„Ohne Political Correctness erreicht man leider gar nichts“
Political Correctness1 ist zu einem Schlagwort geworden, das einerseits Antidiskriminierungsbestrebungen bezeichnet und in dieser auf Emanzipation und die gesellschaftliche Teilhabe aller gerichteten sprachsensitiven Zielsetzung eigentlich positiv bewertet werden müsste. Andererseits wird PC – dem entgegenstehend – jedoch meistens als „Distanzbegriff“ (Wierlemann 2002)2 verwendet, um sich von vermeintlich oder tatsächlich dogmatischen „Sprech- und Denkverboten“ abzugrenzen. In seiner ursprünglichen Verwendung lag in der Beschreibung einer Handlungsweise als „politically correct“ eine Selbstironie, ein Wissen darum, dass man sich um die Einbeziehung von Standpunkten und Sichtweisen marginalisierter Gruppen zwar bemühen sollte, dass man das Ziel einer vollständigen, gleichberechtigten Repräsentation aller aber niemals erreichen kann.3 Dogmatisch wird PC da, wo dieses Wissen und die Selbstdistanz verloren gehen.
Die Normen der Political Correctness lassen sich nicht als Maßstab für sozialethische Desorientierung heranziehen
In der Programmprüfung der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) wird das Verhältnis von Political Correctness zu den Prüfkriterien für sozialethische Desorientierung vor allem im Hinblick auf Comedyformate wie Angry Boys, South Park, The Brink oder Family Guy diskutiert, da diese Formate von Szenen und von Figuren leben, die „speech codes“ und Verhaltensregeln bewusst verletzen. Oft eröffnen jedoch gerade diese auf den ersten Blick politisch unkorrekten Formate Raum für eine produktive Auseinandersetzung mit den Normen der Political Correctness, indem sie sie zur Diskussion stellen, dadurch wiederbeleben und der Political Correctness das Moment der Selbstironie zurückerstatten, ohne das Ziel der Antidiskriminierung aufzugeben.
Der Reiz eines Formats wie Family Guy besteht auch darin, Ressentiments zu mobilisieren, rassistische, chauvinistische oder antisemitische Einstellungen herauszukitzeln und sie zugleich zu diskreditieren, indem die Absurdität und Willkür solcher Aussagen gezeigt wird oder die Sprecher dieser Aussagen lächerlich gemacht werden. Allerdings setzt das voraus, dass der Zuschauer sich selbst aufklärt, indem er seine eigenen Reaktionsweisen und Einstellungen hinterfragt und kontrolliert, ob er bestimmten Aussagen innerlich widerspricht oder sie affirmativ bestätigt oder sie zeitweilig ‚goutiert‘, weil er hier gefahrlos einstimmen kann und nach dieser punktuellen Zustimmung sich im Alltag wieder klarer distanzieren kann (zitiert nach dem FSF-Prüfgutachten 23726-S zu Family Guy).
Je nach Ausprägung und Intensität der präsentierten Stereotype und Vorurteile wurden Episoden dieser Serien nicht für Kinder unter 12 Jahren, teilweise auch nicht für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren freigegeben. Ausschlaggebend für die Sendezeitbeschränkung war die Vermutung, dass Kinder und Jugendliche erst ab einem bestimmten Alter in der Lage sind, die ironische Brechung als solche zu verstehen, und die Befürchtung, dass bei Nichtverstehen die präsentierten und inszenierten Vorurteile eventuell übernommen oder zumindest bestehende Ressentiments verstärkt werden könnten. Von diesen Fällen abgesehen, in denen letztlich das jüngeren Zuschauern unterstellte fehlende Humorverständnis ausschlaggebend für die Freigabeentscheidung war, lassen sich die Normen der Political Correctness nicht unmittelbar als Maßstab für sozialethische Desorientierung heranziehen. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass „Werte sich nicht nur bilden, wenn sie sozusagen ‚medial vorgelebt‘ werden, sondern auch in der Auseinandersetzung mit ‚falschen‘ Werten“ (Castendyk 2005)4. Zum anderen gehen die im Namen der Political Correctness bzw. von marginalisierten gesellschaftlichen Gruppen formulierten Forderungen in der konkreten Ausprägung ihrer moralischen Zielsetzungen oft weit über den eher eng zu fassenden, im Grundgesetz verbürgten Wertekanon hinaus. Ihnen nachzukommen, scheint mit dem Konzept einer pluralistischen Gesellschaft und von Meinungsfreiheit nur schwer vereinbar.
