Ein persönliches Schicksal mit universellem Charakter

Barbara Felsmann im Gespräch mit Katharina Pethke, Christoph Rohrscheidt, Elsa

Das Konzept für den Dokumentarfilm Dazwischen Elsa wurde 2018 im Rahmen des Stipendia­tenprogramms doku.klasse mit Jugendlichen diskutiert (siehe Bericht im FSF-Blog). Ein Jahr später erhielt der realisierte Film beim Duisburger doxs!-Festival eine lobende Erwähnung. Barbara Felsmann sprach mit dem Filmemacher-Duo Katharina Pethke und Christoph Rohrscheidt sowie der Protagonistin Elsa über den Entstehungsprozess des Films.

Online seit 19.12.2019: https://mediendiskurs.online/beitrag/ein-persoenliches-schicksal-mit-universellem-charakter/

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Wie habt ihr euch kennengelernt?

Christoph Rohrscheidt: Katharina und ich sind als freischaffende Filmemacher viel unterwegs, haben aber Zwillinge im Alter von drei Jahren. Die sind natürlich sehr zeitintensiv. Damit wir unserer Arbeit nachgehen können, vergeben wir ein Zimmer unserer Wohnung unentgeltlich an eine Person, die dafür 30 Stunden im Monat auf unsere Kinder aufpasst. Auf unsere Anzeige hat Elsa geantwortet, und es hat sofort klick gemacht. Da stand natürlich noch kein Film im Raum.

Katharina Pethke: Wir hatten gleich das Gefühl, dass wir zum einen Elsa unsere Kinder anvertrauen und zum anderen auch zusammen leben könnten, zwar zeitlich begrenzt, aber in einer gemeinsamen Wohnung.        
Damals waren Elsa und ihr Freund Timon getrennt. Timon hatte Wohnung und Job gekündigt und beschlossen, nach Fuerteventura auszuwandern. Und hat zu Elsa gesagt: Ich möchte, dass du mitkommst! Da dachte ich: Wie geht das wohl weiter? Das ist ja total spannend, darüber möchte ich einen Film drehen.
 

Der Film beginnt an der Stelle, als Timon die Sachen packt. Es ist aber nicht klar, dass ihr bereits getrennt seid.

Elsa: Das waren wir auch nicht mehr. Es war ein Lösungsansatz von Timon zu sagen, wir gehen weg und versuchen es nochmal komplett neu. Und ich habe mich dazu überreden lassen. Also am Anfang des Films waren wir noch zusammen.
 

Warum habt ihr das nicht miterzählt?

K. P.: Das ist eine Schnittentscheidung. Es gab einige Schnittentscheidungen. Zum Beispiel erzählen wir im Film auch nicht, dass Elsa in dieser Zeit bei uns gewohnt hat. Wir wollten ja keine Geschichte von einem Paar erzählen, sondern die Geschichte von Elsa, von Elsas Widerspruch und Entscheidung. Deshalb haben wir das an den Anfang gestellt: Da gibt es diese Beziehung und da gibt es einen Freund, der auf sie wartet. Ob sie vorher zusammen waren oder nicht, das war für den Film – unserer Meinung nach – nicht so wichtig.
 

Elsa, wie war es für dich, dass über dich und mit dir ein Film gemacht werden sollte?

E.: Es war irgendwie merkwürdig, weil ich dachte: Krass, das passiert mir, und jetzt soll ein Film über mich und mein Leben gedreht werden. Das ist ja total persönlich, weil man niemanden spielt.
 

Stand von Anfang an fest, dass es um eine junge Frau gehen sollte, die nach dem Abitur auf der Suche nach ihren Zukunftswegen ist?

