Ohne Grundvertrauen gibt es keinen Diskurs mehr
Ist das Vertrauen in Medien tatsächlich so dramatisch gesunken, wie man vor fünf Jahren angesichts der Pegida-Bewegung und ihrer „Lügenpresse“-Anschuldigungen angenommen hat?
Das kommt auf den Blickwinkel an. Im europäischen Vergleich und vor allem im Vergleich mit den USA gibt es in Deutschland nach wie vor ein sehr hohes Vertrauen in die Mainstreammedien, insbesondere in die beiden großen Säulen des traditionellen Mediensystems, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die Tageszeitungen. Zwei Drittel bis drei Viertel der Befragten sagen: „Ich vertraue den Medien voll und ganz“ oder: „Ich vertraue etwas“. Das sieht in den USA und in Großbritannien ganz anders aus. Schaut man sich die Entwicklung seit 2015 an, als die Rede von einer Vertrauenskrise überall präsent war, gibt es keinen allgemeinen Einbruch des Vertrauens. Insbesondere der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die Tageszeitungen erreichen Jahr für Jahr stabil die genannten hohen Zustimmungswerte. Trotzdem ist etwas geschehen:
Durch die von einer kleinen, lauten Minderheit so aggressiv vorgetragenen Anschuldigungen gab es eine Verunsicherung bei Journalisten, ob man ihnen vertraut.
Dadurch ist eine Debatte entstanden, die zu einer Polarisierung beigetragen hat. Es gibt einen Zuwachs auf der Seite derer, die sagen: „Ich vertraue den Medien voll und ganz“. Gleichzeitig gibt es aber auch einen starken Zuwachs auf der Seite derer, die unser Mediensystem ablehnen. Die Zahl derer, die sagen, man könne den Medien eher nicht oder überhaupt nicht vertrauen, ist von 9 % im Jahr 2008 auf 28 % im Jahr 2019 angewachsen. Das muss einem schon Sorge machen.
Sind das alles Hardliner, die sich nicht nur von den Mainstreammedien, sondern auch von unserem politischen und gesellschaftlichen System komplett abgewandt haben?
Nein. Darunter sind viele, die sich zu unserem Rechtsstaat bekennen, die also keine Radikalen sind: Da findet sich manch konservativer Hochschulprofessor oder ein enttäuschter Sozialdemokrat neben jemandem, der in einer abgehängten Region wohnt und keine Perspektive sieht. Viele dieser Menschen fühlen sich von der Art und Weise, wie besonders der reichweitenstarke Journalismus seine Diskurse führt, in ihrer Lebenswelt nicht mehr repräsentiert. Sie haben den Eindruck, dass dort ein verzerrtes Meinungsbild gezeichnet wird.
Inwiefern?
Viele Menschen haben z.B. den Eindruck, dass im Hauptstadtjournalismus politisch progressive Meinungen und in ihren Augen weniger relevante Themen wie Migration, Diversität, Gendering oder auch Umweltthemen überproportional häufig adressiert werden. Aber das, was sie beschäftigt – Infrastruktur, Arbeit, Steuern –, das kommt nicht mehr vor. Wir haben das Medienentfremdung genannt, aber im Grunde genommen ist es eine kulturelle Entfremdung.
Wie operationalisiert man Entfremdung?
Wir fragen nach Zustimmung zu oder Ablehnung von bestimmten Aussagen, z.B.: „Das, was in den Medien berichtet wird, hat mit meiner Wirklichkeit nichts zu tun.“ Oder: „Die Meinungen, die in den Medien vorgetragen werden, kommen in meinem persönlichen Umfeld überhaupt nicht vor.“ Oder: „Ich nehme die Wirklichkeit ganz anders wahr, als die Medien sie abbilden.“ 20 bis 30 % der Befragten stimmen solchen Aussagen zu. Das sind nicht alles Extremisten, sondern beispielsweise Menschen, die auf dem Land leben oder in Zonenrandgebieten. Sie haben mit großstädtischen Eliten und den Diskursen, die in Metropolen und an Universitäten geführt werden, nichts zu tun. Diese Menschen haben das Gefühl, ihre Sicht der Dinge sei überhaupt nicht mehr akzeptiert, sie dürften bestimmte Witze nicht mehr machen, ihre Lebenswirklichkeit zähle nicht. Dieser kulturelle Bruch wird von den Populisten instrumentalisiert. Teilweise gelingt es ihnen, diese sich entfremdet fühlenden Menschen im Internet zu radikalisieren. Das hängt von der individuellen Anfälligkeit für populistische Zuspitzungen ab.
Ist die Selbstkritik der Medien dahin gehend doch richtig, dass sie diesen kulturellen Bruch stärker abbilden müssten?
Ja, aber nicht so, wie es 2015 geschehen ist, nicht, indem man sich anbiedert, Ressentiments aufnimmt und den Populisten in jeder Talkshow eine Bühne bietet. Eher geht es darum, einen responsiven Journalismus zu entwickeln, wie er z.B. lokal gut machbar ist, also beispielsweise Themen „bottom-up“ aufzugreifen. Journalisten sollten das ansprechen, was die Menschen vor Ort beschäftigt, eine marode Infrastruktur auf dem Land, die Schließung von Kitas, Schulen, Schwimmbädern etc. Ganz gewöhnliche Alltagsthemen, die für die Betroffenen sehr wichtig sind und die sie in den Medien nicht mehr wiederfinden.
