Vernünftig in den Zielen, schwierig in der Umsetzung
Rundfunkkommission stimmt neuem Entwurf zum Jugendmedienschutz-Staatsvertrag zu
Vieles in dem neuen Entwurf klingt gut. In § 3 Abs. 5 geht es um die Definition sogenannter Interaktionsrisiken: direkte einfache Kauffunktionen, die schnell zur Überschuldung führen können, glücksspielähnliche Mechanismen oder die Anreize zu exzessivem Mediennutzungsverhalten. Ist so etwas tatsächlich durchsetzbar oder eher Wunschdenken?
Die Länder stehen in gewisser Weise im Zugzwang, weil der Bund diese Nutzungsrisiken 2021 auch ins Jugendschutzgesetz (JuSchG) aufgenommen hat. Das wird nun voraussichtlich übernommen, damit beide Gesetze, JuSchG und JMStV, kongruenter erscheinen. Allerdings haben die Länder die Regelung nicht systemisch integriert, sondern einfach eine neue Definition bei den Begriffsbestimmungen hinzugesetzt. Demgegenüber ist z. B. der für die materiellen Jugendschutzbestimmungen zentrale Begriff „Angebot“ nach wie vor in § 3 Nr. 1 als „Inhalt“ von Telemedien definiert. Wenn es sich also bei Angeboten nur um die Inhalte von Telemedien handelt, dann wären bei §§ 4 und 5 Nutzungsrisiken überhaupt nicht zu berücksichtigen, da sie ja nicht Teil des Inhaltes sind. Sollte dies gewollt sein, besteht künftig weiter eine Inkongruenz zu § 10b JuSchG, der ja eine Berücksichtigung von Nutzungsrisiken bei der Alterseinstufung unter bestimmten Bedingungen zulässt.
Gibt es schon Erfahrungen im Bereich des Jugendschutzgesetzes in dieser Sache? Hat die Benennung der Nutzungsrisiken überhaupt eine Wirkung?
Für eine Evaluation ist wohl noch nicht genügend Zeit vergangen. Das JuSchG ist erst im Mai 2021 in Kraft getreten und die dafür zuständige neue Bundesbehörde, die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ), musste dann erst aufgebaut werden. Aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben hat die BzKJ ohnehin die nicht einfache Ausgangslage, dass die marktdominanten Anbieter sowohl bei den Filmplattformen als auch bei den Host-Diensteanbietern in anderen EU-Mitgliedstaaten sitzen, z. B. YouTube oder X [ehemals Twitter]. Bei diesen Anbietern außerhalb Deutschlands hat die BzKJ keine rechtlich durchsetzbare Einwirkungsmöglichkeit in Bezug auf Nutzungsrisiken, wie auch das EuGH-Urteil vom 9. November 2023 [vgl. C-376/22] nochmals verdeutlicht hat.
Es ist ein schöner Gedanke, dass man in Deutschland die Nutzungsrisiken in das Jugendschutzrecht integriert hat, aber in der Realität von Kindern und Jugendlichen hat dies kaum praktische Auswirkungen.“
Immerhin haben sich die Regelungen über die Nutzungsrisiken in begrenztem Umfang auf die USK-Freigabeverfahren nach dem JuSchG derart ausgewirkt, dass einige Spiele, deren Alterseinstufungen vorher bei „ab 0“ oder „ab 6“ lagen, nun unter Berücksichtigung der Nutzungsrisiken eine Freigabe ab 12 Jahren erhalten.
Ist es für die Nutzer nicht unverständlich, wenn ein Computerspiel, z. B. wegen glücksspielähnlichem Charakter oder wegen potenziell riskanter Kontakte, statt ab 6 Jahren erst ab 12 eingestuft wird? Ein Beispiel wäre das neue FIFA-Spiel, das inhaltlich völlig harmlos ist. Nehmen die jungen Nutzer oder ihre Eltern das noch ernst oder zweifeln sie nicht eher an der Sinnhaftigkeit der Altersfreigaben?