K. P.: Bevor wir an den Film gingen, haben wir abends oft zusammen gesessen und mit Elsa über ihre Situation gesprochen, mit der ich mich sehr gut identifizieren konnte. Ich hatte es damals selber als drückend wahrgenommen, aus der Schule entlassen zu sein, kurz vor dem Eintritt in diese Gesellschaft zu stehen und mit dieser Entscheidung derart überfordert zu sein, dass ich daran regelrecht verzweifelt bin. Diese Zeit war furchtbar, aber auch besonders. Für mich ist das genau das Alter, in dem man in der Lage ist, eine Revolution zu starten. Noch nicht Teil dieser Gesellschaft zu sein, sondern so ungebunden und so frei denkend sein zu dürfen, um zu sagen: Ich mach hier nicht mit, ich will nicht Teil eures Systems sein. Als für Elsa die Entscheidung anstand, ob sie ihrem Freund nach Fuerteventura folgen oder machen sollte, was ihre Eltern von ihr erwarteten, oder etwas ganz Eigenes zu finden, war dies der Augenblick für mich, das alles auch filmisch zu denken.
 

Ihr habt ja dann 2018 das Projekt im Rahmen der doku.klasse vorgestellt.

K. P.: Die Erfahrung mit der doku.klasse war unglaublich gut. Wir konnten unsere Intentionen mit dem abgleichen, was Leute in Elsas Alter über diese Fragen dachten, was sie spannend fanden und wo sie Gefahren sahen, dass Elsa falsch verstanden werden könnte. Man kann sagen: Elsas Problem ist ein Luxusproblem. Aber wir finden, dass es eben kein Luxusproblem ist. Es ist ein reales Problem, dem viele junge Menschen in unserer westlichen Industrienation gegenüberstehen. Nämlich, mit all den Möglichkeiten überfordert zu sein, vor allem mit dem Dogma der Selbstverwirklichung. Mit der doku.klasse gab es dann so eine richtungsweisende Diskussion, aus der ich sehr klar herausgegangen und darin bestärkt worden bin, dass es wichtig ist, diesen Zustand filmisch darzustellen.
 

Elsa, was meinst du, ist deine Suche, deine Ohnmacht ein Wohlstandsproblem oder hat sie gesellschaftliche Brisanz?

E.: Natürlich ist es ein Problem, das es in anderen Ländern so gar nicht geben kann. Aber trotzdem sollte man es nicht kleinreden, es geht ja super vielen Menschen so. Und ich bin ja ein Mensch, bin echt und habe dieses Problem. Und ich finde, sobald ein Problem da ist, sollte es ernst genommen werden.

K. P.: Es geht hier zwar nicht um eine lebensbedrohliche Situation, aber es geht in meiner Wahrnehmung schon um etwas ganz Existenzielles. Nämlich um die Fragen: Wer will ich sein und wer soll ich sein, was wird von mir erwartet, wo steh ich – so kurz vor dem Eintritt in diese Gesellschaft, die mir unter Umständen so nicht gefällt.  
Ein Teil der Anfang Zwanzigjährigen von der doku.klasse hat übrigens von sich aus von genau diesem Zustand berichtet und starke Emotionen damit verbunden und sich plötzlich gehört gefühlt. Dann gab es natürlich auch jemanden, der schon sehr zielstrebig sein BWL-Studium angefangen hatte und sagte, man müsse aktiv werden, eben einfach etwas anfangen.
 

Danach habt ihr angefangen zu drehen und dein Leben begann nun vor der Kamera?

E.: Ich wusste relativ genau, was wir machten. Das gab mir Sicherheit und auch Vertrauen. Katharina und Christoph hatten gesagt, dass sie nichts in den Film nehmen würden, was ich nicht möchte. So konnte ich frei sprechen, ohne Angst zu haben.
 

Welche Szenen sind im Film inszeniert und wo war die Kamera einfach nur dabei?

K. P.: Es ist nichts inszeniert in dem Sinne. Natürlich ändert die Anwesenheit einer Kamera eine reale Situation. Sobald eine Kamera da ist, ist sie Teil des Geschehens und ändert natürlich, was vor sich geht. Wir haben die Kamera klar gesetzt, aber wir haben das, was vor der Kamera passiert, nicht inszeniert. In keiner Weise.

