Fernsehwissenschaft und Serienforschung

Theorie, Geschichte und Gegenwart (post‑)televisueller Serialität

Denis Newiak, Dominik Maeder, Herbert Schwaab (Hrsg.)

Wiesbaden 2021: Springer VS
Rezensent/-in: Lothar Mikos

Buchbesprechung

Printausgabe mediendiskurs: 26. Jg., 3/2022 (Ausgabe 101), S. 77-77

Vollständiger Beitrag als:

Die 13 Beiträge des Bandes möchten die Serienforschung wieder zurück in die Fernsehwissenschaft holen, nachdem der Boom der sogenannten Qualitätsserien zu einer Vielzahl von meist fachfremden oder theorielosen und von der Fernsehgeschichte entkoppelten Publikationen geführt hat. Ziel des Bandes ist es, „das Verhältnis von Serienforschung und Fernsehwissenschaft vor dem Hintergrund eines unnachgiebigen Serienbooms sowie eines fundamentalen technologischen Wandels des Fernsehdispositivs aktiv zu befragen“ (S. 3), wie es die Herausgeber in ihrem einleitenden Beitrag nennen. Denn Fernsehen sei generell eng mit den Formen der Serialität verbunden, und so gehe es grundsätzlich darum, „Serialität vom Fernsehen her zu denken“ (S. 4).

Jana Zündel konzipiert Fernsehen in ihrem Beitrag als plural und transmedial – und spricht demzufolge von den „Fernsehens“: „Fernsehen ist niemals gleich Fernsehen und je nachdem, von welcher Warte (aus Produktions-, Distributions- oder Rezeptionssicht) wir auf den Gegenstand schauen, haben wir es mit verschiedensten Darbietungs- und Gebrauchsformen des Mediums zu tun“ (S. 33). Auch wenn Streamingplattformen wie Netflix versuchen, das Fernsehhafte von Serien zu verschleiern, orientieren sie sich doch an den Strukturprinzipien des Fernsehens. So kommt Zündel zu dem Schluss: „Die intentionale ‚Programmierung‘ eines loyalen, beständigen Zuschauers durch spezifische Textorganisation und ‑modulation scheint die unifizierende ‚Idee‘ aller zeitgenössischen Fernsehens zu sein“ (ebd.).

Christine Piepiorka befasst sich mit den transmedialen Ausprägungen von Serien und sieht diese als Prozess, in dem sich die Geschichte über einen Zeitraum entfaltet (vgl. S. 47). Zudem stellt sie fest, dass gerade für transmediale Serien die Adressierung der Zuschauer:innen wichtig ist, da diese sich im Universum der Serie individuell bewegen (vgl. S. 50). Diese Prozesse fänden überall statt.

Die Beiträge von Stefan Borsos, Florian Krauß und Dominik Maeder räumen mit einigen populär(‑wissenschaftlichen) Erkenntnissen zu Qualitätsserien auf. Stefan Borsos zeigt, dass es bereits in den 1950er- und 1960er-Jahren komplexe Fernsehserien gab und dieses Phänomen des „Complex TV“, wie es Jason Mittell genannt hat, nicht erst seit dem 21. Jahrhundert existiert. Es wird deutlich, dass damals bereits „das gesamte Spektrum von Anthologie- über Episoden- bis hin zur Fortsetzungsserie abgeschritten und in ganz unterschiedlichen Konfigurationen realisiert“ (S. 56) wurde. Damals existierte bereits eine Vielzahl von Serienformen. Florian Krauß hebt in seinem Beitrag hervor, dass selbst in der aktuellen transnationalen Fernseh- und Serienkultur nationale Traditionen der Produktion und Distribution eine wichtige Rolle spielen: „Langjährige Produktionskulturen, Programmschemata und ‑tendenzen sowie Zielgruppenausrichtungen werden durch neue Netzwerke, Anbieter und einzelne Quality TV-Aspirationen allerdings nicht ad hoc obsolet“ (S. 98). Er argumentiert zudem, dass diese Zentrierung auf die sogenannten Qualitätsserien den Blick für lokale Traditionen mit anderen Serienformen verstellt (vgl. ebd.). Dominik Maeder führt diesen Diskurs auf andere Art weiter, indem er die „Staffel als serielle Organisationseinheit“ begreift (S. 227) und dieses Prinzip auch im Reality-TV findet, wie er eindrücklich am Beispiel von Germany’s Next Topmodel zeigt. Ähnlich wie bei den fiktionalen Serien stehe auch hier die Charakterentwicklung der Protagonistinnen im Zentrum der Erzählung (vgl. S. 232).

In den übrigen Beiträgen geht es um Vereinsamung und Vergemeinschaftung durch Serien (Denis Newiak), Weihnachtsspecials (Sven Grampp), Clipshows als Element von Serien (Markus Kügle), verstärkte Wirklichkeitsbezüge durch die Einbindung sozialer Medien, z. B. bei Germany’s Next Topmodel (Anja Peltzer), relationale und differenzielle Serialität am Beispiel von Breaking Bad (Michaela Wünsch), um das Verhältnis von Spiel und Serie am Beispiel von Black Mirror: Bandersnatch (Kim Carina Hebben) und die Verlangsamung des Erzählens in Animationsserien (Herbert Schwaab), indem es „in diesen langen und langsamen Serien eine enge Kopplung von Ästhetik und Erzählung gibt, die eine eigene Zeitlichkeit hervorbringt, welche mit Begriffen und Ansätzen der sogenannten limited animation erfasst werden kann“ (S. 315, H. i. O.).

Die Beiträge des Bandes tragen zu einem hervorragenden Überblick über zeitgemäße Serienforschung in Deutschland bei und räumen mit einigen Mythen auf, die vor allem aus der angloamerikanischen Forschung kommen. Serien, ob im linearen Fernsehen oder auf Streamingplattformen, werden auf ihren „televisiven“ (Zündel) Kern hin befragt. Eine sehr fruchtbare Methode.

Prof. i. R. Dr. Lothar Mikos