Das System der Einstufungen ab 0, 6, 12, 16 oder 18 Jahren, das bei Ängstigung oder auch bei Gewalt sinnvoll ist, macht bei den Nutzungsrisiken nicht immer Sinn und wird wohl auch von Eltern, Kindern und Jugendlichen manchmal nicht verstanden. Es ist also fraglich, ob die Nutzungsrisiken bei der JuSchG-Reform an die falsche Stelle angebunden worden sind. Man könnte eher eine eigene Kategorie neben der Altersfreigabe für die Nutzungsrisiken einführen, beispielsweise mit einem Wort- oder mit einem Bildsymbol, man hätte es also besser bei Deskriptoren belassen sollen. Ob die Länder dem JuSchG des Bundes nun auch mit einer Öffnung für Altersstufen folgen oder Nutzungsrisiken nur bei Hinweisen [vgl. § 5c Abs. 3 JMStV-Entwurf] zu berücksichtigen sein sollen, ist in dem Entwurf nach meiner Wahrnehmung nicht ganz klar benannt.
Kommen wir zum nächsten Punkt: § 5 Abs. 2. Hier wird ein altes Problem behoben, nämlich dass die Sender nach einer Freigabe ihrer Inhalte durch die FSF z. B. ab 12 Jahren befürchten müssen, dass die FSK die Videofassung anschließend ab 16 Jahren freigibt, wenn ein Videoanbieter sie dort für die Videoauswertung vorlegt. Da die FSK rechtlich höhergestellt ist, würde das die FSF-Freigabe obsolet machen. Das Problem: Der Sender hat den Film für 20.00 Uhr programmiert, darf ihn dann aber erst um 22.00 Uhr auswerten. Um das zu vermeiden, gehen er oft lieber gleich zur FSK. Gerade bei Grenzfällen kommt es manchmal zu unterschiedlichen Entscheidungen.
Ja, das ist im Grunde die einzige wirklich sinnvolle Regelung im neuen Entwurf. Die FSK und die FSF haben beide gute Gremien, beide besitzen einen vergleichbaren Sachverstand. Und sie dann rechtlich auf Augenhöhe zu stellen, ist aus meiner Sicht das Normalste der Welt.
Die Ungleichstellung hat ja in der Vergangenheit auch wirklich zu absurden Ergebnissen geführt. Ich halte das für einen logischen Schritt, das endlich anzugleichen.“
Dass es die FSK nicht gut findet, wenn sie ihren Vorrang verliert, und dagegen möglicherweise lobbyieren wird, ist nachvollziehbar und politisch legitim. Aber in der Sache ist das eine fast überfällige Normierung.
Nach § 5b müssen die Anbieter von Video-Sharing-Diensten ihren Nutzern Beschwerdemöglichkeiten anbieten. Geht es dabei auch um eine Anpassung an das JuSchG?
Aus medienrechtlicher Perspektive darf man ein wenig darüber schmunzeln, dass man diesen § 5b in den Entwurf geschrieben hat. Denn in den Kommentaren des Entwurfs wird argumentiert, man müsse das jetzt aufnehmen, weil es in der bisherigen bundesgesetzlichen Regelung des § 10a Telemediengesetz (TMG) wegfalle. Es ist möglicherweise noch nicht verstanden worden, dass § 10a TMG deshalb wegfällt, weil dessen Norminhalt nun vom europäischen Digital Services Act (DSA) geregelt wird. Art. 16 DSA normiert für alle Hostingdienste, einschließlich Video-Sharing-Dienste, das Melde- und Abhilfeverfahren; was „rechtswidrige Inhalte“ sind, regelt abschließend Art. 3h DSA. Wenn es im DSA steht, haben die nationalen Gesetzgeber wegen der Harmonisierungswirkung des Unionsrechts keine Gesetzgebungskompetenz mehr, das abweichend zu regeln. Deshalb ist § 10a TMG weggefallen und der von den Ländern vorgeschlagene § 5b, so wie er jetzt im Entwurf steht, unionsrechtswidrig. Aber ich gehe davon aus, irgendjemand wird es den Ländern in der Anhörung noch erklären und dann dürfte man das herausnehmen. Und wenn nicht, dann bleibt es eben drin, aber es ist halt unionsrechtswidrig und kann nicht angewendet werden.
