Grimme-Institut in der Krise
Frauke Gerlach verzichtet auf weitere Amtszeit, Mitarbeiter kündigen Lohnverzicht an
Nun verkündete Frauke Gerlach, die Direktorin des Grimme-Instituts, pünktlich zum 50-jährigen Jubiläum, dass die Einrichtung kurz vor der Pleite stehe: Bei einem Etat von 3 Mio. Euro entsteht 2023 eine Unterdeckung von 323.00 Euro, im nächsten Jahr werde das Minus sogar bei rund 430.000 Euro liegen. Grund: die überdurchschnittlich hohen Tarifabschlüsse und die explodierenden Veranstaltungs- und Energiekosten. Gesellschafter des Instituts sind der Deutsche Volkshochschul-Verband, die Stadt Marl, die Film- und Medienstiftung NRW, die Landesanstalt für Medien NRW, der WDR und das ZDF sowie das Land Nordrhein-Westfalen, das mit 10 % des Etats den größten Teil der Kosten trägt. (Vgl. Niemeier 2023)
Die Bedeutung des Instituts wird unterstrichen
Auf der Veranstaltung zum 50. Geburtstag, die aufgrund der knappen Kassen weniger pompös verlief als sonst, wurde das Institut von vielen gelobt. So erklärte Medienminister Nathanael Liminski (CDU), „Grimme sei ‚ein Gütesiegel‘ für die Qualität von Medienangeboten […]. ‚Unsere moderne, super-diverse und digital-beschleunigte Gesellschaft braucht solche Orientierung mehr denn je.‘“ (epd 2023) Der Landtagspräsident André Kuper (CDU) bezeichnete das Institut, wie der Evangelische Pressedienst berichtet, als „‚wichtigen Bestandteil der Medien- und Kulturlandschaft‘. Seit 50 Jahren liefere die gemeinnützige Einrichtung wichtige Beiträge zur öffentlichen Meinungsbildung über Medien“ (ebd.). Und „freie und gewissenhaft arbeitende Medien“ brauche die Demokratie. Frauke Gerlach habe erklärt, „der Diskurs über die Qualität von Medien sei aktueller denn je. Sie vertraue darauf, dass das Grimme-Institut auch in 25 Jahren noch für den ‚unabhängigen, werteorientierten und wissensbasierten Diskurs über die Qualität von Medien‘ stehen werde.“ (Ebd.)
Grimme-Institut passt sich der veränderten Medienlandschaft an
Gerlach sieht für die Arbeit des Grimme-Instituts gerade angesichts der sich verändernden Massenkommunikation eine Zukunft: „Zu den Aufgaben des Grimme-Instituts gehören unter anderem die Beobachtung, Analyse und Bewertung von Medienangeboten und ‑entwicklungen. Er ist nach dem deutschen Kulturpolitiker Adolf Grimme benannt, der zeitlebens dafür plädierte, dass der deutsche Rundfunk sich einem hohen Qualitätsanspruch verpflichtet fühlen müsse. Für diesen Qualitätsanspruch stehe auch der Grimme-Preis, der viel mehr als eine reine Ehrung sei, sagt Gerlach. Das Institut möchte dazu beitragen, dass ‚vorbildliche Medieninhalte verbreitet werden‘, und der Preis verdeutliche diese Aufgabe.“ (Bachtler 2023)
Das Grimme-Institut habe sich auch immer den Veränderungen in der Medienlandschaft und der Mediennutzung angepasst, so Gerlach. Während lange Zeit eher Programme, die der Bildung oder der Kultur dienten, durch einen Preis geehrt wurden, gibt es seit 2007 auch einen Grimme-Preis für die Kategorie Unterhaltung. Erster Preisträger war unter anderem die Show Extreme Activity mit Jürgen von der Lippe, die allerdings noch im selben Jahr wegen sinkender Quoten eingestellt wurde. (Ebd.)
