Familien und Kinder stärken – für ein gutes Aufwachsen mit Medien

Franziska Giffey

Dr. Franziska Giffey ist Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Redeauszug zum 25-jährigen Bestehen der FSF am 4. April 2019.

Printausgabe tv diskurs: 23. Jg., 2/2019 (Ausgabe 88), S. 36-37

Vollständiger Beitrag als:

Früher war es so einfach, wenn es um die Frage ging, ob Kinder am Nachmittag fernsehen dürfen oder nicht. Wenn sie nach der Schule allein zu Hause waren und eigentlich Hausaufgaben machen sollten. Man hat vielleicht die Fernbedienung versteckt oder in ganz hartnäckigen Fällen das Fernsehzimmer verschlossen. Aber selbst, wenn der Fernseher am Nachmittag lief, dann standen Kindersendungen oder Talkrunden auf dem Programm.

So war das in den 1990er-Jahren. Verglichen mit heutigen Verhältnissen überschaubar. Gleichzeitig war das die Zeit der großen Umbrüche.

In diesem Jahr schauen wir auf 30 Jahre Mauerfall zurück. Im kommenden Jahr ist das Jubiläum der deutschen Wiedervereinigung. Es war die Zeit, in der sich viel bewegt hat, in der sich Möglichkeitsräume auftaten, in der viel los war. Auch der digitale Wandel warf bereits seine Schatten voraus. Im gleichen Jahr 1990 war der Startschuss für das Internet und den öffentlichen Zugang, so wie wir ihn heute kennen. Und 1993 erlebte das Internet einen rasanten Auftrieb, als erste grafikfähige Webbrowser veröffentlicht und kostenlos zum Download angeboten wurden.

Aber wo haben wir gesehen, was los war? Im Fernsehen. Das Fernsehen war das Leitmedium jener Zeit. Ende der 1980er-, Anfang der 1990er-Jahre gingen in Deutschland mehrere private Fernsehsender an den Start: RTL, SAT.1 und viele weitere. Erstmals gab es Sender nur für Jugendliche. Eine ganze Generation verbrachte ihre Jugend mit Musiksendern wie MTV und VIVA.

Dass es nicht mehr nur die öffentlich-rechtlichen Kanäle gab, dass Fernsehen bunter, schneller, schriller und kommerzieller wurde, war für die Medienwelt parallel ein beinahe genauso großer Einschnitt wie das Ende des Kalten Krieges für die Politik und die Gesellschaft. Und eine der Fragen, die damit aufkamen, war: Wie halten wir es im privatrechtlichen Fernsehen mit dem Jugendmedienschutz?

Im Zuge dieser Diskussionen wurde im Sommer 1993 der Verein der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) gegründet. Am 4. April 1994 war es dann so weit. Die Geschäftsstelle der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen nahm ihre Arbeit in der Rauchstraße 18 in Berlin-Tiergarten auf. Und heute können wir sagen: Herzlichen Glückwunsch zu einem Vierteljahrhundert FSF!

Sie können stolz auf die vergangenen 25 Jahre zurückschauen. Es war eine bewegte Zeit, im wahrsten Sinne des Wortes. Die Geschäftsstelle ist allein sechs Mal innerhalb Berlins umgezogen. Es war auch eine arbeitsintensive Zeit, in der Sie viel bewegt haben. Ich möchte hier nur an wenige Eckpunkte erinnern:

2003 gab es den ersten Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV). Übrigens war das auch das Jahr, in dem erstmals Social-Media-Plattformen wie Facebook, Twitter oder YouTube auf den Plan traten. 2008 dann der Startschuss für eine langfristige Zusammenarbeit von FSF und der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM).

Für uns im Bundesjugendministerium sind die Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle mit ihren Mitgliedsunternehmen strategische Partner im Kinder- und Jugendmedienschutz. Sie gehören zu einer Verantwortungsgemeinschaft, die Bund und Länder ebenso umfasst wie die Anbieter. Mit Fortschreiten der technischen Entwicklung wurde deutlicher, dass mehr und mehr gleiche Inhalte über verschiedene Vertriebskanäle zugänglich wurden. Deshalb wurden seit 2009 die FSF-Entscheidungen nicht nur in Form von Sendezeiten formuliert, sondern zusätzlich mit entsprechenden Altersfreigaben versehen.

Ein weiterer Meilenstein in dieser Richtung war die Überarbeitung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags von 2011. Ein wesentliches Ziel der Reform war, die Regelungssysteme für Offlinemedien (JuSchG) und Onlinemedien (JMStV) miteinander zu verzahnen. Darüber hinaus können die vier Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle im System des Jugendmedienschutzes – FSF, FSM, FSK und USK – seit 2016 ein Gütesiegel vergeben, dass Eltern und andere Nutzer auf anerkannte und besonders hochwertige Jugendschutzprogramme aufmerksam macht.

In den vergangenen 25 Jahren hat sich also einiges getan. Immer wieder ging es darum, dass die rechtlichen Regelungen mit der technischen Entwicklung Schritt halten. Es geht darum, dass die Anbieter selbst Verantwortung für das übernehmen, was im Fernsehen wann für wen gezeigt wird. Und letztlich geht es darum, Kinder und Jugendliche vor Inhalten zu schützen, die ihnen schaden können. Diese Herausforderungen bleiben.

Der digitale Wandel treibt die Entwicklung stetig und immer schneller voran. Er verändert die Art, wie wir arbeiten, wie wir kommunizieren und wie wir entspannen. Er wirkt bis ins Familienleben und die Freizeitgestaltung. Wie wir in dem Video gesehen haben, betrifft dieser Wandel gerade auch die Kinder und Jugendlichen und ihren Umgang mit Medien.

