Hilfe zur Selbsthilfe?

Mentale Gesundheit und die sozialen Medien

Eva Maria Lütticke im Gespräch mit Adanna Asamonye, Yasmin Celin Gannouchi, Yara Prasse, Robin Seiler

Eva Maria Lütticke studiert Medienwissenschaften an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF.

Vier junge Erwachsene berichten über ihren persönlichen Weg, über die Vor- und Nachteile, ständig online gehen zu können, und wie wichtig es ist, offen über psychische Erkrankungen zu sprechen

Printausgabe tv diskurs: 25. Jg., 4/2021 (Ausgabe 98), S. 38-42

Vollständiger Beitrag als:

 

Yara Prasse (18)
 

Wann hast Du Dich das erste Mal mit dem Thema „Mental Health“ auseinandergesetzt?

Ich habe bei mir selbst gemerkt, dass ich depressive Verstimmungen habe. Das war in der 8. Klasse.

Wie bist Du vorgegangen? Wo hast Du nach Informationen gesucht?

Meine einzige richtige Quelle war das Internet. Dort habe ich nach Informationen gesucht, was bei Depressionen hilft. Als Ergebnis wurden mir Sport und gesunde Ernährung angezeigt.

Also gab es auch Blogs und Internetseiten, die nicht hilfreich waren?

Aussagen wie „Sport machen“ und „genug schlafen“ finde ich ganz schwierig. Das waren die Infos, die ich auf Ärzteseiten gefunden habe. Dadurch ging es mir nicht besser. Aber es gab auch Informationen, die mir geholfen haben.

Und Dein direktes Umfeld? Freund*innen, Familie oder die Schule waren keine Anlaufstelle für Dich?

Ich hatte versucht, an meiner Schule Hilfe zu bekommen. Aber das ist gescheitert. Die wollten, dass ich das eigenverantwortlich in den Griff bekomme. Damals war ich noch so jung, dass es total schwierig war, eigenständig Hilfe zu suchen.

Du bist jetzt in Therapie. Wer konnte Dir letztlich helfen?

Ich habe mich ganz vorsichtig an mein Umfeld gewandt, was eher ein Reinfall war. Mir wurde geraten, zum Arzt zu gehen – was für mich nicht infrage kam. Ich hatte Angst, mit meinen Problemen auf andere zuzugehen, weil mentale Gesundheit in unserer Gesellschaft so ein Tabu­thema ist und ich eben mehrmals keine Hilfe bekam. Schließlich hat mich meine beste Freundin angesprochen und gefragt, ob sie mich bei der Therapieplatzsuche unterstützen soll. Ich bin ihr sehr dankbar dafür, ohne sie hätte ich das nicht geschafft. Jetzt bin ich in Therapie.

Auf TikTok gibt es viele lustige Videos, die sich mit Mental Health beschäftigen. Bist Du damit mal in Berührung gekommen?

Mir hat das sehr geholfen, weil ich mich aufgehoben und verstanden gefühlt habe. Diese verrückten Dinge, die mir passieren, passieren auch anderen Menschen. Es war ein schönes Gefühl, zu wissen, dass ich nicht allein damit bin.

Social Media stehen oft in dem Verdacht, schlecht für die Psyche zu sein, da wir uns ständig mit anderen vergleichen. Wie hast Du es geschafft, davon Abstand zu nehmen?

Ich bin vielen Leuten, die das in mir triggern, entfolgt. Die entstandene Lücke habe ich mit Content gefüllt, der mich interessiert. Ich kann nicht sagen, dass ich zu hundert Prozent FOMO-frei bin, aber ich habe versucht, selbst zu schauen, was mich wirklich interessiert, und selbst aktiv zu werden.

 

Adanna Asamonye (19)
 

Wie findest Du es, dass immer mehr Influencer*innen und Blogger* innen über ihre mentale Gesundheit öffentlich sprechen?

Ich finde es sehr gut, dass das Thema angesprochen und dadurch entstigmatisiert wird. Andererseits habe ich oft das Gefühl, dass falsch darüber gesprochen wird. Äußerungen wie: „Ich bin depri“ oder: „Ich bin depressiv“ werden von allen verwendet, denen es gerade schlecht geht.

Wen meinst Du mit „allen“?

Vorwiegend auf TikTok sehe ich das. Da spricht beispielsweise jemand darüber, er habe Anxiety, also Angststörungen, nur weil er Angst vor einer Klausur hat. Das hat gar nichts mit einer Angststörung zu tun.

