„Immer mehr Festivals sprechen Content Warnings aus!“
Was zeichnet Filme aus, die Ihr ins Programm nehmt?
Leeb: Wir versuchen, ein diverses Programm zusammenzustellen. Dadurch, dass wir ein internationales Festival sind, ist es uns natürlich wichtig, möglichst viele verschiedene Länder im Programm zu haben und insbesondere auf den globalen Süden zu achten. Viele Filme beschäftigen sich mit Diversität im Sinne von Geschlechterverteilung – sowohl vor der Kamera als auch in den Stabsstellen. Das ist nicht immer einfach, da wir als kleines Festivalteam nur begrenzte Ressourcen haben. Und schließlich achten wir auf unterschiedliche ästhetische und narrative Blickwinkel, um unseren Besucher*innen inhaltlich ein breit aufgestelltes Programm zu präsentieren.
Ihr seid noch mitten in der Sichtungsphase. Zeichnet sich trotzdem schon ab, welche Themen dieses Jahr in den Fokus rücken?
Perschul: Themen wie die Pandemie und Einsamkeit beschäftigen die Filmemacher*innen noch immer. Durch die aktuelle Krisenzeit ist Krieg auch ein Thema, das in den Filmen verhandelt wird. Wir haben auch schon Einreichungen bekommen, die sich ganz konkret mit der gegenwärtigen Lage in der Ukraine auseinandersetzen.
Die Studierenden versuchen, in ihren Filmen gesellschaftliche Missstände aufzudecken und zu thematisieren – auf verschiedenste Art und Weise.
Habt Ihr für Euer Programm Triggerwarnungen geplant? Und wer entscheidet, welche Inhalte unbedingt Warnungen brauchen?
Ja, wir werden Content Warnings verwenden und hatten im Team eine sehr rege Diskussion, welche es werden sollen.
Warum habt Ihr Euch für den Begriff „Content Warning“ und gegen „Triggerwarnung“ entschieden?
Wir wollen unsere Hinweise als Content Warnings bezeichnen, weil der Begriff „Trigger“ schon sehr stark im alltäglichen Gebrauch verwendet wird. Irgendwie sagt man schon fast zu allem: „Das triggert mich.“ Deshalb dachten wir, auch um klar zu verdeutlichen, dass es um filmische Aspekte geht, dass das Wort „Content“ die Sache besser trifft.
Das Wort „Trigger“ hat mittlerweile eine negative Konnotation und auch eine Wertung, die wir mit dem Begriff „Content Warning“ versuchen zu umgehen. Es ist grundsätzlich nichts Schlimmes daran, Themen wie Suizid, Mord oder sexuelle Übergriffe in Filmen darzustellen. Daher liegt die Betonung für uns ganz klar auf: Warning.
Wie definiert Ihr Content Warnings bzw. was versteht Ihr darunter?
Wir wollen Menschen darauf hinweisen: „Hey, es könnte sein, dass dich dieser Inhalt irgendwie mitnimmt aufgrund deiner eigenen Erfahrungen oder weil du einfach anders emotional mit den Inhalten umgehst.“ Wenn wir Content Warnings setzen, dann ist das ein Hinweis: Das Thema kommt im Film vor.
Eigene Erfahrungen sind sehr subjektiv und auch die Art, wie jemand mit bestimmten Themen umgeht. Nach welchen Kriterien habt Ihr Content Warnings gesetzt?
Grundsätzlich ist das eine große Grauzone. Wir haben vieles gemeinsam mit dem Team im Gespräch erarbeitet. Wir haben uns gefragt, was unsere eigenen Erfahrungspunkte sind. Aber auch gesellschaftlich betrachtet: Wo haben wir das Gefühl, dass das Themen sind, die Leute als triggernd wahrnehmen könnten? Tatsächlich ist es schwierig zu entscheiden, wann und welche Content Warnings sinnvoll sind. Wir hatten am Ende der Diskussion eine sehr, sehr lange Liste und waren letztendlich viel zu kleinteilig, sodass es dann auch wieder am eigentlichen Kern der Sache vorbeiging.
Gehen wir heute gesellschaftlich sensibilisierter oder anders mit solchen Themen um?
Ich glaube, ja. Immer mehr Festivals sprechen Content Warnings oder Triggerwarnings aus. Wir haben zunehmend das Gefühl, dass das eine Art von Notwendigkeit ist. Dass es gerade auch bei jüngeren Menschen ein Bedürfnis gibt, auf diese Dinge hinzuweisen.
Ja, das glaube ich auch. Streamingdienste haben seit einigen Jahren Triggerwarnungen etabliert. Und Webseiten wie Does the Dog Die gewinnen immer mehr an Popularität. Das zeigt schon, dass gesellschaftlich mehr darauf geachtet wird und wir sensibilisierter sind, was andere Menschen triggern könnte.
Was ist das für eine Website?
Auf Does the Dog Die werden mögliche Trigger bei verschiedenen Filmen aufgelistet. Man kann einen Film oder eine Serie suchen und erhält Warnungen nach verschiedenen Kategorien – beispielsweise, ob es Darstellungen mit sexuellen Übergriffen oder Gewalt gibt oder ob Tiere sterben.