Gibt es noch andere Gründe dafür, dass Menschen das Vertrauen in Medien verlieren?
Der Faktenabgleich muss stimmen. Wenn in den Medien Dinge ganz anders dargestellt werden, als ich sie vor Ort erfahre, dann führt das zu Misstrauen. So geschehen z.B. angesichts der Berichterstattung über die Kölner Silvesternacht, teilweise auch in der Thematisierung zu Beginn der Flüchtlingskrise.
Nah an der Lebenswirklichkeit der Menschen vor Ort zu berichten, ist sehr wichtig.
Ein anderer Aspekt von Medienvertrauen besteht darin, dass Ältere und Hochgebildete traditionell den Mainstreammedien vertrauen, während Jüngere und/oder weniger Gebildete dem etablierten Mediensystem nicht so stark vertrauen. Da spielt auch der Zusammenhang zwischen Nutzung und Medienvertrauen eine Rolle: Ich vertraue den Medien, die ich regelmäßig nutze. Außerdem spielen Variablen eine Rolle, die Persönlichkeitsstrukturen betreffen: Interpersonales Vertrauen wirkt sich ganz deutlich auf das Medienvertrauen aus. Menschen, die in ihrer Kindheit und Jugend mit einem vertrauenswürdigen Umfeld aufgewachsen sind, die gelernt haben, dass Vertrauen als Mechanismus zur Reduzierung von Komplexität funktioniert, diese Menschen haben allgemein ein hohes Vertrauen in Institutionen – und damit auch in Medien. Dieses in der Kindheit und Jugend erworbene Grundvertrauen trägt sie ihr ganzes Leben lang. Es muss sehr viel passieren, damit das zerbricht. Das Gegenteil sehen wir bei Menschen mit einer Neigung zum Verschwörungsglauben: Sie vertrauen nichts und niemandem.
Interessant wird es, wenn man sich die Entwicklung über mehrere Jahre anschaut: Das Vertrauen in Medien wird nicht geringer, aber das Misstrauen hält sich hartnäckig und steigt sogar an.
Beides steigt an, das Vertrauen und das Misstrauen. Die Mitte schmilzt weg, das Abwägende, teils, teils – also das differenzierte Urteil. Mittlerweile ist die Debatte sehr polarisiert.
Ist es überhaupt wünschenswert, dass Menschen in einer Demokratie den Medien vollständig vertrauen?
Es kommt auf das Ausmaß des Vertrauens und des Misstrauens an. Natürlich ist es wichtig, dass man auch nachfragt, nicht alles blind glaubt. Aber ohne ein Grundvertrauen seitens der Rezipienten können die Medien ihre Aufgabe nicht erfüllen. Ohne Grundvertrauen gibt es keinen Diskurs mehr, kein gesellschaftliches Lagerfeuer, um das herum wir unsere Probleme diskutieren und Lösungen finden können.
Skepsis ist gut, Zynismus allerdings schadet sehr.
Viele derjenigen, die sich den Medien entfremdet fühlen, sind keine Zyniker. Sie misstrauen den Medien, aber sie lehnen nicht das gesamte Mediensystem pauschal ab, wie die Zyniker es tun.
Für uns in der Kommunikationswissenschaft ist es sehr interessant, an welchem Tipping Point Skepsis in Zynismus kippt und ob man diese Menschen, die den Medien ja ursprünglich einmal wohlwollend gegenüberstanden, zurückholen kann. In Bezug auf den Tipping Point spielen die sozialen Medien und die dort verbreiteten Verschwörungserzählungen eine entscheidende Rolle.
Früher wurde in der Kommunikationswissenschaft danach gefragt, für wie glaubwürdig Menschen ein bestimmtes Medium halten. Wie hängen Glaubwürdigkeit und Vertrauen zusammen? Warum steht heute Vertrauen im Mittelpunkt des Forschungsinteresses?
Glaubwürdigkeit ist ein Teilaspekt von Vertrauen, eine Zuschreibung, die der Empfänger an den Sender macht. Die Nutzungsmotive von Menschen, warum sie sich einem bestimmten Medium zuwenden oder auch nicht, lassen sich weitaus besser mit Vertrauen erklären. Glaubwürdigkeit ist wichtig in diesem Zusammenhang, muss aber nicht unbedingt immer die entscheidende Rolle spielen. Menschen in den USA vertrauen einem Sender wie Fox News, der alles andere als glaubwürdig ist.
Vertrauen stiftet eine Beziehung zwischen demjenigen, der Vertrauen gibt, und demjenigen, dem Vertrauen entgegengebracht wird. Es hat etwas mit Gewohnheit und Erfahrung zu tun, richtet sich auf die Zukunft, impliziert Erwartungen – etwa, dass man gut informiert oder unterhalten wird. Man kann also sehr wohl Medien intensiv nutzen, denen man keine Glaubwürdigkeit beimisst, die aber andere Funktionen erfüllen und Erwartungen befriedigen.
Nikolaus Jackob (Foto: privat)
Christina Heinen (Foto: Sandra Hermannsen)