§ 5c Abs. 3 verpflichtet die Anbieter von Telemedien, Alterseinstufungen zu Beginn des Programms zu veröffentlichen und die Gründe zu nennen. Nun haben wir das merkwürdige Phänomen, dass im Bereich Kino, Video und Fernsehen eine sehr aufwendige Regelung durch unabhängige Gremien betrieben wird, obwohl dort der Konsum dieser Medien für Kinder und Jugendliche immer weniger relevant ist. Auf der anderen Seite stehen insbesondere die Streamingdienste, die weit häufiger genutzt werden und die Einstufung selbst vornehmen können, wenn es keine FSK-Freigabe gibt. Das wissen aber die Nutzer in der Regel nicht und vermuten hinter den Einstufungen wahrscheinlich denselben Urheber. Meine Beobachtung ist, dass die Alterseinstufungen, bei Netflix beispielsweise, oft zu streng sind. Da gab es ja neulich laute Proteste, weil ein Pumuckl-Film bei Amazon Prime ab 12 eingestuft wurde. Begründung: „Gewalt, Alkoholkonsum und Rauchen.“ Das könnte für die Akzeptanz des Jugendschutzes schädlich sein, weil die Nutzer darin keine Logik erkennen.
Ja, das stimmt. Es ist freilich aus Perspektive der Unternehmen legitim, Haftungsrisiken zu minimieren und dann im Zweifel eine höhere Altersstufe zu verwenden, um potenziellen Ärger mit den Behörden zu vermeiden. Und das ist auch legal. Von noch größerer praktischer Auswirkung könnte aber die nunmehr vorgesehene pauschale Kennzeichnungspflicht für alle Internetangebote sein. Bei dem neuen § 3 Abs. 3 müssten z. B. auch wir für unsere Hochschulwebsite unter Umständen eine Alterseinstufung vornehmen, weil wir gemäß der Entwurfsformulierung „Anbieter [von Telemedien]“ sind. Damit ergäbe sich je nach Content für unsere Hochschulwebsite z. B. die Pflicht, „ab 6“ zu kennzeichnen und die wesentlichen Gründe für diese Alterseinstufung zu benennen.
Und das Zweite ist: Für in Deutschland ansässige Filmplattformen und Mediatheken gibt es ja schon eine Alterskennzeichnungspflicht nach § 14a JuSchG. Die wird durch § 3 Abs. 3 JMStV-Entwurf überlagert. Da haben die Länder, weil das vom Bund geregelt wurde, keine Gesetzgebungskompetenz mehr. Diese Regelung ist daher wegen der Sperrwirkung des Artikels 72 Grundgesetz verfassungswidrig, :
Wenn der Bund das an sich gezogen hat und abschließend regelt, haben die Länder im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung keine Regelungskompetenz mehr. Damit sollen widersprüchliche Regelungen von Bund und Ländern gerade vermieden werden.“
Aber auch diese verfassungsrechtlichen Grundlagen wird in der Anhörung möglicherweise noch irgendjemand erklären. Für jugendrelevante Telemedienanbieter wie Amazon Prime, Netflix, YouTube, TikTok, Facebook etc. gelten die deutschen Jugendschutzregeln zur Alterseinstufung aufgrund des Herkunftslandprinzips ohnehin nicht, egal ob in § 14a JuSchG oder § 3 Abs. 3 JMStV-Entwurf geregelt. Denn diese Anbieter haben ihren Sitz in anderen EU-Mitgliedstaaten.
In § 12 Abs. 1 wird vorgeschrieben, dass in mobilen Geräten oder in Betriebssystemen wie Windows oder Apple ein Jugendschutzprogramm enthalten sein muss, mit dem Eltern für alle Dienste einmalig eine Alterseinstufung vornehmen können, die dann für alle Inhalte gilt. So werden ausschließlich Apps und Inhalte nutzbar sein, die über eine aus Sicht der Eltern geeignete Alterseinstufung verfügen. Die Frage: Ist das tatsächlich durchsetzbar? Und würde das bedeuten, dass für Jugendliche relevante und harmlose Inhalte, die aus Unwissen nicht gekennzeichnet sind – also beispielsweise Websites der Universität Leipzig, des Goethe-Instituts oder des Berliner Flughafens – für Kinder und Jugendliche nicht erreichbar sind?
