Lernen auf Augenhöhe

YouTube stärkt die Wissenschaftsvermittlung

Miriam Mathias

Die Medienwissenschaftlerin und Soziologin Miriam Mathias ist als PR-Beraterin in Jena tätig.

Die Wissenschaftskommunikation hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Immer häufiger kommen soziale Medien wie YouTube zum Einsatz. Die Onlineplattform birgt dabei ein bisher (zu) wenig beachtetes Potenzial zum Austausch zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit.

Printausgabe tv diskurs: 23. Jg., 3/2019 (Ausgabe 89), S. 57-59

Vollständiger Beitrag als:

„Ich hatte immer den Traum im Hinterkopf, dass meine Videos etwas bewirken und verändern könnten. […] Für mich ist es großartig, dass ich immer wieder von jungen Menschen höre, die sich vorher nie für die Naturwissenschaften interessiert haben und durch meine Videos einen Zugang zu ihnen gefunden haben“, berichtet die promovierte Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim (Böckem 2018). Ihr YouTube-Kanal maiLab hat inzwischen über 420.000 Abonnentinnen und Abonnenten und wird im Rahmen von funk, dem Onlinejugendangebot von ARD und ZDF, produziert.

Die steigenden Klickzahlen der prominenten Beispiele von Terra X und Kurzgesagt – In a Nutshell zeigen neben denen von maiLab, dass Wissenschaftsvideos immer populärer werden. Wissenschaft und YouTube scheinen also bestens zusammenzupassen. Und das, obwohl die Plattform sonst vor allem für Unterhaltungsangebote wie Let’s Plays oder Musikvideos bekannt ist. Wie lässt sich dieses eher ungewöhnliche Zusammenspiel erklären? Wer nutzt eigentlich Wissenschaftsvideos? Und umgekehrt: Worin besteht das Interesse für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, YouTube zu nutzen?
 


Die Menschen mitreißen

Wissenschaft ist immer aktuell und nie abgeschlossen. Sie erforscht Naturphänomene auf der Erde genauso akribisch wie im All, beleuchtet die Menschheit aus unzähligen Perspektiven (z.B. kulturwissenschaftlich, soziologisch) und ist zentraler Bestandteil des technologischen Fortschritts. Sie geht uns alle etwas an und zieht Aufmerksamkeit auf sich: 58 % der Bevölkerung Deutschlands interessieren sich laut Wissenschaftsbarometer 2017 für Wissenschaftsthemen. Diese stehen damit vor Politik, Kultur oder auch Sport (vgl. Weißkopf u.a. 2017).

Die zentrale Aufgabe der Wissenschaftskommunikation besteht darin, Theorien und Forschung für die Gesellschaft zugänglich zu machen. Ihr Vorgehen hat sich dabei gewandelt: Noch bis zur Jahrtausendwende verfolgten Wissenschaftsakteurinnen und ‑akteure vorrangig das Ziel, Wissenschaftsthemen in der Gesellschaft sichtbar zu machen und sich untereinander zu vernetzen. Indem wissenschaftliche Inhalte one-way an die Öffentlichkeit kommuniziert wurden, sollte zum einen das Verständnis in der Bevölkerung verbessert werden. Zum anderen – und dieses Ziel stand im Vordergrund – sollte das eigene Schaffen von der Öffentlichkeit legitimiert werden.

Das gilt heute immer noch, allerdings hat sich der Fokus verändert: Nun sollen wirklich alle erreicht werden – auch die 42 %, die sich laut Wissenschaftsbarometer 2017 eigentlich nicht für Wissenschaft interessieren (vgl. ebd.). Warum? Weil Wissenschaft sich immer weiter ausdifferenziert, sie wird immer komplexer, genauso wie die Medien, über die Menschen wissenschaftliche Inhalte rezipieren. Dadurch wird es für Laien immer schwieriger, dem Wissenschaftsdiskurs zu folgen. Gleichzeitig wächst die Bedeutung wissenschaftlicher Erkenntnisse für das politische und persönliche Verständnis, wie das Beispiel des Klimawandels zeigt. Deshalb werden neue Formen der Wissenschaftskommunikation immer wichtiger: Es ist Zeit für Vermittler, die die Komplexität wissenschaftlicher Diskurse in eine Sprache übersetzen, die von einem großen Teil der Bevölkerung verstanden wird.
 

