Sexuelle Vielfalt: (Un-)sichtbar in den Medien?

Nicht- heterosexualität in der Daily Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“

Katharina Möbius, Matthes Schade, Alma Melzer, Melanie Heyne, Lara Gathmann, Valentina Gunkel, Lea Hergeth, Markus Seifert

Dr. Markus Seifert ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Senior Lecturer am Seminar für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Erfurt. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen u. a. auf den Trends der (visuellen) politischen Kommunikation.

In der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um sexuelle Vielfalt und die Akzeptanz unterschiedlicher sexueller Orientierungen spielen die gesellschaftliche und mediale Repräsentation eine bedeutende Rolle. Insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene greifen vermehrt auf diverse Medienangebote zurück, darunter häufig Unterhaltungsserien, die im Sozialisationsprozess einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Entwicklung ihrer (sexuellen) Identität ausüben können. Die hier vorgestellte Studie untersucht, inwiefern sich die Darstellung von Nichtheterosexualität in der täglichen Vorabendserie Gute Zeiten, schlechte Zeiten (GZSZ) im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte verändert hat.

Printausgabe mediendiskurs: 28. Jg., 1/2024 (Ausgabe 107), S. 66-69

Vollständiger Beitrag als:

Die Autor*innen absolvierten gemeinsam ihren Bachelor der Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt. In ihrem Studium haben sie außerdem verschiedene weitere Schwerpunkte – Psychologie, Germanistik, Sozialwissenschaften und Erziehungswissenschaften – gesetzt.


 

Im Februar 2021 outeten sich 185 deutsche Schauspieler*innen unter dem Hashtag #actout, lesbisch, schwul, bisexuell, queer, nicht binär oder trans* zu sein. Mit diesem Schritt forderten sie u. a. eine verstärkte Sichtbarkeit und Diversität in den Bereichen „Film“, „Fernsehen“ und „Theater“. Viele dieser Schauspieler*innen teilten dabei ihre eigenen Erfahrungen mit Diskriminierung als Angehörige sexueller Minderheiten mit der Öffentlichkeit. Obwohl rechtliche Fortschritte wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) oder die „Ehe für alle“ die Lebensqualität nicht heterosexueller Menschen verbessert haben, berichten auch abseits der Kunstszene viele Menschen weiterhin von anhaltender Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. Da sich sexuelle Minderheiten aus Angst vor Ablehnung oft davor scheuen, ihre Nichtheterosexualität in der Öffentlichkeit auszuleben, sind diverse sexuelle Orientierungen nur eingeschränkt sichtbar. Welche Rolle spielen nun aber die Medien und wie wird Nichtheterosexualität – insbesondere in Medienformaten, die Heranwachsende konsumieren – repräsentiert?
 

Mediale Repräsentation diverser sexueller Orientierungen

Eine eingeschränkte mediale Sichtbarkeit nicht heterosexueller Orientierungen ist besonders für junge Menschen problematisch, da ihnen dadurch Informationen fehlen, die ihnen das Verständnis und die Einordnung ihrer eigenen sexuellen Orientierung erleichtern würden (Gross 1991). In der Phase der Identitätsentwicklung können Medien eine bedeutsame Rolle spielen (Baacke 2003), besonders sind Jugendliche empfänglich für den Einfluss von Medienfiguren. Wenn sie sich über mediale Figuren mit gesellschaftlichen Themen auseinandersetzen, kann dies zu einer gesteigerten Akzeptanz gegenüber verschiedenen Minderheiten führen. Insbesondere nicht heterosexuelle Heranwachsende können so dabei unterstützt werden, sich stärker der Gesellschaft zugehörig zu fühlen (Gomillion/Giuliano 2011). Die Darstellung verschiedener orientierungsgebender Rollenvorbilder (Süß/Hipeli 2010) in Form von Medienfiguren ermöglicht Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Identifikation und fördert auch parasoziale Interaktionen. Im Rahmen der medialen Repräsentation spielen neben der reinen Sichtbarkeit – z. B. durch nicht heterosexuelle Dialoge oder Handlungen – außerdem auch die Angemessenheit der Darstellung sowie Realitätsnähe und Vielfalt der charakterlichen Darstellung eine bedeutende Rolle.
 

Zum Forschungsstand

Bisherige Untersuchungen zur Darstellung nicht heterosexueller Orientierungen in US-amerikanischen Fernsehserien zeigen, dass sich sowohl die Quantität als auch die Qualität der Darstellung seit den ersten Fernsehsendungen mit homosexuellen Hauptcharakteren in den 1990er-Jahren verändert haben. Zu Beginn wurden nicht heterosexuelle Figuren nur selten gezeigt, sie wurden entsexualisiert, verspottet und stereotypisiert (Battles/Hilton-Morrow 2002). In den letzten Jahren ist ihre Sichtbarkeit jedoch gestiegen und ihre Darstellung komplexer geworden (Bond 2014). Aufgrund der unterschiedlichen gesellschaftlichen Entwicklungen im Umgang mit sexuellen Minderheiten in den USA und Deutschland ist anzunehmen, dass eine divergente Verarbeitung des Themas in medialen Formaten stattgefunden hat. Daher lassen sich die US-amerikanischen Forschungsergebnisse nicht ohne Weiteres auf den deutschsprachigen Raum übertragen (Dörner/Vogt 2012). Anhand der Daily Soap Gute Zeiten, schlechte Zeiten (GZSZ) sollte nun die Darstellung und Entwicklung nicht heterosexueller Orientierungen im deutschen Unterhaltungsfernsehen über die letzten drei Jahrzehnte hinweg untersucht werden.

