„Menschen folgen Menschen!“

Eva Lütticke im Gespräch mit Louisa Dellert

Sie ist Unternehmensberaterin im Social-Media-Marketing und im Bereich „Nachhaltigkeitskommunikation“, Podcasterin, Moderatorin und Content Creatorin: Auf Instagram, LinkedIn und TikTok folgen ihr mehr als eine halbe Million Menschen. Louisa Dellert ist mittlerweile Vollprofi, wenn es darum geht, Nutzer*innen auch komplexe Themen näherzubringen und bestenfalls nicht nur Debatten zu moderieren, sondern auch zum Handeln zu motivieren.

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 2/2023 (Ausgabe 104), S. 34-38

Vollständiger Beitrag als:

Nachhaltigkeit ist im Trend, auch bei den Unternehmen. Wie sehen Sie Trend, insbesondere bezogen auf Social Media? Gerade da positionieren sich viele Marken sehr grün.

Zunächst einmal finde ich es gut, dass es vor allem Fridays for Future gelungen ist, diesen Trend in Gang zu setzen. Wenn es diese Bewegung nicht gäbe, würden nicht so viele Unternehmen auf diesen Nachhaltigkeitszug aufspringen. Das ist die eine Seite, die andere Seite ist, dass es natürlich viele Greenwashing-Fälle gibt, bei denen ich denke: Fangt erst mal woanders an. Aber ich kenne eben auch viele Unternehmen, die Angst haben, überhaupt über das Thema zu sprechen, weil sie wissen, sie sind noch nicht bei 100 %. Sie wollen anfangen und ihnen wird nicht zugestanden, dass sie nicht sofort alles perfekt machen können.

Wie kommunizieren Sie das innerhalb Ihrer Community?

Ich versuche, meiner Community zu erklären: Hey, einige Unternehmen probieren wirklich, Dinge zu verändern, aber wir können den Kapitalismus nicht einfach abschaffen, indem wir – bildlich gesprochen – die großen Unternehmen abbrennen. Wir müssen eher schauen, wie wir in der jetzigen Situation verantwortungsbewusster wirtschaften können.

Sie sind auch Unternehmensberaterin, welche Kommunikationsstrategien empfehlen Sie denen?

Bei den Unternehmen versuche ich zu verdeutlichen, dass es nicht reicht, eine grüne Kampagne nach außen zu kommunizieren. Vielmehr muss sich unternehmensintern strukturell etwas ändern. Das fordern Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und auch die Konsument*innen immer mehr ein. Das sehe ich als meine Aufgabe: Brückenbauerin zu sein.
 

Podcast #95 Claudia Kemfert - Wie muss die neue Regierung mit der Klimakrise umgehen? (Louisa Dellert, 11.09.2021)



Die sozialen Medien sind nicht unbedingt dafür bekannt, ein Raum zu sein, in dem man Fehler machen darf …

In der „linken Bubble“ wird oft gegenseitig mit dem Finger aufeinander gezeigt, obwohl man dasselbe erreichen will und Dinge verändern möchte.

Mir ist das auch bei Content Creator*innen aufgefallen, die über Umweltthemen sprechen: Man muss alles perfekt machen; und wenn dem nicht so ist, hat man quasi keine Berechtigung, über dieses Thema öffentlich zu reden …

Ja! Aber es ist auch ein Geschäftsmodell geworden von manchen Content Creator*innen, nur noch die Fehler an anderen zu suchen und nicht mehr zu unterscheiden, ob das Menschen sind, die einmal einen Fehler gemacht haben und noch nicht so weit sind, oder ob das wirklich Personen sind, die strukturell Fortschritt verhindern wollen.

Gibt es bestimmte Umweltthemen, die besonders polarisieren?

Beim Thema „Umwelt“ polarisiert ehrlicherweise alles. Alles, was du politisch äußerst, im Kleinen und im Großen, polarisiert. Vor allem, dass wir im globalen Norden als Industrienationen tausendmal besser leben als die Menschen im globalen Süden. Was haben wir damit zu tun, dass Menschen aus dem globalen Süden fliehen müssen? Wenn wir den ganzen Tag Fisch und Fleisch essen wollen, das uns jederzeit zur Verfügung steht, und es dann den Menschen vor Ort wegnehmen, sodass sie keine Lebensgrundlage mehr haben?! Das sind Themen, die triggern, weil Menschen mit ihren eigenen Privilegien konfrontiert werden. Es ist total in Ordnung, auch in Deutschland zu sagen: „Ich bin aus einem einkommensschwachen Haushalt, ich muss schauen, wie ich überhaupt im Alltag überlebe, und über solche Fragen kann ich mir keine Gedanken machen.“ Aber es gibt viele Menschen, die sehr gut in Deutschland leben und die sich mit ihren Privilegien auseinandersetzen sollten.
 


Beim Thema „Umwelt“ polarisiert ehrlicherweise alles. Alles, was du politisch äußerst, im Kleinen und im Großen, polarisiert.



Es gibt negative Nachrichten wie Überfischung, Überschwemmungen und Erdbeben, denen man tagtäglich ausgesetzt ist. Was macht das mit den Nutzer*innen?

