Grüne Transformation in der Filmbranche

Birgit Heidsiek

Birgit Heidsiek ist Gründerin von Green Film Shooting, dem Europäischen Zentrum für Nachhaltigkeit im Medienbereich, das mit Publikationen und Podiumsdiskussionen über grüne Innovationen in der Medienbranche informiert. Als Grüne-Kino-Beraterin der Filmförderungsanstalt (FFA) hat sie „Das Grüne Kinohandbuch 2.0“ produziert.

Mit der Produktion von Kinofilmen und Serien geht oftmals eine Verschwendung von Energie und Ressourcen einher, die der Umwelt schadet. Zu den größten Klimasünden beim Dreh gehören Dieselgeneratoren ohne Rußpartikelfilter, Flugreisen, Einweggeschirr und Billigfleisch. Aber auch Kostüme, Requisiten oder Setbauten aus Holz sollten nicht im Abfall landen.

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 2/2023 (Ausgabe 104), S. 40-43

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Eine CO₂-Bilanzierung soll helfen, die potenziellen Auswirkungen der verschiedenen Maßnahmen auf das Klima bereits im Vorfeld zu erfassen und die Optionen entsprechend zu sondieren. Ziel ist, dass die Produktionen auf Lösungen mit einem geringeren CO₂-Ausstoß setzen. Bereits ein Tatort verursacht im Schnitt rund hundert Tonnen CO₂, ein Kinofilm einige hundert Tonnen und große Hollywoodproduktionen sogar ein paar tausend Tonnen des klimaschädlichen Gases. Als der Regisseur Roland Emmerich vor zwei Jahrzehnten den CO₂‑Fußabdruck seines Katastrophenfilms The Day After Tomorrow berechnen ließ, war die Filmbranche noch nicht an diesem Thema interessiert.

Spätestens seit den Demonstrationen der Fridays for Future-Bewegung und der Verkündigung des European Green Deal ist Klimaschutz für Filmproduktionen kein Fremdwort mehr. Nachdem die im Produzentenverband zusammengeschlossenen unabhängigen Kinoproduzenten 2019 eine Selbstverpflichtungserklärung veröffentlicht haben, bestimmte Umweltstandards einzuhalten, sind zahlreiche Organisationen und Institutionen in ganz Europa nachgezogen. Eine Vielzahl von Best Practice Guides, Richtlinien und CO₂-Rechnern zeugt von der Bereitschaft, Film- und Fernsehproduktionen umweltschonender produzieren zu wollen.
 


Zwischen Wunsch und Wirklichkeit klafft noch eine große Lücke.



Zwischen Wunsch und Wirklichkeit klafft allerdings noch eine große Lücke. Neben mangelndem Know-how und fehlender Verfügbarkeit klimafreundlicher Lösungen im Energie- und Transportsektor gibt es im Filmbereich ein systemimmanentes Problem, das der Finanzierung geschuldet ist. Filmproduzenten realisieren ihre Projekte nicht zwangsläufig dort, wo das Drehbuch verortet ist, sondern in den Ländern und Regionen, die mit attraktiven Förderkonditionen und Steuervergünstigungen locken.

Das gilt weltweit, auch auf europäischer Ebene und in Deutschland, wo sogenannte „Rucksack-Produzenten“ mit Cast und Crew von Nord nach Süd und Ost nach West tingeln, um die regionalen Fördereffekte in der entsprechenden Region zu erbringen. Dieses veraltete System führt dazu, dass eine Filmcrew von Bayern nach Berlin reisen muss, um im Wald zu drehen, obwohl sie diesen auch zu Hause vor der Tür hat.

Das Modell der Standortförderung, bei dem für die Fördermittel jeweils das Eineinhalbfache in dem entsprechenden Bundesland ausgegeben werden muss, ist in den 1980er-Jahren entstanden und hat erfolgreich zum Aufbau diverser Filmmetropolen geführt. Die Kehrseite dieses Prinzips, die Fördermittel an die Erbringung von Standorteffekten zu knüpfen, ist der daraus resultierende größere Mobilitätsaufwand.

