Panorama 3/2019
Verlorene Mitte
Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat eine neue Mitte-Studie zur Verbreitung von rechtsextremen, menschenfeindlichen und weiteren antidemokratischen Meinungen in der Gesellschaft vorgelegt. Dazu hat ein Forschungsteam des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld eine wissenschaftliche Umfrage unter 1.890 repräsentativ ausgewählten Deutschen durchgeführt. Die Studienreihe gibt durch die Analyse der Verbreitung und Zusammenhänge von Meinungen Auskunft über die Stabilität und Instabilität der Demokratie.
Die aktuellen Ergebnisse machen deutlich: Der Großteil der Deutschen befürwortet die Demokratie, begrüßt die Vielfalt der Gesellschaft und fordert eine Stärkung der EU. Doch zugleich äußert ein Drittel auch nicht liberale Einstellungen zur Demokratie, stellt gleiche Rechte für alle infrage. Während die Verbreitung von Sexismus und Homophobie in den vergangenen Jahren nahezu kontinuierlich zurückgegangen ist, blieben Abwertungen gegenüber Zugewanderten, Musliminnen und Muslimen sowie antisemitische Einstellungen nahezu unverändert. Ablehnende Einstellungen gegenüber Asylsuchenden haben sogar zugenommen und hängen zwar nicht bei allen, aber doch bei etlichen Befragten mit Fremdenfeindlichkeit zusammen. Auch Verschwörungsmythen finden generell in der Bevölkerung großen Zuspruch. 45 % meinen, geheime Organisationen würden politische Entscheidungen beeinflussen, und jeder zweite Befragte traut eher den eigenen Gefühlen als Experten, nahezu ein Viertel der Befragten mutmaßt, Medien und Politik steckten unter einer Decke. Die Krux an Verschwörungsmythen wie auch an Vorurteilen ist: Es findet sich immer ein Einzelbeispiel, das die Meinung bestätigt. In ihrer Pauschalität und ihrer Resistenz gegen Fakten sind beides aber sehr verzerrte Vorstellungen von der Realität, die mindestens im Fall der Vorurteile zudem vielen adressierten Menschen unrecht tun und nicht selten als Rechtfertigung für Diskriminierung genutzt werden. Zudem hängen sie überzufällig mit der Billigung von und der Bereitschaft zu Gewalt zusammen.
Mit Blick auf die politischen Orientierungen der Befragten wird deutlich: Nicht wenige Personen, die sich politisch selbst „genau in der Mitte“ verorten, teilen dennoch antidemokratische und menschenfeindliche Einstellungen. Potenzielle Wählerinnen und Wähler der AfD tendieren auffallend häufig zu menschenfeindlichen, rechtspopulistischen und rechtsextremen Einstellungen. Auch illiberale Vorstellungen von Demokratie sind gerade unter potenziellen Wählerinnen und Wählern der AfD besonders verbreitet, ausgedrückt etwa in der Ansicht: „Im nationalen Interesse können nicht allen die gleichen Rechte gewährt werden“. Die Jüngeren – bis dato weniger menschenfeindlich und rechtsextrem eingestellt als Ältere – ziehen bei einer Reihe von Abwertungen und Dimensionen rechtsextremer Einstellungen inzwischen nach.
Verlauf der Zustimmung zu den Elementen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit 2002 – 2018/19 (Angaben in %)
Quelle: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.): Verlorene Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2018/19. Bonn 2019
Insgesamt macht die Studie deutlich: Vordergründig findet sich eine hohe Zustimmung zur Demokratie, die aber zugleich von antidemokratischen und antipluralistischen Überzeugungen begleitet wird. Die Mitte verliert in Teilen ihren festen Boden und ihre demokratische Orientierung. Die für die weitere Entwicklung kritische Frage ist, ob der Bericht der Mitte-Studie über antidemokratische Entwicklungen lediglich mit Empörung und Abwehr zur Kenntnis genommen oder als Warnung verstanden wird.