Während früher die ganze Familie zusammenkam, um am Samstagabend Wetten, dass ..? zu schauen, sitzt heute vielleicht jeder allein vor seinem Computer oder Smartphone. Man einigt sich nicht mehr gemeinsam auf ein Programm und verbringt Zeit miteinander. Hier geht ein Stück Familienleben verloren.

Und gleichzeitig bietet die Vielzahl der Möglichkeiten mehr Raum für persönliche Interessen und Vorlieben. Wo jedoch Eltern früher versucht haben, mit einfachen Mitteln Fernsehzeit zu regulieren, wird dies heute durch die Vielzahl der Geräte immer schwieriger. Zudem können Filme und Sendungen jederzeit in Mediatheken abgerufen werden. Streamingdienste und ‑plattformen wie Netflix oder YouTube bieten die Möglichkeit, Filme, Serien oder kleine Clips jederzeit anzuschauen. Ort und Zeit spielen da keine Rolle mehr.

Jugendliche schauen YouTube oder Netflix auf dem Smartphone – und das am liebsten alleine und ungestört, wie wir gerade den Statements im Video entnehmen konnten. Ich finde es interessant, dass sich Jugendliche zunehmend selbst orientieren, welche Bedeutung Altersfreigaben für ihren Medienkonsum haben. Offen gesagt bin ich jedoch etwas skeptisch, ob das so gut funktioniert.

Hinzu kommt, dass viele Inhalte nicht altersgerecht lizenziert sind. Kinder und Jugendliche haben Zugang zu Videos und Clips, die nicht ihrem Alter entsprechen. Während früher Sendungen mit einer Altersgrenze von beispielsweise 16 Jahren erst spät am Abend gesendet wurden, können sie mittlerweile zu jeder Zeit abgerufen werden.

Kinder haben das Recht, Medien geschützt und altersgerecht zu nutzen. Gleichzeitig müssen wir sie aber auch dazu befähigen, alle Medien richtig und selbstbestimmt nutzen zu können. Deshalb brauchen wir einen altersgerechten Kinder- und Jugendmedienschutz in der digitalen Welt. Unser Jugendschutzgesetz ist im Zeitalter von Videokassetten stecken geblieben und muss überarbeitet werden. Die Politik muss einen gesetzlichen Rahmen schaffen, der die veränderten Bedingungen und Realitäten der Mediennutzung aufgreift und neue Phänomene wie Streamingdienste berücksichtigt. Wir brauchen nachvollziehbare Regelungen, die von den Inhalten und ihrem Gefährdungsgrad ausgehen, nicht von dem Weg, über den sie verbreitet werden.

Dazu wollen wir 2019 einen Gesetzesvorschlag zur Novellierung des Jugendmedienschutzes vorlegen. Diesen Weg gehen wir gemeinsam mit den Ländern, den Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle und weiteren Akteuren des Jugendmedienschutzes.

Mit modernen gesetzlichen Regelungen wollen wir Anbieter stärker in die Verantwortung nehmen. Viele engagieren sich bereits für einen effektiven Kinder- und Jugendmedienschutz, beispielsweise indem sie Mitglied der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen sind und ihre Sendungen vor der Ausstrahlung zur Prüfung vorlegen. Andere aber tun bisher nichts oder nur sehr wenig. Sie geben keine oder ausschließlich ihre eigenen Altersempfehlungen. Sie treffen keine ausreichenden Vorkehrungen, um Kinder und Jugendliche vor jugendgefährdenden Inhalten zu schützen.

Gleichzeitig müssen wir geltendes Recht auch konsequent anwenden und gegen diejenigen vorgehen, die dagegen verstoßen. Auch, so schwierig das ist, wenn die Anbieter nicht in Deutschland sitzen. Anbieterverantwortung und politische Verantwortung sind Verantwortung gegenüber den Kindern und den Eltern. Wir brauchen eine einheitliche Systematik der Vergabe, einheitliche Prüfverfahren und einheitliche Spruchpraxis.

Wir müssen auch dafür sorgen, dass Eltern Orientierung bekommen und in Alterskennzeichen und Altersfreigaben vertrauen können. Eine verlässliche Elterninfo kann dabei durchaus auch über die reine Altersfreigabe hinausgehen und die Inhalte und mögliche Risiken etwas näher beschreiben. Erste Gedanken dazu machen Sie sich bereits, wie mir gesagt wurde. Das begrüße ich sehr.

Letztlich müssen aber auch die zu Wort kommen, um die es geht: nämlich die Kinder und Jugendlichen selbst. Sie sind schließlich die „Betroffenen“, an deren Bedürfnissen wir neue Regelungen ausrichten müssen.

Die Novellierung des Jugendschutzgesetzes geht nur gemeinsam. Dabei bitte ich Sie um Ihre Unterstützung. Ich danke Ihnen herzlich für Ihre gute und wichtige Arbeit in den zurückliegenden 25 Jahren. Sie sind ein unverzichtbarer Baustein im Jugendmedienschutz. Ich wünsche Ihnen viel Energie, Kreativität und Freude für die anstehenden großen Aufgaben!

Herzlichen Glückwunsch und alles Gute!

Ihre
Dr. Franziska Giffey
(Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend)

 



Aufzeichnung von ALEX Berlin bei YouTube

Das 25-jährige Bestehen der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) wurde im Rahmen der Tagung fern. sehen. Zukunftsvisionen gefeiert. Dort hielt Bundesministerin Dr. Franziska Giffey diese Rede, die auch als Aufzeichnung von ALEX Berlin bei YouTube angesehen werden kann.