Plattform Does the dog die -- einer Sammlung von Content-Warnung für diverse Medien (Quelle: www.doesthedogdie.com)
Wie viele Content Warnings wollt Ihr insgesamt verwenden?
Die genaue Anzahl wird sich während des Sichtungs- und Programmierungsprozesses ergeben. Da kann ich jetzt noch keine genaue Zahl sagen. Da das gesamte Team in den Sichtungsprozess involviert ist, können wir ein großes Spektrum an möglichen Triggern ausmachen.
Könnt Ihr mir ein Beispiel für Content Warning nennen, das ihr schon wieder verworfen habt?
Wir hatten als Content Warning „Konsum von Alkohol“. Das ist für manche auf jeden Fall ein Punkt, der triggern kann. Wir haben uns hier aber dazu entschlossen, das nicht aufzuführen, weil es gesellschaftlich so akzeptiert ist.
Beeinflussen Content Warnings die Art der Rezeption?
Unsere eigene Erfahrung hat gezeigt, dass Zuschauende, die nicht davon betroffen sind, auch seltener auf Content Warnings achten. Dagegen achten Menschen, die dem Thema gegenüber sensibilisierter sind, eher darauf: Was könnte ein möglicher Trigger für mich sein? Darauf kann ich dann ganz persönlich reagieren und entscheiden, ob ich aus dem Kinosaal gehe oder nicht. Ich denke, dass das im Endeffekt eine recht kleine Gruppe betrifft.
Wenn man schon im Kino sitzt, ist es wahrscheinlich auch eine Überwindung, nach einer Triggerwarnung, einem Content Warning wirklich aufzustehen und zu gehen. Platziert Ihr die Warnungen noch woanders?
Ja, im Programmheft und auch auf der Website.
Listet Ihr alle Content Warnings auf, wenn ein Film mehrere hat?
Letztes Jahr haben wir es so gemacht. Es gibt Filme, die haben Gewaltdarstellungen, aber auch explizite Vergewaltigung. Das hebt sich ja nicht gegenseitig auf. In solchen Fällen würden wir auf alle Aspekte hinweisen.
Die Filme aus der Rubrik „Future“, also das Kinder- und Jugendprogramm, werden von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) geprüft. Würdet Ihr Euch eigentlich wünschen, dass Selbstkontrollen, wie die FSK oder die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), Triggerwarnungen mit auf dem Schirm haben?
Auf jeden Fall! Das finde ich sehr wichtig. Gerade weil die Selbstkontrollen die Expertise haben. Und wenn sie das sowieso prüfen, wäre es toll, wenn das mitgedacht werden würde.
Wäre es wünschenswert, eine Vereinheitlichung im Wording von Triggerwarnungen zu haben?
Man kann das wahrscheinlich bis zu einem gewissen Grad vereinheitlichen. Für Zuschauende sollte eine schnelle Ein- und Zuordnung möglich sein. Wenn Zuschauende wissen, die Warnung „sexualisierte Gewalt“ beinhaltet dieses und jenes, dann können sie ihr Rezeptionsverhalten entsprechend anpassen.
Habt Ihr im Fernsehen schon Triggerwarnungen wahrgenommen?
Tatsächlich nur bei einzelnen Filmen, wenn es schon im Vorhinein eingebettet ist – also schon im Vorspann des Films. Dass ein entsprechender Hinweis vom Sender direkt kommt, ist mir noch nicht aufgefallen. Das wäre natürlich auch ein Punkt, der das ganze Thema noch einmal weiterbringen würde.
Mir ist es persönlich auch noch nie aufgefallen. Bei Streaminganbietern gibt es am Anfang des Films neben der Altersbeschränkung eine Auflistung mit möglichen Content Warnings. Das wäre eigentlich auch eine Möglichkeit, die ein TV-Sender aufgreifen könnte.
Gibt es noch Aspekte bei Triggerwarnungen, die Ihr ansprechen möchtet?
Ich hatte mit meiner Schwester ein Gespräch über ältere Disney-Filme, die in einem anderen zeitlichen Kontext entstanden sind und in denen beispielsweise das N-Wort oder andere Wörter und Taten, die heute nicht mehr zeitgemäß sind, verwendet werden. Ich glaube, Disney hatte auf seiner Plattform schriftliche Triggerwarnungen zu den Filmen eingebettet. Mir stellte sich die Frage, wie Kinder, die vielleicht noch gar nicht lesen können, das wahrnehmen sollen. Eigentlich muss man einen Weg finden, visuelle Triggerwarnungen in leichter Sprache oder leichter Darstellung zu etablieren.
Ich glaube auch, dass diese Art von Triggerwarnungen, die wir jetzt haben, ein Zwischenschritt ist. Gerade bei Kindern reicht eine Einblendung nicht aus.
Elli Seeb und Luca Perschul (Foto: Eva Maria Lütticke)
Eva Maria Lütticke (Foto: privat)