Shoot ’em in the Head

Eine Film- und Seriengeschichte der Zombies

Sassan Niasseri

Marburg 2023: Schüren
Rezensent/-in: Uwe Breitenborn

Buchbesprechung

Online seit 01.08.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/shoot-em-in-the-head-beitrag-1123/

 

 

Gibt's Neuigkeiten aus der Zombiewelt? Ja, dieses lesenswerte Buch. Sassan Niasseri ist die Expertise und Freude am Stoff deutlich anzumerken, er pflegt einen saloppen, kurzweiligen Schreibstil. Es ist ein Buch über Untote, mit Liebe gemacht, wofür auch das attraktive Layout steht.
 

Romero und Russo – Könige der Zombies

Niasseri betrachtet die Evolution der Zombiefilme. Natürlich steht Romeros Klassiker Night of the Living Dead (1968) im Mittelpunkt. Auch wenn Zombie #1 nicht der erste Leinwand-Zombie war, so war er doch derjenige, der „zum Rollenmodell für fast alle folgenden wurde: eine dahintrottende, dümmlich erscheinende Gestalt, die wir zunächst nicht als finster wahrnehmen würden“ (S. 10).

Niasseri trägt viele Details zusammen. Er führte unter anderem ein Interview mit dem Autor John A. Russo, der die Vorlage für den Film schrieb und entscheidend für die Etablierung der Zombie-Kreatur verantwortlich war. Im Film spielte er eine Nebenrolle als Untoter.

Und Russo erzählt kuriose Dinge: „In der frühesten Fassung handelte das Script von Teenagern, die zu Halloween eine Kiste Bier stehlen und sie auf einem Friedhof verstecken. Als der Raub auffliegt, wird einer der Jungen von seinen Eltern bestraft und flüchtet von zu Hause. Er rennt wieder zum Friedhof. Dort trifft er auf einen Außerirdischen. So stand es in meiner ersten Version.“ (S. 22)

Später erläutert Russo, wie er und Romero die Idee entwickelten, menschenfressende Untote in die Story zu bringen. Der Film wurde oft politisch rezipiert (u. a. „Us vs. Them“-Paranoia), allerdings tritt Russo dieser Interpretation entgegen. Als politischer Film sei er nicht gedacht gewesen.
 

Zombie-Wellen

Das Untoten-Genre durchlebte verschiedene Konjunkturen. Viele Streifen wurden wegen drastischer Szenen indiziert oder fristeten ein Dasein als splatter- und gewaltaffine 18er-Ware in Videotheken. Das änderte sich mit Beginn des neuen Jahrtausends aufgrund solcher Blockbuster wie 28 Days Later (2002) oder Dawn of the Dead (2004).

Zweifellos sind Zombies mittlerweile Popkultur, was Niasseri problemlos aufzeigen kann (z. B. S. 13 f.). Zombies schlurfen als Love Interest in Teenie-Romanzen (Warm Bodies 2013), in animierten Familienkomödien (ParaNorman, 2012) und im Gay Porn (L.A. Zombie 2010) umher. Sie sind Gegenstand drastischen Klamauks (Shaun of the Dead 2004, Zombieland 2009) und dystopischer Dramen (Z Nation 2014 – 2018) oder strandeten im Arthouse-Kino (Jim Jarmuschs The Dead Don’t Die 2019).

Nicht zu vergessen: der Mega-Erfolg der Serie The Walking Dead (2010 – 2022, 11 Staffeln), die das Genre in ethisch-philosophische Diskursräume zu schicken schien. Das Rezept dafür hatte Romero schon viel früher gefunden. Gute Zombiefilme schilderten nicht den „Krieg zwischen Menschen und Zombies, sondern zwischen Menschen und Menschen, die nach dem Zivilisationskollaps ihr Zusammenleben neu verhandeln“ müssen. (S. 37).
 

 

Top 10 Zombie Movies (communiTV, 14.04.2020)



Zombie-Malls

Das Einkaufszentrum ist ein Ort der Zivilisation und Regression zugleich. Ein idealer allegorischer Schauplatz für Romero, der einmal erzählte, dass ihn bei einem Besuch der Monroeville Mall Leute in den Bann zogen, die im „Kauf- oder Glotz-Rausch“ (S. 36) mit leerem Gesichtsausdruck von Laden zu Laden streiften und ihn an seine Kreaturen erinnerten. In Zombie (Dawn of the dead, 1978) spielte diese Mall eine zentrale Rolle. Dem Kaufhaus-Sujet widmet Niasseri daher ein ganzes Kapitel („Zombie: Die Mall als Sehnsuchtsort“).

Zombie entwickelte sich zum profitabelsten Film der sogenannten Dead-Reihe. „Der unbeabsichtigte Clou besteht darin, dass ‚Zombie‘ nicht vorrangig als Gewaltsatire, sondern als Splatter-Spektakel Anerkennung fand. Das Drama wurde zum Hit, weil es so etwas nie zuvor auf der Leinwand zu sehen gab: Gedärme, die […] nicht aus Verstorbenen gerissen werden, sondern aus Lebenden. Eine Machete, die einen Kopf spaltet. Ein Schraubenzieher, der in ein Ohr gejagt wird.“ (S. 47) Der Zombie als „Fressmaschine“ ist geboren.