Unterschiedliche Reaktionen auf verschiedene Interviews mit Gerlach
Darüber, ob wir das Grimme-Institut noch brauchen, gibt es unterschiedliche Ansichten. Michael Hanfeld, bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ für den Bereich Medien zuständig, könnte wohl eher darauf verzichten, ob, wie Gerlach es ausdrückt, das Institut auch in 25 Jahren noch existieren sollte: „Da wären wir uns nicht so sicher. Denn für weitere 25 Jahre dürften die wenigen Impulse für die medienkritische Debatte aus Marl nicht reichen. Um das zu erkennen, muss man nur das ellenlange Interview lesen, das Frauke Gerlach gerade dem Fachdienst epd medien gegeben hat. Da wimmelt es nur so vor Floskeln. Erkenntnisse von anno Tobak verkauft Frauke Gerlach als heiße News. Kostprobe: ‚Durch das Internet und durch Systematiken der Aufmerksamkeitsökonomie und der ökonomischen Situation der Medien müssen wir eine Popularisierung und einen schrilleren Ton in der Medienlandschaft beklagen.‘ Die Privaten, sagt Gerlach, hätten sich mit Blick auf ‚vorbildliches Fernsehen‘, wie es der Grimme-Preis auszeichnet, sehr verbessert. (Wir fragen uns indes angesichts des real existierenden Onlinestreaming-Komplexes und des finanziell aufgepumpten öffentlich-rechtlichen Rundfunks, ob es die Privatsender überhaupt noch gibt.) – Gerlach spricht von ‚Emotionalisieren‘ und ‚Personalisieren‘, von zu viel Fußball in den Nachrichten und von teuren Sportrechten bei den Öffentlich-Rechtlichen. Sie spricht über KI und landet am Ende beim Gründer Bert Donnepp, dem es um Bildung und um ‚ein Gegengift gegen Populismus und Faschismus‘ gegangen sei. Das sind lauter Allgemeinplätze, da findet sich nichts, das anregen oder aufregen könnte; nichts, wodurch sich Grimme von anderen unterschiede.“ (Hanfeld 2023)
Auch Steffen Grimmberg, der 2015 selbst den Grimme-Preis leitete und bis Ende 2022 Vorsitzender des Grimme-Preis-Fördervereins war, sieht in der Führung des Grimme-Instituts Fehler: „Als Förderverein hatten wir Ende 2022 in einem offenen Brief gefragt: ‚Wo bleibt Grimme?‘, weil aus dem Institut, von den Preisen abgesehen, kaum noch Impulse ausgehen. Die Reform der Öffentlich-Rechtlichen wäre früher in Marl (mit)verhandelt worden. Heute braucht es dafür einen Zukunftsrat. Am Institut gibt es zum 50sten einen Tag der offenen Tür und Filme aus der guten alten Zeit, als der Laden richtig wichtig war.“ (Grimberg 2023)
Neue Hoffnung
Doch nun gibt es neue Hoffnung. Die Direktorin Frauke Gerlach verzichtet auf eine weitere Amtszeit, die Mitarbeiter des Instituts haben sich wohl auf Gehaltskürzungen verständigt, wie DWDL berichtet: „Frauke Gerlach wird ab Mitte des kommenden Jahres nicht mehr Direktorin des Grimme-Instituts sein. Ihr aktueller Vertrag läuft noch bis Ende April 2024, für eine weitere Amtszeit steht sie nicht zur Verfügung. Entsprechende Informationen des Katholischen Nachrichtendienstes hat das Grimme-Institut gegenüber DWDL.de bestätigt. Unklar bleibt, ob es sich um eine freiwillige Entscheidung Gerlachs handelt oder ob sie aus dem Gesellschafterkreis dazu gedrängt wurde. Eine Nachfolgeregelung für Gerlach gibt es noch nicht.“ (Niemeier 2023)
Auch der Stellenabbau ist wohl vom Tisch: „Wie der Katholische Nachrichtendienst schreibt, seien durch den Verzicht auf Tariferhöhungen keine Entlassungen mehr nötig. Bestätigen will man das beim Grimme-Institut derweil noch nicht und verweist auf eine Gesellschafterversammlung, die am heutigen Freitag für Klarheit sorgen soll.“ (Ebd.) Darüber hinaus gibt es weitere Sparvorschläge: So könnte das Bergfest, das in der Mitte der Woche, in der die Nominierungsjurys tagen, stattfindet, gestrichen werden. Auch die Verleihung des Grimme-Preises selbst könnte weniger pompös ausfallen. Daneben gibt es Signale, dass die Gesellschafter bereit sein könnten, ihre Zahlungen an das Institut aufzustocken. Das könnte allerdings noch dauern.
Quellen:
Bachtler, K.: 50 Jahre Grimme-Institut: „Jede Mediengeneration erfindet ihren eigenen Stil“. In: SWR Kultur, 03.11.2023. Abrufbar unter: www.swr.de
epd: Liminski: Grimme-Institut sei „Gütesiegel“ für Qualität von Medien. In: Evangelische Zeitung, 15.12.2023. Abrufbar unter: www.evangelische-zeitung.de
Grimberg, S.: Zukunft des Grimme-Instituts: Der Kaiserin neue Kleider. In: taz, 08.09.2023. Abrufbar unter: taz.de
Hanfeld, M.: Grimme-Institut wird 50. Gütesiegel ohne Wert. In: FAZ, 15.11.2023. Abrufbar unter: www.faz.net
Niemeier, T.: Unklare Zukunft für das Institut. Frauke Gerlach hört als Grimme-Direktorin auf. In: DWDL, 15.12.2023. Abrufbar unter: www.dwdl.de