Jugend in Deutschland 2024

Die neue Ausgabe der „Trendstudie“

Daniel Hajok

Dr. Daniel Hajok ist Honorarprofessor am Seminar für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Erfurt und Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Kindheit, Jugend und neue Medien (AKJM) in Berlin.

In einer Pressekonferenz wurde am 23. April 2024 die mittlerweile siebte Ausgabe der Trendstudie „Jugend in Deutschland 2024“veröffentlicht. Die Autoren der Studie sind Simon Schnetzer (Studienleitung) und Kilian Hampel sowie niemand Geringerer als Klaus Hurrelmann, ein Urgestein der Sozialisationsforschung. Nach einer kurzen Darstellung der Kernaussagen zur Lage der – hier sehr weit gefassten – Jugendgeneration wird der Fokus nachfolgend auf die schlaglichtartigen Ergebnisse zum „digitalen Ökosystem“ heutiger Heranwachsender gelegt.

Printausgabe mediendiskurs: 28. Jg., 3/2024 (Ausgabe 109), S. 62-65

Vollständiger Beitrag als:

Belastungen, Sorgen und politische Unzufriedenheit

Im Hinblick auf die aktuelle Lage zeichnet die Studie ein für die 14- bis 29-Jährigen in Deutschland repräsentatives Bild, das von gestiegenen persönlichen Belastungen und weitreichenden Sorgen gekennzeichnet ist. Alles in allem sind die Jugendlichen und jungen Erwachsenen nach den besonderen Belastungen und Unsicherheiten infolge der Covid-19-Pandemie wieder etwas zufriedener mit dem eigenen Leben. Was die körperliche und psychische Gesundheit, soziale Anerkennung, die beruflichen Chancen und die persönlichen, von Inflation, teurem Wohnraum und Altersarmut gekennzeichneten Sorgen zur finanziellen Lage anbetrifft, hat die Zufriedenheit seit 2022 allerdings weiter abgenommen.

Nicht zuletzt die psychischen Belastungen der Jugend – und das bestätigen auch die Ergebnisse anderer Studien – sind weiter gestiegen:

Aktuell erlebt die Hälfte der 14- bis 29-Jährigen Stress, etwa jede*r Dritte berichtet von Erschöpfung, Selbstzweifeln und/oder Antriebslosigkeit; und auch Gereiztheit und Hilflosigkeit prägen den Alltag nicht weniger.

Vor allem die jungen Frauen sind betroffen und auch häufiger als die jungen Männer wegen psychischer Belastungen in Behandlung. Die Herausforderungen des Alltags können vor diesem Hintergrund vielerorts nur eingeschränkt wahrgenommen werden: Jeweils gut ein Viertel der 14- bis 29-Jährigen gibt an, wegen eines Gefühls der Überforderung oder des Empfindens innerlichen Ausgebranntseins nicht zur Schule oder Arbeit gegangen zu sein.

Was die allgemeinen Sorgen betrifft, spielt der Klimawandel noch immer eine besondere Rolle. Umweltschutz und Nachhaltigkeit werden von den Jugendlichen und jungen Erwachsenen dementsprechend als wichtig erachtet. Es wird aber auch herausgestellt, dass nur eine Minderheit bereit ist, für Nachhaltigkeit (persönlichen) Verzicht zu üben. Zudem werden nicht nur die Sorgen zur eigenen finanziellen Situation und Sicherung des Wohlstandes hervorgehoben, sondern auch mit der hohen politischen Unzufriedenheit zusammengebracht und als Grund für einen „Rechtsruck“ in der Jugend angegeben. Hierfür stehen sowohl eine Verschiebung der Parteienpräferenzen insbesondere bei jungen Männern nach rechts als auch eine nunmehr hohe Zustimmung zu rechtspopulistischen Positionen vor allem im Hinblick auf Nichtdeutsche in der Gesellschaft allgemein und die Flüchtlingspolitik im Speziellen.
 

Dominanz digitaler Informationskanäle

Der aktuell beobachtete „Rechtsruck“ wird in der Studie nicht zuletzt im Kontext der digitalen Informationskanäle gesehen, die sowohl für den Zugang zu als auch die Verarbeitung von politischen und gesellschaftlich relevanten Informationen unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine deutlich größere Rolle spielen als in den älteren Bevölkerungsgruppen. Nach den wichtigsten Informationskanälen für Nachrichten und Politik gefragt, stehen die sozialen Medien klar an erster Stelle, gefolgt von Nachrichten-Websites, Newsportalen und Pushnachrichten, den klassischen Fernsehsendungen sowie Google und anderen Suchmaschinen. Im Weiteren: Podcasts und Radio, Nachrichtenkanäle auf YouTube, gedruckte Zeitungen und Zeitschriften sowie Messengerdienste.
 


