Ist der Rundfunkbeitrag verfassungswidrig?

Juristin gegen ARD, ZDF und das Bundesverfassungsgericht

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seinem Urteil vom Juli 2018 die Einführung des Rundfunkbeitrags im Jahre 2013 als verfassungsgemäß eingestuft. Streitpunkt war vor allem die Haushaltsabgabe, die unabhängig von der tatsächlichen Nutzung von ARD, ZDF oder Deutschlandradio fällig wird. Die Wirtschaftsjuristin Michelle Michel hat diese Frage in ihrer Doktorarbeit untersucht und hält die Entscheidung des BVerfG für falsch.

Online seit 17.05.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/ist-der-rundfunkbeitrag-verfassungswidrig-beitrag-1122/

 

 

Das Ansehen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat durch die Skandale im Jahr 2022 stark gelitten, vor allem durch die Selbstbedienungsmentalität der Intendantin des RBB, Patricia Schlesinger. Aus den eigenen Reihen kamen etliche Sparvorschlägen, man will Angebote bündeln und die Transparenz erhöhen. Trotzdem wollen ARD, ZDF und Co. mehr Geld. Die Rundfunkgebühr soll um 80 Euro pro Jahr steigen, statt bisher 18,36 Euro wird eine Gebühr von 25,19 Euro pro Monat angepeilt. Dabei haben die Einnahmen aus dem Rundfunkbeitrag im Jahre 2021 einen Höchststand von 8,4 Milliarden Euro erreicht. Im vergangenen Jahr dürften die Beiträge nach Schätzungen die 10-Milliarden-Marke überschritten haben.
 

Reformen und Sparbemühungen

Nach dem Debakel um den überfälligen Rücktritt Schlesingers hat ihr Nachfolger als ARD-Vorsitzender, Tom Buhrow, in einer Rede im Hamburger Übersee-Club im November 2022 über sehr weitgehende Konsequenzen nachgedacht, wie der WDR in einem Online-Artikel berichtet: „Man müsse sich die Frage stellen, ob Deutschland mit ARD und ZDF weiter parallel zwei bundesweite, lineare Fernsehsender wolle. ‚Wenn nicht: Was heißt das?‘, sagte Buhrow. ‚Soll einer ganz verschwinden und der andere bleiben? Oder sollen sie fusionieren, und das Beste von beiden bleibt erhalten?‘ Auch über die Anzahl der Regionalprogramme, Spartenkanäle, Orchester und Sendeanstalten müsse man diskutieren. ‚Wollen die Beitragszahler das? Wollen sie es in dieser Größenordnung?‘“ (WDR) Von derart einschneidenden Veränderungen will man inzwischen aber wohl nichts mehr wissen.

Auch dem neuen ARD-Vorsitzenden Kai Gniffke ist klar, dass aufgrund des Imageschadens gespart und optimiert werden muss, die Reformvorschläge sind aber ziemlich geschrumpft, wie aus einem Interview mit dem Magazin journalist hervorgeht: „‚Wir brauchen eine neue ARD, also weg vom „jeder macht alles“, hin zum „jeder macht, was er am besten kann“‘, sagt Kai Gniffke […] und kündigt mehr Arbeitsteilung an. ‚Wir bilden redaktionelle Kompetenzzentren in zunächst vier Bereichen; Klima, Gesundheit, Verbrauchermagazine und Hörspiel.‘ Weitere sollen folgen. Gniffke will ernst machen mit dem ARD-Umbau: ‚Wir benötigen den ganz großen Aufschlag umfassender Reformen.‘“ (Freitag 2023)
 