Ja, es gibt dann diesen Overblocking-Effekt. Für die Apps müssen Altersfreigaben vorhanden sein, und wenn das nicht so ist, werden sie je nach Einstellung durch die Eltern geblockt.
Ist so etwas überhaupt durchsetzbar, beispielsweise gegen Huawei oder Apple, die ja ihren Sitz nicht in Deutschland und nicht einmal in Europa haben? Und was passiert, wenn die sich weigern? Dürfen die dann in Deutschland keine Smartphones mehr verkaufen?
Die faktische Durchsetzbarkeit dieser Bestimmung halte ich – ungeachtet komplexer Fragen des internationalen Verwaltungsrechts – für sehr schwierig. Die Probleme bei diesem Regulierungsansatz sind so vielfältig, dass es sehr schwerfällt, zu prognostizieren, woran dieser konkret am Ende scheitern wird. Zum einen ist es nicht umsetzbar aufgrund der Internationalität, aber es ist vor allem selbst im EU-Raum wahrscheinlich nicht durchsetzbar. Sobald wir alle App-Anbieter in Irland, Italien oder Frankreich verpflichten wollen, ihre App mit einer Alterseinstufung für Endgerät-Betriebssysteme in Deutschland zu versehen, verstößt das gegen das Herkunftslandprinzip des Unionsrechts. Und deshalb kann das Gesetz nur die deutschen App-Anbieter verpflichten, italienische, französische, irische dagegen nicht. Dann aber funktioniert das System schon vom Grundgedanken her nicht, weil ausländische Apps alle weggeblockt würden, wenn sie bei der Alterseinstufung nicht mitmachen. Und wenn man sie faktisch zwingt, mitzumachen, dann verstößt das gegen Unionsrecht.
Kann man denn die Betriebssystemanbieter zwingen, so ein Filtersystem in ihre Systeme zu implementieren?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass große Betriebssystemanbieter da mitmachen. Sie müssten eine sehr teure insulare Lösung machen, nur für deutsche Nutzer. Das halte ich persönlich für nicht sehr wahrscheinlich. Es wäre auch haftungsrechtlich schwierig, wenn es sich etwa um Aktienunternehmen handelt. Diese können eine offensichtlich rechtswidrige Norm im Grunde nicht ohne Haftungsrisiken umsetzen. In diesem Zusammenhang ist schon sehr naheliegend, dass die Länder gar keine Gesetzgebungskompetenz haben, Betriebssysteme zu regeln. Das sind ja keine Medien. Der Bund hat zudem in § 16 JuSchG den technisch-strukturellen Jugendschutz im Kontext der Telemedien einschließlich Apps insgesamt an sich gezogen. Und damit gibt es eigentlich auch schon wieder die Sperrwirkung aus der Verfassung für eine solche Länderregelung. Und so etwas sehen vermutlich auch die Legal-Abteilungen und Anwaltskanzleien der großen Häuser. Deshalb würde ich als Betriebssystemanbieter eine solche Regelung erstmal gerichtlich überprüfen lassen, ehe ich in Investitionen für eine deutsche Sonderlösung gehe, welche das Produkt für die Nutzer unattraktiver macht.
Außerdem muss man sehen, dass diese Regelungen sehr häufig für den Jugendschutz keinen Mehrwert haben. Nehmen wir etwa die Konsolenanbieter, die haben schon fast alle anerkannte Jugendschutzprogramme in ihre geschlossenen Systeme implementiert. Jugendschutz wird da schon beachtet. Da gibt es keine Jugendschutzrisiken. Und dann ist es verfassungsrechtlich schlicht nicht erforderlich, von ihnen zu verlangen, dass sie mit erheblichem finanziellem Aufwand ihr System ändern, wenn sie ohnehin schon Jugendschutz vollumfänglich beachten.
