Verdachtsjournalismus 1: Arne Schönbohm will Schmerzensgeld vom ZDF wegen Böhmermann-Vorwürfen

Im Oktober 2022 warf der Satiriker Jan Böhmermann dem damaligen Chef des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), Arne Schönbohm, eine große Nähe zu Firmen vor, die angeblich mit dem russischen Geheimdienst zusammenarbeiteten. Schönbohm wurde daraufhin von Bundesinnenministerin Nancy Faeser von seinem Posten abberufen und versetzt. Nun klagt er gegen das ZDF und wohl auch gegen das Bundesinnenministerium

Online seit 04.09.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/verdachtsjournalismus-1-arne-schoenbohm-will-schmerzensgeld-vom-zdf-wegen-boehmermann-vorwuerfen-beitrag-1122/

 

 

Arne Schönbohm war bis Dezember 2022 Chef des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Jan Böhmermann war und ist Satiriker, der sich in seiner Show ZDF Magazin Royale nicht nur satirisch, sondern zum Teil auch in kritischer Recherche mit aktuellen gesellschaftlichen Missständen auseinandersetzt. Das gelingt mal mehr, mal weniger gut. Beachtenswert war beispielsweise seine Sendung über die mangelnde Bereitschaft der Strafverfolgungsbehörden, Missstände, die nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz rechtswidrig waren, zu verfolgen. (Vgl. Hate Aid 2022)
 

Schönbohm ein Sicherheitsrisiko

Manchmal schießt er allerdings auch über das Ziel hinaus, was für Führungskräfte in verantwortlichen Positionen zu äußerst unangenehmen Folgen führen kann. Am 7. Oktober 2022 traf es den für Cybersicherheit zuständigen Arne Schönbohm: „Es geht um Sicherheitsrisiken mit Glatze, es geht um eine zwielichtige Firma, es geht um einen seltsamen Verein, es geht um merkwürdige Klingelschilder heute im ZDF Magazin Royale, es geht um einen Spitzenbeamten aus dem deutschen Sicherheitsapparat, es geht um tote Gänse, es geht um einen toten Rehbock, Clowns kommen auch vor und wo Clowns sind, ist natürlich die CDU nicht weit. […] Selbstverständlich sind wir auch wachsam und sehr aufmerksam und vorbereitet, was mögliche Cyberangriffe auf die Bundesrepublik betreffen. Aber ich glaube, dass wir generell auf Cyberangriffe heutzutage anders vorbereitet sein müssen. Deswegen bin ich auch froh, dass wir das BSI haben.“ (Böhmermann 2022)
 

Nähe zu Putin?

Kurzum, Böhmermann behauptete: Der frühere BSI-Chef Schönbohm pflege über einen Lobbyverein engen Kontakt zu einer Firma, die mit dem russischen Geheimdienst verbunden sei. (Böhmermann 2022)

Böhmermanns Vorwurf: Vertreter von Protelion sitzen aktuell im Cyber-Sicherheitsrat Deutschland, neben den wichtigen Vertretern der kritischen Infrastruktur und mit vielen wichtigen Playern aus Wirtschaft und Politik in Deutschland. „Und damit wir uns nicht falsch verstehen: Arne Schönbohm hat seinen sehr wichtigen Job im Herzen unserer kritischen Infrastruktur nicht deshalb bekommen, weil sein Papa der CDU-Politiker Jörg Schönbohm war, Berliner Innensenator und Brandenburger Innenminister. Nein, Arne Schönbohm ist Chef des BSI geworden, wegen seiner weithin anerkannten IT-Fachkompetenz. Lobbyist wird neuer Chef des BSI. Seine Kritiker halten ihn für einen Cyberclown.“ (Ebd.)
 

Wie eine russische Firma ungestört Deutschland hackt (ZDF Magazin RoyaleE, 07.10.2022)



Faeser zieht Schönbohm von seinem Posten ab

Böhmermanns Vorwürfe gingen sehr weit: „Böhmermann hatte dem früheren BSI-Chef in seiner Sendung nicht nur bewussten Kontakt zum russischen Geheimdienst und den Diensten anderer Länder unterstellt, sondern ein ‚unbekanntes riesengroßes blubberndes Leck in der deutschen Kompetenz-Pipeline in Sachen IT‘ heraufbeschworen und postuliert: ,Die Cybersicherheit in Deutschland ist in Gefahr, und zwar durch den Chef der Cybersicherheit in Deutschland.‘“ (Hanfeld 2023)

Infolge dieser Ausgabe vom ZDF Magazin Royale berief Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) den BSI-Chef Schönbohm im November 2022 von seinem Posten ab und ordnete seine Versetzung zum Leiter der Bundesakademie für öffentliche Verwaltungan (ebd). Ihre Begründung: „Die Vorwürfe gegen Schönbohm hätten ‚das notwendige Vertrauen der Öffentlichkeit in die Neutralität und Unparteilichkeit der Amtsführung als Präsident der wichtigsten deutschen Cybersicherheitsbehörde nachhaltig beschädigt.‘“ (Balzereit 2023)
 

Vorwürfe erweisen sich als haltlos

Die Recherchen des Innenministeriums im Fall Schönbohm endete jedoch im April mit dem Ergebnis, dass dem ehemaligen Präsidenten des BSI keine Verfehlungen vorzuwerfen seien und kein Disziplinarverfahren eröffnet werde: „Einem Bericht des Nachrichtenportals Business Insider zufolge hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) im April in einem Schreiben an Schönbohms Anwälte zugegeben, dass sich keine Anhaltspunkte finden ließen, die die Einleitung eines Disziplinarverfahrens rechtfertigen würden. […] Faeser wird vorgehalten, den Behördenchef ohne handfeste Beweise voreilig fallen gelassen zu haben.“ (Süddeutsche Zeitung 2023) Auf konkretere Nachfrage gab eine Sprecherin des Innenministeriums an, „ihr Haus könne sich zu Personalien ‚grundsätzlich nicht äußern‘“. (Ebd.)
 

