Marketing und Moral

Jens Lönneker

Jens Lönneker ist Diplom-Psychologe und Mitgründer und Mitinhaber des Instituts für Marktforschung und Strategieberatung rheingold salon.

Wie moralisch sind Kundenbedürfnisse? Möglichkeiten und Grenzen für Unternehmen, „im Auftrag“ der Kunden ethisch zu handeln und in den Medien glaubwürdig aufzutreten.

Printausgabe tv diskurs: 24. Jg., 1/2020 (Ausgabe 91), S. 42-46

Vollständiger Beitrag als:

„Bitte keine Einschränkungen, aber trotzdem auch Moral!“ So könnte man Bertolt Brechts berühmte Formulierung: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“ heute abwandeln, um die Verhältnisse zu beschreiben, auf die das Marketing 90 Jahre nach der Uraufführung der Dreigroschenoper in Berlin trifft.

Bertolt Brecht konnte zu seiner Zeit noch wie selbstverständlich von einer Hierarchie der Maßstäbe ausgehen. Wenn genug zu essen da ist, konnte es sich der Einzelne leisten, nach moralischen Kriterien zu handeln. Heute im Jahr 2020 ist in Deutschland genug zu essen für die allermeisten vorhanden, moralisches Handeln wird auch eingefordert – aber de facto wird es nur sehr wenig praktiziert. Moral ist da und zugleich nicht da.

Viele Konsumenten verhalten sich heute „schizophren“: Sie fordern Moral bei der Produktion ein und kaufen dann aber doch das billigste Produkt: So sind z.B. über 50 % der Käufer von Fleisch im Discount zugleich auf jeden Fall gegen Massentierhaltung – laut einer rheingold salon-Untersuchung zur Zukunft der öffentlichen Meinungsbildung aus dem Jahr 2015. In die gleiche Kategorie „schizophrenen“ Verhaltens fällt, dass sich viele Menschen einerseits Sorgen um Klima und Umwelt machen, dass aber zugleich der Marktanteil von umweltbelastenden SUVs sowie die Anzahl der Flugreisen steigen. Wie lässt sich das verstehen und wie können Marketing und Medien damit umgehen?
 

Was hat Marketing mit Moral zu tun? Viel. Denn Konsumenten delegieren heute das Moralproblem an das Marketing.

Der einflussreiche deutsche Grande des Marketings Heribert Meffert definiert Marketing so: „Marketing bedeutet Planung, Koordination und Kontrolle aller auf die aktuellen und potenziellen Märkte ausgerichteten Unternehmensaktivitäten. Durch eine dauerhafte Befriedigung der Kundenbedürfnisse sollen die Unternehmensziele verwirklicht werden“ (vgl. Meffert u.a. 2018). Wenn die Kunden das Bedürfnis nach Moral entwickeln, ist es demnach Aufgabe des Marketings, dieses Bedürfnis zu befriedigen. Das Gleiche gilt dann aber auch für die Kundenbedürfnisse nach günstigen Preisen, PS-starken SUVs und Fernreisen mit dem Flugzeug. Die letztgenannten Bedürfnisse und die moralischen Bedürfnisse sind nun aber schwer zu vereinen. Denn nach heutigen Moralauffassungen sind z.B. Fernreisen mit dem Flugzeug unter Umwelt- und Nachhaltigkeitsgesichtspunkten sehr kritisch zu betrachten. Die Kunden haben also „zwei Herzen“ oder mehr in der Brust mit Bedürfnissen, die in ihren Konsequenzen gegenläufig sind und sich widersprechen.
 


Folgt man den Marktforschungsstudien, die diese „schizophrenen“ Muster im Konsumverhalten beschreiben, gibt es jedoch wenig Hinweise darauf, dass Konsumenten unter ihrem in sich widersprüchlichen Verhalten ernsthaft leiden und es daher aufgeben wollen. Vielmehr scheint das Gegenteil der Fall zu sein. Sie machen das eine wie das andere je nach Stimmung, Verfassung und Umständen. In den Fernurlaub auf Kuba wird dann z.B. ein umweltschonender wiederverwendbarer Becher mitgenommen oder es werden Bioeier, aber kein Biohuhn gekauft.