Die vorgeschlagenen Betriebssystemregelungen unterminieren schließlich massiv die gerade erreichte unionsrechtliche Harmonisierung digitaler Dienste. Wie es in der Vergangenheit Betreiber sozialer Netzwerke beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) vorgemacht haben, könnten die Betriebssystemanbieter bald proaktiv vom Verwaltungsgericht feststellen lassen, dass die JMStV-Länderregulierung für sie nicht gilt, weil sie verfassungswidrig und unionsrechtswidrig ist. In Frankreich haben große Anbieter bereits gegen ein Dekret mit vergleichbarem Regelungsgehalt Rechtsmittel eingelegt. Das alternative Szenario ist, dass die Neuregelung – etwa mangels exekutiven Vollzugs durch die KJM – keinen Leidensdruck erzeugt und damit von der Judikatur mangels Klageantrags ungeprüft bleiben könnte. Dann stünde sie als hohler Symbolismus eben im Gesetz. Nachdem wir über 30 Jahre die Gesetzgebung in diesem Bereich verfolgen, muss man irgendwann sagen, so ist es halt.
Wir haben oft einen starken politischen Willen, der korreliert mit einer gewissen Naivität oder Unkenntnis darüber, wie moderne Medienkommunikation funktioniert.“
Und auch das ist erst mal nicht schlimm, wenn man für externen Sachverstand offen ist. Wenn man diesen aber mit einer gewissen Resilienz nicht beachtet, besteht die Gefahr, dass am Ende nicht nur unsachgemäße, sondern möglicherweise auch verfassungs- und unionsrechtswidrige Gesetze rauskommen. Im Grunde ist es also auch nicht viel anders als bei der PKW-Maut 2019, beim NetzDG oder jetzt aktuell bei der Schuldenbremse. Am Ende ziehen in einem Rechtsstaat die Gerichte die Grenze bei rechtswidrigem politischem Handeln.
Wenn man jetzt den Flughafen Berlin oder ein Kindertheater im Netz aufrufen will und die Seiten nicht erreicht, weil die Verantwortlichen nicht wussten, dass sie für ihr vollkommen harmloses, vielleicht sogar pädagogisch wertvolles Angebot eine Altersbeschränkung brauchen, wird man wahrscheinlich sehr schnell den Filter deaktivieren.
Ja, sollte das tatsächlich mal umgesetzt werden und wenn kein Gericht die Verfassungs- und Unionsrechtswidrigkeit feststellt, dann wäre wahrscheinlich die Folge, dass es keiner nutzt, weil dann ein starkes Overblocking die Usability einschränkt.
Kommen wir zu den Pornoanbietern. Es gibt seit Langem den Kampf von Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW und der KJM gegen Portale wie xHamster aus Zypern. Er will sie zwingen, zumindest in Deutschland das verpflichtende Jugendschutzprogramm vorzuschalten. Bisher hat das wohl nichts gebracht. Jetzt will der Staatsvertrag in § 20 Abs. 4 die Zahlungsabwicklungen über Kreditkarten verbieten, um den Angeboten quasi finanziell das Wasser abzugraben.
Ich verstehe, dass die Landesmedienanstalten in dem Bereich unzufrieden sind: Sie erlassen eine Sperrverfügung, die die Access-Provider auch durchführen, sie klagen zwar dagegen, aber setzen die Sperrung erst mal um. Und dann, nach wenigen Stunden sind die Inhalte wieder abrufbar aufgrund einer kleinen URL-Änderung. Da verstehe ich schon, dass man sich etwas ohnmächtig fühlt. Und man muss auch sagen, die Medienanstalten haben bisher nicht viel erreicht. xHamster und Co. sind nach wie vor frei abrufbar. Dass man ein anderes Instrumentarium will, ist erstmal vom Ansatz politisch nachvollziehbar. Was sie jetzt gemacht haben: Sie haben das, was im Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) schon steht, einfach kopiert und in das Jugendschutzrecht hinübergezogen. Man hat sich aber nicht angeschaut, wie das denn gerade in der Praxis umgesetzt wird und auch welche Spezifika im GlüStV geregelt sind.