C. R.: Man kann vielleicht bei den kurzen Wüstenmomenten auf Fuerteventura von Inszenierung sprechen. Aber die sind ja stark deklariert als inszenatorisches Moment.

K. P.: Diese Fuerteventura-Bilder wollten wir als Utopie, als Traumgedanken anbieten, quasi als Symbol für Elsas Zustand oder auch Elsas Sehnsucht.

Die Gespräche mit deiner Mutter, der Besuch bei der Beratungsstelle, waren das deine Schritte bei der Suche oder haben dich Katharina und Christoph dazu angeregt?

E.: Ich habe in dieser Zeit überhaupt nicht in Schritten gedacht, ich hatte überhaupt keinen Plan und habe mich relativ wehrlos gefühlt in dieser Zeit. Das Berufscoaching habe ich auch gemacht, weil ich meinen Eltern zeigen wollte, dass ich nicht tatenlos bin – und das fanden sie natürlich super. Von Christoph und Katharina wurde ich in der Zeit viel unterstützt. Bei ihnen hatte ich das Gefühl, das sind die Menschen, mit denen ich reden kann und mit denen ich reden möchte.
 

Und wie habt ihr Elsas Suche erlebt?

K. P.: Zu Anfang war eine totale Empathie da, eben weil ich mich mit dem Zustand komplett identifizieren konnte. Ich bin aber eher jemand, der proaktiv in alle Richtungen geht, und ich erinnere mich, dass ich damals mit 20 dies Studium und das Studium und hier noch ein Praktikum angefangen hatte. Was Elsa betrifft, bin ich dann nach einer gewissen Zeit ungeduldig geworden. Ich dachte: Elsa beweg dich. Also, ich habe im Laufe der Zeit dann so ein bisschen die Position der Eltern übernommen.

C. R.: Durch das Selber-Eltern-Werden, das ja kurze Zeit zuvor stattgefunden hatte, waren wir in einen neuen Lebensabschnitt eingetreten und konnten so eine Art Kupplungsstelle – auch alterstechnisch – zwischen Elsa und ihren Eltern sein.
 

Deinen Besuch in der Karriereberatung fand ich sehr spannend, weil man sehr viel über dich erfahren konnte und außerdem das Gefühl hatte, dass dich dieses Coaching wirklich weitergebracht hat. Hast du es selbst auch so empfunden?

E.: Ich war mit nicht allzu großen Erwartungen dorthin gegangen. Als die Beraterin mir aber dann dieses Ergebnis vorstellte, war ich total fertig mit den Nerven. Ich fühlte mich, als ob mir ein Spiegel vorgehalten würde. Ich hatte nicht gedacht, dass man nach ein paar Stunden, nach ein paar Tests jemanden so einordnen und kategorisieren kann. Von daher war ich den Tränen nahe, weil es mir etwas zu persönlich war.
 

Hat es dir geholfen?

E.: Es hat mir in dem Sinne geholfen, dass ich mich sehr viel besser verstanden habe. Trotzdem war es für mich eine totale Überforderung.

K. P.: Dass die Szene im Film selbst nicht eindeutig kritisch ist, spricht eben dafür, dass ich als Regisseurin nicht so sehr die Perspektive lenken und auch nicht „erklären“ möchte. Bei meinem Film über Coaching, In dir muss brennen, habe ich ähnlich unkommentiert gearbeitet, und das hat tatsächlich genau zwei unterschiedliche Reaktionen provoziert. Die einen meinen, es sei super, was man da lerne, und die anderen sagen, das gehe gar nicht, da würden Menschen passgenau zugerichtet auf die Gesellschaft.
 

In eurem Film haltet ihr euch sehr zurück mit Fakten. Es wird nicht angegeben, wo und in welchen familiären Verhältnissen Elsa lebt, wie alt sie ist oder wer zum Beispiel die beiden Kinder sind? Warum gibt es so wenige Informationen?