Was interessiert?

Diese Problematik wurde bereits um die Jahrtausendwende aufgegriffen. Verschiedene politische Initiativen verfolgten zu dieser Zeit den Anspruch, das allgemeine Verständnis von Naturwissenschaften und Technik in der Gesellschaft zu verbessern. Ihre Ansätze lassen sich unter dem Label „Public Engagement with Science and Technology“ zusammenfassen. So wurde u.a. im Jahr 2000 die Organisation „Wissenschaft im Dialog“ gegründet, die bis heute den Austausch von Wissenschaft und Öffentlichkeit durch unterschiedliche Formate anzuregen sucht. Science Center, Science Slams und Wissenschaftsfestivals wurden ins Leben gerufen. Erstmals stand dabei die Bevölkerung im Zentrum der Wissenschaftskommunikation (vgl. Fähnrich 2017). Leitfragen waren: Was interessiert die Menschen? Wie können sie aktiv eingebunden werden? Wissenschaftskommunikation erreichte somit eine neue Dimension und Wertigkeit in einer Gesellschaft, die nun aktiv an der wissenschaftlichen Entwicklung teilhaben konnte und dies bis heute einfordert. Etwa 40 % der Deutschen geben an, dass sie Interesse daran hätten, an einem Forschungsprojekt oder einem wissenschaftlichen Diskussionsformat teilzunehmen (vgl. Weißkopf u.a. 2017). Begleitet wurden die Entwicklungen von den zeitgleich wachsenden sozialen Medien und somit auch von YouTube. Doch was macht erfolgreiche Wissenschaftskommunikation auf YouTube aus?
 

So läuft’s auf YouTube

Nach eigenen Angaben erreicht YouTube mittlerweile 95 % aller Internetnutzenden weltweit. In 88 Ländern der Welt wurden lokale Versionen eingeführt und in 76 Sprachen übersetzt (YouTube 2018). In Deutschland gehört YouTube zu den meistgenutzten sozialen Medien: 31 % sind mindestens wöchentlich auf YouTube unterwegs. Unter den 14- bis 29-Jährigen sind es sogar 91 %, in der Altersgruppe der 30- bis 49-Jährigen immerhin 79 % (Koch/Frees 2017, S. 440).

Der Erfolg von Videos und Kanälen wird vor allem an Klickzahlen und Likes festgemacht – das ist bei Wissenschaftsvideos nicht anders. Die Frage, welche Wissenschaftskanäle aus welchen Gründen Popularität erlangen, steht erst seit Kurzem auf der Agenda der kommunikations- und medienwissenschaftlichen Forschung. 2016 haben verschiedene qualitative Studien (vgl. die Liste am Ende des Beitrags) gezeigt, dass sich erfolgreiche YouTube-Wissenschaftsauftritte u.a. durch kreatives Vorgehen, innovativ und kompakt zusammengefassten Content sowie starke Persönlichkeiten als Protagonistinnen und Protagonisten auszeichnen. Darüber hinaus gewinnen solche Kanäle an Beliebtheit, die zeitnah auf Kommentare und persönliche Nachrichten eingehen und regelmäßig Videos online stellen. Offen bleibt dabei, wer genau Wissenschaftsvideos rezipiert – und warum.
 

Neu muss es sein, Unterhaltung ist Nebensache

Im Herbst 2018 wurde hierzu im Rahmen einer Masterarbeit an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg eine Onlinebefragung durchgeführt. Insgesamt nahmen 179 volljährige Personen teil; nach der Datenbereinigung konnten 149 Fälle ausgewertet werden. Die größtenteils offen formulierten Fragestellungen beschäftigten sich neben der Charakterisierung der Nutzenden u.a. damit, ob durch YouTube neue Zielgruppen erschlossen werden können. Darüber hinaus wurde untersucht, ob Interaktionsmöglichkeiten wie die Kommentarfunktion das Gefühl vermitteln, sich selbst am Wissenschaftsdiskurs beteiligen zu können. Schließlich wurden die zentralen Nutzungsmotive erhoben.