Energie, Reisen und Transport gehören in der Regel zu den größten Posten in der CO₂-Bilanz. Um Filme möglichst umweltschonend zu produzieren, ist eine frühzeitige Planung essenziell. Dies beginnt bereits beim Schreiben des Drehbuches, denn die Umsetzung eines Actionfilms erfordert weitaus größere Ressourcen als beispielsweise ein Kammerspiel. Mit der Auswahl der Locations und der Anzahl der Motive gehen entsprechende Anforderungen bezüglich der Transportoptionen für Cast, Crew und Equipment einher.

Ein Drehort in Südafrika, zu dem Team und Schauspieler fliegen, verursacht einen wesentlich höheren CO₂-Fußabdruck als eine Produktion, die überwiegend im Studio entsteht. Eine Kosten-, Zeit- und CO₂-sparende Alternative kann ein Set im Mixed Reality Studio sein, in dem eine LED-Leinwand mit der entsprechenden Kulisse als Hintergrund fungiert. Damit ist allerdings ein hoher Strombedarf verbunden, der nicht nur aus dem Einsatz des Equipments im Studio resultiert, sondern durch die Verarbeitung der hochaufgelösten Bilddaten auf den Servern im Rechenzentrum entsteht. Welche Lösung im Endeffekt umweltfreundlicher ist, hängt jeweils vom entsprechenden Projekt ab.
 


Ein Drehort in Südafrika, zu dem Team und Schauspieler fliegen, verursacht einen wesentlich höheren CO₂-Fußabdruck als eine Produktion, die überwiegend im Studio entsteht.



Die Nutzung von Energie ist stets ein wesentlicher Faktor bei der Produktion eines Films. Während der Strom beim Dreh im Studio oder in Gebäuden aus dem Festnetz bezogen werden kann, kommen bei Filmaufnahmen an Außenmotiven oft dieselbetriebene Stromerzeuger zum Einsatz, die mit gesundheitsschädlichem Ruß, Stickoxiden, Feinstaub, Kohlenmonoxid und Kohlenwasserstoffen die Umwelt belasten. Zudem können Dieselgeneratoren nicht bedarfsorientiert genutzt werden, sondern laufen auf Volllast, selbst wenn nur Strom zum Kaffeekochen oder Föhnen in der Maske benötigt wird.

Als umweltfreundliche Alternative für die Stromerzeugung am Set haben verschiedene Hersteller Prototypen von Hybridsystemen entwickelt, die über einen batteriebasierten Stromspeicher verfügen. Um den Filmset mit Strom zu versorgen, wird die Batterie über Nacht mit Strom aus dem Festnetz aufgeladen. Wird mehr Strom am Set benötigt, schaltet sich bei niedrigem Akkuladezustand automatisch das Back-up-System des Hybridgenerators ein, um die Batterie wieder aufzuladen. Mittlerweile werden verschiedene Hybridsysteme mit einer Akkukapazität von 30 kWh bis zu 100 kWh angeboten, deren Batteriespeicher mit Diesel, Flüssiggas (LPG) oder hydriertem Pflanzenöl (HVO) nachgeladen werden.

Bislang werden die umweltschonenden Stromerzeuger erst in Kleinserien hergestellt, denn die Anschaffung für einen Equipment-Verleih schlägt mit sechsstelligen Summen zu Buche. Aus diesem Grunde können diese Stromerzeuger nicht zu so günstigen Preisen wie die Dieselaggregate vermietet werden, da sie refinanziert werden müssen. Die Produktionen sind jedoch bestrebt, die Kosten möglichst niedrig zu halten, sodass die Nachfrage nach umweltschonenden Produktionsmitteln bisher gering ist.

