Investitionen in hochwertige Inhalte kann nicht losgelöst von den finanziellen Rahmenbedingungen betrachtet werden, die die Politik aktiv setzt. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten sind mögliche negative Auswirkungen von Werbeverboten besonders problematisch.“ Darüber hinaus stellt der Verband auch die Wirksamkeit einer solchen Maßnahme in Frage: „Der VAUNET weist darauf hin, dass auch wenn eine weitreichende Werbebeschränkung öffentlichkeitswirksam sein mag, wissenschaftliche Fakten nicht ausgeblendet werden dürfen. Bislang gibt es keine Studien, die eine Wirksamkeit von Werbeverboten auf die Reduzierung von Übergewicht belegen“. (VAUNET-Pressemitteilung vom 10.03.2023)

Auch politisch ist das Vorhaben umstritten. So zeichnet sich ein Koalitionsstreit über den Gesetzentwurf ab.

Pauschale Werbeverbote, die Kinder regelrecht abschotten sollen, gehen an den eigentlichen Kernproblemen ungesunder Ernährung vorbei und sind allenfalls die zweitbeste Lösung. Für eine solche Politik gibt es keine Mehrheit“,

sagte die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Carina Konrad der „WELT“. Sie forderte stattdessen mehr Ernährungscoaches an Schulen, Seminare zur Medienkompetenz für Kinder und Eltern sowie mehr Engagement von Herstellern und Supermärkten“. (Kapalschinski 2023) Andere fordern, die Mehrwertsteuer für gesunde Lebensmittel wie Obst zu streichen, um sie attraktiver zu machen.

Quellen:

Bialek, C.: Werbeverbände reagieren gelassen auf Verbots-Initiative, In: Horizont, 07.11.2022, Abrufbar unter: www.horizont.net

Bialek, C.: Konsequenter Werbestopp für ungesunde Lebensmittel soll kommen, In: Horizont, 27.02.2023, Abrufbar unter: www.horizint.net

Bialek, C. im Gespräch mit Stenzel, C.: „Es drohen Milliarden-Verluste und Image-Bankrott“, In: Horizont, 28.02.2023, Abrufbar unter: www.horizont.net

Bröker, M. im Gespräch mit Özdemir, C.: Ernährungsminister Cem Özdemir über Süßigkeiten und Verbote, In: The Pioneer, 07.03.2023, Abrufbar unter: www.thepioneer.de

dpa, kna, Panajotis Gavrilis, Volker Mrasek, WHO, RKI, ikl: Ernährung von Kindern - Was für und gegen ein Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel spricht, In: Deutschlandfunk, 28.02.2023, Abrufbar unter: www.deutschlandfunk.de

Kapalschinski, C.: Werbeverbot für Süßes und Fettes? FDP rügt Özdemirs Plan als „weltfremd“, In: Die Welt, 27.02.2023, Abrufbar unter: www.welt.de

VAUNET-Pressemitteilung vom 10.03.2023: Weitgehendes Verbot für Lebensmittelwerbung verhindert Wettbewerb und mindert Medienvielfalt. Abrufbar unter: vau.net