Letztlich delegieren die Kunden das Problem an die Unternehmen und ihr Marketing zurück. Sie sagen im übertragenen Sinne: „Ich mag vielleicht da und da das Problem haben, nicht im Sinne meiner eigenen Moralvorstellungen zu handeln. Aber das liegt eigentlich nur an den nicht optimalen Produktangeboten. Nicht ich, sondern ihr müsst das lösen.“ Der Anbieter, der es als Erster schafft, eine gute Lösung für die in sich widersprüchlichen Bedürfnisse zu entwickeln, wird demnach seine Kundschaft begeistern. Und es gibt Produkte und Marken, die eindeutig auf der Seite der Moral stehen bzw. im Marketingjargon ausgedrückt einen überzeugenden Purpose aufweisen können. Hierzu zählt z.B. die Eiscreme-Marke Ben & Jerry’s, deren Gründern Moral und Haltung immer schon ein Anliegen war. Unilever, der heutige Eigentümer von Ben & Jerry’s, verfolgt diese Linie weiter und betreibt das Ben & Jerry’s-Marketing heute in enger Zusammenarbeit mit NGOs. Solche Marken und ihre Aktivitäten lassen sich gut in den Medien zeigen. Sie sind sozusagen tugendhafte Paradebeispiele für die Vereinbarkeit von Marketing und Moral.
 

Marken mit Moral als Feigenblätter

Dies ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Denn diese „moralischen“ Marken sind zugleich für ihre Kunden fantastische Feigenblätter. Sie können als Beweis für eine gute moralische Einstellung dienen. Zugleich decken sie damit Facetten des Konsumverhaltens, die eher gleichgültig mit moralischen Aspekten umgehen oder aber sogar gegen diese verstoßen und daher gerade als „verbotene“ Angebote besonders attraktiv sind.

Ein Beispiel für einen gleichgültigen Umgang: Seltene Erden und ihre moralisch problematische Gewinnung werden zwar generell kritisch diskutiert; das Thema wird jedoch beim konkreten Einkauf gerne „weggemacht“ und spielt z.B. für die wenigsten Kunden beim Handy- oder Tabletkauf eine Rolle. Wenn Hersteller wie Apple oder Samsung das Thema beim Gerätekauf aktiv ansprechen würden, durchbrächen sie diesen psychologischen Abwehrmechanismus und machten den Kauf aus Sicht vieler Konsumenten eher „kompliziert“. Die Unternehmen bedienen die Moralbedürfnisse „angenehmer“, wenn sie das Thema gar nicht erst ansprechen und im Zweifel exkulpierende Stellungnahmen auf der Homepage hinterlegt haben.

Das Marketing ist zudem aber auch mit „verbotenen“ Kundenwünschen konfrontiert, die mit moralischen Maßstäben brechen wollen. Paradebeispiel hierfür ist etwa das Musikmarketing im deutschen Hip-Hop. Farid Bang, Bonez MC, Kollegah oder Gzuz sind Figuren, die in ihren Texten und in ihrem Verhalten permanent gegen herkömmliche Moralvorstellungen verstoßen. Zu ihren Hörern gehören dabei auch brave Gymnasiasten, die mit Begeisterung Songs wie 500 PS oder Stress ohne Grund mitsingen und sich Videos ansehen, in denen mit Waffen hantiert, Rauschgift konsumiert und Frauen vor allem als Sexualobjekte inszeniert werden. Dies ist möglich – mit dem Hinweis auf künstlerische Freiheit und Fantasien, wie es bei anderen Kunstformen auch praktiziert wird. Als Kunst lässt sich mit der Moral spielen, man kann sie persiflieren, konterkarieren oder sogar ihre Maßstäbe brechen.
 


Zieht man ein Zwischenfazit, muss man zu dem Schluss kommen: Wenn Marketing sich an Kundenbedürfnissen orientiert, ist der Umgang mit Moral nicht ganz einfach. Denn der Kunde will mal die Moral, mal ist sie ihm gleichgültig, mal will er sogar sehen, wie gegen sie verstoßen wird. Um den heute verbreiteten grundsätzlichen Wunsch nach Unternehmen mit Moral und Haltung zu verstehen, reicht die Analyse der Kundenbedürfnisse daher offenbar nicht aus. Eine Beschäftigung mit psychologischen Aspekten der Moral scheint daher sinnvoll zu sein, um ihre Bedeutung für das Marketing besser zu verstehen.
 

