Sperrverfügung gegenüber Glücksspielanbieter rechtswidrig

OVG Rheinland-Pfalz hebt Sperrverfügung der Glücksspielbehörde auf

Nach dem seit Juli 2021 geltenden Glücksspielstaatsvertrag dürfen sich private Online-Glücksspielanbieter auch in Deutschland lizenzieren lassen. Um Nutzer*innen vor Spielsucht und Verschuldung zu schützen, wurde in Halle (Sachsen-Anhalt) eine Glücksspielbehörde eingerichtet. Diese wollte einen Provider verpflichten, ein bestimmtes Angebot zu sperren. Die Sperrung wurde vom OVG Rheinland-Pfalz nun im Eilverfahren als unzulässig erklärt.

Online seit 03.04.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/sperrverfuegung-gegenueber-gluecksspielanbieter-rechtswidrig-beitrag-1122/

 

 

Bis zum Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrages am 1. Juli 2021 war es verboten, Spielbanken privat zu betreiben. Auch Lotto und Toto durften ausschließlich über die Lotto- und Totogesellschaften der Länder betrieben werden, die seit 1956 im „Deutschen Totoblock“ (ab 1976 „Deutscher Lotto- und Totoblock“) zusammengeschlossen waren.
 

Jugendschutz und Maßnahmen gegen Spielsucht

Das Suchtrisiko im Spielebereich ist vor allem dann sehr hoch, wenn die Zutrittsschwelle niedrig liegt. Deswegen waren Online-Glücksspiele in Deutschland nach dem alten Glücksspiel-Staatsvertrag verboten. Eine Ausnahme bot allerdings schon seit 2011 das Land Schleswig-Holstein an, das unter bestimmten Umständen für private deutsche Anbieter Lizenzen ausschließlich für dieses Bundesland erteilte. Auch konnten dort Glücksspielanbieter aus anderen europäischen Staaten lizenziert werden, die weniger restriktive Regelungen zur Teilnahme am Spiel voraussetzen als das Bundesland selbst.

Das Internet machte allerdings auch Nutzer*innen aus anderen Bundesländern den Zugang möglich. Das war zwar nicht legal, aber kaum zu verhindern. Die Glücksspielangebote wurden damals regelmäßig durch viele bekannte Personen wie Sebastian Schweinsteiger, Boris Becker oder H. P. Baxter (Scooter) im TV beworben. Sie mussten aber immer darauf hinweisen, dass das Angebot nur für Personen galt, die in diesem Bundesland ihren Wohnsitz hatten – in der Praxis war das aber wohl eher ein Scherz.
 

Neuer Glücksspiel-Staatsvertrag will Schutz und Spiel verbinden

Das Problem der alten Regelung bestand darin, dass von den Einnahmen und den erhobenen Steuern im Glücksspiel nur das europäische Ausland profitierte, ohne dass die Teilnahme deutscher Spieler*innen über das Internet verhindert werden konnte. Deshalb wurde ein neuer Glücksspiel-Staatsvertrag geschlossen, der am 01. Juli 2021 in Kraft trat.

Nun können sich Anbieter in ganz Deutschland lizenzieren lassen. Allerdings gelten dafür strenge Regeln. Jede*r Spieler*in muss ein Benutzerkonto einrichten, auf das im Monat nicht mehr als 1.000 € eingezahlt werden dürfen. Dabei werden mögliche Gewinne nicht mitgerechnet. Um zu verhindern, dass ein*e Spieler*in sich gleichzeitig bei mehreren Anbietern anmeldet und so in die Verschuldung gerät, ist vorgeschrieben, dass es eine gemeinsame Sperrdatei gibt, in der alle Spieler*innen registriert werden müssen. Eine Kreditaufnahme bei den Anbietern ist verboten, sie dürfen auch keine Kreditangebote Dritter vermitteln. Außerdem müssen die Spieleanbieten das Spielverhalten ihrer Nutzer*innen überwachen und bestimmte Kriterien festlegen, um eine*n Spieler*in zu sperren, wenn es Anzeichen für ein riskantes Spielverhalten und eine Spielsucht gibt. (Mehr dazu: Gottberg 2021)
 

Glücksspielbehörde will notfalls Netzsperren

Um die Wirksamkeit des Staatsvertrages und die Einhaltung aller Vorschriften zu überwachen, wurde die „Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder“ (GGL) eingerichtet. Dort werden auch die Sperrdateien und die Limitdaten geführt. Die Behörde hat ihre Arbeit im Sommer 2022 aufgenommen. Bei ihrer Arbeit hat sie allerdings bisher wenig Glück bewiesen.