 

GZSZ: Die etwas andere Love-Story (RTL/Gute Zeiten, schlechte Zeiten, 21.03.2022)



Warum Gute Zeiten, schlechte Zeiten?

Als stark rezipiertes Unterhaltungsformat unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen greift die Vorabendserie gesellschaftliche Themen und verschiedene Lebensentwürfe auf. Täglich ausgestrahlte Daily Soaps wie GZSZ richten ihren Fokus zudem auf Alltagsprobleme, die die vorwiegend jugendliche Zielgruppe betreffen (Simon 2004). Mit ihrem Ausstrahlungsbeginn im Jahr 1992 und der Kontinuität ermöglicht die Sendung eine Analyse über einen Zeitraum von 30 Jahren hinweg. Die vorliegende Untersuchung fokussiert auf

  1. die Häufigkeit und zeitliche Dauer des Auftretens nicht heterosexueller Figuren, ihre romantischen/sexuellen Handlungen sowie Gespräche mit Bezug zu nicht heterosexueller Orientierung,
  2. die Charakterisierung nicht heterosexuell orientierter Figuren sowie
  3. die (Nicht‑)Akzeptanz, die nicht heterosexuellen Figuren aufgrund ihrer sexuellen Orientierung entgegengebracht wird.

Zur Durchführung der Untersuchung wurde eine zweistufige Inhaltsanalyse angewendet (siehe Methode).
 


Methode

Schritt 1: Inhaltsanalyse (quantitativ)

–  Grundgesamtheit = 7.417 Folgen
–  Auswahleinheit: alle Folgen vom 11.05.1992–31.12.2021
–  Stichprobe: systematische Zufallsauswahl: fünf Folgen pro Jahr (152 Folgen insgesamt)
–  Analyseeinheit: Sequenz (Anzahl: 152*x Sequenzen)
–  Codiereinheit: nicht heterosexuelle Handlungen, Gespräche und Figuren

Schritt 2: Vertiefende Inhaltsanalyse auf Figurenebene (qualitativ)

–  Auswahleinheit: alle Folgen der Stichprobe aus Schritt 1
–  Stichprobe: gezielte Auswahl aller in Schritt 1 ermittelten Folgen, die Sequenzen mit nicht heterosexuellen Bezügen beinhalten (13 Folgen)
–  Kontexteinheit: je eine Folge vor und nach ausgewählter Folge (entspricht 26 Folgen → immer mitcodiert)
–  Analyseeinheit: in Schritt 1 ermittelte Figur(‑en) mit nicht heterosexueller Orientierung
–  Codiereinheit: psychische, physische und soziale Eigenschaften der Figuren; Grad der (Nicht‑)Akzeptanz durch andere Figuren  


 

Sexuelle Vielfalt? – Sichtbar in GZSZ!

Zunächst lassen sich drei zentrale Phasen mit einem hohen Auftreten nicht heterosexueller Figuren erkennen, die mit vermehrten Gesprächen und romantischen oder sexuellen Handlungen mit nicht heterosexuellem Bezug einhergehen (August 1995 – August 2001; Februar 2008 – Januar 2011; Juni 2017 – Oktober 2018). Dabei kann angenommen werden, dass diese phasische Entwicklung u. a. auf gesellschaftliche Diskurse und politische Debatten, wie z. B. auf die Verabschiedung des Lebenspartnerschaftsgesetzes (LPartG) im Jahr 2001, zurückzuführen ist. Hinsichtlich der Anzahl der Figuren sowie der Häufigkeit ihres Auftretens zeigt sich ein positiver Trend. Unter den insgesamt 13 erfassten nicht heterosexuellen Gesprächsthemen dominieren vor allem Beleidigungen und abwertende Späße sowie Beziehungsgespräche. Romantische oder sexuelle Handlungen wurden über den Untersuchungszeitraum hinweg häufiger und länger gezeigt. Über intime Küsse ging die Intensität der Handlungen allerdings nicht hinaus. Insgesamt konnten wesentlich mehr Gespräche als Handlungen erfasst werden, weswegen die gemessene Dauer der Gespräche mit nicht heterosexuellem Bezug die der Handlungen um das 20-fache übertrifft. Die Sichtbarkeit nicht heterosexueller Figuren wird somit insbesondere durch Gespräche unterstützt.
 