Schönbohm klagt gegen das ZDF

Nun geht Schönbohm gerichtlich gegen das ZDF vor und fordert 100.000 € Schadensersatz sowie die Unterlassung von Böhmermanns Vorwürfen: „Diese Äußerungen sollen Böhmermann und das ZDF unterlassen. Hier handele es sich, führt der Anwalt Hennig gegenüber dem ZDF aus, um ‚unwahre Berichterstattung‘ und eine ‚schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung‘. Die Untersuchungen der Bundesregierung hätten ‚öffentlich ergeben, dass die aufgestellten Behauptungen unwahr sind‘. Bei der Böhmermann-Sendung handele es sich um ‚eine der schmutzigsten Denunzierungen‘, ‚welche durch einen öffentlich-rechtlichen Sender und damit durch einen von Steuergeldern finanzierten staatlichen Sender jemals erfolgt ist‘“. (Hanfeld 2023) Und: „Das ZDF hat durch das ‚Magazin Royale‘ die Reputation und die tadellose Karriere eines verdienten Staatsdieners zerstört.“ (Zitiert nach Balzereit 2023)

Das ZDF hat die Forderungen zurückgewiesen, so die FAZ. eine Begründung hat es nicht gegeben. Darüber hinaus klagt Schönbohm vor dem Verwaltungsgericht Köln gegen das Bundesinnenministerium (BMI) „auf Schadensersatz in Höhe von zunächst 5.000 Euro wegen Verstoßes gegen die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht. […] Das Verhalten des BMI und Faesers stelle sich nach Ansicht von Schönbohms Anwalt ‚in der Gesamtwürdigung als Mobbing durch das BMI und besonders die Ministerin dar‘. Schönbohm will zudem zivilrechtlich gegen Nancy Faeser, die BMI-Staatssekretäre Hans-Georg Engelke und Markus Richter sowie gegen den BMI-Abteilungsleiter Martin von Simson klagen.“ (LTO 2023)
 

Unzulässiger Verdachtsjournalismus

Der Fall Schönbohm lässt viele Fragen offen. Böhmermann hat über seine Behauptungen einen Verdacht geäußert, der für den Beamten weitreichende Folgen hatte, außerdem wurde seine öffentliche Reputation stark beschädigt. Die für ihn zuständige Ministerin hat Konsequenzen gezogen, ohne die Vorwürfe in notwendiger Weise zu überprüfen. Bedauerlich ist, dass das Bundesinnenministerium das Ergebnis der Untersuchungen in der Sache nicht detailliert veröffentlicht. So ist es schwierig nachzuvollziehen, wie es zu den offenbar unzutreffenden Vorwürfen gekommen ist und ob das ZDF Magazin Royale möglicherweise leichtfertig unzureichend überprüfte Zusammenhänge hergestellt hat. Auch das ZDF sollte selbst ein Interesse daran haben, die Sache öffentlich aufzuklären. In einer Sendung einen solchen offenbar haltlosen Verdacht aufzubauen ist schlimm genug, dann aber nicht dazu beizutragen, die Sache vernünftig aufzuklären, ist noch problematischer. So wird Glaubwürdigkeit verspielt.

Quellen:

Balzereit, X.: Jobverlust nach Böhmermann-Beitrag: Ex-BSI-Präsident Schönbohm fordert Schmerzensgeld vom ZDF. In: Berliner Zeitung, 30.08.2023. Abrufbar unter: www.berliner-zeitung.de

Böhmermann, J.: Wie eine russische Firma ungestört Deutschland hackt.In: ZDF Magazin Royale, 07.10.2023. Abrufbar unter: www.youtube.com

Hanfeld, M.: Böhmermann, das ZDF und die „schmutzigste Denunziation“. In: FAZ.net, 31.08.2023. Abrufbar unter: www.faz.net

Hate Aid: Nach ZDF Magazin Royale-Bericht: HateAid kritisiert mangelnde Strafverfolgung im Netz. In: Hate Aid, 30.05.2022. Abrufbar unter: https://hateaid.org/zdf-magazin-royale-hass-im-netz-polizei/

LTO: Ex-BSI-Chef Schönbohm zieht vor Gericht. In: Legal Tribune Online, 01.09.2023. Abrufbar unter: www.lto.de

Süddeutsche Zeitung: Zugeständnis von Nancy Faeser. Schönbohm entlastet. In: Süddeutsche Zeitung, 12.05.2023. Abrufbar unter: www.sueddeutsche.de