Auch wenn die Untersuchung nicht den Anspruch erhebt, repräsentativ zu sein, gibt sie doch erste Hinweise auf die Nutzungsart und die Nutzungsmotive. Etwa ein Drittel der Befragten schaut regelmäßig Wissenschaftsvideos auf YouTube. Daraus kann abgeleitet werden, dass die Plattform als Wissenschaftsmedium akzeptiert wird. Unterstützt wird diese Annahme durch das Ergebnis, dass 63,6 % der Wissenschaftsvideonutzerinnen und ‑nutzer YouTube anderen Wissenschaftsquellen vorziehen. Die Videos werden in erster Linie rezipiert, um etwas Neues zu erfahren (95,5 %). Weiterhin wollen Nutzerinnen und Nutzer Denkanstöße erhalten (79,5 %) und Informationen im Bereich der Wissenschaft und Forschung sammeln (68,2 %). Überrascht hat, dass der Wunsch nach Unterhaltung erst an vierter Stelle steht. Wissenschaftskommunikatorinnen und ‑kommunikatoren sollten dies bei der Videoproduktion berücksichtigen: Kein Infotainment, sondern wirkliche Wissenschaftsnews sind gefragt.

Auffallend ist zudem die hohe Glaubwürdigkeit, die den Videos entgegengebracht wird. 68,4 % der Personen geben an, dass sie die Inhalte der Videos als glaubwürdig und authentisch einstufen. Damit liegt YouTube nicht weit hinter den klassischen Wissenschaftsmedien wie z.B. Fachzeitschriften, denen 87,2 % der Befragten ihr Vertrauen aussprechen. Bemerkenswert ist weiterhin die eindeutige Bejahung der Frage nach Interaktion. Das Reagieren auf Kommentare führt nicht nur zu einer höheren Beliebtheit von Kanälen und Videos. Mit 38,5 % äußert ein Großteil der Probandinnen und Probanden das Gefühl, sich über YouTube direkt an wissenschaftlichen Prozessen beteiligen zu können. Hier manifestieren sich die Relevanz und der Anspruch des oben beschriebenen Konzepts „Public Engagement with Science and Technology“: Es sollte als neue Maxime gelten, nicht nur Content für, sondern mit Wissenschaftsinteressierten gemeinsam zu entwickeln. So könnten interessierte Nutzerinnen und Nutzer eingebunden und letztendlich auch neue Zielgruppen erschlossen werden. Bekräftigt wird dies dadurch, dass 76,5 % angeben, Wissenschaftsvideos auf Empfehlung von Freunden und Bekannten zu schauen. Schlussfolgernd kann festgehalten werden, dass Personen, die sich aktiv an der Mitgestaltung von YouTube-Kanälen beteiligt wissen, aktuelle Videos eher teilen und somit neue Zielgruppen erreicht werden können. Relevant könnte dies vor allem in Bezug auf eine zentrale Zielgruppe der Wissenschaftskommunikatorinnen und ‑kommunikatoren sein: Jugendliche bzw. Nachwuchswissenschaftlerinnen und ‑wissenschaftler.
 

Mission: Jugendliche für Wissenschaft begeistern

Laut der Erhebung gehören 88,6 % der befragten Wissenschaftsvideonutzerinnen und ‑nutzer den Digital Natives an. Dies liegt zum einen am jungen Altersdurchschnitt der Befragten (28,5 Jahre). Dennoch wird deutlich, dass die Chance für die Wissenschaft, Jugendliche über YouTube zu erreichen, nicht zu unterschätzen ist. Dass die Akzeptanz wissenschaftlicher Forschung in der jungen Generation beginnt, zeigt zurzeit die „Fridays for Future“-Bewegung. Zukünftige Studien sollten sich daher insbesondere dieser jungen, medienaffinen Generation widmen. Denn ihr Kommunikationsverhalten und ‑interesse werden schon in wenigen Jahren die typische Nutzungslogik der Medienlandschaft bestimmen – und damit auch die der Wissenschaftskommunikation. Sicher ist, dass Videos als Format auch für Wissenschaftsinstitutionen weiter an Bedeutung gewinnen werden. Zu wissen, wer sich welche Videos warum anschaut, bleibt also eine elementare Frage.

