Stöckelschuhe prägen ein seriöses Gesamtbild
Warum Moderatorinnen selten flache Schuhe tragen
Sie unterrichten Marketing in Bochum. Die Frage, ob und warum Moderatorinnen vornehmlich Stöckelschuhe tragen, würde man eher in der Sozialwissenschaft verorten.
Ja, ich bin Professorin für Marketing an der Hochschule Bochum. Neben der Lehre beschäftige ich mich natürlich mit Forschung, dabei beziehe ich immer wieder auch die Genderperspektive mit ein. Marketing ist eine angewandte Verhaltenswissenschaft, wir fragen danach: Wie verhält sich der Mensch tatsächlich? Er ist nicht allein ein modellhaftes Konstrukt wie der „Homo oeconomicus“, sondern die gelebte Identität eines Menschen beeinflusst das Verhalten allgemein und speziell das Kaufverhalten. Und da spielt natürlich das eigene Geschlecht bzw. das sozialkulturelle Geschlecht, also Gender, eine ganz wesentliche Rolle. Die ganze Genderdiskussion besitzt natürlich immer auch eine politisch-normative Perspektive, nämlich die Perspektive der Gleichstellung, was aber nicht Gleichmacherei bedeutet. Man muss die Menschen auch als unterschiedliche und differenzierte Persönlichkeiten wahrnehmen. Insofern: Marketingforschung hat sehr viele Ansatzpunkte.
Als Zuschauer konzentriere ich mich eigentlich eher auf das Gesicht der Moderatorin. Nehmen wir die Schuhe überhaupt als relevanten Aspekt wahr?
Erstaunlicherweise ja. Sie haben recht, wir sehen ins Gesicht oder wir nehmen die Gesamtperspektive wahr, manchmal kann man die Schuhe ja gar nicht sehen, weil die Moderatorinnen irgendwo hinter einem Tresen stehen oder nur der Oberkörper im Bild ist. Aber in der Gesamtwahrnehmung werden die Schuhe sehr wohl mit gesehen und wahrgenommen. In unserer Zuschauer*innenbefragung konnten wir dies klar nachweisen.
Leiden Frauen gerne dafür, dass sie vielleicht eine vermeintlich optisch bessere Wirkung haben?
Ich denke, das ist eine Frage der gesellschaftlichen Erwartungen. Die Frage: „Stöckelschuhe ja oder nein?“ stellt sich für viele Frauen erstmals bei Initiationsriten, beispielsweise beim Abiball, beim Abschlussball in der Tanzschule oder bei Hochzeiten im Familienkreis. Da will man sich festlicher kleiden, und dann kommt die Frage, ob man Stöckelschuhe anziehen will und wie hoch der Absatz sein soll. Es ist unbestritten, dass der Absatzschuh nicht unbedingt gesund ist bzw. zum Wohlbefinden beiträgt. Wenn man ständig hohe Schuhe trägt, führt das zur Verformung der Füße. Aber in letzter Konsequenz sollte es die freie Entscheidung einer Frau sein, ob sie diese Schuhe trägt und ob sie sich darin chic und wohlfühlt. Das ist eine freie Entscheidung, die allerdings oft vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Erwartungen gefällt wird. Menschen sind soziale Wesen und verstoßen nicht gerne gegen soziale Regeln. Insofern ist Ihre Frage schwierig zu beantworten.
Keine HIGH HEELS - KÜNDIGUNG! (SAT.1 Frühstücksfernsehen, 02.07.2016)
Inwiefern verbessert der Stöckelschuh insgesamt die Wirkung einer Person? Sie wirkt größer?
Die Person wirkt größer, aber vor allem verlängern Stöckelschuhe optisch die Beine. Und lange Beine sind ein Schönheitsideal. Und sie verändern die Körperhaltung: Je höher der Absatzschuh ist, je mehr muss man die Brust heben. Das Becken verändert sich in seiner Haltung, der Gang wird beschwingter. Untersuchungen zeigen deutlich, dass Männer Frauen mit hohen Schuhen attraktiver finden. Je höher der Schuh ist, desto größer wird auch die Hilfsbereitschaft der Männer diesen Frauen gegenüber. Sie wirken weiblicher und femininer.
Seit wann gibt es Stöckelschuhe?
Schon sehr lange. Bereits im Mittelalter hat der Absatzschuh ganz Europa erobert. Eigentlich war das ein Schuh für Männer, vor allem für Reiter, weil man mit dem Absatz im Steigbügel beim Auf- und Abstieg einen besseren Halt hat. Im Mittelalter wurde der Absatzschuh ein Symbol für Reichtum und Männlichkeit: Wer Absatzschuhe trug, konnte sich ein Pferd leisten. Vor allem die Aristokratie hat Absatzschuhe getragen. Man konnte teilweise sogar den Stand im Adel an der Höhe des Absatzes erkennen. Erst später haben Frauen angefangen, Absatzschuhe zu tragen, allerdings mit dem Unterschied, dass die Absatzschuhe für Männer sehr kräftig waren und breite Absätze hatten, während Frauenschuhe immer filigraner wurden. Ein Absatzschuh verkleinert optisch die Füße, und auch das ist ein Attraktivitätsmerkmal für Frauen. Nebenbei war es im Mittelalter für die Frauen günstig, hohe Schuhe zu tragen, weil es nicht überall sauber war. Mit Absatzschuhen konnte man sich mit langen Kleidern bewegen, ohne diese zu beschmutzen.
