Geoblocking von Spielfilmen
Unions- und nationalrechtliche Zulässigkeit territorialer Beschränkungen des Video-Streamings
Baden-Baden 2022: Nomos Verlagsgesellschaft
Rezensent/-in:
Arne Koltermann
Geoblocking von Spielfilmen
Wer gern Spielfilme oder Serien streamt, wird auf seinem Bildschirm vermutlich schon einmal von einer Tafel zurückgewiesen worden sein: „Dieser Inhalt ist aus lizenzrechtlichen Gründen in Ihrem Land nicht verfügbar.“ Lizenzen an urheberrechtlich geschützten Werken werden regional beschränkt. Um diese Beschränkung auch im scheinbar grenzenlosen Internet durchzusetzen, haben Nutzungsrechtsinhaber und -verwerter seit vielen Jahren eine Praxis digitaler Grenzzäune etabliert – das Geoblocking.
Henning Fangmann eröffnet seine umfassende Untersuchung mit einem Bekenntnis des früheren EU-Kommissars Andrus Ansip: „Ich hasse Geoblocking!“ Tatsächlich sorgt die Praxis bei Filmfans bis heute für Frustration, denn sie unterläuft die Erwartung, alles jederzeit anschauen zu können. Zum Zeitpunkt seines Ausspruchs 2015 war Ansip für „digitalen Binnenmarkt“ zuständig, und schon aus dem Verhältnis der Begriffe „digital“, „Binnenmarkt“ und „Urheberrecht“ ergeben sich Fragen. Viele werden in der vorliegenden Dissertation beleuchtet.
Geoblocking bedeutet auf Deutsch etwa „geografische Sperre“. Der wahrscheinliche Standort eines Zuschauers wird anhand der IP-Adresse seines Endgeräts ermittelt. „Befindet sich dieser außerhalb eines vom Video-on-Demand-Anbieter näher definierten Gebiets, wird der Zugriff auf die gewünschten Inhalte automatisiert verweigert und dem Nutzer […] [eine] Sperrtafel eingeblendet.“ Zu dieser Praxis „sind die Anbieter von Video-on-Demand-Portalen meist vertraglich […] verpflichtet“ (S. 20). Der Autor stellt nach Sichtung des Forschungsstandes fest, „die Frage nach der Vereinbarkeit einer durch Geoblocking abgesicherten, beschränkten Rechtevergabe mit dem Unionsrecht“ werde „vielfach als ‚offen‘ oder ‚ungeklärt‘ bezeichnet“ (S. 22). Am Ende seiner Studie kommt er aber zu einem eindeutigen Ergebnis: Der Einsatz von Geoblocking sei mit dem geltenden Recht vereinbar.
Fangmann eröffnet seine Untersuchung mit einem ausführlichen Kapitel über die Grundlagen des Spielfilmgeschäfts, nimmt deutsche und europäische Besonderheiten in den Blick. Er geht auf Kostenrisiken und die Bedingungen der Filmproduktion ein. Dies macht die Untersuchung auch jenseits des Sujets für all jene lesenswert, die sich für Rechtsfragen der Spielfilmproduktion und die unübersichtliche Verwertungskette interessieren. Manches wirkt eigenwillig: Er beschränke sich auf Spielfilme, weil diese, „anders als etwa Dokumentarfilme oder Sportübertragungen, in der Regel einen urheberrechtlichen Schutz genießen“ (S. 23). Jedenfalls in Bezug auf Dokumentarfilme erscheint die implizite Unterstellung, hier fehle ein solcher Schutz, veraltet oder mindestens unvollständig.
Ein längerer Teil widmet sich der Vereinbarkeit des Geoblockings mit nationalen und europäischen Grundrechten – neben der Europäischen Grundrechtecharta und jenseits des EU-Rechts ist hier auch die Europäische Menschenrechtskonvention heranzuziehen. Der Autor erörtert die Anwendbarkeit des Kartellverbots auf urheberrechtliche Lizenzverträge (die er abschließend verneint) und untersucht „die vertragliche Verpflichtung, Abrufe aus dem Ausland durch den Einsatz von Geoblocking zu verhindern, auf ihre Eignung zur Wettbewerbsbeschränkung“ (S. 231) (mit dem gleichen Ergebnis). Er geht auch anschaulich auf die Portabilitätsverordnung ein. Diese sieht vor, dass Kunden von Video-on-Demand-Diensten auch im europäischen Ausland Zugriff auf die in ihrem Herkunftsland zugänglichen Inhalte haben müssen, wenn sie sich dort nur vorübergehend aufhalten. Für diesen Zeitraum wird das Herkunftslandprinzip fingiert, also unterstellt, der Nutzer habe sein Herkunftsland nie verlassen – ohne diese gesetzliche Fiktion verstießen die Anbieter gegen ihre vertraglichen Verpflichtungen zum Einsatz von Geoblocking.
Der Autor scheint von der Annahme auszugehen, eine wirtschaftlich erträgliche Lizenzierungspraxis von Spielfilmen sei ohne Geoblocking unmöglich. Diese ergebnisorientierte Haltung fordert manches Opfer; was nicht passt, wird passend gemacht: Geoblocking genieße als „wirksame technische Maßnahme“ (S. 93) im Sinne des § 95a UrhG einen besonderen urheberrechtlichen Umgehungsschutz. Diese die InfoSoc-Richtlinie umsetzende Norm sieht für die Einstufung als wirksame technische Maßnahme vor, dass der Rechteinhaber die Werknutzung unter Kontrolle halten muss. Hier fällt dem Autor auf, dass beim Geoblocking dessen Einsatz nicht durch den Rechteinhaber erfolgt, sondern durch jemanden, der für ein bestimmtes Land gerade keine Nutzungsrechte hält. „Zur Vermeidung dieser Schutzlücke ist es unter weiter Auslegung des Begriffs ‚Rechtsinhaber‘ sachgerecht, den originären Rechteinhaber und den Verwerter als eine Einheit zu begreifen“ (S. 97). Der Verwerter sei also für das Gebiet, in dem er nicht nutzungsberechtigt sei, als Rechtsinhaber anzusehen. Diese Wortlautdehnung wirkt etwas gezwungen.
Nichtsdestotrotz zeugt Geoblocking von Spielfilmen von gründlicher Beschäftigung mit dem untersuchten Gegenstand. Die abschließenden Thesen zu den einzelnen Prüfungsschritten sind hilfreich. Für einen juristischen Text ist Fangmanns Studie zudem erfreulich zugänglich geschrieben.
Arne Koltermann