#High – berauscht im Netz

Drogenverherrlichende Inhalte in sozialen Medien

Nadin Weber

Nadin Weber ist studierte Kommunikationswissenschaftlerin und arbeitet als Referentin für Medienaufsicht bei der Medienanstalt Mecklenburg-Vorpommern.

„Der beste Trip meines Lebens“, „Meine Erfahrungen mit Cannabis“, „Welche Drogen wirken eigentlich am besten?“: Diese und ähnliche Beiträge finden sich vielfach auf Social-Media- und Contentplattformen. Mit dem Teilen von Musikvideos, Memes und Erfahrungsberichten erreichen sie schnell ein junges Publikum. Dass es sich dabei nicht nur um Einzelfälle handelt, zeigt eine aktuelle Schwerpunktanalyse der Landesmedienanstalten im Auftrag der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM). Die Ergebnisse der Studie werden in diesem Artikel vorgestellt.

Printausgabe mediendiskurs: 28. Jg., 1/2024 (Ausgabe 107), S. 48-52

Vollständiger Beitrag als:


Jugendliche verbringen täglich 224 Minuten ihrer Freizeit online (MPFS 2023, S. 24). Plattformen wie TikTok, YouTube und Instagram gehören dabei zu den meistgenutzten Angeboten (ebd., S. 28). Hier finden die Jugendlichen Clips und Beiträge mit Themen und Darstellungen, die sie besonders ansprechen wie etwa Lip Sync Battles, Pranks, Make-up-Tutorials oder Let’s Plays. Zu ihren Vorbildern gehören mittlerweile nicht nur Stars aus Film, Fernsehen oder Musik, sondern zunehmend auch Influencer:innen. Oftmals produzieren diese mehrmals täglich neuen Content und beteiligen die jungen Menschen an ihrem Alltagsleben. Nicht selten können durch diese Interaktionen auch parasoziale Beziehungen entstehen. Influencer:innen dienen auch als Multiplikator:innen, denn die meist jugendaffin gestalteten Inhalte werden auf den verschiedenen Plattformen vielfach geteilt und weiterverbreitet. Allerdings erzielen nicht nur Angebote aus den Bereichen „Beauty“, „Gaming“, „Sport“ o. Ä. große Reichweiten bei Jugendlichen, sondern auch Beiträge und Videos, in denen der Konsum von Alkohol und illegalen Drogen im Vordergrund steht. So können Jugendliche beim Scrollen durch ihren Feed oder durch Nutzung der Suchfunktion ohne große Hindernisse und ungefiltert auf Trinkchallenges oder Erfahrungsberichte von sogenannten Drugfluencer:innen stoßen.

Aus Sicht des Kinder- und Jugendmedienschutzes besteht hier ein grundsätzliches Problempotenzial unter den Aspekten Selbstschädigung und Risikoverhalten. Das gilt insbesondere, wenn der Konsum von Drogen bagatellisiert sowie als erstrebenswertes, sozial förderliches und amüsantes Element dargestellt wird. Vor allem einseitig positive unkritische und unreflektierte Darstellungen risikobehafteter Verhaltensweisen beim Drogenkonsum können für die psychische und physische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen problematisch sein. Letzteres kann vor allem auf die besonders anfälligen, die sogenannten gefährdungsgeneigten Jugendlichen zutreffen.
 

Alkohol und Cannabis sind die meistkonsumierten Drogen bei Jugendlichen

Erhebungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zeigen, dass der Konsum von Alkohol und anderen Drogen unter Heranwachsenden in Deutschland weitverbreitet ist und als durchaus problematisch eingeschätzt werden kann. Demnach haben 57,5 % der Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren schon einmal Alkohol konsumiert. 8,7 % der 12- bis 17‑Jährigen konsumieren regelmäßig Alkohol, d. h. mindestens einmal wöchentlich (Orth/Merkel 2022, S. 13).

