Schlimmstes Horrorszenario 2019

Christina Heinen

Christina Heinen ist Hauptamtliche Vorsitzende in den Prüfausschüssen der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) und Redakteurin der tv diskurs.

Gefragt nach dem Furchtbarsten, was 2019 geschehen könnte, nennen viele Kinder und Jugendliche die vermeintlich drohende Abschaltung von YouTube. Hintergrund ist ein Entwurf für eine neue Gesetzgebung zum Urheberrecht auf EU-Ebene. Dieser sieht in Art. 13 vor, dass große Portale wie Facebook, Instagram oder YouTube künftig haftbar sind für Urheberrechtsverletzungen im Content, den ihre Nutzerinnen und Nutzer hochladen.

Printausgabe tv diskurs: 23. Jg., 1/2019 (Ausgabe 87), S. 90-90

Vollständiger Beitrag als:

Hintergrund des Gesetzentwurfs ist, dass YouTube bislang – im Unterschied zu Musikanbietern (sogenannten Content Providern) wie Spotify oder Deezer – als Host Provider gilt und keine Lizenzgebühren z.B. für Musikvideos bezahlt, wohl aber viel Geld mit den entsprechenden Urheberrechtsverletzungen durch seine Nutzer verdient. Bislang gilt für YouTube das sogenannte Provider-Privileg, urheberrechtlich geschützte Inhalte müssen nach dem Notice-and-Takedown-Prinzip nach Beschwerden entfernt werden, YouTube gilt ansonsten aber als Bote, der nicht für den Inhalt überbrachter Nachrichten haftbar gemacht werden kann.

Die Abgeordneten der Europäischen Union stimmten dem Gesetzentwurf am 12. September 2018 mehrheitlich zu, über endgültige Formulierungen besteht jedoch bezüglich einiger entscheidender Punkte noch keine Einigung, sie sollen erst kurz vor der EU-Wahl im Mai 2019 entschieden werden. Bis das Gesetz, falls es verabschiedet wird, in nationales Recht umgesetzt ist, werden vermutlich noch ein bis zwei Jahre vergehen.

Die Diskussion um die „YouTube-Apokalypse1 nimmt, wie so oft, wenn es um Bestrebungen geht, das Internet zu regulieren, Züge einer kollektiven Panik unter den Nutzerinnen und Nutzern an. Ängste vor „Zensur“, einem Ende der Freiheit und des Internets, „wie wir es kennen“, werden durch Videos wie jenes mit dem Titel: Warum es Youtube nächstes Jahr nicht mehr gibt2 geschürt. Der Inhalt eines Aufrufs von YouTube-Chefin Susan Wojcicki, sich gegen Art. 13 zu wehren, wird darin mit den Worten „Und so plant YouTube, einfach alle europäischen Kanäle, die nicht zu einem großen Medienkonzern gehören, zu löschen“ (Wojcicki: „Article 13 could shut down Millions of Channels in the EU“)3 wiedergegeben.

Bis Ende des Jahres 2018 stand noch nicht fest, wie Art. 13 künftig lauten wird. Möglich ist, dass der von YouTube und vielen Nutzern gefürchtete Umbruch hinsichtlich der Durchsetzung des Urheberrechts im Internet tatsächlich kommt. Dann wäre die Masse an Uploads (laut Brandwatch werden ca. 400 Videos pro Minute bei YouTube hochgeladen)4 wohl nur durch einen verstärkten Einsatz von Uploadfiltern (die auch jetzt schon bei YouTube zum Einsatz kommen, der bekannteste heißt Content ID) zu kontrollieren. Diese Filter arbeiten aber undifferenziert bzw. ohne den Kontext einzubeziehen, sie können das urheberrechtlich geschützte Werk nicht von seiner im Sinne der Meinungsfreiheit schützenswerten parodistischen oder zitathaften Verwendung (man denke an die Fülle von Memen auf YouTube) unterscheiden und tendieren, wie alle Filtersysteme, zum Overblocking. Damit stellen sie ungeachtet aller überzogenen Panikmache tatsächlich eine Gefahr für die Meinungsfreiheit dar. Möglich ist aber auch, dass im neuen Gesetz eine Formulierung gewählt wird, die YouTube nicht viel mehr an Verpflichtungen auferlegt als die, die bereits gegenwärtig existieren.
 

Anmerkungen:

1) Vik: YouTube geht 2019 unter! (letzter Zugriff: 10.12.2018)

2) Wissenswert: Warum es Youtube nächstes Jahr nicht mehr gibt. (letzter Zugriff: 10.12.2018)

3) Wojcicki, S.: Video #Safe Your Internet. In: M. Kratzenberg: Artike 13 der EU: Das ist nicht das Ende des Internets. In: GIGA, 25.01.2019 (letzter Zugriff: 25.01.2019)

4) Smith, K.: 39 interessante Zahlen und Statistiken rund um YouTube. In: Brandwatch, 30.05.2018. (letzter Zugriff: 11.12.2018)