Liberale Regelungen

Jugendmedienschutz in der Tschechischen Republik

Jens Dehn

Jens Dehn arbeitet als freiberuflicher Filmjournalist.

In der Tschechischen Republik sind die gesetzlichen Regelungen zum Jugendmedienschutz lockerer als in vielen anderen Ländern. Bei Kinofilmen etwa obliegt es keiner unabhängigen Institution, sondern den Produktions- und Verleihfirmen, die Angemessenheit ihrer Filme für ein jugendliches Publikum zu bewerten. Im Fernsehen wird auf eine Altersklassifizierung sogar gänzlich verzichtet. Der Rundfunkrat kann lediglich Empfehlungen aussprechen – an die die Sender nicht gebunden sind.

Printausgabe tv diskurs: 21. Jg., 4/2017 (Ausgabe 82), S. 4-7

Vollständiger Beitrag als:

Die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen zum Jugendschutz sind in Tschechien verhältnismäßig liberal geregelt. So gibt es weder ein ausdrückliches Verbot für Kinder und Jugendliche, sich in Nachtklubs oder an jugendgefährdenden Orten (so z.B. in Bordellen) aufzuhalten, noch herrschen Einschränkungen für den Besuch öffentlicher Filmveranstaltungen. Es gibt lediglich den Verweis, dass Eltern die Verantwortung für ihre Kinder tragen. Auch hinsichtlich des Zugangs zu Internetcafés und den dort zugänglichen jugendgefährdenden Inhalten gilt nur, dass die Verantwortung für Kinder entweder bei den Eltern, gesetzlichen Vertretern oder Personen, denen die Kinder anvertraut wurden, liegt. Gesetzliche Regelungen über den Zugang von Minderjährigen zu Internetcafés gibt es dagegen nicht.

Artuš Rejent, Direktor der Abteilung „Medien und Audiovisuelles“ beim tschechischen Ministerium für Kultur erklärt:

Das System bei uns ist relativ simpel: Es basiert im Wesentlichen auf dem Prinzip der Selbstregulierung.“

Im Grunde liegt es an den einzelnen Verleihfirmen, zu bewerten, ob ein Film für Kinder und Jugendliche geeignet ist oder nicht. „Wir haben dieses System seit 1993, und es funktioniert mehr oder weniger okay“, führt Rejent pragmatisch aus. Er weiß natürlich, dass es dabei Schwachstellen gibt, nicht nur bezogen auf das Urteilsvermögen der Verleiher. Oftmals ignorieren Eltern auch einfach die Vorgaben und nehmen ihren Nachwuchs in Vorstellungen mit, die eigentlich nicht als für die entsprechende Altersgruppe geeignet deklariert sind. „Aber alles in allem, gerade auch mit Hinblick auf den massiven Internetkonsum in unserer Zeit, ist eine Verschärfung der Regelungen für Kinofilme nicht unser größtes Problem, würde ich sagen.“

Vier Altersabstufungen für Kinofilme

In Tschechien gilt eine Person bis zum Alter von 18 Jahren als Kind und wird nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch als minderjährig bezeichnet. Ferner gelten junge Erwachsene bis 26 Jahre als „junge Personen“, wobei diese Differenzierung zwar praktisch angewendet wird, hierfür aber keine gesetzliche Regelung besteht. Im Strafgesetzbuch ist festgehalten, dass ein Kind, das bei Begehung einer Straftat das 15. Lebensjahr noch nicht erreicht hat, schuldunfähig ist. Als Jugendliche gelten Minderjährige, die über 15 Jahre alt sind, aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben.

Im nationalen Klassifizierungssystem gibt es vier Alterseinstufungen. Der Schnitt mit dem 15. Lebensjahr, der aus den beschriebenen Regelungen hervorgeht, spiegelt sich darin durchaus wider. Allerdings fällt auf, dass die Alterseinstufung nach der „uneingeschränkten“ Freigabe keine Differenzierung mehr bei jüngeren Kindern vorsieht. Die nächste Altersbarriere liegt erst bei 12 Jahren. Die vier Alterseinstufungen lauten:

  • uneingeschränkt zugänglich,
  • nicht geeignet für Kinder unter 12 Jahren,
  • nicht geeignet für Kinder unter 15 Jahren,
  • nicht geeignet für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren.

Festgehalten sind die Klassifizierungsvorgaben für Kinofilme in Gesetz Nr. 496/2012 über audiovisuelle Arbeiten. Es dient dazu, den Zugang für Minderjährige zu Kinofilmen zu regulieren, die deren mentale oder moralische Entwicklung beeinträchtigen könnten.

Das Gesetz besagt zudem, dass bei einheimischen Projekten der Produzent bzw. Co-Produzent mit Sitz seines Unternehmens in der Tschechischen Republik seinen tschechischen Film dementsprechend bewerten muss und die Verleihfirma über die Klassifizierung zu informieren hat. Bei ausländischen Filmen (die auch in Tschechien die überwiegende Zahl der Kinostarts ausmachen) hat der Verleiher selbst die Klassifizierung durchzuführen. Die Beurteilung ist weiterzugeben an alle Kinos, Organisationen und Institutionen, welche Filme vorführen, aber auch an On-Demand-Anbieter und DVD-Verkaufsläden. Sollte der Produzent bzw. Verleiher es versäumen, die Informationen weiterzugeben, drohen ihm Geldstrafen. Das Gleiche gilt für Kinos und andere Anbieter, sollten sie sich nicht an die Vorgaben halten. Die Kinobetreiber sind dabei verpflichtet, schon bei Ankündigung eines Films auch auf dessen Altersklassifizierung hinzuweisen. Während einer Vorstellung haben sie zudem darauf zu achten, dass vor Filmbeginn kein Trailer eines anderen Films gezeigt wird, dessen Altersfreigabe über der des Hauptfilms liegt.
 

Der nationale Rundfunk- und Fernsehrat

Im Bereich „Fernsehen“ ist der Jugendschutz anders reguliert und unterliegt einer Institution. Die Medienlandschaft in der Tschechischen Republik ist durchaus vielfältig. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen Česká televize betreibt zurzeit sechs Sender, das Radio-Pendant Český rozhlas sieben. Insgesamt gibt es jedoch mehr als 300 kommerzielle Anbieter unterschiedlichster Größe und Reichweite, die alle vom nationalen Rundfunk- und Fernsehrat (RRTV) beobachtet werden. Der RRTV ist eine Behörde, die die staatliche Verwaltung im Bereich der Rundfunk- und Fernsehübertragungen sowie on-demand- audiovisueller Mediendienste durchführt. Sie arbeitet dabei unabhängig und ist keinen Regierungsstrukturen unterstellt. Die überwachende Tätigkeit ergibt sich aus der folgenden gesetzlichen Regelung: „Ein Rundfunkveranstalter soll während des Zeitraums von 06.00 Uhr bis 22.00 Uhr alle Programmeinheiten und Ankündigungen, die die körperliche, geistige oder moralische Entwicklung von Minderjährigen gefährden könnten, vermeiden. Diese Verpflichtung gilt nicht für Rundfunkveranstalter, bei denen die Auslieferung an den Endnutzer im Rahmen eines schriftlichen Vertrags mit einer über 18‑jährigen geschlossenen Person vorliegt und von der Durchführung einer technischen Maßnahme begleitet wird, die es der Person ermöglicht, den Zugang der Minderjährigen zum Empfangsgerät zu beschränken.“ Der Rundfunk- und Fernsehrat wacht als Kontrollinstanz über die Einhaltung dieser Regelung. Bei Verstößen gegen die Bestimmung hat er die Möglichkeit, den Sendern Bußgelder in Höhe von 20.000 CZK bis zu 10.000.000 CZK aufzuerlegen. Abgesehen vom nationalen Rundfunkgesetz ist die Tschechische Republik an die Rechtsvorschriften der Europäischen Union und das Abkommen über die Rechte des Kindes gebunden.
 

Wir geben bei unserer Arbeit keine Bewertung im Sinne einer Klassifizierung ab. […] Das heißt, wir schätzen ab und legen fest, ob ein Programm das Potenzial besitzt, die körperliche, geistige oder moralische Entwicklung von Minderjährigen zu beeinträchtigen.“

Zdeněk Malach, Direktor der analytischen Abteilung beim tschechischen Rundfunk- und Fernsehrat (RRTV)

Gemäß Rundfunkgesetz dürfen Sender keine Programme oder Werbungen ausstrahlen, die vulgäre Sprache oder Beleidigungen enthalten. Ausgenommen hiervon sind Sendungen, die als „Kunstwerke“ betrachtet werden und in denen derartige Sprache – bezogen auf den inhaltlichen Kontext – als notwendig und gerechtfertigt angesehen wird. Solche Programme dürfen aber nur zwischen 22.00 Uhr und 06.00 Uhr morgens am folgenden Tag gesendet werden. Wird gegen diese Vorgaben verstoßen, kann der Rat gegenüber dem Betreiber eine Verwarnung aussprechen, jedoch keine Geldstrafe verhängen.

Grundsätzlich kann der RRTV bei Nichtbeachtung seiner Vorgaben keine Strafmaßnahmen einleiten. Er kann eine Empfehlung ausstellen, aber die Empfehlung ist für den Rundfunkveranstalter nicht obligatorisch. Der Rat kann keine rechtlichen Verordnungen schaffen, seine Arbeit beruht auf der primären Gesetzgebung. Wenn ein Fernsehveranstalter gegen eine Bestimmung des Rundfunkgesetzes (oder eine andere Mediengesetzgebung) verstößt, gibt es von dieser Seite Sanktionen, die vor Gericht angefochten werden können.