Die haben keine Lust auf noch mehr negative Nachrichten. Und die haben auch keine Lust, sich damit zu beschäftigen, weil sie das Gefühl haben, dass sie sowieso nichts verändern können. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns erlauben – auch in der Tagesschau, auch in den großen Zeitungen –, neben all dem, was passiert, immer wieder Geschichten von Menschen zu erzählen, die im Kleinen – in ihrer Kommune, in ihrem Kiez – etwas verändern. Von Menschen zu erzählen, die eine Idee haben, die ein Problem sehen und es lösen, die es einfach in die Hand nehmen. Solche Geschichten braucht es, um andere zu inspirieren, damit man das Gefühl hat, dass es sich lohnt, sich einzubringen. Vorausgesetzt natürlich, man hat die zeitlichen, mentalen und auch finanziellen Kapazitäten dafür.

Wie würden Sie Ihre Community beschreiben?

Auf Instagram besteht die Zielgruppe aus 80 % Frauen und 20 % Männern zwischen 25 und 35 Jahren.

Mehr zentriert auf die großen Städte oder ganz gemischt?

Es sind nicht nur Leute aus Hipster-Berlin (schmunzelt), sondern wirklich viele Lebensrealitäten, auch vom Dorf oder aus kleineren Kommunen, die vor ganz anderen Herausforderungen stehen, als wenn ich hier in Berlin über den ÖPNV spreche.

Gibt es ein Medium, das Sie präferieren, um Ihre Inhalte zu teilen? Sie sind auf Instagram, TikTok, YouTube, Sie moderieren, sind Podcasterin und noch vieles mehr …

Am allerliebsten bin ich momentan auf LinkedIn. Das ist eine superspannende Plattform, auf der man noch sehr gut Inhalte teilen und Diskussionen führen kann, die nicht von Trollen dominiert werden. Und da sind auch jüngere Leute, sodass ich mit dem Thema „Umwelt“ auch die Richtigen erreiche. Ansonsten habe ich vor, mir auf Discord einen eigenen Channel zu machen. Dort können dann wirklich nur Leute miteinander kommunizieren, die Lust auf das Thema haben, unterschiedlicher Meinung sind und sich konstruktiv austauschen wollen.

Sie teilen oft sehr komplexe Themen. Wie schaffen Sie es, die Inhalte verständlich aufzubereiten?

In der Politik wird beispielsweise oft eine Sprache mit vielen Fachbegriffen gesprochen, die auch für mich nicht immer verständlich ist. Ich versuche, mir das Thema dann selbst zu erklären – in einer Sprache, die für mich und auch für Menschen verständlich ist, die nicht aus akademischen Haushalten stammen und sich täglich politische Debatten anhören. Gerade bei Social Media ist das ganz wichtig, weil man nie weiß, welche Menschen man erreicht.

Wie wichtig ist das Storytelling, um die Inhalte zu vermitteln?

Menschen folgen Menschen! Deshalb erreicht man Menschen am ehesten mit Emotionen. Wenn eine Person in die Kamera spricht, dann führt das zu einer Interaktion – egal, ob man die Person mag oder nicht. Und es ist ganz wichtig, dass man eine Person vor Augen hat, die einen thematisch mitnimmt und die Hand reicht und sagt: „Darüber müssen wir jetzt reden.“ Bei mir war das natürlich schon immer so, aber ich beobachte mittlerweile auch bei Unternehmen oder journalistischen Formaten, dass der Trend dahin geht, dass sie eigene Content Creator*innen haben, die sie für sich entsprechend ausbilden.
 


Menschen folgen Menschen! Deshalb erreicht man Menschen am ehesten mit Emotionen.



Welche Rolle spielt Vertrauen in der Wissensvermittlung?

Das spielt eine große Rolle, auch für mich. Meine Community vertraut mir, dass ich die Inhalte richtig recherchiere und keinen Blödsinn erzähle oder gar Fake News verbreite. Ich bin sehr genau bei der Quellenauswahl und weise diese aus. Aber es gibt natürlich viele, die das nicht machen und dieses Vertrauen bewusst ausnutzen, um Fake News zu verbreiten. Vertrauen ist eine Währung auf Instagram. Über Vertrauen baust du dir eine Community auf; und nur mit einer Community kannst du Dinge verändern. Daher spielt das auf jeden Fall eine ganz große Rolle.

Lassen Sie sich bei Ihrer Arbeit beraten?

Ja, wir haben eine Produktionsfirma und eine Beratungsagentur. Das heißt, für inhaltliche Themen, gerade wenn ich Beiträge erstelle, kann ich mich immer mit unserer Produktionsfirma austauschen. Ich habe mittlerweile auch eine Mitarbeiterin, die für mich Themen aufarbeitet und recherchiert. Früher habe ich das allein gemacht.

Online ist man nicht selten Anfeindungen ausgesetzt. Ist das dem Thema „Umwelt und Nachhaltigkeit“ geschuldet oder ein Social-Media-Problem im Allgemeinen?