Wie hast Du Dich neben Social Media über das Thema informiert?

Mit meinem Vater habe ich schon geredet, als es mir sehr schlecht ging. Aber da hat man total den Generationsunterschied gemerkt. Bei Älteren sind psychische Erkrankungen noch viel mehr ein Tabuthema. Wahrscheinlich ist der Unterschied durch Social Media noch mal größer. Ihm fehlte das ganze Wissen rund um Mental Health, das ich durch Social Media hatte. Mit Freund*innen rede ich oft über solche Themen und auch über meine Angststörung. Der Austausch hilft total.

Social Media können Informationsquellen sein, aber auch die Psyche belasten. Wie siehst Du das?

Ein großes Problem sind die Algorithmen, die einem viele Videos anzeigen, denen man als junger Mensch vollkommen ungeschützt ausgesetzt ist. In den Videos promoten Menschen Ess­störungen und unrealistische Beauty-Standards, aber auch Mobbing wird einem dort vorgelebt.

Warst Du auch schon mal von Mobbing oder Hate Speech betroffen?

Auf TikTok sind es vor allem Videos, die man postet, die dann in einer anderen Community landen, von der man danach Hassnachrichten bekommt. Ich habe auch schon Morddrohungen erhalten. Dass jemand hofft, dass ich verbrenne. Da habe ich mich megaschlecht gefühlt. Ich bin mir sicher, dass so etwas zu Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen führen kann – und natürlich auch zu Suiziden.

Wie war Dein Umgang damit? Es gibt beispielsweise Anlaufstellen wie hateaid.org, die einem helfen, gegen Hate Speech vorzugehen.

Ich habe die Person blockiert.

Du hast die Beauty-Standards erwähnt, die vor allem mit Filtern und Bildbearbeitungsapps erreicht werden. In Norwegen gibt es ab dem nächsten Jahr die Vorgabe, dass Influencer*innen und Agenturen Fotos kennzeichnen müssen, die bearbeitet wurden. Würdest Du Dir das auch für Deutschland wünschen oder ist das überflüssig, weil eh jede*r weiß, dass die meisten Fotos bearbeitet werden?

Ich finde das supergut und wichtig. Vor allem junge Mädchen haben gar nicht den Blick dafür, welche Bilder bearbeitet wurden. Je nachdem, wie gut die Bearbeitung ist, weiß man es auch einfach nicht. Noch vor einigen Jahren hatte ich immer den Wunsch, so auszusehen wie die Personen, denen ich online folgte. Ich wusste gar nicht, dass die Fotos bearbeitet sind und dass das Aussehen eben nur mit Schönheitsoperationen oder Filtern erreicht werden kann.

Überwiegen für Dich die positiven oder die negativen Aspekte von Social Media?

Für mich sind Social Media eher positiv, aber auch nur, weil ich über die Jahre gelernt habe, mich nicht ständig zu vergleichen. Erst durch die Erkenntnis, dass viel gefakt ist, konnte ich gezielt meine eigene Bubble und einen Safe Space kreieren.

Sollte der Umgang mit Social Media in der Schule mehr besprochen werden?

Das sollte auf jeden Fall Thema in der Schule sein! Gerade ab der 8. Klasse hat es bei uns Mädchen angefangen, dass wir Influencer*innen gefolgt sind und so aussehen wollten wie die. Man hat mit 14 Jahren schon darüber nachgedacht, dass man sich irgendwann die Brüste operieren will. Megakomisch. Auf der anderen Seite finde ich es wichtig, dass Eltern einen besseren Überblick über die ganzen Plattformen haben. Meine Eltern haben gar nicht verstanden, was ich auf Instagram, Facebook oder jetzt auf TikTok gucke und dass ich mich als sehr junges Mädchen ständig mit Influencer*innen verglichen habe. Die wussten gar nicht, dass es so etwas gibt.

 

Yasmin Celin Gannouchi (20)
 

Bist Du viel in den sozialen Medien unterwegs?

Normalerweise nutze ich Instagram und TikTok, aber seit zwei Wochen versuche ich, eine Instagram-Pause zu machen. Ich muss aber zugeben, dass ich mir die App gestern dreimal heruntergeladen und dreimal wieder deinstalliert habe (lacht).

Warum hattest Du das Gefühl, eine Instagram-Pause machen zu müssen?