Im Mittelalter wurde der Absatzschuh ein Symbol für Reichtum und Männlichkeit.
Sind Stöckelschuhe ein deutsches oder europäisches Phänomen? Oder gibt es sie überall auf der Welt?
Es gibt sie überall. Wobei interessanterweise Untersuchungen zeigen, dass die Stöckelschuhe in den verschiedenen Ländern durchschnittlich unterschiedlich hoch sind. Die Engländerinnen tragen die höchsten Schuhe im Vergleich zu ihren deutschen, französischen oder spanischen Schwestern. Engländerinnen sind im Schnitt die kleinsten Frauen im europäischen Vergleich, vielleicht ist dies der Grund. In China sind hohe Stöckelschuhe derart verbreitet, dass ernsthafte körperliche Schäden die Folge sind. In Japan gibt es in ca. 60 % der Unternehmen Vorgaben, dass Stöckelschuhe bei Arbeitnehmerinnen erwartet werden, und zwar in einer Absatzhöhe von 5 bis 7 cm. Und im Gegensatz zu unseren Fernsehmoderatorinnen tragen Japanerinnen den Schuh den ganzen Arbeitstag über.
Wie kamen Sie darauf, die Relevanz von Stöckelschuhen bei Moderatorinnen zu untersuchen?
Es fing ganz zufällig im September 2021 an – angesichts der Bundestagswahl sah ich vermehrt moderierte Fernsehsendungen. Und irgendwann fielen mir die Schuhe der Moderatorinnen auf – zunächst war es eine zufällige, vereinzelte Wahrnehmung, dann fängt man an, darauf zu achten. Ich habe mich schließlich mit der Gleichstellungsbeauftragten unserer Hochschule darüber unterhalten und ihr gesagt, dass ich das gerne einmal untersuchen würde, weil mich interessierte, ob diese subjektive Wahrnehmung tatsächlich den Tatsachen entspricht. Und so kamen wir auf die Idee, ein kleines Forschungsprojekt aufzusetzen, das sie aus ihren Mitteln mitfinanziert hat. Abgesehen davon, dass solche angewandten Forschungsprojekte für die Studierenden gewinnbringend sind, erhalten wir inhaltlich einen Wissens- und Erkenntnisfortschritt. Und so konnten sich Studierende als wissenschaftliche Hilfskräfte im Projekt bewerben. Am Anfang reagierten viele zurückhaltend auf dieses ungewöhnliche Thema. Aber dann habe ich sechs Studierende gefunden, die wirklich mit Feuereifer dabei waren. Drei Bachelorstudierende waren für einen begrenzteren Zeitraum dabei, drei Masterstudierende haben für einen längeren Zeitraum sehr engagiert mitgearbeitet. Das Team war geschlechtsparitätisch, also mit drei männlichen und drei weiblichen Studierenden besetzt.
Können Sie kurz Ihr Untersuchungsdesign beschreiben?
Wir hatten drei Ansätze: Zuerst wollten wir überprüfen, ob sich unsere subjektive Wahrnehmung, dass Stöckelschuhe bei den Moderatorinnen vorherrschend sind, tatsächlich objektiv bestätigen lässt. Die Studierenden haben sich 74 moderierte Sendungen angeschaut und davon über 300 Screenshots angelegt, um die Schuhbekleidung zu dokumentieren. Und sie haben dabei festgestellt: In 80 % der Fälle haben die Moderatorinnen tatsächlich hohe Schuhe getragen. Als Zweites wollten wir einen internen Blick auf die Haltung der Sender werfen. Dazu haben wir 19 Moderatorinnen und Programmverantwortliche telefonisch oder via Zoom befragt. Als dritte Säule haben wir eine standardisierte Onlinebefragung unter Zuschauenden durchgeführt.
Worin liegt die Motivation der Moderatorinnen, Stöckelschuhe zu tragen? Gibt es einen Dresscode?