Rundfunkbeitrag unbeliebt

Nach einer von der BILD-Zeitung in Auftrag gegebenen Umfrage ist der Rundfunkbeitrag bei einem überwiegenden Teil der Bevölkerung äußerst unbeliebt: „Nur magere 7 Prozent der Umfrageteilnehmer gaben demnach an, den derzeitigen Rundfunkbeitrag in vollem Umfang bezahlen zu wollen. Für weitere 6 Prozent wäre eine GEZ-Gebühr zwischen 15 und 18,35 Euro in Ordnung. Die überwiegende Mehrheit jedoch sprach sich in der INSA-Umfrage dafür aus, am liebsten komplett auf den Rundfunkbeitrag verzichten zu wollen. Satte 39 Prozent stimmten sinngemäß für eine Abschaffung der Zwangsabgabe für die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.“ (Lücke 2023)
 

Jeder muss zahlen – auch wenn er ARD und ZDF nicht nutzt

Um den Rundfunkbeitrag kommt man nicht herum, wenn man in Deutschland mit seinem Wohnsitz gemeldet ist: Selbst wenn man nachweisen kann, dass man öffentlich-rechtliches Fernsehen überhaupt nicht nutzt, wird er fällig. Durch die Melderegister der Einwohnermeldeämter weiß die für die Einziehung der Gebühren zuständige GEZ, wer zahlungspflichtig ist. Eine Verfassungsklage gegen diese allgemeine Rundfunkgebühr wurde vom Bundesverfassungsgericht 2018 mit der Begründung abgelehnt, das öffentlich-rechtliche Fernsehen sei für das Funktionieren der Demokratie in Deutschland eine wichtige Voraussetzung. Insofern profitierten auch diejenigen davon, die das Angebot nicht nutzten. Nur wenige Personengruppen sind von der Zahlungspflicht ausgenommen, etwa Bürgergeld-Empfänger und Studenten, die von BAföG leben. Eine weitere geplante Erhöhung der Rundfunkgebühr wird daher auf breiter Ebene kritisiert – auch von vielen Politikern der Länder.
 

Juristin: Rundfunkgebühr verfassungswidrig

Vor diesem Hintergrund dürfte das Ergebnis einer Doktorarbeit den öffentlich-rechtlichen Sendern vermutlich eher ungelegen kommen. Die Juristin Michelle Michel hat in ihrer Doktorarbeit die Finanzierungsinstrumente untersucht, die dem Staat verfassungsrechtlich zur Verfügung stehen und stellte die Frage, ob der Rundfunkbeitrag darunterfällt. „Der Juristin zufolge gäbe es Steuern, Beiträge und Gebühren sowie den Tatbestand der Sonderabgabe. ‚Die Legislative nennt das Instrument Rundfunkbeitrag‘, erklärt Michel. ‚So liegt es auch erst mal nahe, dass es sich um einen Beitrag handelt.‘ Bei einem Beitrag oder auch einer Gebühr allerdings benötige man immer einen individuellen Vorteil, der sich aus der Inanspruchnahme einer öffentlichen Leistung ergäbe. Und dieser fehle beim Rundfunkbeitrag. Somit verstößt der Juristin zufolge die GEZ-Gebühr gegen das Grundgesetz.“ (Kawalkowski 2023)
 

Argumente für den Rundfunkbeitrag

Es war Ex-Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof, der die Idee hatte, die gerätebezogene Gebühr in einen haushaltsbezogenen Beitrag zu ändern. Im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schilderte er die Gründe dafür: „Ich habe gemeinsam mit den Rundfunkanstalten ein verfassungsrechtlich zulässiges und praktisch gebotenes Finanzierungssystem entwickelt. Wir haben das Ziel erreicht, einen einfachen, plausiblen Beitrag für alle Bürger zu schaffen. Das alte System der Geräteabgabe verleitete die Bürger zur Illegalität und unterwarf sie empfindlichen Kontrollen in ihrer Privatsphäre. Jetzt wird es auch billiger für die meisten.“ (Amann 2013)

Auf die Frage, ob es rechtmäßig sei, auch von denen den Beitrag zu verlangen, die ARD und ZDF gar nicht nutzten, erklärte Kirchhof: „Die Empfänger der Rundfunksendungen lassen sich nicht individualisieren. Rundfunk wird nicht am Kiosk gekauft oder wie Strom am Zähler abgerechnet. Rundfunk funkt überall herum. Für diese Fälle hat unser Recht den ‚Beitrag‘ entwickelt: Belastet werden die Menschen, die eine Leistung üblicherweise nutzen. Das ist vergleichbar einer Kurtaxe, die jeder Urlauber zahlt, auch wenn er nie in den Kurpark geht, oder einem Anliegerbeitrag für neue Straßen, auch wenn der Anlieger kein Auto fährt.“ (Ebd.)