In einem Rundbrief an die Provider hat sie diese aufgefordert, praktisch auf Zuruf Netzsperren für illegale Glücksspiele einzurichten:

Wir bieten Ihnen daher an, dass anstelle des formellen Verwaltungsverfahrens eine direkte Kommunikation zwischen der GGL und Ihnen als Internet-Service-Provider hergestellt wird, die zum Ergebnis hat, dass eine Sperre von Ihnen eingerichtet wird, Verwaltungskosten aber nicht anfallen. Wir erwarten nur, dass die Sperrung umgehend umgesetzt wird.“ (Schreiben der GGL, zitiert nach Meineck/Menhard 2022)

Netzsperren sind aber äußerst problematisch und greifen massiv in das Grundrecht der Informationsfreiheit ein – deshalb kam diese Aufforderung der Behörde weder bei den Providern selbst noch bei Fachpolitiker*innen des Bundestags gut an. „Die Vorsitzende des Digitalausschusses, Tabea Rößner (Grüne), schreibt netzpolitik.org, es erschiene ihr ,etwas unglücklich, die am Glücksspiel unbeteiligten Provider als eine der ersten Amtshandlungen so offensiv auf das schärfste Schwert aus dem neuen Glücksspiel-Staatsvertrag der Länder hinzuweisen.‘ Allerdings sei das Schreiben ,nicht für die Öffentlichkeit bestimmt‘ gewesen.“ (Rösner zitiert nach Meineck/Menhard 2022)


Behörde will Sperre durchsetzen – und scheitert

Dennoch forderte die Behörde den Provider 1 & 1 auf, gegenüber einem von ihr beanstandeten Anbieter eine Netzsperre umzusetzen. Der Provider weigerte sich, der Fall landete vor dem Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, das im Eilverfahren die Sperrverfügung der Glücksspielbehörde zurückgewiesen hat. Die Behörde hat mitgeteilt, dass sie für in dem nun folgenden Hauptverfahren ihren Standpunkt weiterhin vertreten werde.

In der Pressemeldung des Gerichts heißt es: „Die gegenüber der Antragstellerin getroffene Sperrungsanordnung sei offensichtlich rechtswidrig. Sie könne nicht auf die Ermächtigungsgrundlage in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 des am 1. Juli 2021 in Kraft getretenen Glücksspielstaatsvertrages 2021 – GlüStV 2021 – gestützt werden. Nach dieser Bestimmung könne die Antragsgegnerin als Glücks­spielaufsicht nach vorheriger Bekanntgabe unerlaubter Glücksspielangebote Maßnahmen zur Sperrung dieser Angebote gegen im Sinne der §§ 8 bis 10 des Telemediengesetzes – TMG – verantwortliche Diensteanbieter, insbesondere Zugangsvermittler und Registrare, ergreifen, sofern sich Maßnahmen gegenüber einem Veranstalter oder Vermittler dieses Glücksspiels als nicht durchführbar oder nicht erfolgversprechend erwiesen. Diese Voraussetzungen seien aber nicht erfüllt. Bei der Antragstellerin handele es sich bereits nicht um einen im Sinne der §§ 8 bis 10 TMG verantwortlichen Diensteanbieter, so dass es keiner Entscheidung bedürfe, ob die weiteren Voraussetzungen der Regelung für ein Einschreiten gegen die Antragstellerin gegeben seien. Das Gericht teile nicht die Auffassung der Antragsgegnerin, dass sich die Verantwortlichkeit der Diensteanbieter nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV 2021 aus dieser Norm selbst bestimme, ohne dabei auf eine Verantwortlichkeit nach dem Telemediengesetz abzustellen. Der Wortlaut der Vorschrift lasse diese Auslegung nicht zu.“ (Pressemitteilung OVG Rheinland-Pfalz 2023)
 

Sind Netzsperren überhaupt sinnvoll?

Der Fall hat grundsätzliche Bedeutung. Auch im Falle pornografischer Angebote aus Zypern wurden von den Aufsichtsbehörden Netzsperren gefordert, die allerdings bisher nicht umgesetzt wurden. Auch für diese Maßnahme könnte das Urteil in Rheinland-Pfalz Bedeutung haben. Aus der Perspektive digitaler Freiheitsrechte ist es fraglich, ob Netzsperren überhaupt akzeptabel sind.

Gegen Netzsperren spricht bereits, dass sie mit wenigen Tricks umgangen werden können, beispielsweise mit einem VPN-Dienst oder einem Tor-Browser. Sie sind allein schon deshalb in Verruf gekommen, weil sie vor allem von autoritären Staaten als Zensur-Instrument eingesetzt werden.

Quellen:

Gottberg, J. v.: Verbot von Onlineglücksspielen wird gelockert. In: tv diskurs, 28.06.2021. Abrufbar unter: mediendiskurs.online

Meineck, S./Menhard, E.: Rundbrief: Neue Glücksspielbehörde drängt Provider zu Netzsperren. In: NETZPOLITIK.ORG, 19.07.2022. Abrufbar unter: netzpolitik.org

OVG Rheinland-Pfalz: Sperrungsanordnung für unerlaubte Glücksspielangebote im Internet gegenüber Zugangsvermittler rechtswidrig. Pressemitteilung Nr. 2/2023, 01.02.2023. Abrufbar unter: justiz.rlp.de