Moral als Bann des Asozialen

Aus psychologischer Perspektive lassen sich zwei verschiedene Funktionskomplexe von Moral differenzieren, die aber beide miteinander verwoben sind: die gesellschaftliche und die individuelle Funktion von Moral. Der bekannte New Yorker Moralpsychologe Jonathan Haidt sagt: „Moral systems are interlocking sets of values, virtues, norms, practices, identities, institutions, technologies, and evolved psychological mechanisms that work together to suppress or regulate self-interest and make cooperative societies possible“ (vgl. Haidt 2012, S. 313). Haidt stellt somit die Organisation individueller Interessen durch die Moral heraus, durch die letztlich ein gesellschaftliches Miteinander überhaupt erst möglich gemacht wird. Egoistische Interessen – self-interests – müssen dabei unterdrückt oder so reguliert werden, dass Menschen gesellschaftsfähig werden. Die Forderung nach einem moralischen Agieren von Unternehmen lässt sich somit in zwei Richtungen auslegen: Das Unternehmen selbst soll so handeln, dass es seine eigenen Unternehmensinteressen im Zweifel gegenüber denen des gesellschaftlichen Miteinanders hintanstellt. Und auch die Kunden sollen durch die vom Unternehmen angebotenen Produkte und Dienstleistungen sozial handeln – also im Sinne der Gemeinschaft.

Im ersten Fall zielt die Forderung nach Moral also mehr auf eine Zähmung und Einhegung der Macht von Unternehmen – so wie es z.B. auch das deutsche Grundgesetz mit seiner Formulierung „Eigentum verpflichtet“ einfordert. Die Moralforderung soll verhindern, dass die Unternehmensaktivitäten zulasten der Kunden gehen. Die Moral wirkt hier wie ein gesellschaftliches Amulett gegenüber den mächtigen Unternehmen.

Vom Marketing der Unternehmen wird aber generell auch erwartet, dass es seinen Kunden Angebote macht, die diesen einen grundsätzlich moralisch integren Kauf ermöglichen – und dies auch dann, wenn der Aspekt der Moral bei vielen Produkten gar kein entscheidendes Kaufkriterium darstellt. Dies ist auf den ersten Blick seltsam und widersprüchlich: Es wird einerseits etwas erwartet, wonach es einem andererseits aber gar nicht so sehr verlangt. Darin spiegelt sich ein individueller psychologischer Zwiespalt wider, den das Marketing „behandeln“ soll: Die Unternehmen sollen als „Kategorie“ einerseits eine gesellschaftliche Instanz darstellen, die moralischen Ansprüchen genügt und somit zur Stabilität und Sicherheit im gesellschaftlichen Miteinander beiträgt. Zugleich bestehen aber auch individuelle Neigungen und Kundenwünsche, die nicht immer unbedingt im Einklang mit der Moral stehen und die über das Marketing der Unternehmen aber auch bedient werden sollen. Wie kommt es zu diesem Zwiespalt? Dies ist der Punkt, an dem es sich lohnt, sich mit den individualpsychologischen Facetten von Moral zu beschäftigen.
 

Moral als Kontrapunkt zur Lust

Das Marketing hat grundsätzlich damit zu tun, dass seine Kunden mindestens „zwei Herzen“ in der Brust haben. Sie wollen einerseits sündigen, Alkohol trinken, rasend schnell Auto fahren und viele leckere Kalorien zu sich nehmen; andererseits wollen sie sich aber an Maß und Regeln halten. Diese Zwiespältigkeit liegt in der menschlichen Entwicklung begründet. Kinder kennen noch kein Maß und keine Regeln, sie müssen diese mühevoll erlernen. Ihre Eltern übernehmen die Aufgabe, auf die asozialen Neigungen ihrer Sprösslinge erzieherisch Einfluss zu nehmen. Anfänglich sind es die Angst und die Sorge, die elterliche Liebe zu verlieren oder bestraft zu werden, die dazu führen, dass Kinder sich an den von Eltern gesetzten Regeln orientieren. Später kommen das Lob der Eltern und der Stolz dazu, sich von alleine so verhalten zu können – mit positivem Feedback von Freunden, Verwandten, Lehrern etc. Am Ende dieses Prozesses sind die Regeln als moralische Vorstellungen so „internalisiert“, dass sie als eigene Verhaltensmaximen empfunden werden. Sigmund Freud hat dies als Entwicklung eines „Über-Ich“ beschrieben, das auf die Handlungen des Ichs im Sinne von gesellschaftlichen Moralvorstellungen Einfluss nimmt. Freud hat aber auch herausgestellt, dass das Ich zwei weitere Einflussgrößen bei seinen Handlungen berücksichtigen muss: die Außenwelt und das Es, mit seinen auf unmittelbaren Lustgewinn ausgerichteten Regungen. Das Über-Ich wurde ausgebildet, um auch diese es-haften Impulse regulieren zu können.