Bei Filmen, die vor 22.00 Uhr ausgestrahlt werden, beurteilt und entscheidet der Rat jeweils von Fall zu Fall. Dabei kann er aufgrund der Gesetzeslage nur rückwirkend über Programme entscheiden. Im Vorfeld Filme oder Serien zu verbieten, ist dagegen nicht möglich, da es einer Zensur gleichkäme und deshalb verboten ist. Auch kann die Anzahl gewalttätiger Sendungen nicht festgelegt werden, da es diesbezüglich keine „Quotenregelung“ im Rundfunkgesetz gibt.
 

Bislang kein Bewertungssystem für TV-Sendungen

Die Beurteilung wird zusätzlich erschwert, da in Tschechien für Fernsehsendungen keine Altersempfehlungen für Kinder und Jugendliche existieren. Eine an bestimmte Kriterien gebundene Reglementierung, die Programme in die Eignung für bestimmte Altersgruppen unterteilt – wie bei der Kinoauswertung –, gibt es in der tschechischen Gesetzgebung für Fernsehprogramme bislang nicht, ebenso wenig ein „Etikettierungssystem“ für TV- und Radiosendungen. Dementsprechend sind auch die Sender nicht verpflichtet, Sendungen bei der Ausstrahlung diesbezüglich zu kennzeichnen. Ein Programm, das für Kinder und Minderjährige ungeeignet ist, kann jedoch mit einem sichtbaren Stern gekennzeichnet sein. Die Größe dieses Symbols ist nicht durch einen Standard geregelt und kann in keiner Weise bestraft werden. Der Rat kann nur beurteilen, ob sich der Stern sichtbar auf dem Bildschirm befindet. „Wir geben bei unserer Arbeit keine Bewertung im Sinne einer Klassifizierung ab“, erklärt Zdeněk Malach, Direktor der analytischen Abteilung beim RRTV. „Wir bewerten Programme lediglich und ausschließlich basierend auf der Grundlage unseres Rundfunkgesetzes. Das heißt, wir schätzen ab und legen fest, ob ein Programm das Potenzial besitzt, die körperliche, geistige oder moralische Entwicklung von Minderjährigen zu beeinträchtigen.“ Hierfür sichtet eine Gruppe von zehn Medienanalysten für TV und Radio die Programme und bereitet ein Grundlagenpapier für den Rat und seine Entscheidungen vor. Der Rat trifft sich einmal alle zwei Wochen. „Es gab sehr lange Diskussionen über die Notwendigkeit, ein Bewertungssystem in unsere Mediengesetzgebung zu integrieren“, sagt Malach. Es wurde sogar schon ein Modell entwickelt, das sich vor allem an den Vorbildern aus den Niederlanden und der Slowakei orientiert, aber es wurde nie in die Realität umgesetzt – entweder weil sich die Politik dagegen gesträubt hat oder weil die TV-Sender kein Interesse an einer Veränderung hatten. „Im Moment ist aber eine neue Gesetzesnovelle, die ein solches detailliertes Klassifizierungssystem verpflichtend machen würde, im tschechischen Parlament auf dem Tisch.“
 

Herausforderungen neuer Medien

Zuletzt gab es mit dem Beitritt Tschechiens in die Europäische Union im Jahr 2004 einige Anpassungen in der Gesetzgebung. „Und natürlich haben wir die AVMD-Richtlinie des Europäischen Parlaments (zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste) in unser Rundfunkgesetz eingearbeitet. Die Alterskennzeichnung, wie sie dort erwähnt wird, war davon jedoch ausgenommen, da diese wie erwähnt eben nicht Bestandteil unserer Gesetzgebung ist.“

Dennoch sieht sich auch der nationale Rundfunk- und Fernsehrat oft teils massiver Kritik für seine Entscheidungen ausgesetzt. „Damit müssen wir leben. Aber in vielen Fällen kennt die Öffentlichkeit das Rundfunkgesetz und seine Regulierungsvorschriften schlichtweg nicht“, versucht Zdeněk Malach zu relativieren. Bislang noch keine schwerwiegenden Schwierigkeiten gab es dagegen mit neuen Verbreitungsmedien wie Streamingdiensten. Zwar nehmen Anbieter wie Netflix oder Amazon auch in der Tschechischen Republik einen immer größer werdenden Stellenwert ein, doch greifen hier die Bedienungsoptionen, manche Inhalte nur gegen Eingabe eines Passwortes sehen bzw. Nutzerkonten nur für Kinder anlegen zu können. Malach gibt sich diesbezüglich auch entspannt:

Wir kämpfen mit diesen neuen Technologien wie alle unsere Kollegen, aber die Regulierung ist in diesem Fall weicher. Bisher haben wir in dieser Beziehung keine größeren Probleme.“