Erfundene Wahrheit

Am 4. April 2023 musste sich zum ersten Mal in der Geschichte der USA ein Ex-Präsident vor einem Strafgericht verantworten. Donald Trump wurde vorgeworfen, in 34 Fällen Geschäftsunterlagen gefälscht zu haben (mehr dazu: dpa/AP/Reuters/AFP 2023). Hintergrund war die Zahlung eines Schweigegeldes von 130.000 Dollar an die Pornodarstellerin Stormy Daniels, um zu verhindern, dass diese kurz vor der Präsidentschaftswahl 2016 ihre angebliche sexuelle Beziehung zu Trump öffentlich machte. Schweigegeldzahlungen an sich sind in den USA nicht strafbar, Trump wird jedoch vorgeworfen, das Geld aus Wahlkampfgeldern bezahlt und damit gegen US-Gesetze verstoßen zu haben.

Der Ex-Präsident versuchte – wie so oft – den Prozess als politischen Versuch der Demokraten darzustellen, seine Kandidatur als nächster US-Präsident im Wahlkampf 2024 zu beschädigen, und beschimpfte den Staatsanwalt und den Richter öffentlich. Damit will er sich als Opfer einer von der Demokratischen Partei dominierten Justiz in New York darstellen.
 

Gefälschte Polizeifotos

In diesem Zusammenhang tauchten Fotos auf, die zeigen, wie Trump bei seiner angeblichen Verhaftung in einem Handgemenge von Polizisten festgehalten und bedroht wird. Andere Fotos sollen angeblich von der Polizei während seines Verhörs gemacht worden sein. Allerdings: Beim ersten Gerichtstermin wurden zwar Fingerabdrücke von Trump genommen, aber keine Fotos gemacht – es gab also keine Polizeifotos. Dennoch kursierten im Netz eine Reihe von Bildern, die angeblich Aufnahmen von Trump bei der Polizei zeigten. (Schneider 2023)

Mit KI ist es offenbar ein Leichtes, alle möglichen Situationen von Menschen zu simulieren, die mit der Realität nichts mehr zu tun haben. Für den Rezipienten wirken sie dennoch wie ein Abbild der Realität. Ähnliches ist inzwischen auch mit Sprache möglich, man kann also zum Beispiel bei einem Telefonat so tun, als wäre man Bundeskanzler Scholz, Putin oder Macron und gleichzeitig sein Bild so verändern lassen, dass man auch ein Videotelefonat vortäuschen kann.

So geschehen im Sommer 2022 bei Franziska Giffey, die angeblich mit dem Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, in einer Videokonferenz verbunden war: „Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hat bei einer Videoschalte am Freitag Zweifel bekommen, ob sie tatsächlich wie geplant mit Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko verbunden war. Das Gespräch endete dann vorzeitig. ‚Die erste Viertelstunde war völlig unauffällig‘, sagte Senatssprecherin Lisa Frerichs am Freitagabend. Zuvor hatten mehrere Berliner Medien darüber berichtet. Einen ähnlichen Anruf per Videoschalte erhielt am Freitag auch der Bürgermeister von Madrid, wie das Bürgermeisteramt der Deutschen Presse-Agentur bestätigte.“ (cl/DPA/AFP 2022).
 

Papst in Rapper-Jacke

Auch der Papst bleibt von solchen gefälschten Bildern nicht verschont. „Ein Bild von Papst Franziskus ist kürzlich viral gegangen. Es zeigt den Papst in einer pompösen, weiss glänzenden Daunenjacke, die an den Stil von Rappern erinnert. Das Foto sorgte auf Twitter und Instagram für viel Spott, etwa über die Verwendung von Kirchensteuern. Nur: Das Bild ist gefälscht – und dass Tausende Nutzer darauf hereingefallen sind, zeigt, welche Manipulationsmöglichkeiten die künstliche Intelligenz bietet.“ (Lobe 2023)

Mit KI kann man jedes Bild oder Video fälschen, trostlose Gegenden als Urlaubsparadiese darstellen, jedes Gesicht auf jeden Körper setzen. Theoretisch könnte jeder harmlose Mensch in einem Pornofilm agieren oder als Gewalttäter erscheinen. Das inszenierte Video, das im Mai 2019 den österreichischen FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache zum Rücktritt zwang und die Koalition von ÖVP und FPÖ beendete, könnte inzwischen von künstlicher Intelligenz produziert werden und würde nichts mehr beweisen.

Warum noch teure Schauspieler engagieren, wenn man sie durch künstliche Intelligenz ersetzen kann? Solche und ähnliche Dienste bietet die Londoner Softwarefirma Synthesia an: „Weiblich, männlich, schwarz, weiss, asiatisch – das gesamte Diversity-Spektrum ist vertreten. Da ist zum Beispiel Emma, eine junge Frau mit Blazer und streng zurückgebundenen Haaren, die sich in einem kurzen Videoclip als toughe Business-Frau präsentiert. Carlo, der Bauarbeiter mit Helm und Warnweste. Und Helia, eine Frau mit Hijab.“ (Ebd.)
 

Da hilft nur gesunder Menschenverstand

Was heißt das für den Journalismus? „Wir waren bei gefälschten Texten, jetzt sind wir bei gefälschten Bildern und Fake-Interviews. Die Frage ist, wo hört das auf? Wann wird der Moment gekommen sein, an dem wir den Unterschied nicht mehr sehen?“, fragte Moderator Markus Lanz in seiner Sendung angesichts der gefälschten Trump-Bilder (ZDF 2023). Es bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als Bilder und Informationen mit dem gesunden Menschenverstand auf Plausibilität zu prüfen. So sah es auch „Spiegel“-Journalist Martin Knobbe in derselben Sendung: „An unseren Prinzipien als Journalisten müssen wir nicht viel ändern. Grundsätzlich muss man an jedes Material prüfend herangehen. Die Frage ist aber, was in einem, zwei oder fünf Jahren sein wird.“ (Knobbe in ZDF 2023)

Letztlich werden wir in Zukunft, zumindest was die Medien betrifft, nicht mehr sicher zwischen Wahrheit und Fake unterscheiden können. Beruhigend ist das nicht.
 

Quellen:

cl/DPA/AFP:„Krieg mit allen Mitteln“. Franziska Giffey telefoniert mit gefaktem Vitali Klitschko – jetzt ermittelt der Staatsschutz. In: Stern, 25.06.2022, Abrufbar unter: https://www.stern.de/politik/deutschland/franziska-giffey-im-fake-telefonat-mit-vitali-klitschko--staatsschutz-emittelt-31984132.html

dpa/AP/Reuters/AFP: Ehemaliger Präsident der USA. Nach Anklage: Trump attackiert Justizsystem. In: ZDF, 05.04.2023. Abrufbar unter: www.zdf.de

Lobe, A.: Propaganda aus dem Automaten – oder wenn der Papst plötzlich wie ein Rapper aussieht und Selenski die Kapitulation unterschreibt. In: Neue Züricher Zeitung, 30.03.2023. Abrufbar unter: www.nzz.ch

Schneider, J.: Fake-Bilder im Netz. Warum von Trump kein Mug-Shot gemacht wurde. In: zdf heute, 05.04.2023. Abrufbar unter: www.zdf.de

ZDF: Markus Lanz vom 4. April 2023. Zu Gast: Journalist Johannes Hano, IT-Experte Linus Neumann, Journalist Florian Flade und Journalist Martin Knobbe. In: ZDF, 04.04.2023. Abrufbar unter: www.zdf.de