Drogenverharmlosende und -verherrlichende Clips in sozialen Netzwerken
Die KJM geht jetzt dagegen vor
Der Drogenkonsum in Deutschland stellt ein ernstes Problem dar. 2021 ist in Deutschland mit 1826 Todesfällen durch Drogen der Höchststand seit 20 Jahren erreicht. Das Deutsche Ärzteblatt berichtet über eine Studie, die den Drogenkonsum näher untersuchte: “Alkohol wurde mit einer 30-Tages-Prävalenz von 70,5 % (36,1 Millionen) am häufigsten von den Befragten konsumiert, gefolgt von Nichtopioid-Analgetika (47,4 %; 24,2 Millionen) und konventionellen Tabakprodukten (22,7 %; 11,6 Millionen). E-Zigaretten wurden von 4,3 % (2,2 Millionen) und Tabakerhitzer von 1,3 % (665.000) gebraucht. Unter den illegalen Drogen (12-Monats-Prävalenz) wurde Cannabis (8,8 %; 4,5 Millionen) am häufigsten konsumiert, gefolgt von Kokain/Crack (1,6 %; 818.000) und Amphetamin (1,4 %; 716.000). Ein problematischer Konsum lag für Alkohol bei 17,6 % (9,0 Millionen), für Tabak bei 7,8 % (4,0 Millionen), für psychoaktive Medikamente bei 5,7 % (2,9 Millionen) und für Cannabis bei 2,5 % (1,3 Millionen) der Studienteilnehmerinnen und ‑teilnehmer vor.“ (Rauschert et al. 2022)
Die gesundheitlichen Folgen für die Betroffenen so wie die finanziellen Aufwendungen des Gesundheitssystems sind beträchtlich: „Der Konsum psychoaktiver Substanzen ist einer der Hauptrisikofaktoren für globale Krankheitslast und vorzeitige Sterblichkeit. Im Jahr 2019 war Tabakkonsum weltweit für etwa 229 Millionen durch Krankheit und Behinderung verlorene Lebensjahre („disability adjusted life years“, DALY) und für 8,71 Millionen Todesfälle verantwortlich. Auf den Konsum von Alkohol waren 2,44 Millionen und auf den Konsum von illegalen Drogen 494.000 Todesfälle ursächlich zurückzuführen. Ausgehend von der Gesamtzahl aller jährlichen Todesfälle (56,53 Millionen) entfällt somit ein Fünftel (11,64 Millionen) auf den Konsum psychoaktiver Substanzen. Deutschland zählt trotz eines seit den 1990er-Jahren zu beobachtenden Rückgangs des Alkoholkonsums weltweit zu den zehn Ländern mit dem höchsten Pro-Kopf-Konsum. Auch der Raucheranteil lag im Jahre 2019 trotz eines rückläufigen Trends über dem westeuropäischen Durchschnitt.“ (Ebd.)
Der hohe Konsum von Cannabis und die Tatsache, dass dieser trotz der bisherigen Verbote fast zur Normalität geworden ist, hat dazu geführt, dass gegenwärtig über eine Legalisierung des Cannabiskonsums diskutiert wird – allerdings beträfe die Liberalisierung Personen über 18 Jahre. Auch bei Jugendlichen ist der Cannabiskonsum äußerst verbreitet: „Im Jahr 2021 gab jeder elfte 12- bis 17‑jährige Jugendliche (9,3 %) an, schon einmal im Leben Cannabis konsumiert zu haben. Bei jedem dreizehnten Jugendlichen (7,6 %) lag der letzte Konsum nicht länger als zwölf Monate zurück. 3,5 % aller Jugendlichen hatten in den letzten 30 Tagen vor der Befragung Cannabis konsumiert. Der Anteil der Jugendlichen mit regelmäßigem Cannabiskonsum, das heißt mehr als zehnmal in den letzten zwölf Monaten, betrug 1,6 %.“ (Orth/Merkel 2022)
Der Konsum hat sich in den letzten zehn Jahren erhöht: „Der Anteil 12- bis 17‑jähriger Jugendlicher, die mindestens einmal in ihrem Leben Cannabis konsumiert hatten, erhöhte sich im Vergleich zu 2011. Dennoch lag er im Jahr 2021 unter dem Niveau von 2004. Auch die 12-Monats-Prävalenz des Cannabiskonsums erhöhte sich bei männlichen und weiblichen Jugendlichen im Vergleich zu 2011. Bei männlichen Jugendlichen bewegte sie sich ab 2014 in einem Bereich von acht bis elf Prozent, bei weiblichen Jugendlichen in einem Bereich von fünf bis sieben Prozent. […] Der Anteil der 18- bis 25‑jährigen jungen Erwachsenen, die den Konsum von Cannabis zumindest einmal ausprobiert hatten, erhöhte sich von 2015 bis 2021 deutlich. Im Jahr 2021 verfügte die Hälfte aller jungen Erwachsenen über eigene Erfahrung mit Cannabiskonsum. Auch die 12-Monats- und die 30-Tage-Prävalenzen sowie der regelmäßige Cannabiskonsum junger Männer und Frauen stiegen deutlich an.“ (Ebd. 2022)
Noch höher liegt der Cannabiskonsum bei den jungen Erwachsenen: „In 2021 verfügte die Hälfte aller jungen Erwachsenen über eigene Erfahrung mit Cannabiskonsum. Auch die 12-Monats- und die 30-Tage-Prävalenzen sowie der regelmäßige Cannabiskonsum junger Männer und Frauen stiegen deutlich an.“ (Ebd.) Fragt man nach den Motiven des Cannabiskonsums bei jungen Menschen, so ist Neugierde ein starkes Motiv, ebenso der Wunsch nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Aber auch grenzüberschreitende Erfahrungen, ein Austesten des Verbotenen, sind für viele Jugendliche in der Pubertät ein Anreiz. Vielen geht es zudem einfach nur darum, Spaß zu haben und mit anderen gemeinsam eine möglichst „gute Zeit“ zu verbringen (hedonistische Motive).“ (BzgA o. J.) Das Suchtrisiko ist dann besonders hoch, wenn der Konsument die Droge einsetzt, um bei Stress zu entspannen oder negative Gefühle zu verdrängen. Hier setzt ein Lerneffekt ein, der immer dann, wenn solche Situationen auftreten, das Bedürfnis nach der Droge triggert.