Moral wäre – so betrachtet – ohne Sünde gar nicht in der Welt. Moral ist ein Kontrapunkt zu rein lustbetonten Regungen, die reguliert werden müssen, damit Menschen überleben können und gesellschaftsfähig werden. Das Marketing hat es von daher grundsätzlich mit ambivalenten Kundenbedürfnissen zu tun: Der Kunde will Moral und Lust – im Ideal beides zugleich in einem Produktangebot. Die Produktangebote unterscheiden sich darin, wie Moral und Lust austariert werden: Ben & Jerry’s bietet viel Moral, aber eben auch lustvollen Eiskonsum. Die Parfümmarke Davidoff inszeniert dagegen z.B. in der Werbung viel heiße, männliche Attraktivität und Erotik, zugleich wird diese in den „cool water“-Bildern aber ästhetisch-moralisch heruntergekühlt und salonfähig inszeniert.
 


Gutes Marketing war und ist daher moralisch und amoralisch zugleich. Es ist vor allem dann erfolgreich, wenn es hilft, Lust und Moral gut miteinander zu vermitteln. Daher können die meisten Marketingaktivitäten einerseits glaubwürdig anführen, dass sie auf dem Boden der gesellschaftlichen Moral- und Ethikvorstellungen operieren. Und auch wenn diese etwa im Hip-Hop-Marketing bis auf das Äußerste gereizt werden, so sind sie doch am Ende auch hier durch die Moralvorstellungen von „künstlerischer Freiheit und Fantasie“ gesellschaftlich legitimiert. Andererseits steht Marketing zugleich aber immer im Generalverdacht, lustbetonten, asozialen Verhaltensweisen den Weg zu öffnen, zu verführen, mit gesellschaftlich fragwürdigen Neigungen Geld zu verdienen. Und genau dies ist auch ein wichtiger Teil des Marketings, wenn es Kundenbedürfnisse erfüllen will. Marketing ist gut und böse, moralisch und amoralisch zugleich. Beide Perspektiven sind nach dieser Analyse richtig.
 

Moral als Sinnstiftung? Warum werden gerade heute vom Marketing Moral und Glaubwürdigkeit eingefordert?

Das Verhältnis und die Vermittlung von Lust und Moral werden auch von gesellschaftlichen Entwicklungen beeinflusst. In den westlichen Gesellschaften dominierte dabei über viele Jahre der Wunsch nach mehr individueller Freiheit, der eine Auflockerung strenger, kollektiver Moralvorstellungen nach sich zog. Nicht nur im Bereich von Sexualität, Kleidung, Arbeitsformen wurde mit vielen Tabus gebrochen, um Vorstellungen von individueller Selbstbestimmung und Glück zu ermöglichen. Lange Zeit standen daher bei Marketingaktivitäten und in der Werbung Kundenbedürfnisse im Vordergrund, die eher mit bestehenden Moralvorstellungen brechen. In der Werbung war „sündiges“ Verhalten attraktiv wie etwa in der Werbung für Magnum oder Lätta. Die Marken standen aber immer auch dafür, dass der vermeintliche Moralbruch eigentlich mehr eine Moraldehnung darstellte und daher gesellschaftsfähig blieb.

