Nach dem Rundfunk

Die Transformation eines Massenmediums zum Online-Medium

Hermann Rotermund

Köln 2021: Herbert von Halem
Rezensent/-in: Lothar Mikos

Buchbesprechung

Printausgabe mediendiskurs: 26. Jg., 2/2022 (Ausgabe 100), S. 93-94

Vollständiger Beitrag als:

Transformation des Rundfunks

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist immer wieder Gegenstand kritischer Betrachtung. Dabei geht es dann häufig um die Finanzierung durch die Rundfunkgebühr, die Strukturen der Sender, die Programme sowie um das Verhältnis von linearer zu nonlinearer Programmierung. Das liegt auch daran, dass sich die Medienlandschaft um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk herum stark verändert hat. So stellt Rotermund auch fest: „Die Digitalisierung des Fernsehens ist keine medieneigene Entwicklung, sondern ein globaler Prozess, der ein traditionelles Medium nach dem anderen erreicht und dort zum Teil dramatische Veränderungen angestoßen hat – erst in der Druckbranche, dann im Radio und Fernsehen“ (S. 98). Dieser globalen Entwicklung muss sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk anpassen, sei es auf technischer, politisch-regulatorischer, organisatorischer und programmlicher Ebene. Der Autor sieht dabei auch die Politik in der Verantwortung, denn „die deutsche Medienpolitik hat die Probleme der Rundfunkzukunft noch nicht gelöst“ (S. 348). Die Lösungen, die der Autor auf den letzten zehn Seiten des Buches anbietet, sind nicht neu und muten teilweise etwas wirklichkeitsfremd an.

Aber der Reihe nach. Das Buch gliedert sich in fünf Abschnitte. Im ersten setzt sich Rotermund auf über 100 Seiten mit dem Medienwandel auseinander. Wer in diesem Kapitel eine Systematik sucht, wird enttäuscht. Der Autor wirft eher Schlaglichter auf bestimmte Bereiche, die ihm selbst wichtig erscheinen. Hier eine kleine Sammlung der Themen: Mythen, Mediennostalgie, technische Medien seit 1800, vierte Gewalt, Bertolt Brecht, Rundfunkwissenschaft, öffentliche Meinung usw. In einem längeren Abschnitt kritisiert er aus einer systemtheoretischen Perspektive die Öffentlichkeitstheorie des Sozialphilosophen Jürgen Habermas, deren Annahmen in vielen Diskussionen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Rolle spielten und auch für regulatorische Eingriffe und manche Gerichtsurteile zum Rundfunk zentral waren. Rotermund stellt bereits die historischen Grundannahmen der Theorie infrage, sieht aber in jüngeren Arbeiten von Habermas eine Entwicklung, z. B., dass er „die Existenz pluraler Öffentlichkeiten“ anerkenne (S. 58) und dass er „sieht, dass die vertikalen Kommunikationsströme der Massenmedien zunehmend an Bedeutung gegenüber der horizontalen Kommunikation im digitalen Netz verlieren“ (S. 61). Der Autor versteht im Zuge der Digitalisierung die Öffentlichkeit selbst als „Netzwerkeffekt“ (S. 127). Aus den verschiedenen Beobachtungen des Medienwandels leitet er den Vorrang des Digitalen ab und schreibt: „Eine Online-first-Strategie ist ohne den grundlegenden Umbau der jetzigen Rundfunkanstalten nicht denkbar“ (S. 130). Wie dieser Umbau aussehen sollte, bleibt dann doch recht unbestimmt.

In weiteren Abschnitten setzt sich der Autor ausführlich mit der Regulierung und der Organisation des Rundfunks auseinander und geht hier mit Politikern, Richtern und Senderverantwortlichen ins Gericht. Sie seien in alten Denkmustern verhaftet und würden so die aktuelle Entwicklung der Digitalisierung ebenso wenig verstehen wie die Eigenschaften des Rundfunks. Um nur ein Beispiel zu nennen: Es werde immer davon ausgegangen, dass der Rundfunk in erster Linie ein Informationsmedium sei, doch „Fernsehen ist in erster Linie ein Unterhaltungsmedium“ (S. 217). Die Betonung der Informationsleistung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sei auch deshalb zu hinterfragen, da Studien gezeigt hätten, dass die „Nachrichtenproduktion öffentlich-rechtlicher Unternehmen […] nicht anders als die von kommerziellen Sendern [verläuft]“ (S. 279). Das ist im Übrigen eine der wenigen Stellen, an denen das sogenannte Privatfernsehen vorkommt. Umso erstaunlicher, da es auch Teil des Systems Rundfunk ist.

Positiv hervorzuheben ist der Abschnitt zum Begriff „Public Value“, der sehr ausführlich gerät und deutlich macht, dass er nicht einfach zur Legitimation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks herangezogen werden kann, weil er keine Eigenschaft beschreibt, sondern einen „permanenten Aushandlungsprozess“ (S. 299). Dieser Prozess sei für die Zukunft des Rundfunks zentral, denn „im Jahr 2030 werden gemeinschaftsfinanzierte, gemeinnützige Medien nur noch dann erfolgreich bestehen und operieren können, wenn sie keine Rundfunkmedien mehr sind, sondern ihre Transformation zu Public-Value-orientierten Online-Medien vollzogen haben“ (S. 349). Das mag man als Auffassung des Autors so stehen lassen, auch wenn der lineare, klassische Rundfunk bis dahin nicht verschwunden sein wird. Trotz mancher Pauschalisierung und unkritischer Befürwortung des digitalen Streamings regt das Buch an manchen Stellen zum Nachdenken über vermeintliche Selbstverständlichkeiten vor allem in Bezug auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk an.

Prof. i. R. Dr. Lothar Mikos