Das Bundesverfassungsgericht hat sich zu der Frage in seinem Urteil zum Rundfunkbeitrag 2018 wie folgt geäußert: „Beiträge unterscheiden sich von Gebühren dadurch, dass sie bereits für die potentielle Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung oder Leistung erhoben werden. Durch Beiträge sollen diejenigen an den Kosten einer öffentlichen Einrichtung beteiligt werden, die von dieser – jedenfalls potentiell – einen Nutzen haben (vgl. BVerfGE 38, 281 <311>; 137, 1 <18 Rn. 43>). Der Gedanke der Gegenleistung, also des Ausgleichs von Vorteilen und Lasten, ist der den Beitrag im abgabenrechtlichen Sinne bestimmende Gesichtspunkt (vgl. BVerfGE 9, 291 <298>; 137, 1 <18 Rn. 43>). Hierdurch unterscheidet sich der Beitrag notwendig von der Steuer.“ (BVerfG 2018)
 

Beitrag wäre nur bei konkreter Gegenleistung rechtmäßig

Diesen Vergleich hält Michel für falsch: „Wenn Sie einen Personalausweis beantragen, zahlen Sie eine Gebühr für die tatsächliche Beanspruchung einer Leistung. Bei der Kurtaxe zahlen Sie für die Möglichkeit der Inanspruchnahme von besonderen Leistungsangeboten am Kurort, etwa den Kurpark. Das Problem beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist der Finanzierungszweck. Finanziert werden soll ein vielfältiges Angebot, sodass sich jeder seine Meinung bilden kann. Denn im kommerziellen Rundfunk besteht die Gefahr, dass Mindermeinungen kaum berücksichtigt werden, weil sie nicht genügend Quote bringen.“ (Lohr 2023)
 

Steuerfinanzierung: eine sinnvolle Alternative?

Den Nutzen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sieht die Autorin also durchaus. Die Finanzierung durch die Bürger will sie nicht abschaffen, ihr geht es lediglich um die Art der Gegenfinanzierung. Michels Vorschlag: „Eine Finanzierung über Steuern wäre jedoch der einzige verfassungsrechtlich zulässige Weg, den auch das Bundesverfassungsgericht in vergangenen Rechtsprechungen vorgezeichnet hat. Die Richter sind der Meinung, dass ein Beitrag immer einer besonderen Begründung bedarf. Gibt es die nicht, ist der Beitrag verfassungswidrig. In einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Stromerzeugung heißt es, dass diese so wichtig sei wie das tägliche Brot. Dann könne das Finanzinstrument nur die Steuer sein. Das sehe ich hier auch so.“ (Ebd.)

Das sieht Kirchhof anders: „Nein, ein steuerfinanzierter Rundfunk wäre verfassungsrechtlich unzulässig. Steuern dürfen nur der Staat und die Kirchen erheben. Auch würden die Einnahmen der Rundfunksteuer vom Parlament verteilt. Politiker könnten das Sonderbudget bestimmen. Aber Rundfunk muss politisch unabhängig sein.“ (Amann 2013).