Auch beim Glücksspiel-Payment-Blocking gibt es viele faktische und rechtliche Probleme. Man kann bei den meisten Überweisungen, die getätigt werden, nicht sehen, ob damit der Zugang zu einem unzulässigen Inhalt im Zusammenhang steht. Das geht aus der Überweisungsverwendung nicht hervor. Wie sollen die Zahlungsdienstleister, wenn jetzt die KJM kommt, bei Transaktionen herausfinden, ob sie sich konkret auf unzulässige Inhalte beziehen? Das hat die Kreditwirtschaft auch damals beim GlüStV deutlich gesagt: Wir können das gar nicht realisieren, ohne dass wir ganz massives Overblocking betreiben. Das ist ein faktisches Problem, abgesehen davon, dass Geldtransaktionen eines erwachsenen Kunden in Bezug auf Pornografiekonsum nirgends materiell-rechtlich verboten sind. Und dazu kommen multiple Dilemmata, die gerade auch juristisch in der Wissenschaft breit dargelegt worden sind: Datenschutzrechtlich ist es eher nicht möglich, so ein Payment-Blocking rechtskonform durchzusetzen. Und deshalb wage ich persönlich die Prophetie, dass dieses neue Instrumentarium auch kein Heilsbringer sein wird. Spezielle Herausforderungen ergeben sich darüber hinaus aus dem unionsrechtlich harmonisierten Zahlungsdienstleistungsrecht einschließlich der Haftung für die Nichtausführung legaler Zahlungsaufträge.
Man könnte auch einfach eine Abbuchung über das Konto tätigen oder die Gebühr überweisen, dann braucht man die Kreditkarten nicht. Außerdem: xHamster finanziert sich durch Werbung, da kann man mit Kreditkartensperre gar nichts ausrichten.
Ja, oder man nimmt Payment-Diensteanbieter, die im EU-Ausland sitzen, also z. B. in Italien oder sonst wo. Diese Dienste darf ich grundsätzlich nach Unionsrecht nicht von Deutschland zum Blockieren der Portale verpflichten. Meine persönliche Prognose ist: In zehn Jahren werden xHamster und Co. immer noch abrufbar sein. Wenn ein Inhalteanbieter sich im Wesentlichen über Werbung finanziert, dann nützt Payment-Blocking wenig. Aber unabhängig davon steht die Norm auf sehr wackligen Beinen. Der Gesetzentwurf legt fest: Für das Payment-Blocking ist es nicht notwendig, dass die KJM vorher gegen den Anbieter vorgegangen ist, sie soll direkt die Kreditinstitute zur Sperrung zwingen können. Da erscheint es aus verfassungsrechtlicher Perspektive fraglich, ob nicht aus Verhältnismäßigkeitsgründen immer der Störer zuerst angegangen werden muss, bevor berufstypisch neutral handelnde Zahlungsinstitute massiv in die Pflicht genommen werden. Und deshalb ist die Norm, so wie sie im Entwurf steht, wahrscheinlich auch verfassungsrechtlich angreifbar.
Man könnte ja auch statt konkreter pornografischer Inhalte die Sperrung auf das gesamte Portal beziehen, dann muss die KJM nicht feststellen, wie viele und welche Filme von xHamster pornografisch sind. Denn der größte Teil des Angebots ist ja pornografisch.
Pauschale Bezugnahmen auf ein Gesamtangebot sind grundsätzlich nicht illegitim. Wenn z. B. eine Schrift indiziert wird, können ja 80 % des Inhaltes unproblematisch sein, aber die restlichen 20 % der Schrift sind jugendgefährdend, und dieser Teil dominiert die Gesamtaussage. Deshalb muss das jetzt nicht zwingend dazu führen, dass man das Portal generell nicht treffen darf, nur weil sie auch Inhalte anbieten, die nicht pornografisch sind.
Kommen wir zum letzten Punkt. Die KJM hat gegen drei zyprische Pornoanbieter Verfügungen erwirkt und diese aufgefordert, das nach deutschem Recht zwingende Altersverifikationssystem vorzuschalten. Die Anbieter haben das bisher ignoriert. Daraufhin hat die KJM die großen Internetprovider aufgefordert, den Zugang zu den Portalen zu sperren. Das ist bisher aber selten geschehen. Der Entwurf sieht nun vor, die KJM zu ermächtigen, eine entsprechende Netzsperre bei den Internetanbietern rechtlich durchzusetzen. Ist so etwas sinnvoll und machbar?
