EU will die Verbreitung politischer Werbung per Algorithmus verbieten

Das gilt auch für nicht bezahlte persönliche Meinungsäußerungen

Um Meinungsmanipulationen bei Wahlen zu verhindern, plant die EU eine neue Verordnung. Ziel ist ein Verbot, Inhalte, die für Parteien positiv sind, über Algorithmen zu bewerben. Parteien haben in der Vergangenheit Nutzer*innen nach einer Datenanalysen gezielt Inhalte mit entsprechenden politischen Positionen angeboten, um ihr Wahlverhalten zu manipulieren. Die Verordnung könnte aber auch zu einer unzulässigen Einschränkung der Meinungsfreiheit führen.

Online seit 02.02.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/eu-will-die-verbreitung-politischer-werbung-per-algorithmus-verbieten-beitrag-1122/

 

 

Cambridge Analytica hat gegen Bezahlung die Interessen von Nutzer*innen analysiert und für bestimmte Parteien systematisch politisch tendenziöse Angebote passgenau an bestimmte Nutzer*innen weitergeleitet, um diese in ihrem Wahlverhalten zu beeinflussen. Die EU plant, dies in Zukunft zu verhindern.
 

Ziel der Verordnung

Die EU beschreibt das Ziel folgendermaßen: „In den vorgeschlagenen Vorschriften werden Pflichten für die verschiedenen Akteure entlang der Werbewertschöpfungskette – sowohl online als auch offline – festgelegt, einschließlich einer Anforderung, nach der politische Werbung eindeutig zu kennzeichnen ist und den Bürgerinnen und Bürgern zusätzliche Informationen über die Sponsoren, die Finanzierung und etwaige Zusammenhänge mit bestimmten Wahlen oder Referenden bereitgestellt werden müssen. Der Einsatz von Verfahren zum Targeting und Amplifizieren unterliegt strengen Bedingungen und wäre in einigen Fällen gänzlich untersagt.“ (Rat der EU 2022)

Mikuláš Bek, tschechischer Minister für europäische Angelegenheiten, begründet das Vorhaben der EU folgendermaßen: „In einer lebendigen Demokratie sollten die Bürgerinnen und Bürger objektive, transparente und pluralistische Informationen erhalten, die frei von Manipulation sind. Sie sollten in der Lage sein, politische Anzeigen, insbesondere im Internet, leicht zu erkennen und in Erfahrung zu bringen, wer hinter ihnen steckt. Wir müssen auch den Einsatz von Targetingverfahren einschränken und streng überwachen. Mit der neuen Verordnung werden aktuelle Vorschriften in der gesamten EU gewährleistet, um unsere demokratischen Prozesse zu schützen.“ (Ebd.)
 

Ziel ist nachvollziehbar, Methode gefährlich

Dass die EU Datenanalysen zum Zweck gezielt adressierter politischer Beeinflussung verbieten will, ist durchaus nachvollziehbar: „Wie von der Kommission vorgeschlagen, beabsichtigt der Rat Verfahren zum Targeting und Amplifizieren zu verbieten, bei denen sensible personenbezogene Daten verwendet werden, einschließlich abgeleiteter Daten, etwa über die Rasse oder die ethnische Herkunft, die sexuelle Orientierung oder politische Ansichten. Der Einsatz solcher Verfahren ist nur erlaubt, wenn die betroffene Person ausdrücklich einwilligt oder ein Mitglied oder ehemaliges Mitglied einer spezifisch definierten Organisation ohne Gewinnerzielungsabsicht ist, die die sensiblen Daten verarbeitet, oder regelmäßige Kontakte mit ihr unterhält. (Ebd.)
 

Definition mit Tücken

Eine Definition dessen, was unter das Verbot fallen soll, hat aber ihre Tücken: „Von dieser Definition hängt enorm viel ab. Ist sie zu eng, könnte die EU an der Praxis vorbei regulieren und wichtige Formen der digitalen Manipulation außer Acht lassen. Ist sie zu weit, könnten auch Kommunikationsformen von den Regeln betroffen sein, die gar keine Werbung sind. Etwa Kampagnen von Nichtregierungsorganisationen, die sich organisch verbreiten – oder ganz normale Posts zu Wahlen oder Abstimmungen.“ (Dachwitz 2023)

Es geht in der geplanten Verordnung nicht darum, solche Äußerungen im Netz generell zu verbieten: Jeder kann seine Meinung weiterhin über YouTube oder andere soziale Netzwerke veröffentlichen. Verboten werden soll aber, dass diese Äußerungen über Algorithmen ausgesucht und dann zum Beispiel auf der Titelseite von YouTube oder TikTok angekündigt und so beworben werden.
 

Auch NGOs könnten betroffen sein – Regierungen sind ausgenommen

Das Problem: Die EU will das Verbot nicht auf bezahlte politische Parteienwerbung beschränken, die Bestimmung soll auch für alle Meinungsäußerungen gelten, die privat, durch Vereine oder andere Organisationen ins Netz gestellt werden und zugunsten einer bestimmten politischen Richtung oder gar einer Partei Stellung beziehen. Das könnte dann beispielsweise auch dazu führen, dass gemeinnützige Organisationen, die sich für Maßnahmen gegen den Klimawandel einsetzen und damit auch für bestimmte am Umweltschutz orientierte Parteien eine positive Aussage treffen, unter diese Bestimmung fallen. Das Deutsche Kinderhilfswerk, das sich beispielsweise für die Aufnahme von Grundrechten für Kinder in das Grundgesetz einsetzt, könnte ebenfalls unter diese Bestimmung fallen, wenn dies von einer bestimmten Partei besonders unterstützt wird (vgl. Rezo 2022).