10,6 % der Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren haben zudem schon einmal eine andere Droge ausprobiert (Orth/Merkel 2020, S. 51). Mit großem Abstand ist Cannabis die nach Alkohol beliebteste Droge unter Jugendlichen. 9,3 % aller Jugendlichen haben dieses Rauschmittel schon einmal konsumiert. Rund 1,6 % der Heranwachsenden rauchen Cannabis regelmäßig, d. h. mindestens zehnmal in den vergangenen zwölf Monaten (ebd., S. 34). In der Altersgruppe der 16- und 17‑Jährigen haben 21 % schon einmal Cannabis konsumiert. 3,8 % dieser Altersgruppe nehmen Cannabis regelmäßig (ebd., S. 36).

Die Konsumerfahrung mit anderen Substanzen fällt deutlich geringer aus. 1,7 % der Jugendlichen haben beispielsweise Ecstasy (MDMA), LSD, Amphetamine, Crystal Meth, Kokain, Heroin und neue psychoaktive Substanzen schon einmal ausprobiert (ebd., S. 53). Somit sind Alkohol und Cannabis als die für Minderjährige relevantesten Drogen anzusehen.
 

Kriterien der KJM als Grundlage der Bewertungen

Vor diesem Hintergrund haben die 14 Landesmedienanstalten im Rahmen einer gemeinsamen Schwerpunktanalyse insgesamt 162 Angebote auf den Plattformen TikTok, YouTube und Instagram untersuchen lassen. Die Analyse fokussierte sich dabei auf aktuelle und reichweitenstarke Kanäle, die Content zu Sucht- und Rauschmitteln (insbesondere Alkohol und Cannabis) enthielten und sich zudem an eine deutschsprachige Zielgruppe richteten. Neben Angeboten von Influencer:innen standen dabei auch Memes-Seiten sowie Social-Media-Aktivitäten von bekannten Deutschrapper:innen im Mittelpunkt der Erhebung. Als Maßstab der Bewertungen dienten der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) sowie die Prüfkriterien der KJM.

Der JMStV unterscheidet rechtlich zwischen Angeboten, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen (§ 5 Abs. 1 JMStV), und Angeboten, die offensichtlich geeignet sind, ihre Entwicklung bzw. Erziehung unter Berücksichtigung der besonderen Wirkungsform des Verbreitungsmediums schwer zu gefährden (§ 4 Abs. 2 Nr. 3 JMStV). Während Angebote mit offensichtlich schwer jugendgefährdenden Inhalten im Internet nur verbreitet werden dürfen, wenn sichergestellt wird, dass diese nur Erwachsenen zugänglich sind („geschlossene Benutzergruppen“ mittels Altersverifikationssystemen), unterliegen entwicklungsbeeinträchtigende Angebote weniger strengen Regularien. In diesen Fällen sind als Zugangsbeschränkungen technische Kontrollmechanismen (z. B. Jugendschutzprogramme) oder auch Zeitgrenzen vorgesehen.

Die Kriterien der KJM für die Aufsicht im Rundfunk und in den Telemedien umfassen vorrangig die Wirkungsrisiken, die eine Entwicklungsbeeinträchtigung bzw. ‑gefährdung von Kindern und Jugendlichen zur Folge haben können. Zu den geprüften Kriterien der Untersuchung gehörten daher angebotsspezifische Wirkungsfaktoren (z. B. Alltagsnähe), die auch identifikationsfördernde Faktoren (z. B. Jugendaffinität) umfassen. Die Darstellung von riskantem und selbstschädigendem Verhalten, die Rolle der Community sowie weitere verstärkende Wirkungsfaktoren – wie etwa das explizite Darstellen des Drogenkonsums – waren ebenfalls Grundlage der Bewertung. Berücksichtigt wurden bei der Einschätzung auch relativierende Wirkungsfaktoren, wenn beispielsweise eine glaubwürdige Aufklärung über negative und gesundheitliche Folgen des Drogenkonsums Bestandteil eines Angebots war.
 