Germany’s Next Topmodel und der Versuch, Political Correctness mithilfe des Jugendschutzes durchzusetzen
Als ein Beispiel für den Versuch, Forderungen nach einem politisch korrekteren Fernsehprogramm mithilfe der Sanktionsmöglichkeiten bzw. der Sendezeitbeschränkungen des Jugendschutzes umzusetzen, können die Bestrebungen gelesen werden, die Show Germany’s Next Topmodel (GNTM) zu verbieten oder doch zumindest auf 22:00 Uhr zu verschieben. Die treibende Kraft dahinter war der Verein Pinkstinks5, der derzeit versucht, ein gesetzliches Verbot sexistischer Werbung durchzusetzen. Argumentationshilfe lieferten zwei Studien des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI). Eine Studie mit 1.462 Kindern und Jugendlichen zwischen 6 und 19 Jahren ging der Frage nach, wie sich der BMI (Body-Mass-Index, misst das Verhältnis von Körpergröße und Gewicht) im Verhältnis zu dem Gedanken, zu dick zu sein, in dieser Altersgruppe im Laufe der Jahre verhält und entwickelt. In einer zweiten Studie wurden 241 junge Menschen mit einer diagnostizierten Essstörung (davon 96% Mädchen und junge Frauen, bei 85% wurde eine Magersucht diagnostiziert) gebeten, anonym über Fragebögen mit recht offen gehaltenen Fragen dazu Auskunft zu geben, welche Rolle Fernsehsendungen, insbesondere GNTM, bei der Entstehung ihrer Krankheit gespielt hätten6.
Vor diesem Hintergrund – insbesondere Mädchen zwischen 10 und 17 Jahren quälen sich häufig mit dem Gedanken, zu dick zu sein, obwohl die große Mehrheit von ihnen es aus medizinischer Sicht nicht ist – wird von den Autorinnen Maya Götz und Caroline Mendel eher vage auf die Bedeutung der Sendung Germany’s Next Topmodel (GNTM) hingewiesen.7 „GNTM-Seherinnen denken signifikant häufiger, sie seien zu dick […]“8, heißt es in der Studie: „Während der Gedanke bei Topmodel- Seherinnen durchschnittlich bei 64% vorkommt, findet er sich bei den Nie-Seherinnen nur bei 41%.“ Abgesehen davon, dass auch 41% durchaus noch ein erheblicher Anteil sind, was zumindest belegt, dass der Ursprung dieses Gedankens und des daraus folgenden schlechten Körpergefühls nicht allein die Show sein kann, beträgt z.B. bei den 16‑jährigen Mädchen laut dieser Studie der Anteil der Nie-Seherinnen nur 8%. Gut möglich, dass diese kleine Gruppe in der Mehrzahl aus den wenigen innerlich unabhängigen jungen Frauen gebildet wird, die sich nicht für diese Form der Selbstinszenierung interessieren, weil sie ihr Selbstwertgefühl nicht so stark von ihrem Äußeren abhängig machen wollen oder weil sie schlicht das übersteigerte Schlankheitsideal der Show nicht teilen. Erfunden wurde dieses Ideal extremen Schlankseins aber nicht von Heidi Klum oder den Machern von GNTM. Es ist in der Werbung ebenso präsent wie in Hollywoodfilmen und stellt ein gesellschaftlich geteiltes Schönheitsideal dar, für das man nicht eine einzelne Show verantwortlich machen kann, die noch dazu einen ganz klar definierten Ausschnitt von Wirklichkeit zeigt, das Modelbiz. Entsprechend gab es das unbegründete Gefühl, zu dick zu sein, auch schon lange vor GNTM, genauso wie es Essstörungen gab. Für deren Entstehung ist ein schlechtes Körpergefühl nur ein Faktor unter vielen, und ganz sicher nicht der entscheidende.9
Die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) hat sich im November 2015 aufgrund mehrerer Zuschauerbeschwerden, darunter auch die von Pinkstinks, zum wiederholten Male mit GNTM beschäftigt, kam jedoch auch zu dem Schluss, dass kein Verstoß gegen Jugendschutzbestimmungen festzustellen ist. „Begründet wurde die Entscheidung damit, dass die Sendung zwar eine Berufsrealität darstelle, in der ein kritikwürdiges Schlankheitsideal vorherrsche. Die mediale Darstellung dieser in der Modewelt vorhandenen Anforderungen sei jedoch nicht als entwicklungsbeeinträchtigend oder gefährdend für Kinder und Jugendliche zu bewerten. Auch seien problematische Szenen ausreichend relativiert worden, indem kritische Kommentare (z.B. ‚Du bist zu dick‘) ausdrücklich auf die beruflichen Anforderungen an ein Laufsteg-Model bezogen worden seien. So habe die Moderatorin Heidi Klum im Lauf der Sendung den Kandidatinnen verdeutlicht, dass Hungern kein Weg sei“ (zitiert nach der KJM-Pressemitteilung 17/2015).10
Ist ein Verbot sexistischer Werbung sinnvoll?