Niasseri analysiert pointiert alle Romero-Filme der sogenannten Dead-Reihe, bevor er sich im Abschnitt über die „Wanderjahre“ der Zombies (1979 – 2002) den vielen Ausdifferenzierungen des Genres zuwendet.
 

Open Source Zombie

Es existiert keine Regel dafür, so Niasseri, unter welchen Bedingungen ein Zombie noch ein Zombie ist. „Er kann schleichen – oder rennen. Er kann übel aussehen – oder hübsch. Er kann stöhnen – oder reden. Er kann im Labor erschaffen, er kann aber auch aus dem Weltall angereist kommen oder aus ‚dem Buch der Toten‘ beschworen werden. Er kann ein Tier sein, zum Beispiel ein Zombie-Affe. Er kann also jede Art von Monster darstellen, solange es nur einen Menschen angreift.“ (S. 67) Nach Romero sei der Untote zur Open Source unter den Ungeheuern geworden. In einem wilden Ritt durch allerlei „Trash“-Produktionen, die der Autor als Filme bezeichnet, die man lieben kann, ohne sie ernst zu nehmen (S. 70), zeigt er den Wahnwitz des Genres. Hier offenbart sich auch wieder die üppige Materialkenntnis des Autors, der über Seiten hinweg filmische Zombie-Perlen bespricht, deren Kenntnis nur einem wahren Experten vorbehalten sein kann.

Eher sarkastisch blickt der Autor auf übermotivierte 80er‑Jugendschutzdebatten über Zombiefilme. In dem Kapitel „Video Nasties vs. Michael Jackson“ widmet er sich diesen Diskussionen und verweist beispielhaft auf die Doku Mama, Papa, Zombie, die 1984 im ZDF lief und sehr einseitig Gefahrenpotenziale thematisierte. Bei aller Widersprüchlichkeit landet er am Ende bei Jacksons zombieesken Thriller-Video. Es sei zwar kein „Video Nasty“, aber es lieferte 1983 eine Wendung in der Zombie Wahrnehmung.
 

Chronologie der Zombieprodukte

So lässt sich der Fortgang des Buches beschreiben, denn es geht nicht nur um Filme, sondern auch um Games (Resident Evil) oder Bücher. Da die Untoten in vielgestaltiger Form unterwegs sein können, lenkt der Autor den Blick auch auf Produktionen, die im Zombiefeld zunächst nicht vermutet werden. Steven Kings Friedhof der Kuscheltiere ist so ein Fall. Dessen „Zombies“ streunen nicht kopflos durch die Gegend. Sie bestrafen aber denjenigen, der ihnen eine zweite Chance auf Erden geben wollte, also in der Regel ein Familienmitglied. So entpuppe sich Kings Geschichte als Kritik an einer Trauerkultur, in der der Tod als Endpunkt nicht akzeptiert werde, so Niasseri (vgl. S. 89). Peter Jacksons Braindead (1992) wird ebenso ausführlich besprochen wie 28 Days later (2002) oder World War Z (2013) oder asiatische Zombiefilme.

Das begonnene 21. Jahrhundert nennt der Autor das „Goldene Zeitalter der Zombies“. Kein Wunder, dass auch der König der Zombies George A. Romero mit einer zweiten Dead-Trilogie auftaucht (Land/Diary/Survival of the Dead 2005 – 2009). In Zeiten permanenter Krisen und sich verdichtender Konflikte symbolisieren für ihn die Zombiekulturen menschengemachtes Scheitern. So ist Niasseris Blick auf die Zombies stets auch ein politischer.

Wer übrigens eine wirklich gute Analyse des dramaturgischen Qualitätsverfalls der TV-Serie The Walking Dead lesen möchte, dem sei das Kapitel über die „Zombie-Revolution in Fernsehen und Streaming“ (S. 165 ff.) empfohlen. Hier finden sich Sätze wie dieser: „Die hanebüchenen Entscheidungen der Charaktere sind Ausdruck mangelnder Charakter-Pflege durch ihre Autoren, die alles dem Schauwert des nächsten Blutbads unterordnen.“ (S. 176)

Niasseris Buch besticht mit hervorragender Materialkenntnis, die es dem Autor erlaubt, die Stoffe sehr souverän einzuordnen. Dabei wirkt er nie dozierend. Es eignet sich für Genrefans gleichermaßen wie für akademische Pirouetten, da es neben filmografischem Fachwissen auch viel Erfahrung und leibhaftige Expertise integriert. Gespräche mit Protagonisten des Romero-Universums wie den Darstellerinnen Gaylen Ross, Judith O’Dea, Lori Cardille (Girls with guns), Eugene Clark oder Terry Alexander und John A. Russo verleihen dem Buch Authentizität. Zudem verweist Niasseri auf zahlreiche Referenzen außerhalb des Zombieraumes, was den Text facettenreich auffächert. Das Titel- und Namensregister unterstützt die Lektüre. Eine Empfehlung.

Dr. Uwe Breitenborn