„Früher war mehr Lametta“*
Erstens: Woher wissen wir, dass die Weihnachtszeit näher rückt?
Das Wetter ist in Zeiten des Klimawandels nur noch bedingt aussagefähig. Lebkuchen und Weihnachtsmänner im Supermarkt fallen als verlässliche Indikatoren ebenfalls aus. Nicht so das Radio! Spätestens wenn Sie innerhalb einer Stunde Last Christmas von Wham!, Driving Home for Christmas von Chris Rea oder White Christmas von wem auch immer gehört haben, können Sie sicher sein, Sie befinden sich auf der Zielgerade zum 24. Dezember. Das Gleiche gilt für das Fernsehprogramm, wenn auch hier mit einem etwas längeren Vorlauf. Alle Jahre wieder tummeln sich ab Anfang Dezember gute alte Bekannte auf dem Bildschirm: Drei Haselnüsse für Aschenbrödel, Die Muppets Weihnachtsgeschichte, Der kleine Lord, Kevin – Allein zu Haus oder Der Polarexpress. Spätestens nach einem dieser Weihnachtsklassiker ist man eingestimmt aufs Plätzchenbacken oder auf die Weihnachtsfeier im Kollegenkreis.
Zweitens: Was würde unter dem Weihnachtsbaum liegen, wenn es keine Medien gäbe?
Allen Hand- und Homemade-Trends zum Trotz: Auch in diesem Jahr stehen bei Kindern und Jugendlichen Smartphones, Computerspiele und Konsolen ganz oben auf dem Wunschzettel. Und auch Erwachsene beschenken sich großzügig in Sachen Medien. Gut zwei Drittel der Deutschen planen, zu Weihnachten digitale Technik zu kaufen. Ähnlich wie im letzten Jahr stehen dabei Smartphones und Tablets in den Geschenkecharts ganz weit oben. Nintendo 3DS, Playstation 4 und Titel wie Overwatch, FIFA 17, Watch Dogs 2, Call of Duty: Infinite Warfare oder Battlefield 1 prägen das Weihnachtsgeschäft 2016 und die Wunschzettel von Kindern und Jugendlichen. Laut der Gesellschaft zur Förderung der Unterhaltungselektronik in Deutschland (gfu) werden im Weihnachtsgeschäft 2016 darüber hinaus rund 9,3 Mrd. Euro für Consumer Electronics ausgegeben, vor allem für Smartphones, Connected Audio (samt Zubehör wie Soundbars) sowie für großflächige Fernseher. Für die „Alten Medien“ indes kein Grund zur Sorge: Bücher (je nach Geschmack gedruckt oder digital) gelten immer noch als sichere Bank auf dem Gabentisch.
Drittens: Mit der Frage „Wo feiern wir eigentlich in diesem Jahr Weihnachten?“ beginnt für viele Familien die wahrscheinlich heikelste Zeit im Jahr.
Die offenen Fragen sind unendlich: Wer kommt zu wem, was gibt es zu essen und muss der Weihnachtsbaum echte oder elektrische Kerzen haben? Um die Weihnachtstage erhöht sich schlagartig das Konfliktpotenzial in den meisten Familien, und nicht immer sind Besinnlichkeit und Liebe die durchgängig vorherrschenden Gefühle. Wie gut, dass man mit diesen Schwierigkeiten nicht allein dasteht. Andrea Sawatzki, vielen bekannt als Frankfurter Tatort-Kommissarin, hat im letzten Jahr in ihrer bitterbösen Weihnachtssatire Tief durchatmen, die Familie kommt die Gefühle knallen lassen. Auch Weihnachten bei Hoppenstedts von Loriot oder Single Bells zeigen auf vergnügliche Weise, dass man es doch eigentlich ganz gut getroffen hat.
Viertens: Das Fernsehprogramm der Feiertage, das spannende Buch, die neue CD oder das lang ersehnte Computerspiel: Die medialen Weihnachtsgeschenke bieten auf unverfängliche Art einen sicheren Rückzugsort, wenn die Großfamilie doch etwas zu überwältigend wird.
Gemütlich auf dem Sofa gekuschelt, erlaubt es einem die Serie, mal kurz durchzuatmen, bevor das Essen bei den Schwiegereltern beginnt. Kinder und Jugendliche können mit dem gleichaltrigen Besuch unbelästigt in ihren Zimmern verschwinden, um zu installieren, hochzuladen und anzutesten. Diese Entlastungsfunktion erfüllte in den 1980er- und 1990er-Jahren im Übrigen ein öffentlich-rechtliches Fernsehprogramm, das bis heute im kollektiven Gedächtnis derer, die in dieser Zeit mit dem westdeutschen Fernsehprogramm aufwuchsen, fest verankert ist. Die Kurzserien namens Timm Thaler, Silas oder Anna, die das ZDF zwischen 1979 und 1995 zu Weihnachten ausstrahlte, gelten vielen Zuschauern bis heute als „Feiertagsfernsehen“ und „beste Familienunterhaltung“. Junge und erwachsene Zuschauer lebten zu dieser Zeit einen Fernsehalltag, in dem eine Sendung eine „Verabredung“ zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort (meist das Fernsehgerät im Wohnzimmer) darstellte. Wollte man die Sendung sehen, hieß es, diese Verabredung einzuhalten, das sahen auch Eltern und Großeltern ein und schauten mit. Je nach Jahrgang erinnert man sich an Tommi Ohrner in der Rolle des Jungen, der sein Lachen verkaufte, an die schweren Kämpfe der Balletttänzerin Anna (Silvia Seidel) auf ihrem Weg zum Ruhm oder an die Abenteuer des Zirkusjungen Silas (Patrick Bach) mit seinem schwarzen Hengst. Mit Frankie strahlte das ZDF Weihnachten 1995 die letzte Feiertagsserie aus. Durch die Etablierung der privaten Fernsehsender haben sich die Sehgewohnheiten geändert, und zugkräftige Hollywood-Filme bestimmen seitdem das Programm zwischen Weihnachten und Neujahr.
In diesem Sinne: Genießen Sie gemeinsam den Familienkampf bei den Hoppenstedts, leiden Sie mit dem Kleinen Lord oder lachen Sie über Santa Claus. Im Vergleich zu den Schwierigkeiten, die in Film und Serie zu bewältigen sind, bis es endlich „Frohe Weihnachten“ oder besser „Merry Christmas“ heißt, ist das häusliche Familienchaos doch sehr überschaubar und die eigene Verwandtschaft trotz kleiner Macken wirklich liebenswert. Und zum Verstehen der Bedienungsanleitung zum neuen Smartphone oder Smart-TV reicht die Zeit zwischen den Jahren allemal!
* Zitat aus Loriots Weihnachten bei Hoppenstedts