Die Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim scheint ihre Nutzerinnen und Nutzer bereits verstanden zu haben. Bei der Preisverleihung des Grimme Online Awards 2018 erhielt sie für maiLab neben einer Auszeichnung in der Kategorie „Wissen und Bildung“ auch den Publikumspreis. Ihrem Verständnis nach ist Wissenschaft nicht etwas, was nur im Labor passiert, sondern sie sollte Teil der Gesellschaft werden. „Ein überlebenswichtiger Teil. Und deswegen müssen wir mehr darüber reden“, so die YouTuberin in ihrer Dankesrede (Forum 2018).
 

Literatur:

Böckem, J.: „Ich träume davon, dass eine neue Generation von Wissenschaftlern die Lehrstühle übernimmt“. In: ZEITmagazin, 37/2018, 05.09.2018. Abrufbar unter: https://www.zeit.de (letzter Zugriff: 23.06.2019)

Fähnrich, B.: Wissenschaftsevents zwischen Popularisierung, Engagement und Partizipation. In: H. Bonfadelli/B. Fähnrich/C. Lüthje/J. Milde/M. Rhomberg/M.S. Schäfer (Hrsg.): Forschungsfeld Wissenschaftskommunikation. Wiesbaden 2017, S. 165 – 182

Forum: „maiLab“ gewinnt Grimme Online Award. In: Forum – Das Wochenmagazin, 29.06.2018. Abrufbar unter: https://magazin-forum.de (letzter Zugriff: 18.06.2019)

Koch, W./Frees, B.: ARD/ZDF-Onlinestudie 2017: Neun von zehn Deutschen online. In: Media Perspektiven, 9/2017, S. 434 – 446

Weißkopf, M./Ziegler, R./Schultheis, F./Menhart, D./ Kremer, B.: Wissenschaftsbarometer 2017. Berlin 2017. Abrufbar unter: https://www.wissenschaft-im-dialog.de (letzter Zugriff: 18.06.2019)

YouTube: YouTube-Presseinhalte. 2018. Abrufbar unter: https://www.youtube.com (letzter Zugriff: 01.12.2018)
 

Studien 2016:

Allgaier, J.: Wo Wissenschaft auf Populärkultur trifft. In: T. Körkel/K. Hoppenhaus (Hrsg.): Web Video Wissenschaft. Ohne Bewegtbild läuft nichts mehr im Netz: Wie Wissenschaftsvideos das Publikum erobern. Heidelberg 2016, S. 16 – 25

Krachten, C.: Die Erfolgsfaktoren für Online-Video. In: T. Körkel/K. Hoppenhaus (Hrsg.): Web Video Wissenschaft. Ohne Bewegtbild läuft nichts mehr im Netz: Wie Wissenschaftsvideos das Publikum erobern. Heidelberg 2016, S. 26 – 32

Metten, T./Niemann, P./Pinkas-Thompson, C./ Rouget, T.: Was zeichnet eigentlich ein wissenschaftliches Webvideo aus? In: T. Körkel/K. Hoppenhaus (Hrsg.): Web Video Wissenschaft. Ohne Bewegtbild läuft nichts mehr im Netz: Wie Wissenschaftsvideos das Publikum erobern. Heidelberg 2016, S. 95 – 116

Muñoz Morcillo, J./Czurda, K./Robertson-von Trotha, C. Y.: Eine Typologie der Wissenschaftskommunikation auf YouTube & Co. In: T. Körkel/K. Hoppenhaus (Hrsg.): Web Video Wissenschaft. Ohne Bewegtbild läuft nichts mehr im Netz: Wie Wissenschaftsvideos das Publikum erobern. Heidelberg 2016, S. 117 – 127

Welbourne, D. J./Grant, W. J.: Science communication on YouTube: Factors that affect channel and video popularity. In: Public Understanding of Science, 6/2016/25, S. 704