Zunächst gibt es in tatsächlicher Hinsicht bei Sperrungen eine nicht unerhebliche Umgehungsproblematik. Technisch können Sperren eher nur als IP-Sperren oder als DNS-Sperren umgesetzt werden. Das ist aber beides für den Nutzer leicht auszuhebeln. Nahezu jeder 12-Jährige dürfte wissen, wie man ein Virtual Privat Network, also VPN, benutzt. Und deshalb kann rein faktisch hinterfragt werden, was so eine Sperre für den Jugendschutz bringt. Andererseits ist auch das Gegenargument zu hören: Selbst wenn man die Sperre umgehen kann, mag sie einen bestimmten Bruchteil von minderjährigen Nutzern doch vom Zugang abhalten und trägt im Gesamtjugendschutz etwas bei.
Allerdings fehlt aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben juristisch eine klare Handhabe. Durch eine spezielle Geltungsbereichsregelung für Video-Sharing-Diensteanbieter [vgl. § 2 Abs. 1 S. 4 JMStV] ist schon nicht naheliegend, dass der JMStV überhaupt für Video-Sharing-Diensteanbieter im Anwendungsbereich der AVMD-Richtlinie gilt, wenn sie ihren Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat wie Zypern haben.
Ich glaube, es wird auch künftig in Deutschland nicht gelingen, das Internet bewahrpädagogisch in eine Art insulare Blümchenwiese umzugestalten.“
Pornografie wird über große Portale eher frei abrufbar bleiben. Das ist meine persönliche Einschätzung, wissen kann man das nicht. Die Landesmedienanstalten müssen solche Vorstöße machen, das ist ja ihr Job. Es ist legitim, wenn sie das versuchen. Aber ob das zukünftig von mehr Erfolg gekrönt sein wird als jetzt, ist aus meiner Sicht auch im Lichte des neuen JMStV-Entwurfs fraglich.
Wie geht es jetzt weiter mit dem Entwurf?
Die Rundfunkkommission der Länder hat am 8. November 2023 den Entwurf zur öffentlichen Anhörung freigegeben. Bis zum 7. Dezember können Anregungen und Anmerkungen zu den Vorschlägen eingereicht werden. Wenn die Ministerpräsidenten zustimmen, muss der Entwurf eigentlich noch in das EU-Notifikationsverfahren, sofern sich die Länder diesmal an die stets zwingende Notifikationspflicht [vgl. § 27 JMStV] halten möchten. Dann folgt der Ratifizierungsprozess im parlamentarischen Verfahren. Der Digital Services Act wird jedenfalls ab Februar 2024 gelten, unabhängig davon, ob die deutschen Gesetzgeber bis dahin mit ihren eigenen Regelungen soweit sind oder nicht.
Literatur:
C-376/22: Pressemitteilung Nr. 167/23. Bekämpfung rechtswidriger Inhalte im Internet: Ein Mitgliedstaat darf einem Anbieter einer Kommunikationsplattform, der in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist, keine generell-abstrakten Verpflichtungen auferlegen. In: Gerichtshof der Europäischen Union, Pressemitteilungen, 09.11.2023. Abrufbar unter: curia.europa.eu (letzter Zugriff: 05.12.2023)
JMStV: Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag – JMStV) in der Fassung des Zweiten Staatsvertrages zur Änderung medienrechtlicher Staatsverträge (Zweiter Medienänderungsstaatsvertrag) vom 14. Dezember 2021.In: kjm-online. Abrufbar unter: www.kjm-online.de (letzter Zugriff: 05.12.2023)
JMStV-Entwurf: Diskussionsentwurf der Rundfunkkommission der Länder für einen Sechsten Medienänderungsstaatsvertrag (6. MÄStV). In: rlp.de, November 2023. Abrufbar unter: rundfunkkommission.rlp.de (letzter Zugriff: 05.12.2023)
Marc Liesching (Foto: FSF)
Joachim von Gottberg (Foto: Sandra Hermannsen)