Sexueller Kindesmissbrauch und Missbrauchsabbildungen in digitalen Medien

Rita Steffes-enn, Nahlah Saimeh, Peer Briken (Hrsg.)

Berlin 2023: MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft
Rezensent/-in: Daniel Hajok

Buchbesprechung

Online seit 12.07.2024: https://mediendiskurs.online/beitrag/sexueller-kindesmissbrauch-und-missbrauchsabbildungen-in-digitalen-medien-beitrag-1123

 

 

Mit insgesamt 39, meist überblicksartig-knapp abgefassten Beiträgen und zwei Exkursen zum bekannten „Dunkelziffer“-Projekt und dem „Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch“ umspannt der Herausgeberband sehr facettenreich ein Thema, das in den letzten Jahren endlich größere gesamtgesellschaftliche Aufmerksamkeit erhält. In den sieben Beiträgen des einführenden Teils wird zum Beispiel kritisch (und im Ergebnis durchaus ernüchternd) auf 50 Jahre Bekämpfung von Kinderpornografie zurückgeschaut und praktisch Einblick in die forensische Ermittlungsarbeit gegeben. Es werden (rudimentäre) Ansätze zur Erklärung der Nutzung von Missbrauchsdarstellungen referiert und zentrale Einflussfaktoren in ein Rahmenmodell überführt. In einem Beitrag werden spezifische Folgen für betroffene Minderjährige und in einem anderen Gesundheitscoaching/Entlastungstraining, Supervision und Therapie als wichtige Unterstützungssysteme für Fachkräfte als Sekundär- und Tertiärbetroffene skizziert.

Der zweite Teil des Bandes bietet acht spannende Einblicke in die (forensische) Begutachtung, Diagnose und Prognose. Einen hohen Erkenntnisgewinn hat hier der Beitrag mit kriminalprognostischen Einschätzungen zu Online- und Offline-Sexualstraftätern mitsamt Rückfallraten. Ausgehend von einer differenzierten Beschreibung des „Child Abuse Material Instrument“ (CAMI) wird an anderer Stelle dargelegt, wie mit dieser Form der Beweismittelauswertung die oft große Masse an (sichergestelltem) Material bewältigt werden und den Sachverständigen wichtige Informationen liefern kann. Der Beitrag zur Typologie von Online-Sexualstraftätern mitsamt zugeordneten (prototypischen) Risikomerkmalen bietet demgegenüber eine grundlegende Systematisierung einer (hinsichtlich des Tatverhaltens) heterogenen Gruppe.

Sieben ausgewählte Phänomene werden in Teil drei des Bandes behandelt. Der Beitrag zu den Online-Entwicklungspfaden pädosexueller Überzeugungstäter etwa richtet den Fokus auf die Einflüsse der Vernetzungs- und Kommunikationsstrukturen auf Menschen mit sexuellem Interesse an Kindern – bereits die von Forenadministratoren aufgestellten (und durchgesetzten) Regeln sind hier eine wichtige Größe. Mit den Ergebnissen der MHG-Studie zum sexuellen Missbrauch durch Priester gibt es an anderer Stelle Einblick in die pädosexuellen Delikte von katholischen Klerikern. Mit der Polizeilichen Kriminalstatistik wird der hohe Anteil (tatverdächtiger) Minderjähriger im Bereich der Herstellung, des Besitzes und der Verbreitung von Kinderpornografie diskutiert. Ein Beitrag zur (bislang allenfalls randständig betrachteten) Rolle von Frauen als Täterinnen sexuellen Kindesmissbrauchs stellt mit ersten Daten belegt fest, dass Frauen nicht nur bei der Herstellung und Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen eine wichtige Rolle spielen können, sondern einige (meist alleine) die Darstellungen auch aus eigenem sexuellen Interesse heraus nutzen.

Im letzten Teil richtet sich der Blick auf Präventions- und Interventionsansätze. Das Spektrum der 17 Beiträge reicht vom Einsatz computergenerierter Missbrauchsdarstellungen zur Strafverfolgung im Darknet über psychoanalytisches Arbeiten und Selbstkontrolltraining mit Konsumenten bis hin zu mediengestützten Interventionsangeboten und sexualtherapeutischen Angeboten für Jugendliche mit pädosexuellen Interessen. In zwei Beiträgen werden zwar auch die Bedeutung von Medien- und Sexualpädagogik sowie Chancen und Risiken der Pressberichterstattung über sexuellen Onlinemissbrauch für die Prävention erörtert. Ein Manko des empfehlenswerten Buches ist aber auch im letzten Teil nicht zu übersehen: Die Seite der betroffenen Minderjährigen kommt zu kurz. Gemeint sind sowohl die Präventions- und Interventionsbedarfe, die Kinder und Jugendliche (nach vorliegenden Daten) selbst identifizieren, als auch die (existierenden) Angebote zum Sichtbarmachen der rechtlich eingezogenen Grenzen und zum Erkennen von Täterstrategien sowie zielgruppenspezifische Angebote, die Betroffene zum Anvertrauen anregen, die Peers als wichtige Instanz stärken, Eltern für das Thema und einen angemessenen Umgang damit sensibilisieren.

Prof. Dr. Daniel Hajok