K. P.: Das sind ganz viele Montageentscheidungen. Die Jugendlichen aus der doku.klasse dachten, die beiden Kinder seien Elsas Geschwister. Dass es unsere Kinder sind, um die sich Elsa kümmert, ist eigentlich egal. Denn darum geht es hier nicht. Es geht ja darum, dass wir Elsas Zustand beschreiben. Es gab auch ganz kurz die Überlegung, ob wir ein Interview mit Elsa reinnehmen sollten. Das hätte zwar wesentlich mehr Erklärung geboten, aber auch eine Verengung der Fragestellung mit sich gebracht. Unser Film soll Momente der Identifizierung bieten, aber nicht zu klar auf Elsas eigene Geschichte hin münzen.

C. R.: Es ist ein ganz persönliches Schicksal, und gleichzeitig hat es einen ganz universellen Charakter, weil es einfach ein Problem ist, dem sich diese Generation stellen muss. Und ich glaube, dass dieses Offene dazu beiträgt, dass man sich leichter damit identifizieren kann, unabgelenkt von klaren Fakten.
 

Welche Bildkonzepte hattet ihr?

K. P.: Für mich ist das ein Film über Elsa, weshalb er auch Dazwischen Elsa heißt. Aber er ist auch eine Fragestellung an die heutige junge Generation. Deswegen sind wir zwar nah an Elsa dran, aber wir beobachten auch – filmisch betrachtet – aus einer Distanz, schauen dem Ganzen zu und beziehen den Raum mit ein. Mit dieser Klarheit sind wir filmisch sowohl bei Elsa als auch bei der gesellschaftlichen Fragestellung. Das war unsere Idee. Eben nicht Elsa als Person hinterherzuhecheln und 24 Stunden am Tag zu drehen, sondern durch eine gewisse Formsprache ein Distanzierungsmoment einzubauen, um über diese größeren Fragestellungen nachzudenken.

C. R.: Ich glaube, dass Elsas Alltag ganz zu Anfang von einer stärkeren Lethargie geprägt war, was zu einer gewissen Starrheit, zu einer klaren Beobachtung ohne große Bewegung geführt hat. Auf der inhaltlichen Ebene gedacht, finden sich immer wieder Systeme: das System Mietswohnung, die gerade wieder renoviert wird, das System Flughafen, die Schule oder die Karriereberatung. Das ist alles auch architektonisch recht starr – und daran ausgerichtet ist auch die Visualität des Films.
 

Elsa, was hat dir die Arbeit am Film gebracht und was machst du heute?

E.: Es war eine sehr prägende Zeit, auch eine total intensive Zeit mit mir selbst. Ich hatte mir noch nie vorher die Zeit genommen, um mich wirklich mal mit mir selbst auseinanderzusetzen. Das war ganz, ganz wichtig. Ich habe gemerkt, dass ich auf jeden Fall etwas Neues brauchte, aber etwas für mich allein. Letztes Jahr im Herbst bin ich nach Nürnberg gezogen, habe dort ein Studium angefangen, um zu schauen, ob studieren überhaupt etwas für mich ist. Ich habe mich dann auch bei der Design-Uni beworben, wurde aber leider nicht genommen, und jetzt studiere ich Theater- und Medienwissenschaften und Pädagogik in Erlangen. Ich bin auf jeden Fall sehr zufrieden, wie es gerade ist. Ich habe jetzt das Gefühl, okay, es ist gerade alles in Ordnung.
 

Katharina Pethke ist Dokumentarfilmerin. Von 2012 bis 2019 war sie Professorin an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg.

Christoph Rohrscheidt studierte Kamera an der Filmuniversität Babelsberg. Mit seiner Firma FILMGARNITUR produziert er eigene Kunst- und Dokumentarfilmprojekte.

Barbara Felsmann ist freie Journalistin mit dem Schwerpunkt „Kinder- und Jugendfilm“ sowie Autorin von dokumentarischer Literatur und Rundfunk-Features.