GZSZ Classics: Anni und Jasmin (RTL/Gute Zeiten, schlechte Zeiten, 20.06.2022)



Mit Blick auf die Charakterisierung der nicht heterosexuellen Figuren lässt sich im zeitlichen Verlauf feststellen, dass sich die Seriencharaktere über alle untersuchten Folgen hinweg durch eine Fülle von charakterlichen Merkmalen auszeichnen und ihre nicht heterosexuelle Orientierung zu keinem Zeitpunkt als ihr distinktives Hauptmerkmal fungiert. Dabei konnten lediglich zwischenfigürliche Unterschiede und keine zeitlichen Veränderungen ausgemacht werden: Je häufiger eine Figur auftritt und je tragender ihre Rolle für die Gesamthandlung ist, desto detaillierter werden auch ihre physischen, psychischen und sozialen Eigenschaften dargestellt. Bei nationaler Zugehörigkeit sowie der wirtschaftlichen und familiären Situation der Figuren mangelt es allerdings noch an Vielfalt. Positiv entwickelt sich die Akzeptanz, die den Figuren vor dem Hintergrund ihrer nicht heterosexuellen Orientierung entgegengebracht wird: So werden sie zu Beginn des Untersuchungszeitraumes größtenteils nicht akzeptiert, während sich zum Ende hin eine nahezu vollständige Akzeptanz erkennen lässt. Trotzdem bleiben Beleidigungen der Figuren mit nicht heterosexueller Orientierung über den ganzen Zeitraum hinweg fester Bestandteil der Gespräche mit nicht heterosexuellem Bezug. Somit lässt sich zwar nur eine leichte, aber konstante Entwicklung der Darstellung nicht heterosexueller Orientierungen feststellen.

Da die Serie GZSZ von Jugendlichen und jungen Erwachsenen immer noch viel rezipiert wird (AGF/GFK 2021), könnte diese Darstellung somit insbesondere bei heranwachsenden Rezipierenden dazu führen, dass sie Einstellungen und Handlungen der Serienfiguren reflektieren und dadurch die eigenen Positionen hinterfragen. Indem sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Handlungsmustern feststellen, wird ihnen ihre eigene Identität bewusst (Mead 1995). Folglich haben die Inhalte und Figuren von GZSZ das Potenzial, die (sexuelle) Identitätsbildung von Jugendlichen maßgeblich zu beeinflussen.
 

Ausblick

Die Ergebnisse dieser Studie können zunächst für die seit über 30 Jahren ausgestrahlte Vorabendserie GZSZ gelten. Würden weitere deutsche Daily Soaps untersucht werden, ließen sich diese Befunde mit der vorliegenden GZSZ-Analyse vergleichen und die Ergebnisse sich womöglich auf das Genre der Daily Soaps in Deutschland übertragen. Interviews mit Rezipient*innen, Produzent*innen und Expert*innen würden zudem die Möglichkeit bieten, die Vermutungen zur Wirkung der Darstellung nicht heterosexueller Orientierungen auf die Identitätsbildung Heranwachsender zu spezifizieren und empirisch zu untermauern.
 



Literatur

AGF/GFK: DAP videoSCOPE. Marktstandard: TV/RTL Data. Frankfurt am Main 2021

Baacke, D.: Die 13- bis 18-Jährigen. Einführung in die Probleme des Jugendalters. Weinheim/Basel 2003

Battles, K./Hilton-Morrow, W.: Gay characters in conventional spaces: Will and Grace and the situation comedy genre. In: Critical Studies in Mass Communication, 1/2002/19, S. 87–105

Bond, B. J.: Sex and Sexuality in Entertainment Media Popular With Lesbian, Gay, and Bisexual Adolescents. In: Mass Communication and Society, 1/2014/17, S. 98–120

Dörner, A./Vogt, L.: Unterhaltungskultur als politische Kultur: Politikvermittlung in der Gegenwartsgesellschaft. In: A. Dörner/L. Vogt (Hrsg.): Unterhaltungsrepublik Deutschland. Medien, Politik und Entertainment. Bonn 2012, S. 11–34. Abrufbar unter: https://www.bpb.de

Gomillion, S. C./Giuliano, T. A.: The Influence of Media Role Models on Gay, Lesbian, and Bisexual Identity. In: Journal of Homosexuality, 3/2011/58, S. 330–354

Gross, L.: Out of the Mainstream: Sexual Minorities and the Mass Media. In: Journal of Homosexuality, 1–2/1991/21, S. 19–46

Mead, G. H.: Geist, Identität und Gesellschaft. Aus der Sicht des Sozialbehaviorismus. Frankfurt am Main 1995

Simon, J.: Wirkungen von Daily Soaps auf Jugendliche. München 2004

Süß, D./Hipeli, E.: Medien im Jugendalter. In: R. Vollbrecht/C. Wegener (Hrsg.): Handbuch Mediensozialisation. Wiesbaden 2010, S. 142–150