Die meisten Jugendlichen und jungen Erwachsenen zählen mittlerweile die sozialen Medien zu ihren drei wichtigsten Informationskanälen.



In dieser Abfrage, bei der die für eine Einordnung wichtigen personalen Informationsquellen (Familie, Freund*innen, Bekannte etc.) außen vor blieben, zählen die meisten Jugendlichen und jungen Erwachsenen mittlerweile die sozialen Medien zu ihren drei wichtigsten Informationskanälen, was mit den Möglichkeiten einer direkten Interaktion mit den Erstellern des jeweiligen Contents und dem Austausch mit anderen Nutzer*innen über Likes, Kommentare und Threads begründet wird. Im Hinblick auf die politischen Parteien und Repräsentant*innen von Regierungen und Ministerien wird dann auch – etwas zu generalisierend – herausgestellt, dass diese von jungen Menschen schlichtweg nicht zur Kenntnis genommen werden, wenn sie nicht auf relevanten Social-Media-Kanälen und ‑Plattformen aktiv sind.

In diesem Zusammenhang wird die aktuelle gesamtgesellschaftliche Diskussion aufgegriffen und die – vermeintlich alleinige – Präsenz der AfD auf Social-Media-Kanälen wie TikTok als großes Versäumnis herausgestellt. Die Relevanz der verschiedenen Dienste im Alltag der Jugendlichen und jungen Erwachsenen thematisiert die Trendstudie in einem eigenen Kapitel etwas näher. Die tatsächliche Bedeutung im Leben der jungen Menschen wird dann sehr reduziert und fokussiert auf mögliche Zusammenhänge von hohen Bildschirmzeiten und psychischen Belastungen der Jugend dargestellt.
 

Social Media und die hohen Bildschirmzeiten

Die Nutzung der verschiedenen digitalen Kanäle betreffend, stehen im Alltag der Jugendlichen und jungen Erwachsenen auch aktuell nicht TikTok, sondern WhatsApp, Instagram und YouTube ganz vorn und prägen den von kommunikativem Austausch und sozialer Vernetzung, Information und Entertainment gekennzeichneten digitalen Handlungs- und Erfahrungsraum. Die mit Abstand meisten 14- bis 29-Jährigen nutzen WhatsApp, Instagram und YouTube regelmäßig, jede*r Zweite setzt im Alltag auch auf TikTok und Snapchat, wobei beide Dienste verglichen mit den Vorjahresdaten der Studie an Stellenwert gewonnen haben und TikTok vor allem bei den Jüngeren Attraktivität besitzt.
 


Generell wird in der Trendstudie ein weiterer Anstieg der Social-Media-Nutzung und damit auch der Bildschirmzeiten festgestellt.



Im Weiteren sind der Reihe nach Facebook (mit größerem Stellenwert nur bei den jungen Erwachsenen) sowie Pinterest, Discord, Twitch und Telegram für die Jugend relevant. Wenn aktuell jede*r Sechste regelmäßig auf die Individual- und Gruppenkommunikation von Telegram setzt, heißt das auch, dass nicht wenige in den Kanälen unterwegs sind, die von entsprechenden Kreisen seit einigen Jahren bereits gezielt auch zur politischen Beeinflussung und Radikalisierung genutzt werden. Generell wird in der Trendstudie ein weiterer Anstieg der Social-Media-Nutzung und damit auch der Bildschirmzeiten festgestellt.

Die herausragende Bedeutung der Smartphones als Dreh- und Angelpunkt quasi von allem, was Jugendliche und junge Erwachsene in ihrer von Social Media geprägten digitalen Welt heute so treiben, wird in der Studie bereits darin deutlich, dass lediglich sechs der insgesamt 2.042 Befragten angaben, gar kein Smartphone zu besitzen oder zu verwenden. Was die Zeiten am kleinen Bildschirm anbetrifft, liegen sie bei zwei von fünf Heranwachsenden zwischen zwei und vier Stunden täglich, bei gut einem Viertel zwischen vier und sechs Stunden. Eine exzessive Nutzung ist insbesondere bei den Jüngeren, den 14- bis 19-Jährigen, verbreitet. Fast jede*r Fünfte in dem Alter kommt auf tägliche Bildschirmzeiten von sieben Stunden und länger.
 

Eine starke Bindung, die durchaus belastet

Vor dem Hintergrund der tatsächlich beeindruckenden Bildschirmzeiten junger Menschen greift die Trendstudie auch gezielt die öffentlichen Diskurse auf, nach denen eine exzessive Nutzung sozialer Medien eng mit psychischen Problemen, Unsicherheiten und Unzufriedenheiten verbunden ist oder sogar depressiv macht. Die gezielt hierzu gestellten Fragen geben einige spannende Einblicke zu möglichen Einflüssen der Nutzung des Smartphones allgemein und von Social Media im Speziellen auf das persönliche (Wohl‑)Befinden – zumindest zu den Einflüssen, die den Jugendlichen und jungen Erwachsenen selbst bewusst sind bzw. die sie vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen im Blick haben.