Rund 70 % der geprüften Angebote enthielten potenzielle Verstöße

Bei 95 der insgesamt 162 geprüften Angebote wurde ein Anfangsverdacht auf einen Verstoß gegen die Bestimmungen des JMStV festgestellt. Der Großteil der angenommenen Verstöße bewegte sich im Bereich der Entwicklungsbeeinträchtigung für unter 18‑Jährige bzw. für unter 16‑Jährige; in einem Fall für unter 12‑Jährige. In rund 10 % der Fälle lag ein Anfangsverdacht auf eine offensichtlich schwere Jugendgefährdung vor (Abb. 1).
 

 

Mehr als 40 % der mutmaßlichen Verstöße fanden sich auf Instagram, gefolgt von YouTube und TikTok (Abb. 2).

 

In rund 65 % der Fälle standen der Konsum von Alkohol und/oder Cannabis im Mittelpunkt. Die anderen Angebote befassten sich mit weiteren Suchtmitteln wie beispielsweise MDMA (Ecstasy), Halluzinogenen, Opiaten oder auch Mischkonsum (Abb. 3).

 

Neben entwicklungsbeeinträchtigenden und offensichtlich schwer jugendgefährdenden Angeboten fanden sich bei der Untersuchung der Profile bzw. Kanäle weitere Auffälligkeiten. Bei allen betreffenden Angeboten fehlte die Benennung von Jugendschutzbeauftragten (§ 7 JMStV). Darüber hinaus fand sich in einigen Angeboten ein Anfangsverdacht auf Verstöße gegen die Bestimmungen zum Jugendschutz in der Werbung (§ 6 JMStV).
 

Viele Angebote sind jugendaffin gestaltet und verharmlosen Drogen

Mehr als die Hälfte der Angebote wiesen einen hohen Realitätsgrad sowie eine große Alltagsnähe auf. Bei rund 39 % der Angebote wurde ein hohes Identifikationspotenzial für Jugendliche festgestellt (Tab. 1). Dieses zeigte sich in einer jugendaffinen Art der Gestaltung, z. B. in Sprache, Bildern oder Symbolen. Häufig wurden dabei auch Bezüge zur jugendlichen Lebenswelt hergestellt. Bei über 50 % der Fälle spielte der Einsatz von Humor eine wichtige Rolle. Zwei Drittel der Angebote waren zudem auf die Wahrnehmungsfähigkeiten und Rezeptionsgewohnheiten der jungen Zielgruppe zugeschnitten.
 


Tabelle 1: Ausgewählte Ergebnisse


Besonders besorgniserregend ist, dass der Konsum, die Wirkung und die Zubereitung von verschiedenen Substanzen bei der Mehrheit der Angebote explizit gezeigt wurden. Zudem waren bei rund einem Drittel dieser Angebote die Zubereitung und Wirkung audiovisuell hervorgehoben. Dass Nutzende zum (exzessiven) Konsum oder Ausprobieren von Drogen aufgefordert worden sind, kam bei rund 20 % der Angebote vor. In einigen Fällen wurden zudem Bezugsquellen genannt bzw. Tipps zum Erwerb von Drogen gegeben.

Auch innerhalb der Communitys war die Darstellung von Risikoverhalten und Selbstschädigung bei einigen Angeboten stark ausgeprägt. Bei rund 40 % der Angebote wurden im Kommentarbereich selbstgefährdende Verhaltensweisen u. a. als erstrebenswerte Selbsterfahrung, als selbstverständliches Mittel zur Erlangung außergewöhnlicher Rauschzustände oder als Entspannungsmittel angepriesen. In fast gleicher Anzahl wurde der Konsum von Drogen von der Community als erstrebenswertes Verhaltensideal, als Lösung von persönlichen Problemen oder als Mittel zur Steigerung des Selbstwertgefühls präsentiert.
 