Pressemitteilung zur Studie Verlorene Mitte, gekürzt und leicht überarbeitet von Dr. B. Küpper
Internetzensur in Russland
Das russische Parlament hat einem Gesetz zugestimmt, welches ein „souveränes Internet“, abgekoppelt vom Rest der Welt, für Russland vorsieht. Begründet wird dies mit der Befürchtung, die USA könnten planen, Russland vom weltweiten Netz auszuschließen. Etwas Vergleichbares ist allerdings noch nie vorgekommen. Auch Cyberattacken seien so leichter abzuwehren. Das Gesetz sieht vor, dass der gesamte russische Internetverkehr künftig ausschließlich über Server im Inland laufen soll, welche von der staatlichen Medienaufsicht kontrolliert werden. Diese soll gegebenenfalls auch Seiten unmittelbar selbst blockieren können. Experten bezweifeln allerdings, dass eine so umfassende Kontrolle und Zensur des Internets überhaupt machbar ist.
Quelle: Süddeutsche Zeitung, 11.04.2019. Abrufbar unter: www.sueddeutsche.de (letzter Zugriff: 29.05.2019)
EU-Ethikrichtlinien zu künstlicher Intelligenz (KI)
Die EU-Kommission hat Richtlinien für die Entwicklung und den Umgang mit künstlicher Intelligenz veröffentlicht. Erarbeitet hat diese Richtlinien eine 52-köpfige Expertengruppe. Nach Ansicht einiger Mitglieder der Gruppe wie Dr. Thomas Metzinger, Professor für theoretische Philosophie an der Universität Mainz, und Ursula Pachl vom europäischen Verbraucherschutzverband BEUC sind Vertreter von Industrie und Wirtschaft in der Expertengruppe stark überrepräsentiert, was zu einer Verwässerung klarer ethischer Grenzziehungen geführt habe, so Metzinger im „Tagesspiegel“1. Bis 2020 wird Feedback von Unternehmen zu den Ethikrichtlinien eingeholt, zu diesem Zweck wurden ein Diskussionsforum und eine Bewertungsliste eingerichtet.2 Anfang 2020 wird das weitere Vorgehen bekannt gegeben. Ziel ist die „Schaffung einer internationalen Übereinkunft für eine KI, in der der Mensch im Mittelpunkt steht“ (Pressemitteilung der EU).3 Dazu sollen auch Partner außerhalb Europas wie Japan, Kanada oder Singapur gewonnen werden. In den Richtlinien für eine „vertrauenswürdige KI“4 werden folgende sieben Anforderungen benannt:
Menschliches Handeln hat Vorrang: Künstliche Intelligenzen dürfen Menschen nicht in ihrer Autonomie einschränken oder fehlleiten, sie sollen vielmehr auf die Wahrung von Grundrechten und die Schaffung einer gerechten Gesellschaft hin programmiert und konstruiert werden.
- Algorithmische Systeme müssen hinreichend robust und sicher sein.
- Das Wirken von Systemen künstlicher Intelligenz muss transparent und nachvollziehbar sein.
- Bürgerinnen und Bürger sollen die volle Kontrolle darüber behalten, was mit ihren Daten geschieht.
- KI-Systeme dürfen nicht diskriminierend wirken. • Sie sollen eingesetzt werden, um soziale Gerechtigkeit und den Schutz der Umwelt zu fördern.
- Rechenschaftspflicht: Für KI-Systeme und deren Wirken muss es eine klare Verantwortungsübernahme durch Menschen bzw. Unternehmen geben, welche dann gegebenenfalls zur Rechenschaft gezogen werden können.
Anmerkungen:
1) Metzinger, T.: EU-Ethikrichtlinien für künstliche Intelligenz. Nehmt der Industrie die Ethik weg! In: Tagesspiegel, 08.04.2019. Abrufbar unter: www.tagesspiegel.de (letzter Zugriff: 29.05.2019)
2) EU-Kommission: Ethikrichtlinien. Abrufbar unter: ec.europa.eu (letzter Zugriff: 29.05.2019)
3) EU-Kommission: Künstliche Intelligenz: EU-Kommission lässt Vorschläge zu ethischen Leitlinien in der Praxis testen, 08.04.2019. Abrufbar unter: ec.europa.eu (letzter Zugriff: 03.06.2019)
4) Ebd.