Deutlich erfolgreicher ist Pinkstinks mit seiner Lobbyarbeit für ein gesetzliches Verbot sexistischer Werbung. Justizminister Heiko Maas unterstützt das Vorhaben. Anfang 2016 hatte der SPD-Parteivorstand nach den Übergriffen in der Silvesternacht in Köln das Verbot in einem Klausurbeschluss festgehalten.11 Geholfen hat dabei sicher, dass der Verein einen fertigen Gesetzentwurf vorlegen konnte, den die Juristin Berit Völzmann im Rahmen ihrer Dissertation erarbeitet hat. Diese Norm soll nach dem Willen von Pinkstinks in das „Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb“ (UWG) integriert werden. Die von Pinkstinks vorgeschlagene Formulierung lautet: „Werbung ist geschlechtsdiskriminierend, wenn sie Geschlechtsrollenstereotype in Form von Bildern oder Texten wiedergibt oder sich in sonstiger Weise ein geschlechtsbezogenes Über‑/Unterordnungsverhältnis zwischen den Personen in der Werbung oder im Verhältnis zu den von der Werbung adressierten Personen ergibt. Werbung ist insbesondere geschlechtsdiskriminierend, wenn sie
- Menschen aufgrund ihres Geschlechts Eigenschaften, Fähigkeiten und soziale Rollen in Familie und Beruf zuordnet oder
- sexuelle Anziehung als ausschließlichen Wert von Frauen darstellt oder
- Frauen auf einen Gegenstand zum sexuellen Gebrauch reduziert, insbesondere indem weibliche Körper oder Körperteile ohne Produktbezug als Blickfang eingesetzt werden oder der Eindruck vermittelt wird, die abgebildete Frau sei wie das Produkt käuflich.“12
Diese Definition von Sexismus stellt – dem Grundanliegen von Pinkstinks folgend, „limitierende Geschlechterrollen“ zu bekämpfen – in erster Linie auf Geschlechterstereotype und Rollenzuschreibungen ab und nicht etwa auf Nacktheit oder Sexualisierung, was z. B. auf den größten Teil der Zuschauerbeschwerden zu Sexismus zutrifft, die die FSF erreichen. Was unter „Sexismus“ zu verstehen ist, ist ein hart umkämpftes Feld und alles andere als selbsterklärend. Selbst wenn es dieses Gesetz geben sollte, müsste man doch weiterhin im Einzelfall entscheiden, welche Darstellungen von Frauen und Männern von diesem Verbot künftig betroffen sein sollen. Jede Art von „Geschlechtsrollenstereotypen“ zu verbieten, wie der Text des Gesetzentwurfs nahelegt, ist vollkommen absurd und in keinster Weise praktikabel – ohne Stereotype lässt sich nichts erzählen und erst recht nicht in einer so stark verknappten und verdichteten Form wie der Werbung, die im Übrigen Stereotype – auch und gerade solche, die sich auf die Rollenzuschreibungen von Männern und Frauen beziehen – nicht selten ironisch bricht und damit Komik erzeugt. Die Zuschauer, die sich bei der FSF über „Sexismus“ in der Werbung oder im Tagesprogramm allgemein beschweren, meinen damit in erster Linie einen ihrer Ansicht nach zu liberalen Umgang mit Sexualität und Nacktheit. Ein Blick in andere Kulturen oder in die Vergangenheit hierzulande zeigt aber, dass eine stärkere Tabuisierung von Sexualität meist der Unterdrückung von Frauen und keineswegs der Stärkung ihrer gesellschaftlichen Position dient. Da scheint es doch sinnvoller, auf ein Verbot diskriminierender und herabwürdigender Werbung abzustellen, wie dies in den Kriterien des Deutschen Werberates aktuell bereits geschieht. 13