Angebote klären nur selten über die Risiken des Drogenkonsums auf

Nur bei etwa 15 % der Angebote wurden befürwortende Inhalte hinsichtlich des Risikoverhaltens und der Selbstschädigung generell hinterfragt und kritische Meinungen zugelassen. Zehn Angebote enthielten aufbauende Worte, die risikobehaftetes oder selbstschädigendes Verhalten ablehnten, oder gaben Hinweise auf die Notwendigkeit der Inanspruchnahme von Hilfe. Lediglich ein Angebot wies auf Beratungsangebote für Betroffene hin.
 

Fallbeispiel: Drugfluencer:innen

Im Rahmen der Analyse erwiesen sich mehrere Angebote von sogenannten Drugfluencer:innen als besonders interessant. Die betreffenden Anbietenden beschäftigen sich auf ihren Kanälen überwiegend und teilweise ausschließlich mit dem Konsum und Wirkungen verschiedener Drogen. Einige geben sich den Anstrich empirischer Experimente, indem sie Settings, zeitliche Abläufe von Anstieg und Abklingen der Wirkungen wie auch Beschreibungen letzterer liefern.

In den untersuchten Kanälen schilderten die meist jungen – aber volljährigen – Anbietenden unter dem Deckmantel vermeintlicher Aufklärung ihre Erfahrungen mit verschiedenen Substanzen. Zwar verschwiegen sie die negativen Folgen und Wirkungen häufig nicht, allerdings betonten sie zugleich die positiven Effekte des Konsums. Zuvor geäußerte negative Wirkungen wurden somit direkt wieder relativiert. Eine sachliche und kritische Auseinandersetzung mit dem Konsum von Drogen und gesundheitlichen Risiken bzw. Gefahren fand bei keinem der Angebote statt. Dagegen boten die betreffenden Channels das Potenzial, dass sich drogenkonsumierende Jugendliche in ihrem Lebensstil bestätigt sehen können. Besonders kritisch wurden in diesem Zusammenhang sogenannte Safer-use-Regeln gesehen, die ein vermeintlich kalkulierbares Risiko bei der Einnahme verschiedener Substanzen suggerieren.
 

Mehrere Aufsichtsverfahren eingeleitet

Die Landesmedienanstalten haben zwischenzeitlich gegen mehrere Anbietende medienrechtliche Aufsichtsverfahren eingeleitet. Die Reaktionen der Angeschriebenen zeigen, dass ein hohes Interesse besteht, die Angebote gesetzeskonform zu gestalten. Auch mit den Plattformen stehen die Landesmedienanstalten in Kontakt. So wurden Angebote, bei denen die Anbietenden unbekannt sind, bei den Plattformen gemeldet. Instagram und TikTok haben daraufhin zahlreiche Inhalte gelöscht. Auf YouTube wurden die betroffenen Videos in den 18er‑Bereich verschoben oder mit einer DE‑Sperre für Nutzende aus Deutschland gesperrt.

Die vollständigen Ergebnisse sowie weitere Informationen zur Schwerpunktanalyse #High – Jugendbeeinträchtigung durch Alkohol- und Cannabisdarstellungen auf Instagram, TikTok und YouTube sind unter www.kjm-online.de abrufbar. Die detaillierten Bewertungsmaßstäbe der KJM zu den Wirkungsrisiken sind unter www.kjm-kriterien.de zu finden.
 



Literatur:

MPFS – Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest: JIM-Studie 2023. Jugend, Information, Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19‑Jähriger. Stuttgart 2023. Abrufbar unter: https://www.mpfs.de

Orth, B./Merkel, C.: Die Drogenaffinität Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland 2019. Rauchen, Alkoholkonsum und Konsum illegaler Drogen: aktuelle Verbreitung und Trends. BZgA-Forschungsbericht/Juli 2020. Köln 2020: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Abrufbar unter: https://doi.org/10.17623/BZGA:225-DAS19-DE-1.0

Orth, B./Merkel, C.: Der Substanzkonsum Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland. Ergebnisse des Alkoholsurveys 2021 zu Alkohol, Rauchen, Cannabis und Trends. BZgA-Forschungsbericht/Juni 2022. Köln 2022: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Abrufbar unter: https://doi.org/10.17623/BZGA:Q3- ALKSY21-DE-1.0