Die gesellschaftliche Entwicklung drängt heute demgegenüber wieder mehr auf Verlässlichkeit und Regeln, sodass Anforderungen an ein moralisches Verhalten stärker in den Vordergrund geraten. Das Marketing kann daher bei seinen Kunden mit Nachhaltigkeit, Ökologie, Fair Trade punkten. Sich daran zu orientieren, wird heute als so sinnstiftend erfahren wie vor 40 Jahren der Bruch mit sexuellen Tabus. Die Marketingbloggerin Annett Stang formuliert daher: „Dies erklärt sich unter anderem aus dem gesellschaftlichen Wandel und der grundsätzlichen Suche nach etwas Sinnvollem. Sei es bei der Jobsuche, wo es immer wichtiger wird, etwas ‚Sinnstiftendes‘ leisten zu wollen. Oder aber seine Zeit mit etwas Sinnvollem zu verbringen, das einem Zufriedenheit schenkt. Das kann etwas Soziales, Funktionales oder auch Ökologisches sein. Es geht um Werte und Haltung. Umweltschutz, Tierwohl, Gesundheit oder soziales Engagement rücken stärker in das Bewusstsein der Menschen und damit auch die Hinterfragung der Unternehmen nach ihrem gesellschaftlichen Beitrag.“
 

Möglichkeiten und Grenzen der Moral für Unternehmen

Moral als Sinnstiftung ist psychologisch betrachtet nur die halbe Wahrheit. Denn lustbetonte, asoziale Regungen beanspruchen weiterhin ihren Raum: De facto ist der Umsatzanteil von Bioprodukten geringer als von Nichtbioangeboten, der Fair-Trade-Anteil wächst in einigen Segmenten zwar rasant, ist aber immer noch kleiner als der Rest des Marktes, der Marktanteil von SUVs steigt weiterhin etc. Das bedeutet, es besteht bei den Kunden vordergründig ein großes Interesse an moralisch verbindlichem Verhalten – solange es das eigene Handlungsspektrum nicht allzu sehr einschränkt. Schon in der Dreigroschenoper von Bertolt Brecht sollten vor allem „die anderen“ sich moralisch verhalten.

Ein an Kundenbedürfnissen orientiertes Marketing muss daher einerseits den moralischen Impetus aufgreifen, darf aber nicht vergessen, dass dies nur die eine Seite der Medaille darstellt. Denn die Kunden wollen sich andererseits ihre lustbetonten Verhaltensweisen nicht wirklich „wegnehmen“ lassen. Die Bereitschaft zu Verzicht und Einschränkung ist nur gering ausgeprägt. Es ist ein bisschen wie in der Kirche: Natürlich gibt es gottesfürchtige Menschen, die ein durch und durch moralisches Leben führen. Der weitaus größere Teil ist jedoch zwischen moralisch integrem Verhalten und sündigen Impulsen hin- und hergerissen. Die christliche Kirche hat im Laufe der Jahrhunderte gelernt, dafür Angebote zu machen, um der christlichen Moral Raum zu verschaffen: Die Geschichten der Bibel sind voll von Sündern, die dennoch nicht fallen gelassen werden; und die Beichte ermöglicht der Sünde wie der Tugend ihren Raum.

Auch erfolgreiches Marketing muss seinen Kunden Räume für amoralisches Verhalten bieten und versuchen, dieses mit den Regeln der Moral zu vermitteln; Marketing kann jedoch keinen so ganz eindeutigen Schwerpunkt auf die Moral legen wie die Kirche. Marketing ist ein „Hybrid-Ansatz“, der aufgrund der aktuellen gesellschaftlichen Strömungen zurzeit moralische Vorstellungen stärker in den Vordergrund stellen muss, während viele Kundenbedürfnisse zugleich auch in ganz andere Richtungen gehen. „Im Auftrag“ der Kunden kann Marketing daher nur bedingt „ethisch“ handeln und in den Medien glaubwürdig auftreten. Ansonsten sind die Marketingaktivitäten eben nicht mehr „geil“.
 

Literatur:

Haidt, J.: The Righteous Mind. Why Good People Are Divided by Politics and Religion. New York 2012

Meffert, H./Burmann, C./Kirchgeorg, M./ Eisenbeiß, M.: Marketing. Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung. Konzepte – Instrumente – Praxisbeispiele. Wiesbaden 2018

Stang, A.: Purpose Driven Marketing – und das heißt jetzt was genau?. Abrufbar unter: www.annett-stang.de (letzter Zugriff: 13.12.2019)