Anmerkungen
1) Zu den positiven Effekten und der Notwendigkeit von Political Correctness, denen an dieser Stelle leider nicht mehr Raum gegeben werden kann, siehe: www.taz.de. Abrufbar unter: http://www.taz.de/Homotaz-Freundschaft/!5063967/ (letzter Zugriff: 17.06.2016)
2) Vgl.: Wierlemann, S.: Political Correctness in den USA und in Deutschland. Berlin 2002
3) „‚PC‘ in seiner ursprünglichen Bedeutung war eine Eigenbezeichnung und wurde als kritisch-ironische Zurechtweisung für allzu linientreue Parteigenossen verwendet.“ Siehe: Anmerkung 2, S. 14
4) Castendyk, O.: So viel Freiheit wie möglich, so viel Schutz wie nötig. Interpretationsspielräume und Grenzen für den Jugendschutz. Interview. In: tv diskurs, Ausgabe 31, 1/2005, S. 20–27
5) „Pinkstinks ist eine junge Protestorganisation, die gegen Produkte, Werbe- und Medieninhalte agiert, die Kindern eine limitierende Geschlechterrolle zuweisen. Die ‚Pinkifizierung‘ trifft Mädchen und Jungen gleichermaßen – wir wirken diesem Trend entgegen. […] Pinkstinks agiert für vielfältige Mädchen- und Jungenbilder […] “, heißt es in der Eigendarstellung von Pinkstinks. Abrufbar unter: https://pinkstinks.de/unsere-positionen/ (letzter Zugriff: 17.06.2016)
6) Siehe: Televizion, 28/2015/1, S. 61ff.
7) Siehe: Televizion, 28/2015/1, S. 54ff.: Der Gedanke, „zu dick zu sein“ und Germany’s Next Topmodel. Eine repräsentative Studie mit 6- bis 19‑Jährigen
8) Ebd., S. 56
9) Siehe dazu auch: Ebd., S. 58ff., das Interview Essstörungen: die Krankheit der Braven mit der Psychotherapeutin Stephanie Lahusen. Lahusen betont, dass eine Essstörung den unglücklichen, mit einer fatalen Eigendynamik behafteten Versuch darstellt, mit schweren Konflikten, belastenden Situationen oder verletzenden Erlebnissen fertig zu werden, indem Betroffene die „Bühne des Essens“ eröffnen, auf der die Dinge vermeintlich zu kontrollieren sind. „Es ist ihre Lösung des eigentlichen inneren Problems, dem sie sich selbst (noch) nicht zuwenden können.“ Eine Essstörung stellt den Versuch dar, eigentlich unerträgliche Emotionen unter Kontrolle zu bekommen.
10) Abrufbar unter: http://www.kjm-online.de/service/pressemitteilungen/detailansicht/article/kjmpressemitteilung-172015-kjm-prueft-erneutgermanys-next-top-modelkein-jugendschutz.html (letzter Zugriff: 17.06.2016)
11) Siehe dazu: Verbot sexistischer Werbung. Frau Schmiedel prangert an. In: Tagesspiegel, 29.04.2016. Abrufbar unter: http://www.tagesspiegel.de/themen/agenda/verbotsexistischer-werbung-frauschmiedel-prangertan/13499372.html (letzter Zugriff: 17.06.2016)
12) Der vollständige Text ist abrufbar unter: https://pinkstinks.de/unterschreiben/ (letzter Zugriff: 17.06.2016)
13) Die Kriterien des Werberates für sexistische Werbung sind abrufbar unter: https://www.werberat.de/herabwuerdigung-diskriminierung (letzter Zugriff: 17.06.2016)