Die Antworten machen nicht nur die starke Bindung der Jugend an die digitalen Kanäle deutlich, sondern offenbaren auch eine ambivalente Sicht auf mögliche negative Folgen. Auf der einen Seite nutzen die meisten das Smartphone viel mehr, als ihnen lieb ist, und meinen zwei von fünf Heranwachsenden, dass das eigene Leben ohne Smartphone gar nicht (mehr) funktioniere. Jede*r Dritte findet sogar, man könne die eigene Nutzung „Sucht“ nennen. Auf der anderen Seite machen die meisten für sich geltend, trotz Smartphone jederzeit abschalten bzw. zur Ruhe finden zu können. Auch lassen sich den eigenen Angaben zufolge zwei von fünf Heranwachsenden nicht durch das Gerät ablenken, wenn sie sich konzentrieren müssen, und jede*r Fünfte stellt beim Lernen oder Arbeiten das Smartphone aus (oder setzt das Gerät in den Flugmodus).
 

Was war zuerst da? Die Verschlechterung der mentalen Gesundheit von Jugendlichen oder die Nutzung von Social Media? (© FSF/Midjourney)


 

Was die eigenen Erfahrungen der Jugend mit negativen Folgen der Smartphonenutzung angeht, stellt immerhin ein Viertel der 14- bis 29-Jährigen fest, deshalb zu wenig zu schlafen. Im Hinblick auf Instagram, TikTok, Facebook & Co. meint gut ein Viertel sogar, dass sich das eigene Selbstbild durch das Vergleichen über Social Media verschlechtert hat. Bereits in der Selbstsicht nicht weniger findet sich also ein Zusammenhang zwischen Social Media und dem mentalen Wohlbefinden der Jugend. Dabei scheint die Henne-Ei-Frage sogar klar.

Die in der Trendstudie vorgenommene differenzierte Betrachtung nach Nutzungsdauer offenbart Zusammenhänge zwischen exzessivem Smartphonegebrauch und psychischen Belastungen in einigen Punkten sehr konkret: Die Nutzer*innen mit vier und mehr Stunden Bildschirmzeit leiden deutlich häufiger an Angstzuständen, Antriebslosigkeit oder Gereiztheit. Diejenigen mit weniger Nutzungszeit erleben demgegenüber häufiger keine der abgefragten psychischen Belastungen. Sie sind nach den Daten der Studie auch seltener aufgrund psychischer Belastungen in Behandlung und sammeln auch weniger Krankheitstage an – auch wenn hier unklar bleibt, inwieweit die Dauer der Smartphonenutzung ursächlich für die psychischen Belastungen ist.
 

Fazit der Studie

Im Hinblick auf das „digitale Ökosystem“ der Jugend beobachten die Autoren der Studie eine junge Generation, bei der Smartphones und Social Media selbstverständlich zum Alltag dazugehören und die Nutzung auch nach der Covid-19-Pandemie noch einmal deutlich zugenommen hat. Hervorgehoben wird der wachsende Einfluss von TikTok, insbesondere bei den unter 20-Jährigen. Mit Blick auf die Bildschirmzeiten und die persönlichen Einschätzungen zur eigenen Smartphonenutzung abseits klassischer „Suchtkriterien“ sprechen die Autoren sogar von einer „klaren Abhängigkeit“, was natürlich keine vernünftige Expertise, sondern eine gern gehörte Beschreibung einer ganzen Generation ist.

Trotz der aufgezeigten Zusammenhänge zwischen der Smartphonenutzung und psychischen Belastungen sehen die Autoren eine junge Generation, die ihr digitales Handeln kritisch reflektiert. Für Bildungseinrichtungen, Eltern und die Gesellschaft insgesamt wird die Aufgabe formuliert, das kritische Hinterfragen der digitalen Kanäle bzw. der dort ausgetauschten Inhalte aktiv zu fördern und Jugendliche nicht nur bei der Entwicklung der viel zitierten Medienkompetenz, sondern auch bei einem gesunden Umgang mit dem Smartphone zu unterstützen. Social Media schlechtreden oder die Nutzung möglichst stark einschränken, das wollen die Autoren indes nicht.

 

Literatur:

Schnetzer, S./Hampel, K./Hurrelmann, K.: Trendstudie „Jugend in Deutschland 2024: Verantwortung für die Zukunft? Ja, aber“. Kempten 2024