Den haushaltsbezogenen Rundfunkbeitrag hat der Südwestrundfunk 2018 gegenüber dem Bundesverfassungsgericht folgendermaßen gerechtfertigt: „Es komme allein darauf an, dass die Gegenleistung für eine staatliche Leistung erhoben werde, und diese damit nicht voraussetzungslos sei. Diesen Argumenten folgten die Richter. Die Tatsache, dass Rundfunk von fast allen Personen empfangen werden könne, führe nicht zum Verlust des Charakters eines Beitrags und transformiere diesen nicht zu einer Steuer.“ (Zenthöfer 2023) Laut Jochen Zenthöfer hält Michel diese Einschätzung für einen Fehler: „[Es bedürfe] bei einem Beitrag auf jeden Fall einer besonderen Finanzierungsverantwortung der Schuldner. Das Bundesverfassungsgericht widerspreche seinen vorangegangenen Urteilen zur Feuerwehrabgabe und zu Straßenausbaubeiträgen.“ Weiter führt er aus: „Darauf weisen auch andere Kritiker hin. Frank Hennecke aus Ludwigshafen hält die Bezeichnung ‚Beitrag‘ in seiner Streitschrift ‚Der Zwangsrundfunk‘ in der 2. Auflage von 2022 für einen ‚rechtstaatswidrigen Formenmissbrauch‘. Es sei nur deshalb keine Steuer eingeführt worden, weil es hierfür ‚keine politische Akzeptanz‘ gegeben habe.“ (Ebd.)
 

Eine Frage der Interpretation

Obwohl das Ergebnis der Arbeit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk mutmaßlich nicht gefallen wird, klingt die Forderung wohl drastischer, als sie letztlich ist. Folgt man der Argumentation Michels, müsste eine Rundfunkgebühr mit einem individuellen Nutzen der Zahler verbunden sein, in der Regel also mit der tatsächlichen Nutzung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Gegen diese Auffassung Michels hat das Bundesverfassungsgericht allerdings einen anderen Nutzen gesetzt, nämlich den Erhalt einer funktionierenden Demokratie. Und davon profitierten auch diejenigen, die den Rundfunk nicht nutzten – ihn aber nutzen könnten. Es geht letztlich also nur um die Frage, ob dies tatsächlich als individueller Nutzen interpretiert werden kann – und das hat das Bundesverfassungsgericht bereits entsprechend entschieden.

Quellen:

Amann, M.: Paul Kirchhof im Gespräch. „Der Rundfunkbeitrag ist wie eine Kurtaxe“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.01.2013. Abrufbar unter: www.faz.net (letzter Zugriff: 16.05.2023)

BVerfG: Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16 -, Rn. 55. In: bundesverfassungsgericht.de. Abrufbar unter: www.bundesverfassungsgericht.de (letzter Zugriff: 16.05.2023)

Freitag, J.: Kai Gniffke. Die ARD zu leiten, ist wie den FC Freiburg zu trainieren. In: journalist, 03.05.2023. Abrufbar unter: www.journalist.de (letzter Zugriff: 16.05.2023)

Kawalkowski, B.: GEZ-Überraschung! Rundfunkbeitrag verstößt gegen das Gesetz. In: Inside Digital, 05.05.2023. Abrufbar unter: www.inside-digital.de (letzter Zugriff: 16.05.2023)

Lohr, M.: Wirtschaftsjuristin aus Kassel sicher: Rundfunkbeitrag verstößt gegen Grundgesetz. In: HNA, 04.05.2023. Abrufbar unter: www.hna.de (letzter Zugriff: 16.05.2023)

Lücke, H.: Rundfunkbeitrag: Deutsche wünschen sich GEZ-Abschaffung. In: Inside Digital, 18.04.2023. Abrufbar unter: www.inside-digital.de (letzter Zugriff: 16.05.2023)

WDR: Buhrow will ARD und ZDF „ohne Tabus“ reformieren. In: www.wdr.de, 03.11.2022. Abrufbar unter: www1.wdr.de (letzter Zugriff: 16.05.2023)

Zenthöfer, J.: Kritik am Verfassungsgericht. Der Rundfunkbeitrag müsste eine Steuer sein. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.04.2023. Abrufbar unter: www.faz.net (letzter Zugriff: 16.05.2023)