Medienpolitik

Grundlagen für Wissenschaft und Praxis (3. Aufl.)

Manuel Puppis

München 2023: UVK/utb
Rezensent/-in: Hans-Dieter Kübler

Buchbesprechung

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 4/2023 (Ausgabe 106), S. 73-74

Vollständiger Beitrag als:

Aktuelles Standardwerk zur Medien- und Internetpolitik

Medienpolitik sei gemeinhin ein wenig beachteter, aber eigentlich ungleich wichtiger Bereich der Politik, schreibt einleitend der Fribourger Kommunikationswissenschaftler Puppis in diesem seit 2007 erscheinenden Standardwerk. Angesichts der anhaltenden Digitalisierung des gesamten Mediensektors hat sie neue Dynamik, Dringlichkeit und (ständigen) Reformbedarf erlangt. Deshalb hat Puppis die 3. Auflage völlig neu konzipiert, anders strukturiert und vor allem um die Dimension der Plattformen (Intermediäre) erweitert, die neben den Medien gleichgewichtig behandelt werden.

Ob diese Dualität auf Dauer trägt, muss die künftige Entwicklung, die auf Konvergenz und Hybridität zielt, weisen. Ebenso erhalten theoretische Erklärungsansätze gegenüber rasch veraltenden empirischen Daten größeres Gewicht. Vorrangig werden die Situation und Entwicklung in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie stellvertretend für Europa in der Europäischen Kommission und im Europarat betrachtet. Leitend bleibt die Strukturperspektive, die seit den 1940er-Jahren in der Kommunikationswissenschaft verfolgt wird; mit ihr werden die Leistungen der Medien und Plattformen für die „öffentlich vermittelte Kommunikation“ (S. 19) und für die Gesellschaft bemessen. Strukturell prägen die Mediensysteme auf der obersten Ebene die nachgeordneten Medienorganisationen, ihre Strukturen, Ziele und Normen, die wiederum das publizistische Handeln der Medienproduzenten, deren Arbeitsweisen und Produkte mehr oder weniger steuern, wobei Medien- und Meinungsfreiheit gewahrt werden müssen.

Horizontal interagieren die Mediensysteme mit denen der Politik, der Wirtschaft, des Rechts, der Kultur etc. Entsprechend umfassend ist der Politikbegriff in den anerkannten Dimensionen von Polity (strukturelle Rahmen), Politics (politische Prozesse) und Policy (politische Inhalte) entfaltet, nämlich als jedwedes Handeln zur „Herstellung und Durchsetzung allgemein verbindlicher Regeln und Entscheidungen […]“ (S. 41), einschließlich der informellen Governance in diversen Sektoren.

Zwangsläufig wird dadurch das Analysespektrum weit gespannt, die Materie sehr umfänglich, da sie rechtliche wie publizistische Themen einbezieht. Der Umfang des Buches hat sich fast verdoppelt, der Duktus ist nicht immer stringent. Gleichwohl schafft Puppis einen systematischen, enorm kenntnis- und detailreichen Überblick in drei großen Abschnitten: nämlich in den „Grundlagen“, der „Inter- und transnationale[n] Medienpolitik“ und in den verschiedenen „Bereiche[n]“, bevor er sich in der „Konklusion“ den „Medienpolitische[n] Reformen und [der] Rolle der Kommunikationswissenschaft“ zuwendet.

Nach der Einleitung, in der das Vorgehen, die Strukturperspektive erläutert, Medien und Plattformen definiert, der Zusammenhang von Medienstrukturen und ‑politik expliziert sowie der Aufbau des Buches vorgestellt wird, thematisieren die „Grundlagen“ Dimensionen der Medienpolitik, Entwicklungen und theoretische Ansätze der Medienregulierung, Anliegen und Ziele der Media Governance sowie Begründungen für medienpolitische Eingriffe. Im letzten Kapitel – „Medienpolitik erforschen“ – wechselt unerwartet die Perspektive, denn es wird kein Forschungsüberblick geliefert, sondern eher eine Handreichung, wie sich Medienpolitik erforschen lässt. Der nächste Abschnitt „Inter- und transnationale Medienpolitik“ muss ein sehr weites Analysespektrum adressieren: zunächst die europäische Medienpolitik von Europarat und EU, sodann auf globaler Ebene die von ITU, WIPO, UNESCO, WTO, OECD und den Organisationen der Internet Governance. Zwangsläufig bleibt es bei kompakten Porträts der Institutionen bzw. Organisationen und bei konzentrierten Darstellungen der Leitlinien ihrer Medienpolitik. Die „Bereiche der Medienpolitik“ greifen viele Aspekte aus anderer Perspektive wieder auf: „Marktzugang und Wettbewerb“, „Produktion“, „Inhalte“, „Verbreitung“ und „Nutzung“ lauten die Kapitel, unter denen sich viele wichtige Detailbereiche versammeln: so etwa Marktmacht und Medienkonzentration in Europa und weltweit, Grundlagen des öffentlich(‑rechtlichen)en Rundfunks, Medienförderung und medienethische Standards, Governance von Medien- und Onlineinhalten, Jugendmedienschutz und Werberegulierungen, Infrastruktur, Netzneutralität, Algorithmen-Transparenz, Medienkompetenz und Datenschutz.

Aus der immensen Fülle medienpolitischer Strategien, Regelungen und Empfehlungen folgert Puppis am Ende, dass Medienpolitik angesichts der transnationalen Markt- und Meinungsmacht der Medienkonzerne und Intermediäre einerseits einen enormen, wohl permanenten Reformbedarf hat, um die unverzichtbaren Standards und Ziele demokratischer Öffentlichkeit zu behaupten und ständig zu erneuern, andererseits die vorwiegend vergleichend arbeitende Medienpolitik-Forschung dafür prädestiniert ist, den politisch Handelnden die erforderlichen Orientierungen und Erkenntnisse zu liefern. Daran müsste aber auch das Publikum stärker beteiligt werden.

Ohne Frage ist Puppis ein fundiertes und detailliertes Standardwerk gelungen. Seine Aufgabe als Lehrbuch unterstreicht es zudem durch eine beispielhafte Strukturierung und Gestaltung mit Abstracts zu Inhalten und Lernzielen zu Beginn eines jeden Kapitels, durch Selbstkontrollaufgaben am Ende (die unüblicherweise „Lösungen“ im Anhang bekommen), durch kompakte Quintessenzen nach jedem Abschnitt, durch gekennzeichnete Kästen zu exemplarischen und nationalen Besonderheiten und symptomatischen Studien, durch Tabellen und Grafiken sowie empfohlene und annotierte Literatur zu jedem Kapitel. Wünschenswert wäre nur noch ein Sachregister gewesen, um die oftmals verstreuten Zusammenhänge und vielen Abkürzungen leichter zu finden. Aber dieses Manko tut dieser überragenden, kompetenten Arbeit, die im deutschen Sprachraum einzigartig ist, keinen Abbruch.

Prof. i. R. Dr. Hans-Dieter Kübler