Zum einen sind vor allem die sozialen Medien zu einem Ort geworden, an dem man gerne anonym seinen Frust rauslässt. Und dann kommt es immer auf die Themen an und in welcher Beziehung man zu ihnen steht. Ich bin eine Frau, die sich zu Umweltthemen äußert. Das heißt, ich habe schon einen Nachteil, weil ich kein Mann bin. Andere Männer hören Männern einfach anders zu als mir. Wenn ich über ein Umweltthema spreche, bin ich schnell die hysterische Ökotante. Wenn über das gleiche Thema ein YouTube-Umweltaktivist spricht, dann ist der cool und wird gehört. Das ist ein Problem in unserer Gesellschaft und trägt leider dazu bei, dass sich vor allem Männer an mir abarbeiten.

Welchen Vorteil sehen Sie in den Verbreitungswegen der großen Plattformen gegenüber denen der klassischen Medien?

Der Vorteil der sozialen Medien ist eine viel größere politische und gesellschaftliche Teilhabe von Menschen – auch aus Regionen, die sonst nicht die Aufmerksamkeit bekommen, weil sie nicht die klassischen Medien vor Ort haben, wie wir sie hier haben. Und es ist auch ein Vorteil, dass wir viel mehr mitbekommen, was am anderen Ende der Welt passiert. Zudem können wir uns über Social Media verabreden und politischen Druck ausüben. Und es ist wichtig, Journalismus auf diesen Plattformen stattfinden zu lassen, damit eben wirklich Fakten geteilt werden. Es gibt immer mehr Gruppierungen von rechten Akteuren oder Trolle, die probieren, die Unsicherheit der Menschen auszunutzen, um sie auf ihre Seite zu ziehen. Deswegen ist Social Media insofern nicht ein Vorteil, sondern eher eine Chance für den Journalismus.
 


Wenn ich über ein Umweltthema spreche, bin ich schnell die hysterische Ökotante. Wenn über das gleiche Thema ein YouTube-Umweltaktivist spricht, dann ist der cool und wird gehört.



Hat sich der Journalismus dadurch verändert, dass er auch auf sozialen Plattformen stattfindet?

Man sieht, dass auch Journalist*innen und journalistische Formate immer mehr unter Druck stehen und sich überlegen müssen, wie sie in kurzer Zeit sehr viel mehr Inhalte produzieren können. Und auch, welche Aspekte sie in einem TikTok oder Reel weglassen können. Zum einen, weil es das Format nicht anders zulässt, zum anderen, weil die Menschen in der Kürze gar nicht so viele Fakten aufnehmen können. Für Journalist*innen ist das eine Herausforderung. Und natürlich merkt man, dass auch Clickbait genutzt wird, auch von Zeitungen wie der „Zeit“ oder dem „Spiegel“, wenn sie irgendwelche Beiträge teilen wollen. Das hat dann eher Boulevard-Charakter und kann gefährlich werden. Aber ich weiß, dass da viele gute Journalist*innen zusammensitzen und überlegen, wie es hinzukriegen ist, das eben nicht zu machen und trotzdem die Klicks für ihre Beiträge zu bekommen.

Es ist natürlich eine Gratwanderung, auf der einen Seite irgendwie neugierig zu machen und sich den Plattformmechanismen zu unterwerfen und auf der anderen Seite ausreichend Informationen zur Verfügung zu stellen, auch wenn man nicht auf den Link klickt. Wissensvermittlung beruht aber nicht nur auf Fakten, sondern hat auch viele andere Komponenten. Sie sprachen davon, dass Emotionen wichtig sind. Welche anderen Strategien gibt es, Wissen über Social Media zu vermitteln? Wo sehen Sie die Chancen für Wissenschaftskommunikation in den sozialen Medien?

Eckart von Hirschhausen ist ein Superbeispiel. Er schafft es, wissenschaftliche Fakten so in Bilder zu fassen, dass die Leute es verstehen. Wenn er sagt: „Kein Mensch der Welt, egal, wie reich er ist, kann sich eine Außentemperatur kaufen, die ihn am Leben hält“, dann ist das etwas, was ich einfach sehr gut nachvollziehen und damit auch besser einordnen kann. Ich glaube, es braucht solche Bilder, die die Wissenschaft den Menschen an die Hand gibt, damit sie verstehen, was die Wissenschaft mit den Zahlen und mit den Fakten meint. Ich habe sein Buch gelesen und bei jedem Kapitel gedacht: Genauso musst du es den Leuten erklären. Davon brauchen wir mehr. Deshalb ist es wichtig, dass Texter und Marketingleute mehr mit Wissenschaftler*innen zusammenarbeiten, weil da zwei Welten zusammenkommen, die viel Gutes bewirken können.

 

Louisa Dellert ist Unternehmensberaterin im Social-Media-Marketing und im Bereich „Nachhaltigkeitskommunikation“, Podcasterin, Moderatorin und Content Creatorin.

Eva Lütticke studierte Medienwissenschaften (M.A.) an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. Zurzeit arbeitet sie als Redakteurin bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF).