Satire oder Beleidigung?

Streit um Böhmermann-Tweet

Ein Tweet des Satirikers Jan Böhmermann führt zu einer Kontroverse darüber, wie weit Satire gehen darf. In einem Twitter-Tweet bezeichnet Böhmermann Friedrich Merz indirekt als Nazi, um dessen unklare Äußerungen zur Zusammenarbeit mit der AfD zu kritisieren. Das geht vielen zu weit. Nun hat sich auch das ZDF von Böhmermanns Äußerung distanziert.

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In Bezug auf eine Zusammenarbeit mit der AfD hat der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz immer von einer Brandmauer gesprochen – es soll also keine Kooperation geben. Jetzt hat Merz vor der CSU-Landesgruppe die CDU als „Alternative für Deutschland mit Substanz“ bezeichnet und sich darüber hinaus im Sommerinterview von Berlin direkt etwas missverständlich über die Zusammenarbeit mit der AfD auf lokaler Ebene geäußert. Merz wörtlich: „Wir sind doch selbstverständlich verpflichtet, demokratische Wahlen zu akzeptieren. Und wenn dort noch mal ein Landrat, ein Bürgermeister gewählt wird, der der AfD angehört, ist es selbstverständlich, dass man nach Wegen sucht, wie man dann in dieser Stadt weiterarbeiten kann.” (Berlin direkt 23.07.2023)

Es folgte heftige Kritik, sogar aus den eigenen Reihen. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder machte deutlich:

Wir sind ganz klar gegen jede Form der Kooperation mit der AfD. Egal ob auf europäischer, auf Bundes-, auf Landes- oder gar auf kommunaler Ebene, ein Nein heißt ein Nein.” (heute journal 24.07.2023)

Auch sein Amtskollege aus Hessen, Boris Rhein, stellte klar: „Für die CDU Hessen kann ich sehr klar sagen, dass die Brandmauer ganz klar steht, wir arbeiten mit dieser Partei nicht zusammen.” (hessenschau 24.07.2023) Angesichts der heftigen Kritik an Merz aus der eigenen Partei konstatiert Kevin Kühnert, Generalsekretär der SPD: „Herr Merz ist offensichtlich König ohne Land.“ (ZDF-Morgenmagazin 24.07.2023) Einen Tag nach dem Sommerinterview rudert Merz zurück und twittert: „Es wird auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der #CDU mit der AfD geben.“ (Merz 24.07.2023)

Auch Jan Böhmermann, Moderator des ZDF Magazin Royal, schien diese missverständliche Äußerung nicht zu gefallen. Ein Bild von Merz untertitelte er mit dem Tweet:

Keine Sorge, die Nazis mit Substanz wollen nach aktuellem Stand voraussichtlich nur auf kommunaler Ebene mit Nazis zusammenarbeiten.“ (Böhmermann 24.07.2023)

Kann man eine Partei, die in Umfragen derzeit etwa 20 % der Wähler hinter sich hat, in der Öffentlichkeit komplett ignorieren? Böhmermann setzt sich dafür ein: Bereits im Juni hatte er Sandra Maischberger scharf kritisiert, die den AfD-Vorsitzenden Tino Chrupalla in ihre Sendung eingeladen hatte. „Maischberger hat nach Ansicht von Böhmermann den AfD-Vorsitzenden Chrupalla lediglich eingeladen, damit sie in der Gunst der sogenannten Alternative für Deutschland steige. Auf Twitter schrieb Böhmermann: ‚Sandra Maischberger lädt Nazis in ihre Talkshow ein, damit Nazis nach der Machtergreifung Sandra Maischberger auch [in] ihre Talkshow einladen.‘“ (Hyun 2023)

Nun sind Politiker im Kontext von Satire einiges gewohnt, aber mit Nazis in Verbindung gebracht zu werden, geht vielen doch zu weit. Das Online-Nachrichtenmagazin turi2 fasst Reaktionen aus der Politik, vor allem der CDU, zusammen: „Ex-Ernährungsministerin Julia Klöckner raunt etwa ins Sommerloch, dass ‚nicht alles den Deckmantel Satire und Pressefreiheit tragen kann, um wild und geschichtsvergessen rumholzen und beleidigen zu können.‘ Gitta Connemann, Vertraute von Friedrich Merz, sagt[,] Böhmermann führe einen ‚offenen Kampf gegen Andersdenkende. Intoleranz ist sein Programm.‘ Sie fordert eine persönliche Entschuldigung bei Merz. Der Berliner FDP-Generalsekretär Lars Lindemann findet, Böhmermann habe wegen der Art seiner Verhöhnung von Demokraten ‚im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nichts zu suchen‘. NRW-Medienminister Nathanael Liminski von der CDU hätte sich eine ‚deutliche Bewertung‘ seitens des ZDF gewünscht.“ (Gieselmann 2023) Der CDU kommt der Streit offenbar gelegen, da man jetzt über Böhmermann und nicht mehr über Merz diskutiert.

Gordon Schnieder, Fraktionschef der CDU in Rheinland-Pfalz, forderte den ZDF-Intendanten Norbert Himmler auf, sich eindeutig von Böhmermanns Äußerungen zu distanzieren. Böhmermann würde eine der großen Volksparteien in Deutschland diffamieren und damit die Schrecken des Nationalsozialismus verharmlosen. Er forderte eine offizielle Stellungnahme des Senders, dass solche Äußerungen nicht mit dem ZDF-Kodex vereinbar seien. Das ZDF solle Jan Böhmermann bei weiteren Entgleisungen den Sendeplatz entziehen. (Vgl. MEEDIA 2023) Bis zu einer Entschuldigung sollte es keine weitere Sendung mit Böhmermann geben: „‚Bis dahin und somit bis zur Klärung der offenbar unklaren Haltung von Herrn Böhmermann dazu, was ‹Nazis› ausmacht, kann es nach unserem Verständnis vom Anspruch des ZDF eine weitere publizistische Tätigkeit des Herrn Böhmermann im Auftrag des ZDF nicht geben‘, heißt es in Schnieders Brief, aus dem die Deutsche Presse-Agentur zitiert.“ (Hanfeld 2023)

Fünf Tage nach Böhmermanns Tweet, am 29.07., grenzte sich der Sender ab. MEEDIA zitiert aus einer Stellungnahme:

‚Das ZDF distanziert sich von der Äußerung Böhmermanns. Der Tweet ist eine private Äußerung von Jan Böhmermann, die in keinem Zusammenhang mit einer Produktion des ZDF steht‘“ (MEEDIA 2023).

Allerdings: Von Absetzung, die einige fordern, ist nichts zu hören (vgl. ebd.).

Stephan-Andreas Casdorff, Herausgeber des Berliner „Tagesspiegel“, meint zu der Frage, ob Böhmermanns Äußerung als Satire erlaubt sein soll: „Die Wortbedeutung von Satire lautet: Sie ist eine Kunstgattung, die durch Übertreibung, Ironie und beißenden Spott an Personen und Ereignissen Kritik übt, sie der Lächerlichkeit preisgibt, Zustände anprangert, mit scharfem Witz geißelt. Die Frage ist, ob Böhmermann hier als Satiriker oder als politischer Kritiker geschrieben hat. Friedrich Merz mag vieles sein, aber ein Nazi ist er nicht, auch kein Neonazi. Nazi im Übrigen sowieso nicht, weil deren Verbrechen in der Geschichte unvergleichlich sind. Darum: Nicht alles, was dieserart beleidigend daherkommt, ist gleich Kunst. Und wo Misstöne zu schrill werden, müssen sie nicht auch noch gelikt werden.“ (Casdorff 2023) Fast schon rhetorisch stellte Casdorff anschließend die Frage, ob man eine Entschuldigung von Böhmermann erwarten könne.

Hanfeld von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ glaubt die Antwort zu kennen: „Mit einer Entschuldigung Böhmermanns für die ‚Nazis mit Substanz‘ sollte die CDU indes nicht rechnen. Eher setzt der Moderator noch eins drauf. Oder vergiftet eine ‚Entschuldigung‘ derart, dass man den Schierlingsbecher doch lieber zurückweist. Und CDU und Nazis gleichzusetzen in einem Witz, der keiner sein soll, das geht doch immer.“ (Hanfeld 2023)

Quellen:

Berlin direkt: ZDF-Sommerinterview mit Friedrich Merz. In: Berlin direkt, 23.07.2023. Abrufbar unter: www.zdf.dem (letzter Zugriff: 02.08.2023)

Böhmermann, J.: Tweet vom 24.07.2023. In: Twitter, 24.07.2023. Abrufbar unter: twitter.com

Casdorff, S.-A.: Böhmermanns Attacke auf Merz: Nicht jede Beleidigung ist gleich Kunst. In: Tagesspiegel, 26.07.2023. Abrufbar unter: www.tagesspiegel.de (letzter Zugriff: 02.08.2023)

Gieselmann, T.: Nach ZDF-Reaktion fordern Teile der CDU und FDP weitere Konsequenzen wegen Böhmermann-Tweet. In: turi2, 31.07.2023. Abrufbar unter: www.turi2.de (letzter Zugriff: 02.08.2023)

Hanfeld, M.: Böhmermann, CDU und Nazis. Das hat Substanz. In: FAZ, 31.07.2023. Abrufbar unter: www.faz.net (letzter Zugriff: 02.08.2023)

Hyun, B.: Scharfe Böhmermann-Kritik an Maischberger: „Damit die Nazis nach der Machtergreifung auch mal sie einladen“. In: Merkur.de, 23.06.2023. Abrufbar unter: www.merkur.de (letzter Zugriff: 02.08.2023)

heute journal: heute journal vom 24. Juli 2023. In: heute journal, 24.07.2023. Abrufbar unter: www.zdf.de (letzter Zugriff: 02.08.2023)

hessenschau: CDU Hessen – keine Kooperation mit der AfD. In: hessenschau, 24.07.2023. Abrufbar unter: www.hessenschau.de (letzter Zugriff: 02.08.2023)

MEEDIA: NAZI-VERGLEICH. ZDF distanziert sich von Böhmermann. In: MEEDIA, 31.07.2023. Abrufbar unter: www.meedia.de (letzter Zugriff: 02.08.2023)

Merz, F.: Tweet vom 24.07.2023. In: Twitter, 24.07.2023. Abrufbar unter twitter.com (letzter Zugriff: 02.08.2023)

ZDF-Morgenmagazin:Brandmauer zur AfD: „Ein Tabubruch“ der CDU.. In: ZDF-Morgenmagazin, 24.07.202. Abrufbar unter: www.zdf.de (letzter Zugriff: 02.08.2023)