Ich habe superviele Stunden auf Instagram verbracht und es ging mir danach immer schlechter. Als ich die App gelöscht habe, sind mir mehrere Sachen aufgefallen: Unterbewusst habe ich immer mein Handy entsperrt und aus Versehen eine andere App geöffnet. Ich habe mir das so angewöhnt, dass ich jede Sekunde, die ich irgendwie Zeit habe, Instagram öffne. Das ist schon eine Sucht. Und ich habe mein Leben ständig mit dem Leben anderer verglichen. Ich bin ja nicht umsonst auf Instagram, sondern weil ich gerade nichts zu tun habe. Dann sehe ich, wie andere posten, dass sie am Strand oder mit Freund*innen unterwegs sind. Dadurch habe ich mich allein gefühlt, obwohl das natürlich nicht der Fall ist. Zudem ist es auf Instagram so, dass man alles gebündelt präsentiert bekommt. Erst wird einem ein Foto einer Freundin angezeigt und danach etwas über einen Krieg. Das sind viele Reize, die viel auslösen, ohne dass man das Gesehene wirklich verarbeitet. Ich persönlich hatte gar keine Zeit, über das Gesehene zu reflektieren.

Du bist aktuell in Therapie und hast Dich schon länger mit dem Thema „Mental Health“ auseinandergesetzt. Wie war das damals für Dich? Wo hast Du nach Informationen gesucht?

Als ich noch jünger war, habe ich mich über Instagram, YouTube und auch durch Dokumentationen informiert. Aktuell mache ich das nicht mehr. Meine Lösungsstrategien hole ich mir durch den Austausch mit Freund*innen und meiner Therapeutin. Es kann natürlich superhilfreich sein, sich im Internet zu informieren, aber nur, weil es für eine Person funktioniert, heißt das nicht, dass es auch für mich funktioniert. Klar, die Lösungsstrategien aus dem Internet können auch helfen, aber ich habe für mich gemerkt, dass Meditation und Yoga keine Depressionen heilen können.

Fiel es Dir leichter, als jüngerer Mensch online nach Hilfe zu suchen, als Dein direktes Umfeld anzusprechen?

Auf jeden Fall. Die Hürde, darüber zu sprechen, ist supergroß, wenn man so jung ist. Ich persönlich hatte die Angst, dass ich nicht ernst genommen werde. Es ist so leicht, online Informationen zu bekommen: Du gehst an Dein Handy, öffnest Instagram oder den Webbrowser und googelst irgendwas, oder Du nutzt Tumblr oder Pinterest. Da gerät man superschnell in diese Bubbles rein. Im Nachhinein kann ich sagen, dass ich sehr in meiner eigenen Welt lebte. Was mir zum einen gezeigt hat, dass ich nicht allein bin und dass andere es auch geschafft haben, gesund zu werden. Ich war zwar nicht allein, aber ich konnte es auch nicht lösen, indem ich mir Instagram-Posts angeschaut habe.

Gab es auch zweifelhafte Anlaufstellen?

Da waren viele andere junge Leute online, die der Meinung waren, wir bräuchten keine Erwachsenen. Wir als Jugendliche sind hier unter uns und wir bekommen das hin. Du musst durchhalten – und ich halte durch. Aber bei einer Krankheit hilft, zumindest bei mir, nur professionelle Hilfe. Dieses „Wir-bleiben-unter-uns-und-erzählen-es-Niemandem“ finde ich im Nachhinein supergefährlich. Und um noch einmal eine andere Perspektive einzubringen: Ich habe mich mit den anderen verglichen und hatte das Gefühl, dass es anderen viel schlechter geht als mir. Mir geht es doch gar nicht so schlecht. Um es drastisch auszudrücken: Ich will doch noch leben. Und andere nicht. Vielleicht bilde ich mir meine Krankheit nur ein. Dabei ist Schmerz nicht vergleichbar.

Haben Dir Social Media bei der Suche nach einem Therapieplatz geholfen?

Mir hat es sehr geholfen. Ich habe mir YouTube-Videos angeschaut und verschiedene Podcasts gehört, in denen unterschiedliche Wege zu einem Therapieplatz beschrieben wurden. Dazu gab es weiterführende hilfreiche Links und Telefonnummern. Ich merke es immer wieder: Wenn es keinen Austausch mit anderen gibt, ist man ganz auf sich allein gestellt. Ich wusste gar nicht, wo ich anfangen sollte.

 

Robin Seiler (22)
 

Welche Social-Media-Plattformen nutzt Du?