Das war eine zentrale Frage, die wir an die Moderatorinnen hatten. Wir haben dabei festgestellt, dass je nach Sender durchaus ganz unterschiedliche Modelle vorherrschen. Die einen verfügen über Styleguides, bei den anderen sind Kostümbildner*innen beratend tätig. Bei anderen Sendungen kaufen die Moderatorinnen zusammen mit den Kostümbildnerinnen ihre Garderobe oder es wird ihnen die Kleidung zur Verfügung gestellt. Aber insgesamt gibt es keinen expliziten Dresscode, der den Moderatorinnen ihre Kleidung konkret vorschreibt. Sie sind in der Auswahl der Kleidung, auch der Schuhe, durchaus frei. Es gibt technische Einschränkungen, die beispielsweise mit dem Licht und der damit verbundenen optischen Wirkung zusammenhängen. Es gibt zwar, was den Stil angeht, eine gewisse Erwartung, dafür hat man eben die genannten Styleguides. Aber man kann nicht von Vorschriften des Senders reden, die Moderatorinnen haben durchaus Einflussmöglichkeiten und Gestaltungsfreiheit. Wir haben festgestellt, dass die Moderatorinnen diesbezüglich insgesamt zufrieden sind und sich nicht gegängelt oder eingeschränkt fühlen. Es gibt zwar eine Erwartung, dass eine gewisse Seriosität und Eleganz erwartet werden. Aber es gibt keine expliziten Vorschriften.
Eine Moderatorin bekommt manchmal mehr Reaktionen auf ihr Outfit als auf die Inhalte einer Sendung.
Fällt die Art der Schuhe überhaupt auf? Oder ist das etwas, was wir unbewusst eher nebenbei wahrnehmen?
Einzelne Zuschauer*innen werden natürlich nicht bewusst auf einen Aspekt wie die Schuhe oder die Halskette achten. Sie nehmen vielmehr eine Gesamtkomposition wahr, und die einzelnen Ausstattungsdetails verändern diese natürlich. Alle Moderatorinnen bestätigten, dass ihr Outfit als sehr wichtig wahrgenommen und von den Zuschauer*innen regelmäßig kommentiert wird, manchmal positiv, manchmal negativ. Eine Moderatorin sagte beispielsweise, dass sie manchmal mehr Reaktion auf ihr Outfit als auf die Inhalte einer Sendung bekommt – vor allem, wenn irgendetwas daran nicht stimmt, also eine Kette schief sitzt oder die Farbe der Bluse nicht passt. Fernsehen ist ein Bildmedium.
Wie sehen die Moderatorinnen ihr äußeres Erscheinungsbild selbst? Was bedeutet ihnen jetzt konkret das Tragen von Stöckelschuhen?
Viele Moderatorinnen haben angegeben, dass ihnen ihr Outfit Sicherheit verleiht. Wenn von außen die Reaktion kommt: „Okay, das sieht gut aus, das wirkt elegant!“, dann verleiht dieses Zufriedensein mit dem Outfit Sicherheit und Souveränität während des Auftritts. Und das hat natürlich wieder mit selbst empfundenen gesellschaftlichen Erwartungen zu tun.
Ist das, was die Moderatorinnen von sich selbst wahrnehmen, identisch mit den Erwartungen, Verhaltensweisen oder Ansichten der Zuschauer?
Nicht immer. In manchen Aspekten sind die Moderatorinnen und die Zuschauenden sich einig, in anderen Aspekten wird es unterschiedlich gesehen. Viele Zuschauer*innen glauben, dass die Stöckelschuhe vorgeschrieben werden. Sie glauben, dass dies entsprechend den gesellschaftlichen Erwartungen Pflicht ist. Direkt befragt sagen die Zuschauenden allerdings, dass es für sie genauso in Ordnung wäre, wenn Moderatorinnen statt Stöckelschuhen Sneaker, Ballerinas oder andere flache Schuhe tragen würden. Da könnte man den Sendern raten: mehr Vielfalt, auch beim Schuhwerk der Moderatorinnen. Umgekehrt sind sich Zuschauer*innen und Moderatorinnen einig, dass es völlig unmöglich wäre, wenn die Wahl des Schuhwerks nicht frei, sondern vorgeschrieben wäre.
Wenn Sie Fernsehverantwortliche wären und die Moderatorinnen Sie fragen würden, ob sie Sneaker tragen sollen – was würden Sie raten?
Ich würde klar zu einer Vielfalt, zur Abwechslung raten. Stöckelschuhe müssen jetzt nicht verbannt werden. Aber: 60 % der gekauften Schuhe sind Sneaker. Das scheint also ein sehr beliebtes Modell bei Frauen zu sein. Vielfalt und mehr Abwechslung sind gut, es muss vor allem zum Gesamtoutfit passen. Einen Sneaker ziehe ich zu anderer Kleidung an als einen hohen Schuh. Wir müssen nicht immer an diesem einen klassischen Rollenmodell festhalten. Elegant kann man auch mit Ballerinas auftreten.
Anmerkung:
Im Projekt wirkten u. a. die Studierenden Violeta Kaleshi, Niklas Reibenspiess und Alexandra Vorwerk mit. Das ausführliche Arbeitspapier zum Projekt Auf Stöckelschuhen zu Gleichstellung? – TV-Moderatorinnen: Schuhe als modisches Asseccoire oder gesellschaftliches Statement? ist abrufbar unter: https://www.hochschule-bochum.de.
Susanne Stark (Foto: privat)
Joachim von Gottberg (Foto: Sandra Hermannsen)