Um den CO₂-Ausstoß der Film- und Fernsehproduktionen in Deutschland zu senken, haben die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), die Filmförderungsanstalt (FFA) und die Filmförderungen der Länder in Zusammenarbeit mit dem Green-Shooting-Arbeitskreis bundesweit einheitliche ökologische Produktionsstandards entwickelt, deren Einhaltung spätestens ab dem 1. Juli 2023 Voraussetzung für alle in Deutschland öffentlich geförderten Kino-, TV- und Online-/VoD-Produktionen wird.

Die ökologischen Standards sind in fünf Handlungsfelder unterteilt, zu denen auch der Energieeinsatz und die Energienutzung gehören. Bezüglich des Einsatzes von Stromaggregaten wird in Form von Soll-Vorgaben empfohlen, den Einsatz von Dieselgeneratoren zu beschränken und auf Stromerzeuger mit einem Partikelfilter zu setzen. Eine strikte Vorgabe, die eine Nachrüstung der bestehenden Dieselgeneratoren erfordert, gibt es allerdings nicht.

Um den Wirkungsgrad der ökologischen Standards zu erhöhen, sollen diese perspektivisch weiterentwickelt werden. Bislang sind die Anforderungen in 21 Muss-Vorgaben gegliedert, von denen eine Produktion mindestens 16 erfüllen muss. Hinzu kommen weitere 18 Soll-Vorgaben, die als Anregung dienen. Mit diesen Standards ist ein erster Grundstein gelegt, um den Transformationsprozess in der Filmbranche voranzubringen.
 


Seitdem es eine größere Nachfrage nach klimafreundlichen Lösungen gibt, ist dieser Trend von diversen Unternehmen als ein lukratives Geschäftsmodell identifiziert worden. 



Um eine höhere Wirksamkeit zu erreichen, ist eine Schärfung erforderlich. Zu den Muss-Vorgaben gehört u. a. die Anforderung, in allen Betriebsstätten inklusive der Postproduktionsunternehmen zertifizierten Ökostrom zu beziehen. Das klingt gut, aber nicht überall, wo Ökostrom draufsteht, handelt es sich um tatsächlich erzeugten Ökostrom. Der Handel mit sogenannten Herkunftsnachweisen in Europa ermöglicht es, Strom aus fossilen Quellen mit einem Grünstrom-Label zu zertifizieren, das beispielsweise von einem norwegischen Wasserkraftwerk stammt. Bei der CO₂-Bilanzierung wird dann Ökostrom angesetzt, aber der Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland wird dadurch nicht forciert.

Seitdem es eine größere Nachfrage nach klimafreundlichen Lösungen gibt, ist dieser Trend von diversen Unternehmen als ein lukratives Geschäftsmodell identifiziert worden. Ob Strom, Schokolade oder Strohhalme – immer mehr Produkte werden mit Werbeversprechen und Eigenkreationen von Labels als „grün“, „bio“, „nachhaltig“, „fair“ oder „kompostierbar“ vermarktet. Eine Transparenz oder ein tieferer Blick in die Produktions- und Lieferketten ist dabei nicht gegeben. Nachhaltige Beschaffung und die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft erfordern auch in der Filmbranche eine Umstellung der Arbeitsabläufe und eine stärkere Nutzung vorhandener Ressourcen, damit statt „Fast Fashion“ Kostüme aus dem Fundus eingesetzt werden.

Um eine Abkehr vom „Fast-Film“-System herbeizuführen, müsste der Fokus in der Filmproduktion von der Quantität auf mehr Qualität verlagert werden. Mehr Zeit in der Vorbereitungsphase würde in allen Gewerken für eine entschleunigte Arbeitsweise sorgen, die zur Einsparung von Energie, Ressourcen und CO₂-Emissionen führen könnte. Nachhaltigkeit ist ein Prozess, der sich nach dem Plan-Do-Check-Act-Prinzip ständig optimieren lässt und in der Filmbranche noch am Anfang steht.