Geplant sind zwar eine ganze Reihe von Ausnahmen, die beispielsweise gelten, wenn hinter solchen Positionen die Redaktion einer Publikation steht. Besonders erschreckend aber ist, dass Regierungsparteien oder ihnen nahestehende Organisationen von der Regelung ausgeschlossen sind. Die Ausnahmen gelten dagegen nicht für private Nutzer, die aus persönlicher Überzeugung eine bestimmte politische Position vertreten und darüber ein entsprechendes Video in einem sozialen Netzwerk veröffentlichen wollen – auch wenn sie keiner Partei angehören und ausschließlich ihre private Meinung vertreten. Wer beispielsweise für eine Petition gegen aus seiner Sicht bestehende Missstände aufruft, die auch von einer Partei beklagt werden, könnte ebenfalls unter die Bestimmung fallen (vgl. Bubble 2022). Das würde dann bedeuten, dass beispielsweise YouTube auf dieses Angebot nicht durch den üblichen Algorithmus auf seiner Titelseite hinweisen darf.
 

Einschränkung der Meinungsfreiheit

Auch wenn mit Blick auf Cambridge Analytica die Verhinderung einer Meinungsmanipulation sinnvoll ist, so steht das Vorhaben der EU doch im starken Widerspruch zu der in Art. 5 des Grundgesetzes garantieren Meinungsfreiheit. Würde eine Partei für die Veröffentlichung und Verbreitung einer bestimmten ihr genehmen Position ein Unternehmen gegen Bezahlung beauftragen, diese Position per Algorithmus entsprechend empfänglichen Menschen anzubieten, dann wäre das sicherlich etwas, was man gesetzlich beschränken sollte – vorausgesetzt, eine solche Bezahlung wird öffentlich und ist beweisbar. Das wird dann allerdings im konkreten Fall schwierig sein. Vor diesem Hintergrund aber alle privaten, politisch motivierten Meinungsäußerungen zu verdächtigen, heißt, das Kind mit dem Bade auszuschütten.

YouTuber wie Rezo laufen Sturm gegen diese Bestimmung (Rezo 2022). Dabei geht es ihnen vor allem darum, zu verhindern, dass unbezahlte politische Meinungsäußerungen möglicherweise als politische Beeinflussung und damit verbotene Werbung deklariert werden könnten. Bei den sozialen Netzwerken könnte aus Angst, unter diese Bestimmung zu fallen, die Tendenz entstehen, solche Inhalte im Zweifelsfall aus ihren Empfehlungen herauszunehmen. Diese sind aber für ihre Autoren notwendig. Rezo weist darauf hin, dass er selbst vor allem über diese Algorithmen empfohlen wurde und so bekannt geworden ist.

Die Allianz gegen die Verordnung ist breit: „Im Laufe der Zeit griffen mehr und mehr Akteur:innen die Frage nach der Definition politischer Werbung auf. Nach einem offenen Brief diverser europäischer Digital-Rights-Organisationen Ende Oktober legten Ende November mehrere deutsche Nichtregierungsorganisationen nach. Nun warnten in einem eigenen offenen Brief auch D 64, Algorithm Watch, Digitale Gesellschaft, Stiftung Neue Verantwortung und andere vor der geplanten Definition.“ (Dachwitz 2023)
 

Netzwerke: im Zweifel Vorsicht

Für die Netzwerke wird es nicht leicht, die Verordnung umzusetzen: „Selbst alle Inhalte zu erkennen, die unter die neuen Regeln fallen, wäre ohne Zweifel aufwendig, teuer und fehleranfällig für die Plattformen. Sabine Frank von YouTube Germany geht sogar noch einen Schritt weiter: Sie wisse schlicht nicht, wie ihr Unternehmen die Regeln umsetzen solle, wenn unbezahlte nutzergenerierte Inhalte in den Anwendungsbereich fallen würden, sagt sie im Gespräch mit netzpolitik.org. „Die EU macht hier aus einer Regulierung politischer Werbung eine Regulierung politischer Rede, das ist eine völlig neue Dimension.“ (Ebd.)

Auch wenn die Zielsetzung der Verordnung nachvollziehbar ist, so scheint es notwendig, sie zugunsten der Meinungsfreiheit nachzubessern. Dass Regierungsparteien und ihre Organisationen ausgenommen sind, dürfte in Ungarn und Polen willkommen sein. Das EU‑Parlament muss der Verordnung noch zustimmen. Eine breit angelegte, offene Diskussion wäre in der Angelegenheit wohl noch notwendig.

Quellen:

Bubble, R.: Was die EU gerade macht, ist einfach nur absurd. In: RobBubble, 11.12.2022. Abrufbar unter: www.youtube.com

Dachwitz, I.: Neue Regeln für politische Werbung. Wenn Google und NGOs für das Gleiche streiten. In: Netzpolitik.org., 21.02.2023. Abrufbar unter: netzpolitik.org/

Rat der EU: Transparenz und Targeting politischer Werbung: Rat legt Verhandlungsmandat fest. Pressemitteilung, 13.12.2022. In: Europäischer Rat. Abrufbar unter: www.consilium.europa.eu

Rezo: Die EU will mich verbieten? Neues Gesetz anders kritisch … In: Renzo, 18.12.2022. Abrufbar unter: www.youtube.com