Am meisten Instagram, aber auch Twitch, YouTube und neuerdings TikTok. Generell finde ich es superspannend, mich mit neuen Apps, Social-Media-Plattformen und Trends auseinanderzusetzen.

Wie beschreibst Du Dein Nutzungsverhalten?

Insta-Storys nutze ich wie ein Tagebuch. Da kann man einstellen, dass nur enge Freunde den Content sehen. Ich poste meine Gedanken und Ansichten und heule mich da auch mal aus. Manchmal bekomme ich dann Antworten, obwohl ich das gar nicht erwarte. Das ist nur eine Story, die für mich ist, um es einfach mal rauszulassen. Sonst bin ich online eher der stille Zuschauer.

Wann hast Du Dich das erste Mal mit dem Thema „Mental Health“ beschäftigt?

Als ich mein Abitur gemacht habe. Damals ging es mir manchmal nicht gut, aber ich wusste gar nicht genau, woran es lag. Das ist auch das Phänomen hinter dem Begriff, dass man gar nicht genau sagen kann, warum es einem an diesem Tag nicht gut geht. Je älter ich wurde, desto mehr habe ich mich mit dem Thema „Mental Health“ beschäftigt.

Wo hast Du Dich darüber informiert?

Im Freundeskreis habe ich versucht, offen über das Thema zu sprechen und in einen Austausch zu kommen. Aber auch Interviews, Magazine und vor allem Musik waren mir sehr wichtig. In den letzten Jahren bekomme ich sehr viele Informationen über Social Media. Das Thema hat gerade bei Influencer*innen einen viel größeren Wert als zu meiner Kindheit. Ich hätte nie gedacht, dass Internetstars oder auch TV-Stars offen über ihre Mental Health sprechen.

Gab es online auch zweifelhafte Anlaufstellen?

Es gab YouTube-Videos, die durch eine bestimmte Ästhetik sehr stark emotionalisieren, also Kommentare, Musik. Das kann Betroffene stark beeinflussen, die nicht immer klar über ihre Situation nachdenken können.

Du meinst bestimmte Tipps, wie es einem besser gehen kann?

Ja, weil es eben total individuell ist. Manchen hilft es eben nicht, auf Partys oder in den Fußballverein zu gehen, weil sie introvertiert sind. Denen hilft dann eher ein Onlineangebot. Das Schlimmste ist, wenn jemand sagt: „Das ist doch gar nicht so schlimm. Das kenne ich selber.“

Hast Du auch klassische Anlaufstellen genutzt, als es Dir nicht so gut ging?

Ich war dieses Jahr einmal beim Arzt, weil mich das Thema „Vergänglichkeit“ belastet hat. Das hat in mir große Angst ausgelöst. Es war ein sehr schwieriger Schritt, Hilfe aufzusuchen. Aber das Gespräch hat mir gutgetan und dazu geführt, dass es mir langsam wieder besser ging.

Findest Du, dass Social Media auch einen negativen Einfluss auf die Psyche haben?

Definitiv. Ich behaupte, dass fast 99 % meiner Probleme mit Social Media zu tun haben. Ich mag den Begriff „FOMO“, Fear of Missing Out. Das habe ich fast nur auf Social Media, wenn ich beispielsweise sehe, dass andere auf Konzerten sind und ich nicht. Außerdem fühle ich einen Leistungsdruck. Das sind nicht nur messbare Werte wie Likes und Follower, sondern auch, was andere schon erreicht haben. Wenn ich sehe, was für coole Videos andere posten, dann bin ich mit meinen nicht zufrieden. Dann will ich manchmal meine kompletten Profile löschen.

Hast Du das schon mal gemacht?

Ich war kurz davor, alle meine Beiträge zu löschen und nichts mehr zu posten – habe mich dann aber doch dagegen entschieden. Es gibt mittlerweile Funktionen, die mir entgegenkommen – wie das Ausstellen der Likes und dass das Profil auf „privat“ eingestellt werden kann. Letztendlich geht es mir durch Social Media manchmal mental nicht so gut. Ich steigere mich zu sehr rein; aber dann komme ich zum Glück zurück auf den Boden der Tatsachen: Es kommt auf den Umgang mit Social Media an und es wäre schade, es komplett zu löschen, weil es ein wichtiger Teil meines Lebens ist, an dem ich auch Spaß habe und durch den ich Inspiration finde. Mittlerweile habe ich eine Sperre eingestellt, die mir nach einer Stunde Social Media anzeigt, eine Pause einzulegen. Häufig drücke ich jedoch auf „Ignorieren“.