KJM untersucht Clips mit verharmlosendem Drogenkonsum
Jugendliche sind in der Phase ihrer Identitätssuche, und dabei spielen Personen, die attraktiv wirken, als Vorbild eine große Rolle. In Medien auftretende, attraktive, Drogen konsumierende Personen können daher ein Motiv darstellen, Drogen ebenfalls zu konsumieren. Und das vor allem dann, wenn der Konsum normal erscheint und vermittelt, er würde zu einer Verbesserung der Stimmung führen und könne jederzeit beendet werden. In sozialen Medien, vor allem bei TikTok, kommen solche werbewirksamen Clips offenbar in vielen Fällen vor, so eine Studie der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM): „Junge Musiker*innen besingen in ihren Musikvideos ihre Drogenexzesse und bebildern das mit entsprechendem Partyambiente. Joints werden gedreht, an Bongs gezogen und codeinhaltiger Hustensaft mit Sprite gemixt. Bei Instagram, TikTok und YouTube beschreiben Influencer*innen mit großer Reichweite, welche Drogen am besten wirken oder teilen ‚den Trip ihres Lebens‘“. (KJM 2023)
Mitarbeiter*innen der Landesmedienanstalten überprüften 160 einschlägige Angebote von bei Jugendlichen besonders beliebten Influencer*innen bei YouTube, TikTok und Instagram nach Jugendschutzkriterien: „In den auffälligen Angeboten wurde insbesondere Alkohol thematisiert (39 Fälle). Das Thema Cannabis folgte an zweiter Stelle mit 16 Fällen. Bei sieben weiteren Angeboten standen sowohl Alkohol als auch Cannabis im Mittelpunkt. Die übrigen (33) befassten sich mit anderen Suchtmitteln wie MDMA (Ecstasy), Halluzinogenen (z. B. LSD, Pilze) oder Opiaten (z. B. Codein) bzw. Mischformen. – An der Spitze mit den meisten mutmaßlichen Verstößen lag Instagram, gefolgt von YouTube und TikTok. Der Großteil der vermuteten Verstöße liegt im Bereich der Entwicklungsbeeinträchtigung, in neun Fällen liegt ein Anfangsverdacht auf eine offensichtlich schwere Jugendgefährdung vor. Darüber hinaus fand sich in einigen Angeboten ein Anfangsverdacht auf Verstöße gegen die Bestimmungen zum Jugendschutz in der Werbung.“ (KJM 2023). Die Aktivitäten der KJM werden vom Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Burkhard Blienert, unterstützt. (vgl. Blienert et al. 2023)
Inzwischen haben die Landesmedienanstalten erste Verfahren bezüglich der Verdachtsfälle eingeleitet. Clips, bei denen die Anbieter unbekannt sind, wurden den Plattformen gemeldet. Laut Pressemitteilung der KJM seien die Anbieter bereit, ihre Plattformen gesetzeskonform zu gestalten. Meta hat bereits betroffene Angebote gesperrt, ebenso TikTok. Bei YouTube wurden zahlreiche Videos in den 18er‑Bereich verschoben oder sie wurden mit einer Sperre belegt und sind für deutsche Nutzer nicht mehr verfügbar.
Quellen:
Blienert, B. et al.:Drogenverherrlichung in Social Media: Burkhard Blienert und Dr. Marc Jan Eumann (KJM) im Interview. In:Die Medienanstalten, 24.04.2023. Abrufbar unter: www.youtube.com
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung:Warum kiffen Jugendliche?. In: Cannabisprävention, o. J. Abrufbar unter: www.cannabispraevention.de
KJM:Drogenverherrlichung bei TikTok & Co. weit verbreitet. Angebote dürften laut Gesetz nicht frei zugänglich für Minderjährige sein. Pressemeldung vom 24.04.2023. Abrufbar unter: www.kjm-online.de
Orth, B./Merkel, C. (2022):Der Substanzkonsum Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland. Ergebnisse des Alkoholsurveys 2021 zu Alkohol, Rauchen, Cannabis und Trends. BZgA-Forschungsbericht. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, als PDF herunterzuladen unter: https://doi.org/10.17623/BZGA:Q3-ALKSY21-DE-1.0,
Rauschert, C./Möckl, J./Seitz, N.-N./Wilms, N./Olderbak, S./Kraus, L.:Konsum psychoaktiver Substanzen in Deutschland - Ergebnisse des Epidemiologischen Suchtsurvey 2021In: Deutsches Ärzteblatt 31-31/2022, 08.08. 2022. Abrufbar unter: www.aerzteblatt.de