It’s All About Video

Visuelle Kommunikation im Bann bewegter Bilder

Ulla Autenrieth, Cornelia Brantner (Hrsg.)

Köln 2022: Herbert von Halem
Rezensent/-in: Sandra Nuy

Buchbesprechung

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 2/2023 (Ausgabe 104), S. 100-101

Vollständiger Beitrag als:

It’s All About Video

Mediale Praktiken wie das Aufnehmen, Bearbeiten, Teilen und Rezipieren bewegter Bilder gehören mittlerweile zum Alltag derjenigen, die Videosharing-Plattformen und soziale Netzwerke nutzen. Videos sind ein fester Bestandteil kommunikativer Prozesse – nicht nur im professionellen Filmschaffen, sondern auch in privaten Kontexten. Innerhalb der Visuellen Kommunikationsforschung stellten sich daher „Fragen nach der Spezifik visueller Kommunikation im Kontext bewegter Bilder“, so die Herausgeberinnen Ulla Autenrieth und Cornelia Brantner in der Einleitung zu ihrem Sammelband (S. 10).

Die Coronapandemie hat die Entwicklung neuer Videoformate mehr als nur beschleunigt, sodass sich die in dem Band versammelten Fragen nach der Rolle von Bewegtbildpraktiken in Politik, Werbung, Nachrichtenjournalismus und Wissenschaft noch dringender stellen als 2019, dem Jahr, in dem die Konferenz stattgefunden hat, auf der die Publikation basiert: Dokumentiert und erweitert wurde eine Jahrestagung der Fachgruppe „Visuelle Kommunikation“ in der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK).

Aufgeteilt in fünf Sektionen, geben 14 Artikel Einblicke in Konzepte, Methoden und Erkenntnisse der deutschsprachigen Forschung, die Beiträge – und damit auch die untersuchten Phänomene – stammen von Wissenschaftler:innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. In Co-Autor:innenschaft sind auch graduierte Studierende an der Diskussion beteiligt, was ebenso löblich ist wie die Integration von Beiträgen aus der publizistischen (Ausbildungs‑)Praxis.

Kritisch ist anzumerken, dass zwar viele Abbildungen verwendet werden, diese aber in der Printpublikation zumeist in Schwarz-Weiß gehalten und von eher mäßiger Druckqualität sind: Viele Bildinhalte sind kontrastarm und „verwaschen“. Einige Grafiken sind so klein gesetzt, dass sie kaum mehr lesbar sind. Mag sein, dass die digitale Ausgabe hier die bessere Alternative für die ansonsten empfehlenswerte Lektüre ist.

Im ersten Abschnitt „Audiovisuelle Inszenierungen und Manipulation in der politischen Kommunikation“ gibt Marion G. Müller einen instruktiven Überblick über die jüngere Geschichte politischer Onlinevideos und untersucht diese im Hinblick auf kommunikative Muster. Karin Liebhart beschäftigt sich mit Bewegtbildstrategien der Neuen Rechten und zeigt eindrucksvoll auf, wie Einblicke in das Privatleben politischer Akteur:innen systematisch genutzt werden, um rechte Ideologien und Positionen in einem scheinbar unpolitischen Umfeld zu etablieren. Katharina Christ klassifiziert Formate verschwörungstheoretischer Onlinevideos und zeichnet Persuasions- und Argumentationsmuster nach.

Die folgenden Beiträge stehen unter der gemeinsamen Überschrift „Stereotype und Images in Werbe- und PR-Videos“. Linda Geimer und Dagmar Hoffmann untersuchen Praktiken der visuellen Nachhaltigkeitskommunikation auf der Plattform Instagram und entwickeln eine differenzierte Typologie für die verwendeten Videoformate. Dabei kommen sie zu dem Schluss, dass bereits etablierte Formate „adaptiert, lediglich umfunktioniert und über die konsumkritische Themensetzung neu kontextualisiert“ (S. 104) werden. Dieser Befund der adaptiven Rekontextualisierung einiger weniger Grundformate dürfte sich auf weitere visuell aufbereitete Themenfelder übertragen lassen. Florian Diener beschäftigt sich in einer explorativen Analyse mit der interessanten Frage, wie Personen mit niedrigem Einkommen in der Werbung dargestellt werden. Dass Frauen seltener sichtbar sind und häufiger mit stereotyp weiblichen Themen in Verbindung gebracht werden, weisen Elizabeth Prommer, Claudia Wegener und Christine Linke in einer auf 2.000 Videos basierenden Inhaltsanalyse zu visuellen Geschlechterrollen in YouTube-Videos nach.

Die dritte Sektion ist betitelt mit „Humor und Unterhaltung als Stilelemente erfolgreicher Zielgruppenansprache in audiovisuellen Kurzformaten“. Bei zwei von den drei Beiträgen – jeweils Fallstudien – muss man darüber hinwegsehen, dass Humor und Komik nicht präzise unterschieden werden. Im vierten Abschnitt „Neue (Bewegt‑)Bilder im Journalismus“ findet sich von Daniel Pfurtscheller eine profunde Auseinandersetzung mit journalistischen Instagram-Storys. Am Beispiel der Berichterstattung über den Terroranschlag in Wien 2020 setzen sich Katharina Lobinger und Cornelia Brantner luzide mit einer sich diskursiv entwickelnden Ethik visueller Kommunikation auseinander – und appellieren sowohl an Journalist:innen wie an Nutzer:innen, sich ihrer Verantwortung in der Bildkommunikation bewusst zu werden. Passend schließt das Buch selbstreflexiv mit Beiträgen über „Audiovisuelle Daten im Kontext wissenschaftlicher Forschungspraxis“.

Insgesamt bietet der Sammelband nicht nur einen breit gefächerten Überblick über den Stand der Visuellen Kommunikationsforschung, vielmehr bieten sich einzelne Beiträge auch als Ausgangspunkt für weitere Fragen und Untersuchungen auf dem Feld der Kommunikation mit und über bewegte Bilder an.

PD Dr. Sandra Nuy